Anlagenmechaniker/Anlagenmechanikerin
Einleitung
Zielkonflikte und Widersprüche
Zielkonflikte und Widersprüche sind bei der Suche nach dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit immanent und für einen Interessenausgleich hilfreich. In dem Kapitel 7. werden beispielhafte Zielkonflikte aufgezeigt. Ergänzend werden in dem hierzu gehörigen Dokument auch einige Folien (pptx bzw. pdf) erstellt, die für Lernprozesse verwendet werden können. Ein Beispiel für einen berufsbildbezogenen Zielkonflikt ist der folgende:
- “Niedrige Retouren (wenige Überschüsse von Brot und Backwaren) vs. volle Regale bis Ladenschluss”:
- Betriebe, die Lebensmittelabfälle bzw. Retouren vermeiden wollen, bieten den Kunden kurz vor Betriebsschluss unter Umständen nicht mehr dasselbe umfangreiche Angebot wie Betriebe, die den Kunden bis zum Ladenschluss das komplette Sortiment anbieten, um die Kunden nicht zu verlieren.
- Es ergibt sich somit der Konflikt zwischen der Notwendigkeit, Abfall zu vermeiden und dem Wunsch, die Kunden*innen durch ein jederzeit umfangreiches Angebot zufriedenzustellen.
Die Materialien der Projektagentur
Die neue Standardberufsbildposition gibt aber nur den Rahmen vor. Selbst in novellierten Ausbildungsordnungen in Berufen mit großer Relevanz für wichtige Themen der Nachhaltigkeit wie z. B. dem Klimaschutz werden wichtige Fähigkeiten, Kenntnissen und Fertigkeiten in den berufsprofilgebenden Berufsbildpositionen nicht genannt – obwohl die Berufe deutliche Beiträge zum Klimaschutz leisten könnten. Deshalb haben wir uns das Ziel gesetzt, Ausbildenden und Lehrkräften Hinweise im Impulspapier zusammenzustellen im Sinne einer Operationalisierung der Nachhaltigkeit für die unterschiedlichen Berufsbilder. Zur Vertiefung der stichwortartigen Operationalisierung wird jedes Impulspapier ergänzt durch eine umfassende Beschreibung derjenigen Themen, die für die berufliche Bildung wichtig sind. Dieses sogenannte Hintergrundmaterial orientiert sich im Sinne von BNE an den 17 SDGs, ist faktenorientiert und wurde nach wissenschaftlichen Kriterien erstellt. Ergänzt werden das Impulspapier und das Hintergrundmaterial durch einen Satz von Folien, die sich den Zielkonflikten widmen, da „Nachhaltigkeit das Ziel ist, für das wir den Weg gemeinsam suchen müssen“. Und dieser Weg ist nicht immer gleich für alle Branchen, Betriebe und beruflichen Handlungen, da unterschiedliche Rahmenbedingungen in den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökonomie, Ökologie und Soziales – gelten können. Wir haben deshalb die folgenden Materialien entwickelt:
- BBNE-Impulspapier (IP): Betrachtung der Schnittstellen von Ausbildungsordnung, Rahmenlehrplan und den Herausforderungen der Nachhaltigkeit in Anlehnung an die SDGs der Agenda 2030. Das Impulspapier ist spezifisch für einen Ausbildungsberuf erstellt, fasst aber teilweise spezifische Ausbildungsgänge zusammen (z. B. den Fachmann und die Fachfrau zusammen mit der Fachkraft sowie die verschiedenen Fachrichtungen)
- BBNE-Hintergrundmaterial (HGM): Betrachtung der SDGs unter einer wissenschaftlichen Perspektive der Nachhaltigkeit im Hinblick auf das Tätigkeitsprofil eines Ausbildungsberufes bzw. auf eine Gruppe von Ausbildungsberufen, die ein ähnliches Tätigkeitsprofil aufweisen;
- BBNE-Foliensammlung (FS) und Handreichung (HR): Folien mit wichtigen Zielkonflikten – dargestellt mit Hilfe von Grafiken, Bildern und Smart Arts für das jeweilige Berufsbild, die Anlass zur Diskussion der spezifischen Herausforderungen der Nachhaltigkeit bieten. Das Material liegt auch als Handreichung (HR) mit der Folie und Notizen vor.
Berufliche Bildung für Nachhaltige Entwicklung
Die Standardberufsbildposition “Umweltschutz und Nachhaltigkeit”
Seit August 2021 müssen auf Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) bei einer Modernisierung von Ausbildungsordnungen die vier neuen Positionen „Umweltschutz und Nachhaltigkeit“, Digitalisierte Arbeitswelt“, Organisation des Ausbildungsbetriebs, Berufsbildung, Arbeits- und Tarifrecht“ sowie „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ aufgenommen werden (BIBB 2021). Insbesondere die letzten beiden Positionen unterscheiden sich deutlich von den alten Standardberufsbildpositionen.
Diese Positionen begründet das BIBB wie folgt (BIBB o. J.a): „Unabhängig vom anerkannten Ausbildungsberuf lassen sich Ausbildungsinhalte identifizieren, die einen grundlegenden Charakter besitzen und somit für jede qualifizierte Fachkraft ein unverzichtbares Fundament kompetenten Handelns darstellen“ (ebd.).
Die Standardberufsbildpositionen sind allerdings allgemein gehalten, damit sie für alle Berufsbilder gelten (vgl. BMBF 2022). Eine konkrete Operationalisierung erfolgt üblicherweise durch Arbeitshilfen, die für alle Berufsausbildungen, die modernisiert werden, erstellt werden. Die Materialien der PA-BBNE ergänzen diese Arbeitshilfen mit einem Fokus auf Nachhaltigkeit und geben entsprechende Anregungen (vgl. BIBB o. J.b). Das Impulspapier zeigt vor allem in tabellarischen Übersichten, welche Themen der Nachhaltigkeit an die Ausbildungsberufe anschlussfähig sind.
Die neue Standardberufsbildposition „Umweltschutz und Nachhaltigkeit“ ist zentral für eine BBNE, sie umfasst die folgenden Positionen (BMBF 2022).
a) “Möglichkeiten zur Vermeidung betriebsbedingter Belastungen für Umwelt und Gesellschaft im eigenen Aufgabenbereich erkennen und zu deren Weiterentwicklung beitragen
b) bei Arbeitsprozessen und im Hinblick auf Produkte, Waren oder Dienstleistungen Materialien und Energie unter wirtschaftlichen, umweltverträglichen und sozialen Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit nutzen
c) für den Ausbildungsbetrieb geltende Regelungen des Umweltschutzes einhalten
d) Abfälle vermeiden sowie Stoffe und Materialien einer umweltschonenden Wiederverwertung oder Entsorgung zuführen
e) Vorschläge für nachhaltiges Handeln für den eigenen Arbeitsbereich entwickeln
f) unter Einhaltung betrieblicher Regelungen im Sinne einer ökonomischen, ökologischen und sozial nachhaltigen Entwicklung zusammenarbeiten und adressatengerecht kommunizieren”
Die Schnittstellen zwischen der neuen Standardberufsbildposition „Umweltschutz und Nachhaltigkeit” werden in
fortlaufend aufgezeigt. Mit Ausnahme der Position c) werden in der Tabelle alle Positionen behandelt. Die Position c) wird nicht behandelt, da diese vor allem ordnungsrechtliche Maßnahmen betrifft, die zwingend zu beachten sind. Maßnahmen zur Nachhaltigkeit hingegen sind meist freiwillige Maßnahmen und können, müssen aber nicht durch das Ordnungsrecht geregelt bzw. umgesetzt werden. In der Tabelle werden die folgenden Bezüge hergestellt:
- Spalte A: Positionen der Standardberufsbildposition „Umweltschutz und Nachhaltigkeit”;
- Spalte B: Vorschläge für Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten, die im Sinne der nachhaltigen Entwicklung wichtig sind;
- Spalte C: Bezüge zur Nachhaltigkeit;
- Spalte D: Mögliche Aufgabenstellungen für die Ausbildung im Sinne der Position 3e) „Vorschläge für nachhaltiges Handeln entwickeln“;
- Spalte E: Zuordnung zu einem oder mehreren SDGs (Verweis auf das Hintergrundmaterial).
Bildung für nachhaltige Entwicklung
Die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) meint eine Bildung, die Menschen zu zukunftsfähigem Denken und Handeln befähigt. Sie ermöglicht jedem Einzelnen, die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt zu verstehen (BMBF o. J.). BBNE ist somit nur ein Teil von BNE, der an alle Bürger*innen adressiert ist. Eine Entwicklung ist dann nachhaltig, wenn Menschen weltweit, gegenwärtig und in Zukunft würdig leben und ihre Bedürfnisse und Talente unter Berücksichtigung planetarer Grenzen entfalten können. … BNE ermöglicht es allen Menschen, die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt zu verstehen und verantwortungsvolle, nachhaltige Entscheidungen zu treffen (ebd.).
Grundlage für BNE ist heutzutage die Agenda 2030 mit ihren 17 SDG (Sustainable Development Goals). Die 17 Ziele bilden den Kern der Agenda und fassen zusammen, in welchen Bereichen nachhaltige Entwicklung gestärkt und verankert werden muss (ebd.). Die Materialien der Projektagentur sollen Lehrkräften an Berufsschulen und Ausbildende dabei helfen, die Ideen der SDG in die Bildungspraxis einzubringen. Sie sind somit ein wichtiges Element insbesondere für das Ziel vier “Hochwertige Bildung”: “Bis 2030 sicherstellen, dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben, unter anderem durch Bildung für nachhaltige Entwicklung und nachhaltige Lebensweisen, …” (ebd.).
Während die Grundlage in den Impulspapieren die Ausbildungsordnungen und die Rahmenlehrpläne der beruflichen Bildung waren, die mit den SDG vernetzt wurden, geht das Hintergrundpapier den umgekehrten Weg: Wir betrachten die SDG im Hinblick auf ihre Bedeutung für die berufliche Bildung und stellen uns der Frage, welche Anforderungen ergeben sich aufgrund der SDG und deren Unterziele an die Berufsbildung? Die folgenden Beschreibungen haben deshalb immer die gleiche Struktur:
- Es wird das SDG beschrieben.
- Es werden relevante Unterziele benannt.
- Es wird (wissenschaftlich) ausgeführt, was diese Unterziele für das jeweilige Berufsbild bedeuten.
Glossar
Folgende Abkürzungen werden in diesem Dokument verwendet:
Abkürzung | Bezeichnung |
AO | Ausbildungsordnung |
BMUV | Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit |
Care | Segment der AHV, hier: Krankenhäuser, Pflegeheime |
CO2-Äq | Kohlendioxid-Äquivalente |
FS | Foliensammlung |
HGM | Hintergrundmaterial (wissenschaftliches Begleitmaterial) |
IP | Impulspapier (didaktisches Begleitmaterial) |
KI | Künstliche Intelligenz |
ÖPNV | Öffentlicher Personennahverkehr |
RLP | Rahmenlehrplan |
SBBP | Standardberufsbildposition |
SDG | Sustainable Development Goals |
THG | Treibhausgase bzw. CO2-Äquivalente (CO2-Äq) |
Quellenverzeichnis
BIBB Bundesinstitut für Berufsbildung (2021): Vier sind die Zukunft. Online: www.bibb.de/dienst/veroeffentlichungen/de/publication/show/17281
BIBB Bundesinstitut für Berufsbildung (o. J.a): FAQ zu den modernisierten Standardberufsbildpositionen. Online: https://www.bibb.de/de/137874.php
BIBB Bundesinstitut für Berufsbildung (o. J.b): Ausbildung gestalten. Online: BIBB / Reihen / Ausbildung gestalten
BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung (2022): Digitalisierung und Nachhaltigkeit – was müssen alle Auszubildenden lernen? Online: https://www.bmbf.de/bmbf/de/bildung/berufliche-bildung/rahmenbedingungen-und-gesetzliche-grundlagen/gestaltung-von-aus-und-fortbildungsordnungen/digitalisierung-und-nachhaltigkeit/digitalisierung-und-nachhaltigkeit
BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung (o. J.): Was ist BNE? Online: https://www.bne-portal.de/bne/de/einstieg/was-ist-bne/was-ist-bne.html
Bundesregierung (o. J.): Globale Nachhaltigkeitsstrategie – Nachhaltigkeitsziele verständlich erklärt. Online: www.bundesregierung.de/breg-de/themen/nachhaltigkeitspolitik/nachhaltigkeitsziele-verstaendlich-erklaert-232174
Destatis Statistisches Bundesamt (2022): Indikatoren der UN-Nachhaltigkeitsziele. Online: http://sdg-indikatoren.de/
SDG 4 Hochwertige Bildung
“Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern”
Das SDG 4: “Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern”, zielt primär auf die globale Entwicklung von guten Bildungssystemen ab. Im Berufsbildungssystem ist Deutschland weltweit führend – trotz einiger Defizite wie Personalausstattung, Digitalisierung oder knappe Investitionsbudgets – und viele Länder versuchen ein ähnliches Berufsbildungssystem wie in Deutschland aufzubauen. Für den Bereich der Anlagentechnik sind zwei Unterziele von Relevanz (Destatis 2022):
SDG 4.4 “Bis 2030 die Zahl der Jugendlichen und Erwachsenen wesentlich erhöhen, die über die entsprechenden Qualifikationen einschließlich fachlicher und beruflicher Qualifikationen für eine Beschäftigung, eine menschenwürdige Arbeit und Unternehmertum verfügen.”
SDG 4.7 “Bis 2030 sicherstellen, dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben, unter anderem durch Bildung für nachhaltige Entwicklung und nachhaltige Lebensweisen, Menschenrechte, Geschlechtergleichstellung, eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit, Weltbürgerschaft und die Wertschätzung kultureller Vielfalt und des Beitrags der Kultur zu nachhaltiger Entwicklung.”
Das SDG 4 spiegelt sich in der fachlichen Unterrichtung der Stichpunkte der anderen SDG wieder, mündet aber in den Positionen e und f der neuen Standardberufsbildposition (BMBF 2022):
e) Vorschläge für nachhaltiges Handeln für den eigenen Arbeitsbereich entwickeln
f) unter Einhaltung betrieblicher Regelungen im Sinne einer ökonomischen, ökologischen und sozial nachhaltigen Entwicklung zusammenarbeiten und adressatengerecht kommunizieren
Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung
Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung (BBNE) hat zum Ziel, Kompetenzen zu fördern, mit denen die Arbeits- und die Lebenswelt im Sinne der Nachhaltigkeit gestaltet werden können. BBNE hat nicht nur eine fachliche (Kompetenzen), sondern auch eine pädagogisch-didaktische (neue partizipative Lernformen) und eine (infra-)strukturelle Komponente. Letztere bedeutet, dass auch an die Bildungseinrichtungen und das Bildungssystem selbst der Anspruch erhoben wird, sich nachhaltig auszurichten, was von sozial-ökologisch orientiertem Gebäudemanagement von Bildungseinrichtungen über Organisationsentwicklung bis hin zu Chancengleichheit im Zugang zu Bildung – wie etwa Inklusion – reicht.
Berufsfachlich geht es darum, konkrete Kenntnisse und Fertigkeiten zu ökologischen, ökonomischen und sozialen Implikationen beruflichen Handelns zu vermitteln und die Bereitschaft zu fördern, diese auch tatsächlich zu berücksichtigen. Einher geht dies mit der Fähigkeit und Bereitschaft, sich an der nachhaltigen Gestaltung der betrieblichen Arbeitsumwelt aktiv zu beteiligen. Entsprechend wird von Lernorten der beruflichen Bildung (Betriebe, berufsbildende Schulen, überbetriebliche Ausbildungszentren, Bildungsdienstleister in Ausbildungsverbünden) gefordert, sich selbst nachhaltig auszurichten.
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung (BBNE) sind Teil einer gesellschaftlichen Transformationsstrategie.
Folglich gehören sie ins Kerngeschäft einer zukunftsorientierten Berufsbildung, die diesen Transformationsprozess unterstützen muss. Es besteht ein breiter internationaler Konsens, dass es dafür nicht ausreicht, Aspekte nachhaltiger Entwicklung lediglich in einzelne Bildungsgänge zu integrieren.
Gefordert ist zudem, nachhaltige Entwicklung auch selbst zu praktizieren und Berufsbildungseinrichtungen zu nachhaltigen Lernorten weiterzuentwickeln. So steht es sowohl im Weltaktionsprogramm der Vereinten Nationen Bildung für nachhaltige Entwicklung (WAP), in dem die ganzheitliche Transformation von Lern- und Lehrumgebungen eines der prioritären Handlungsfelder ist, als auch im 2017 verabschiedeten Nationalen Aktionsplan, in dem der Beitrag Deutschlands zur Umsetzung des WAP festgelegt ist.
In einem nachhaltigen betrieblichen Lernort wird das Lernen der Individuen (Auszubildende) mit dem Lernen der Organisation (des Betriebs) verschränkt:
Lernen im Betrieb: Die Auszubildenden setzen sich mit Anforderungen einer nachhaltigen Entwicklung auseinander, die für den Gesamtbetrieb oder spezifische Lehr-/Lernumgebungen von Bedeutung sind.
Lernen vom Betrieb: Betriebliche Nachhaltigkeitsaktivitäten wie die nachhaltige Gestaltung der im Betrieb angewandten (Management-)Prozesse und Technologien sowie die nachhaltige Bewirtschaftung von Gebäuden, Maschinen, Geräten, Werkzeugen und Material werden aufgezeigt und zum Gegenstand von Lehr-/Lernprozessen gemacht.
Lernen für den Betrieb: Gelernt wird nicht nur für individuelle Handlungskontexte, sondern über die Thematisierung realer Beispiele (s.o.) bezieht sich Lernen auch auf die nachhaltige Entwicklung des Betriebs.
Lernen des Betriebs: Durch die Verknüpfung von individuellem und organisationalem Lernen entwickelt sich der gesamte Betrieb und verbessert seine Nachhaltigkeitsleistung.
Beispiele:
Auszubildende technischer Berufe könnten an betrieblichen Beschaffungsprozessen beteiligt werden und Vorschläge für einen ökologische, wirtschaftliche und soziale Gesichtspunkte berücksichtigenden Einkauf von Digital- oder Gebäudetechnik erarbeiten;
gewerblich-technische Auszubildende können im Rahmen von Realprojekten an der Entwicklung und Umsetzung energieeffizienter Anlagentechnik beteiligt werden usw.
BBNE könnte somit der Schlüssel sein, um dem oben genannten Defizit der Nachhaltigkeit in Unternehmen – der unzureichenden Einbeziehung der Beschäftigten – zu begegnen.
10 “Goldene Handlungsregeln” für eine BBNE
Die Nachhaltigkeitsforschung und die Bildungswissenschaften haben inzwischen umfassende Erkenntnisse gesammelt, wie eine berufliche Bildung für Nachhaltigkeit gefördert werden kann (vgl. u. a. vgl. Schütt-Sayed u.a. 2021; Kastrup u. a. 2012; Melzig u. a. 2021). Das Ergebnis sind die folgenden 10 didaktischen Handlungsregeln, die das Berufsbildungspersonal dabei unterstützen, Lehr-/Lernprozesse zielgruppengerecht und angemessen zu gestalten. Diese insgesamt 10 Handlungsregeln lassen sich in vier Schritten zuordnen.
Schritt 1 – Richtig anfangen:
Identifizierung von Anknüpfungspunkten für BBNE
1) Ansatzpunkte: Fordern Sie die Verantwortung im eigenen Wirkungsraum heraus, ohne die Berufsschüler und Berufsschülerinnen mit „Megaproblemen“ zu überfordern!
2) Anknüpfungspunkte: Die Curricula sind Grundlage der Lehr-/Lernprozesse – es kommt darauf an, sie im Sinne der Nachhaltigkeit neu zu interpretieren!
3) Operationalisierung: Nachhaltigkeit ist kein „Extra- Thema“, sondern ein integraler Bestandteil des beruflichen Handelns!
Um nachhaltigkeitsorientierte Lehr-/Lernarrangements zu entwickeln, sind zunächst Anknüpfungspunkte für Nachhaltigkeit in den betrieblichen Abläufen zu identifizieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ausbildungsordnungen und Lehrpläne die rechtliche Grundlage der beruflichen Bildung sind. Es gilt diese im Sinne der Nachhaltigkeit zu interpretieren, sofern nicht bereits konkrete Nachhaltigkeitsbezüge enthalten sind.
Wichtig ist dabei, dass Auszubildende nicht mit den „Megaproblemen“ unserer Zeit überfordert werden, sondern zur Verantwortung im eigenen Wirkungsraum herausgefordert werden – sowohl im Betrieb als auch im Privaten. Denn Auszubildende sind selbst Konsument/-innen, die durch eine angeleitete Reflexion des eigenen Konsumverhaltens die Gelegenheit erhalten, ihre „Wirkungsmacht“ im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit in ihrer eigenen Branche zu verstehen.
Schritt 2 – Selbstwirksamkeit schaffen:
Eröffnung von Nachhaltigkeitsorientierten Perspektiven
4) Handlungsfolgen: Berufliches Handeln ist nie folgenlos: Machen Sie weitreichende und langfristige Wirkungen erkennbar!
5) Selbstwirksamkeit: Bleiben Sie nicht beim „business as usual“, sondern unterstützen Sie Schüler*innen dabei, Alternativen und Innovationen zu entdecken!
6) Zielkonflikte: Verstecken Sie Widersprüche nicht hinter vermeintlich einfachen Lösungen, sondern nutzen Sie sie als Lern- und Entwicklungschancen!!
7) Kompetenzen: Bildung für nachhaltige Entwicklung verbindet Wahrnehmen, Wissen, Werten und Wirken!
Im nächsten Schritt sind nachhaltigkeitsorientierte berufliche Perspektiven für die Auszubildenden zu eröffnen. Diese sollten an einer positiven Zukunftsvision und an Lösungen orientiert sein. Auszubildenden sind dabei die weitreichenden Wirkungen ihres Handelns vor Augen zu führen. Sie sollen verstehen können, warum ihr Handeln nicht folgenlos ist. Das bedeutet gleichzeitig, Auszubildenden die positiven Folgen eines nachhaltigen Handelns vor Augen zu führen. In diesem Zusammenhang ist die Selbstwirksamkeitserfahrung von großer Bedeutung. Sie ist eine der Voraussetzungen, um motiviert zu handeln. Auszubildende dabei zu unterstützen, Alternativen zum nicht-nachhaltigen Handeln zu erkennen und Innovationen für eine nachhaltige Entwicklung zu entdecken, sollte dabei für Lehrpersonen selbstverständlich sein. Dabei ist immer die individuelle Motivation der Auszubildenden entscheidend, denn zum nachhaltigen Handeln braucht es nicht nur Wissen (Kopf), sondern auch authentisches Wollen (Herz). Wesentlich ist hierbei die Gestaltung ganzheitlicher Lernprozesse, die sowohl den kognitiven als auch den affektiven und psychomotorischen Bereich einbeziehen (vgl. Költze, S.206).
Schritt 3 – Ganzheitlichkeit:
Gestaltung transformativer Lernprozesse
8) Lebendigkeit: Ermöglichen Sie lebendiges Lernen mit kreativen und erfahrungsbasierten Methoden!
9) Beispiele: Nutzen Sie motivierende Beispiele: Sprechen Sie über Erfolgsgeschichten, positive Zukunftsvisionen und inspirierende Vorbilder!
Aber wie können Lernsituationen in der Praxis so gestaltet werden, dass sie ganzheitlich aktivierend für die Auszubildenden sind? Es sollte ein lebendiges Lernen mit Hilfe kreativer, erfahrungsbasierter Methoden ermöglicht werden. Dies ist ein grundlegender (kein neuer) didaktischer Ansatz für die Förderung einer nachhaltigkeitsorientierten Handlungskompetenz. Im Kern bedeutet dies: Lernen mit Lebensweltbezug, welches ausgerichtet ist auf individuelle Lebensentwürfe und das eigene (auch künftige) berufliche Handlungsfeld, z. B. indem Recherchen im eigenen Unternehmen zu Möglichkeiten der Energieeinsparung durchgeführt werden. Lernen soll vor diesem Hintergrund vor allem unter Berücksichtigung der Sinne stattfinden, d. h. mit Körper und Geist erfahrbar sowie sinnlich-stimulierend sein. Die Auszubildenden sollen sich dabei zudem als Teil einer gestalterischen Erfahrungsgemeinschaft erleben. Dies kann durch gemeinsame Reflexionen über das eigene Verhalten und persönliche Erfahrungen gefördert werden, beispielsweise durch die Entwicklung und Verkostung eigener Lebensmittelkreationen unter Nachhaltigkeitsaspekten. Hierfür muss unbestritten immer auch der „Raum“ zur Verfügung stehen (siehe z.B. Hantke 2018 „‘Resonanzräume des Subpolitischen‘ als wirtschaftsdidaktische Antwort auf ökonomisierte (wirtschafts-)betriebliche Lebenssituationen“). Ebenso können motivierende Beispiele helfen – wie z. B. Erfolgsgeschichten und inspirierende Vorbilder.
Schritt 4 – Lernort Betrieb:
Entwicklung nachhaltiger Lernorte
10) Lernende Organisationen: Auch Organisationen können „Nachhaltigkeit lernen“: Entwickeln Sie Ihre Institution Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lernort!
Schließlich geht es im vierten Schritt darum, den Lernort in den Blick zu nehmen und diesen als nachhaltigen Lernort zu gestalten. Den gesamten Betrieb nachhaltig auszurichten ist u. a. deshalb entscheidend, da andernfalls die an Nachhaltigkeit orientierten Inhalte der Ausbildung wenig glaubwürdig für Auszubildende sind. Der Betrieb als Institution sollte dafür an einem gemeinschaftlichen Leitbild ausgerichtet sein, welches neben den üblichen ökonomischen auch soziale und ökologische Ziele beinhaltet. So kann BBNE überzeugend in die Organisation integriert und vom betrieblichen Ausbildungspersonal umgesetzt werden.
Win-Win: Mit Berufsbildung die Arbeitsumwelt nachhaltig mitgestalten
Die Arbeitswelt ist ein wichtiger Gestaltungsraum für nachhaltige Entwicklung. Entsprechend qualifizierte Beschäftigte bilden deshalb ein unverzichtbares Innovationspotenzial für die Ausrichtung von Unternehmen an Prinzipien nachhaltiger Entwicklung. Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung (BBNE) fördert Kompetenzen für nachhaltiges Arbeiten und Wirtschaften und ist somit ein wichtiger Pfeiler einer jeden betrieblichen Nachhaltigkeitsstrategie.
Die adressatengerechte Kommunikation über die Vorschläge für nachhaltiges Handeln bespricht alle Aspekte, die zu einem Mehr an Nachhaltigkeit durch eine Veränderung der Angebote an die Akteure führen, die entlang der Wertschöpfungskette im Bereich der betrieblichen Produktion beteiligt sind.
Die Wertschöpfungskette (engl.: Value Chain) ist die vollständige Abfolge von Aktivitäten oder Akteuren, die Werte in Form von Produkten oder Dienstleistungen schaffen oder empfangen. Aktivitäten können Rohstoffbeschaffung, Vorfertigung, Veredelung, Vertrieb, Logistik sowie Recycling und Entsorgung gebrauchter Produkte sein. Zu den Akteuren, die Werte schaffen, gehören Lieferanten, ausgegliederte Erwerbstätige, Auftragnehmer und andere. Zu den Akteuren, die Werte empfangen, gehören Kunden, Konsumenten, Auftraggeber, Mitglieder und andere Nutzer. Der Lieferkette gegenüber ist die Wertschöpfungskette demnach der weiter reichende Begriff.
Bildung ist heute mehr als nur Wissen: Bildung ist auch die Kompetenz, dieses Wissen artikulieren und die richtigen Fragen stellen zu können. Es ist die Kompetenz, zu erfassen, was der Adressat meint und welche Fragen er hat. Und auf diese Fragen sinnvolle und erklärende Antworten zu geben. Folgende Aspekte wären im (Aus-)Bildungskontext zu behandeln bzw. zu diskutieren, um mögliche Antworten zu suchen:
Die Bevölkerung verfügt über ein hohes Umweltbewusstsein, denn 65 % der Deutschen halten den Umwelt- und Klimaschutz für ein sehr wichtiges Thema – trotz Corona (UBA 2022). Besonders der Klimaschutz bleibt während der Pandemie für 70 Prozent weiterhin genauso wichtig, für 16 Prozent ist er sogar wichtiger geworden. Gut drei Viertel der Befragten sehen ausschließlich (14 Prozent) oder vor allem (63 Prozent) menschliches Handeln als Ursache für den Klimawandel an. Eine erfolgreiche Nachhaltigkeitskommunikation sollte daher dieses bereits vorhandene Umweltbewusstsein nutzen und auf eine sinnstiftende Ansprache achten, um die intrinsischen Motivationslagen zu stärken.
Aber die Zusammenhänge entlang der Gewinnung von Rohstoffen und Energie, industrieller Produktion und Entsorgung und den damit verbundenen Auswirkungen auf Menschen, Umwelt und Klima sind vielfältig und komplex. Aufgrund mangelnder Information werden falsche Schwerpunkte benannt und entsprechend gehandelt.
Zuvorderst geht es bei der Nachhaltigkeitskommunikation im Bereich der Anlagentechnik darum, den Blick auf die Gesamt-Wertschöpfungskette betrieblicher Produktion zu erweitern und die Auswirkungen aufzuzeigen, die die Gewinnung, Verarbeitung, Nutzung und Entsorgung von Rohstoffen und industriellen Gütern mit sich bringt.
Im Bereich der Anlagentechnik zielt die Nachhaltigkeitskommunikation darauf ab, innerhalb der Produktion sowie bei Rück- und Abbau von Anlagen, Geräten über die Möglichkeiten der Abfalltrennung aufzuklären, um möglichst sortenreine Fraktionen für das Recycling und die Verwertung zu gewinnen.
Ein wichtiges Handlungsfeld stellt die Abfallvermeidung, also die Aufarbeitung von Altprodukten und deren Vermarktung als Gebrauchtprodukte dar, um die Lebensdauer zu verlängern und die Anschaffung von neuen Produkten zu vermeiden. Insbesondere die Nutzungsintensität und die Lebensdauer von Elektrogeräten, Digitaltechnik, Energie- und Gebäudetechnik lässt sich damit erhöhen.
Eine wichtige Rolle stellt dabei die Reduktion der Restabfälle dar. Dort zielt die Kommunikation sowohl auf die Mengenreduktion aber auch auf die Ausschleusung problematischer Inhaltsstoffe ab.
Problematisch können entweder besonders umweltschädliche Inhaltsstoffe sein, wie sie sich z.B. in Batterien, Leuchtstoffröhren, Lösungsmittel oder Farben und Lacken finden. Diesbezüglich sind auf die Angebote einer möglichst kostenfreien Annahme derartiger Abfälle im Bringsystem hinzuweisen und über die damit verbundene Reduktion schädlicher Umweltwirkung.
Die Herausforderungen im Bereich Anlagentechnik liegen also nicht nur darin, entsprechende nachhaltige Angebote unter Aspekten der Energie-und Kosteneffizienz zu gestalten, sondern auch die Betreiber von Anlagen so zu beraten, dass sie diese Angebote dauerhaft annehmen.
Quellenverzeichnis
BIBB Bundesinstitut für Berufsbildung (2019): Leitfaden – Ausbildung fördert Nachhaltigkeit in Unternehmen der chemischen Industrie. Online: www.bibb.de/dokumente/pdf/Leitfaden_Ausbildung_foerdert_Nachhaltigkeit.pdf
Deutscher Nachhaltigkeitskodex (DNK) (2019). Online: www.deutscher-nachhaltigkeitskodex.de/de-DE/Home/Services/Glossar
Destatis Statistisches Bundesamt (2022): Indikatoren der UN-Nachhaltigkeitsziele. Online: http://sdg-indikatoren.de/
Handke, Harald (2018): „Resonanzräume des Subpolitischen“ als wirtschaftsdidaktische Antwort auf ökonomisierte (wirtschafts-)betriebliche Lebenssituationen – eine Forschungsheuristik vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeitsidee. In: bwp@Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online (Nr. 35), 2018, S. 1-23
Kastrup, Julia; Kuhlmeyer, Werner; Nölle-Krug, Marie (2022): Aus- und Weiterbildung des betrieblichen Bildungspersonals zur Verankerung einer Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung. In: Michaelis, Christian; Berding, Florian (Hrsg.): Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung. Umsetzungsbarrieren und interdisziplinäre Forschungsfragen. Bielefeld 2022, S. 173-189
Költze, Horst (1993): Lehrerbildung im Wandel. Vom technokratischen zum humanen Ausbildungskonzept. In Cohn, Ruth C.; Terfurth, Christina (Hrsg.): Lebendiges Lehren und Lernen. TZI macht Schule. Klett-Cotta. S. 192 – 212
Kuhlmeyer, Werner; Mohoric, Andrea; Vollmer, Thomas (Hrsg.): Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung. Modellversuche 2010–2013: Erkenntnisse, Schlussfolgerungen und Ausblicke. Bielefeld 2014. Online: https://www.bibb.de/dienst/publikationen/de/7453
Melzig, Christian; Kuhlmeyer, Werner; Kretschmer, Susanne (Hrsg. 2021): Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung. Die Modellversuche 2015–2019 auf dem Weg vom Projekt zur Struktur. Bonn 2021. Online: https://www.bibb.de/dienst/veroeffentlichungen/de/publication/show/16974
Schütt-Sayed, Sören; Casper, Marc; Vollmer, Thomas (2021): Mitgestaltung lernbar machen – Didaktik der Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung. In: Melzig, Christian; Kuhlmeier, Werner; Kretschmer, Susanne (Hrsg.): Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung. Die Modellversuche 2015–2019 auf dem Weg vom Projekt zur Struktur. S. 200-227. Online: https://www.bibb.de/dienst/veroeffentlichungen/de/publication/show/16974
SDG 6 Wasser
“Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten”
Effiziente Wassernutzung
In Deutschland war Wasserknappheit in der Vergangenheit nur regional ein größeres Problem, es gibt nur wenige Grundwasserkörper die übermäßig genutzt werden (UBA 2018, UBA 2014). In Zukunft kann es jedoch durch den Klimawandel in manchen Regionen vermehrt zu Wasserknappheit kommen. Der Klimawandel wird zu einer Veränderung der Niederschläge führen und einige Gebiete, wie z. B. die neuen Bundesländer, leiden seit 2019 unter zu geringen Niederschlägen (UBA 2022a, UFZ o. J.). Besonders vor dem Hintergrund der Zunahme von “Hitzesommer”, ist eine effiziente Nutzung von Wasser wichtig (UBA 2022a, 2022b). Bei heißem Wetter kann es zu manchen Tageszeiten zu einer hohen Wassernutzung kommen (Spitzen Wasserbedarf), der die Verteilungssysteme an ihre Grenzen bringen kann (UBA 2022a).
Kampf um Wasser
Energiekonzerne, Wurstfabriken und Bierproduzenten entnehmen Flüssen und Grundwasser jährlich viele Millionen Kubikmeter Wasser. Nach CORRECTIV-Recherchen besitzen diese Unternehmen häufig Genehmigungen für Jahrzehnte (CORRECTIV, 2022). Dies kann insbesondere durch die Auswirkungen des Klimawandels – wie steigende Temperaturen und längere Trockenperioden – zu Problemen führen.
Was passiert, wenn Wasser für alle immer knapper wird, aber große Industrien noch auf Jahrzehnte so viel davon schöpfen können wie heute? Genau dieser Fall könnte nach Recherchen von CORRECTIV eintreten: Die großen Nutzer von Wasser, etwa Tagebaue, Chemie- und Autofabriken, haben sich häufig für Jahrzehnte Entnahme-Rechte aus Flüssen, Seen und Grundwasser gesichert. Diese Rechte könnten in Zukunft die Versorgung von Bürgerinnen und Bürgern gefährden, denn die Welt 2050 wird anders aussehen als heute: Wasser wird anders verteilt werden und vielerorts auch von schlechterer Qualität sein.
Fachleute fordern daher, rasch einen „Stresstest“ für wasserintensive Industrien durchzuführen. „Die Genehmigungen zur Wasserentnahme und -nutzung müssen jetzt auf den Prüfstand gestellt werden“, sagt Dietrich Borchardt, Experte für Aquatische Ökosystemanalyse und Management an der Technischen Universität Dresden. Der Stresstest müsste einfache Fragen beantworten: Ist diese Genehmigung – für Landwirtschaft, Industrie, Energiewirtschaft und Haushalte – auch mit dem Klimawandel im Jahr 2030 und 2050 noch haltbar?
Diese Recherche zeigt erstmals umfassend, wer die größten Wassernutzer in den einzelnen Bundesländern sind und wo Behörden mauern. CORRECTIV hat alle 16 Bundesländer nach den größten privaten Wasser-Schluckern angefragt; vor einiger Zeit hatten wir schon einige der größten davon öffentlich gemacht. Heute aber können wir ein – fast – vollständiges Bild zeigen.
Doch einige Länder fehlen weiterhin: Rheinland-Pfalz übermittelte nach einer Anfrage des Landes Transparenzgesetz nur eine lückenhafte Liste – ohne die Namen der Betriebe, die einer Publikation nicht ausdrücklich zugestimmt hätten. Eine Nennung „verletzte Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse“, so das Umweltministerium nach monatelanger Prüfung.
Daten über die größten industriellen Nutzer?
Die meisten Bundesländer wissen, welche Unternehmen wie viele Liter aus Flüssen und Grundwasser entnehmen. Es gibt jedoch auch Bundesländer, die nur wissen, welche Mengen erlaubt sind – wie viel die industriellen Nutzer tatsächlich entnehmen, kontrollieren sie nicht. Einige Behörden verweigern bis heute die Auskunft.
Politik kann Rechte auf Wasser widerrufen
Wie gravierend das Grundwasser in vielen Regionen Deutschlands sinkt, hat CORRECTIV im Oktober 2022 mit dem Grundwasser-Atlas sichtbar gemacht (CORRECTIV, 2022 a). Trotzdem verfügen die meisten industriellen Nutzer über Erlaubnisse zur Wassernutzung über 20 Jahre oder mehr.
Aber, so sagt es Borchardt: „Sie stehen unter Vorbehalt. Wenn sich durch die Klimakrise nun wichtige Voraussetzungen ändern, etwa die verfügbare Wassermenge oder die Wasserqualität, sind sie auch widerrufbar.“
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hatte schon 2021 gefordert, dass die öffentliche Wasserversorgung immer vor allen anderen Nutzergruppen Zugriff auf Wasser haben sollte. Die Bundesregierung solle den gesetzlichen Vorrang im Wasserhaushaltsgesetz noch klarer regeln. Denn die Industrie in Deutschland macht rund die Hälfte des gesamten Wassergebrauchs aus. Wie zu erwarten, finden sich große fossile Industrien wie die Tagebaue der Leag und von RWE in den Top-Ten-Listen, ebenso ist der Chemiekonzern BASF aufgeführt.
Aber auch einige überraschende Konzerne, die in der Öffentlichkeit nicht unbedingt mit hohem Wasserkonsum assoziiert werden. Etwa die Wurstprodukte der Firma Böklunder. Die “Zur Mühlen-Gruppe” ist einer der größten deutschen Anbieter auf dem Wurst- und Fleischmarkt, zu ihren Marken gehören neben Böklunder noch Zimbo, Gutfried, Lechtaler und Schulze. Der Konzern verkauft von Mettwurst bis Rostbratwürstchen alle möglichen tierischen Produkte. Er produziert vor allem im schleswig-holsteinischen Ort Böklund und entnimmt rund eine Million Kubikmeter Wasser pro Jahr, daher ist das Unternehmen auf der Top-Ten-Liste dieses Bundeslandes (CORRECTIV, 2022).
Die Genehmigung dafür gilt bis 2042. „Wir sind ein hochmoderner, hoch hygienischer Lebensmittelbetrieb“, so eine Sprecherin. Hygiene und Sauberkeit machten daher den Löwenanteil aus. Neben Böklunder finden sich auch Getränkehersteller unter den Top-Ten der Bundesländer – sie brauchen sehr viel mehr als den halben oder ganzen Liter Wasser, der letztendlich in Flaschen zu kaufen ist. Die Gesamtentnahme beziehungsweise -nutzung der Mineralwasserbrunnen beläuft sich auf 19 Millionen Kubikmeter Grundwasser im Jahr. Würden die Deutschen ihren Durst direkt mit Wasser aus ihren Leitungen stillen, würde dies deutlich weniger verbrauchen. „Für ein Liter abgefülltes Produkt nutzen wir 1,5 bis zwei Liter“, räumt der Verband Deutscher Mineralbrunnen ein. Er ist der Dachverband von 150 Mineralbrunnenbetrieben (ebenda).
Rund drei Liter Wasser für ein Liter Bier
Alkoholische Getränke brauchen sogar rund drei- bis viermal so viel Wasser wie sie abfüllen, sagt etwa der Bierkonzern Anheuser Busch, zu dem die Marken Beck’s, Stella Artois, Franziskaner-Weißbier und Corona gehören. Zurzeit nutzt er nach eigenen Angaben an seinem Standort in Bremen 3,3 Liter Wasser pro verkauftem Liter Bier, vor wenigen Jahren seien es noch 3,7 Liter gewesen. Der größte Teil davon stammt direkt aus dem Bremer Versorgungsnetz – aus demjenigen also, das auch Bürgerinnen und Bürger versorgt. Wie lange Becks die Rechte noch hält und wie viel der Konzern für einen Kubikmeter zahlt, wollte er nicht transparent machen (CORRECTIV, 2022).
Auch ein Konkurrent auf dem Biermarkt, die Radeberger-Gruppe, macht keine Angabe darüber, wie lange ihre Entnahmerechte gelten – sie seien aber „langfristig ausgerichtet“(ebenda). Mit vier Millionen Kubikmeter jährlich ist die Radeberger-Gruppe einer der größten Nutzer überhaupt – sie produziert bekannte Marken wie Berliner Kindl, sächsisches Ur-Krostitzer, Dortmunder Kronen, Guinness, Kilkenny oder auch die PepsiCo Marken.
Viele andere Industrien wollen ihren hohen Verbrauch ebenfalls nicht öffentlich machen. Volkswagen beispielsweise antwortete nicht auf die Anfragen von CORRECTIV, wie der Konzern sein Wasser nutzt, ebenso wenig wie der ostdeutsche Tagebaubetreiber Leag. Und nur die wenigsten wollten angeben, wie viel sie für das Wasser zahlen und wie lange ihre Rechte gelten.
Sehr unterschiedlich antworten die Bundesländer auch auf die Frage, ob sie künftig weniger Entnahme-Rechte vergeben wollen. Einige Länder wollen die Rechte künftig sparsamer vergeben – auch sie sind geprägt von einem Sommer, in dem das Trinkwasser schon in einigen Kommunen rationiert werden musste. Andere warten noch ab und riskieren damit künftige juristische Auseinandersetzungen um die einmal erteilten Rechte. Das schleswig-holsteinische Umweltministerium etwa gibt an, es gebe bislang „keine Überlegungen, erteilte Wasserrechte zu widerrufen oder einzuschränken oder neue Wasserrechte mit kürzeren Fristen zu erteilen“ (CORRECTIV, 2022).
Böklunder beispielsweise kann also darauf setzen, künftig weiterhin so viel Wasser zu nutzen wie bislang. Bremen, das Land der Becks-Brauerei, antwortet auf die Frage, ob das Land schon darüber nachdenkt, die Wasserrechte für industrielle Nutzer künftig einzuschränken, mit einem simplen „Nein.“ Ohnehin scheint das Land sehr freigiebig zu sein, Wasser abzugeben – beispielsweise an Mercedes Benz. Der Autokonzern nutzt in Bremen eine halbe Million Kubikmeter pro Jahr und gibt an, über „unbefristete Entnahmerechte für Brunnenwasser“ zu verfügen.
Nordrhein-Westfalen hingegen, das Bundesland, in dem sich mit Evonik und RWE einige der größten Nutzer überhaupt befinden, macht sich offenbar schon mehr Gedanken um künftige Wasser-Notlagen: „Wenn es Wasserknappheiten künftig erfordern, müssen auch erteilte Wasserrechte zurückgenommen oder eingeschränkt werden“, schreibt das Landesumweltministerium auf Anfrage. Das Ministerium plane daher, den Zulassungsbehörden dabei zu helfen, erteilte Wasserrechte einzuschränken. Mit anderen Worten: Das bevölkerungsreichste Bundesland überlegt, künftig die Wasserrechte der großen Industrien zu beschneiden – das wäre ein großer Schritt.
NRW hat auch umstandslos die größten Nutzer öffentlich gemacht. Noch aber mauern viele Behörden, wenn es um die Frage geht, wer die größten Wasser-Schlucker im Land sind. Berlin und Sachsen-Anhalt weigerten sich trotz Anfrage nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG), die Namen der großen Nutzer herauszugeben. Stattdessen gaben der Berliner Senat und das sächsische Landesverwaltungsamt nur Branchen an. In Sachsen-Anhalt klagt CORRECTIV momentan auf die Herausgabe der Informationen vor dem Verwaltungsgericht Halle. kW
Große Nutzer in den Bundesländern sind auch Chemie- und Industrieparks – beispielsweise der bayerische Alzchem-Park oder der Currenta-Chempark bei Leverkusen, eines der größten Chemie-Areale in Europa. Hier im Rheinland produziert Bayer unter anderem Medikamente und Kunstdünger, weitere Weltkonzerne stellen Kautschuk, Farbstoffe und Silikone her. Betreiber der gesamten Anlage ist die Firma Currenta. Sie gibt an, aus über 50 Brunnen zwischen Monheim und Köln-Flittard pro Stunde etwa 20.000 Kubikmeter Wasser zu pumpen – genug, um in einer Sekunde 30 Badewannen zu füllen.
Dass sich bislang viele Industrien in der Nähe von Großstädten ansiedeln, dürfte künftig problematisch werden. „Wenn dann in den Metropolen oder vor Ort die Wassernutzungen steigen, wird die ohnehin schon vorhandene Konkurrenz umso stärker“, prophezeit Wasserexperte Borchardt. Keine der Großstädte hätte genug eigenes Wasser für die Bevölkerung und Industrie, sie müssten immer aus dem Umland schöpfen:
Stuttgart beispielsweise aus dem Bodensee, München aus dem bayerischen Voralpenland und Hamburg aus der Nordheide. Sicherlich muss auch der Zoologische Garten in Berlin bald sparen – er pumpt mitten in der Hauptstadt aus dem Grundwasser aus mehr als fünf eigenen und auf dem Zoogelände befindlichen Brunnen. Laut eigener Aussage ist er für über 30.000 Tiere verantwortlich und benötigt 1,7 Millionen Kubikmeter Wasser jährlich für das Baden der Tiere, zum Bewässern und Reinigen der Anlage. Auch der Rostocker Zoo gehört zu den größten Verbrauchern in seinem Land Mecklenburg-Vorpommern, hat aber auf die Anfrage von CORRECTIV nicht reagiert.
Wassernutzung im Verarbeitenden Gewerbe
Wärmeeinleitungen industrieller und gewerblicher Betriebe unterliegen grundsätzlich den gleichen gesetzlichen Vorschriften wie energiewirtschaftliche Betriebe. Auch Industrie- und Gewerbebetriebe können daher in die Situation kommen, ihre Wärmeeinleitungen und damit ihre Produktion zurückfahren zu müssen, um die in der Genehmigung festgelegten Einleitungsbedingungen weiterhin einzuhalten. Dies war beispielsweise in den heißen Sommern der Jahre 2003, 2006 und 2018 der Fall, als infolge der lang anhaltenden Hitze und Trockenheit an verschiedenen Gewässern die Wärmeeinleitungen beschränkt wurden (BMUV, DAS – Monitoringbericht 2019).
Unter veränderten klimatischen Bedingungen können solche Trocken- und Hitzephasen zukünftig häufiger und intensiver auftreten und länger andauern. Es wird erwartet, dass die Temperaturen in Fließgewässern daher langfristig in den Sommermonaten ansteigen und die Abflussmengen abnehmen. Situationen, in denen die Rückführung von gebrauchtem Kühlwasser bzw. die Entnahme von Kühlwasser nur noch eingeschränkt möglich ist, werden dann häufiger eintreten. Industrieprozesse, die möglichst unabhängig von der Ressource Wasser sind, sind für diese Auswirkung des Klimawandels besser gerüstet als solche mit einem hohen Wasserbedarf. Um möglichst wenig Wasser als Roh oder Betriebsstoff einzusetzen und das entnommene oder bezogene Wasser möglichst effizient zu nutzen, können Unternehmen beispielsweise ein innerbetriebliches Wassermanagement einrichten, die Wassernutzung in Kreislaufsystemen betreiben, wassersparende Technologien einsetzen oder Wasser durch andere Substanzen, u. a. Emulsionen, ersetzen.
Wichtiger Ansatzpunkt für das Verarbeitende Gewerbe ist dabei vor allem der sparsame Einsatz von Kühlwasser in Produktionsprozessen und bei der unternehmensinternen Stromerzeugung, denn die Kühlwassernutzung macht etwa drei Viertel der gesamten Wassernutzung des Sektors aus. Hinzu kommt, dass vor allem die Wasserentnahme für Kühlzwecke sowie die Einleitung von Kühlabwasser temperaturbezogenen Regelungen unterliegen, die zu Einschränkungen der Produktion bei sommerlicher Hitze führen können. Die Entnahme von Wasser für produktionsspezifische oder belegschaftsbezogene Zwecke ist dagegen weniger temperaturabhängig.
Wassereffiziente Betriebe sind für Auswirkungen des Klimawandels besser gerüstet. Der Wassereinsatz im Verarbeitenden Gewerbe nahm seit Beginn der 1990er Jahre sehr deutlich und mit signifikantem Trend ab. Auch die Wasserintensität ist seit dem Jahr 2000 rückläufig, d. h. es konnte mit dem gleichen Wassereinsatz eine höhere Wertschöpfung erzielt werden.
Der Wassereinsatz ging im Verarbeitenden Gewerbe insgesamt zwischen den Jahren 2000 und 2016 um rund 27 Prozent zurück. In vielen Bereichen des Verarbeitenden Gewerbes lag auch die Wasserintensität 2016 deutlich unter dem Wert des Jahres 2000, im Durchschnitt knapp unter 45 Prozent (BMUV, DAS – Monitoringbericht 2019).
Das bedeutet, dass die Effizienz der Wassernutzung im letzten Jahrzehnt erheblich gesteigert und mit einem niedrigeren Wassereinsatz eine höhere Wertschöpfung erzielt werden konnte. Die stärksten Rückgänge von Wassereinsatz und -intensität waren in der Herstellung chemischer und pharmazeutischer Erzeugnisse und in der Nahrungsmittelproduktion zu verzeichnen. Eine deutliche Zunahme zeigte sich vor allem für die Herstellungsprozesse in der Papierindustrie.
Branchen wie die Chemie- oder Papierindustrie benötigen viel Wasser oder Wasserdampf für Produktionsprozesse und die unternehmensinterne Stromerzeugung.
Industrie und Gewerbe – Anpassungen
Im Hinblick auf eine effiziente und umweltschonende Wassernutzung sind weitere Maßnahmen bedeutsam, die sich aus gesetzlichen Vorgaben und Richtlinien ergeben:
- Erwägen von technischen Methoden und Verbesserungen zum effizienteren Einsatz von Wasser, z. B. durch Verwenden von Grauwasser, Dachablaufwasser oder Prozesswasser für technische und industrielle Zwecke oder durch Fortentwicklung Wasser sparender Methoden (BMUV 2008, DAS, Kap. 3.2.3).
- Förderung einer nachhaltigen Wassernutzung auf der Grundlage eines langfristigen Schutzes der vorhandenen Ressourcen (Wasserrahmenrichtlinie WRRL, Art. 1 (b)).
- Verpflichtung zur erforderlichen Sorgfalt bei Maßnahmen, mit denen Einwirkungen auf ein Gewässer verbunden sein können, um eine mit Rücksicht auf den Wasserhaushalt gebotene sparsame Verwendung des Wassers sicherzustellen (Wasserhaushaltsgesetz WHG, § 5 (1) 2).
Quellenverzeichnis
Bundeszentrale für politische Bildung – bpb (2017): Globalisierung – Wasserverbrauch. Online: www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/globalisierung/52730/wasserverbrauch
CORRECTIV – Recherchen für die Gesellschaft (2022). Online: https://correctiv.org/aktuelles/klimawandel/2022/11/22/klimawandel-wasser-knapp-industrie-hat-jahrzehntelange-entnahmerechte/
CORRECVTIV (2022 a): Grundwasser-Atlas. Online: https://correctiv.org/aktuelles/kampf-um-wasser/2022/10/25/klimawandel-grundwasser-in-deutschland-sinkt/
BMU Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (2008): DAS – Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel. Online:
https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaanpassung/das_gesamt_bf.pdf
BMUV Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (2019):
DAS – Monitoringbericht 2019 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel. Online: https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaschutz/monitoringbericht_2019_bf.pdf
Thomas Kistemann, Christoph Höser, Alexandra Wieland & Martin Exner: Climate Service Center Germany (GERICS) (o.J.): Bedeutung des Klimawandels für wasserbezogene Krankheiten. Online: https://www.climate-service-center.de/imperia/md/content/csc/warnsignalklima/Warnsignal_Klima_Kap3.2_3.2.3_Kistemann.pdf
UBA Umweltbundesamt (2022a): Trockenheit in Deutschland – Fragen und Antworten. Online: https://www.umweltbundesamt.de/themen/trockenheit-in-deutschland-fragen-antworten
UBA Umweltbundesamt (2022b): Wassersparen im Alltag. Online: https://www.umweltbundesamt.de/themen/wassersparen-im-alltag
UBA Umweltbundesamt (2022c): Regenwassernutzung: Tipps für nachhaltige Nutzung und Versickerung. Online: https://www.umweltbundesamt.de/umwelttipps-fuer-den-alltag/garten-freizeit/regenwassernutzung#unsere-tipps
UBA Umweltbundesamt (2020): Warmwasser. Online: https://www.umweltbundesamt.de/umwelttipps-fuer-den-alltag/haushalt-wohnen/warmwasser#hintergrund
UBA Umweltbundesamt (2018): Wassersparen. Online: https://www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/wasser-bewirtschaften/wassersparen
UBA Umweltbundesamt (2014): Wassersparen in Privathaushalten: sinnvoll, ausgereizt, übertrieben? Fakten, Hintergründe, Empfehlungen. Online: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/479/publikationen/hgp_wassersparen_in_privathaushalten_web.pdf
Wasserhaushaltsgesetz WHG – Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts. Online: https://www.gesetze-im-internet.de/whg_2009/
Wasserrahmenrichtlinie WRRL – Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (2014). Online: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02000L0060-20141120
VDI Zentrum Ressourceneffizienz (2015): VDI ZRE Publikationen: Kurzanalyse Nr. 11, Ressourceneffiziente Wasserkonzepte für Krankenhäuser. Online: https://www.ressource-deutschland.de/fileadmin/user_upload/1_Themen/h_Publikationen/Kurzanalysen/2015-Kurzanalyse-11-VDI-ZRE-Krankenhaeuser.pdf
SDG 7 Bezahlbare und saubere Energie
“Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für Alle sichern”
Das SDG 7 “Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für Alle sichern” beinhaltet soziale und ökologische Anforderungen an den Klimaschutz. Für den Bereich Anlagentechnik sind daher vor allem drei Unterziele wichtig (Destatis 2022):
SDG 7.1 “Bis 2030 den allgemeinen Zugang zu bezahlbaren, verlässlichen und modernen Energiedienstleistungen sichern.”
SDG 7.2 “Bis 2030 den Anteil erneuerbarer Energie am globalen Energiemix deutlich erhöhen.”
SDG 7.3 “Bis 2030 die weltweite Steigerungsrate der Energieeffizienz verdoppeln.”
Beim SDG 7 “Bezahlbare und saubere Energie” geht es im wesentlichen um den “allgemeinen Zugang zu bezahlbaren, verlässlichen und modernen Energiedienstleistungen” sowie darum den “Anteil erneuerbarer Energie zu erhöhen”(Destatis 2022.), da ökologische und das Klima schützende Anforderungen schon durch andere SDGs (insbesondere 13, 14 und 15) abgedeckt werden.
“Saubere Energie”, wie dies in SDG 7 genannt wird, bedeutet heute für den Klimaschutz grundsätzlich der Umstieg auf erneuerbare Energien (EE) sowie eine höhere Energieeffizienz. Weitere Probleme der Energieerzeugung mit der Nachhaltigkeit betreffen
- Umweltschutz und Arbeitsbedingungen bei der Rohstoffgewinnung
- Ökologische und Gesundheitsfolgen der Energienutzung, insbesondere bei der Verbrennung
Die Schnittmenge für das SDG 7 ergibt sich aus den Nummern a und b der Standardberufsbildposition (BMBF 2022):
a) Möglichkeiten zur Vermeidung betriebsbedingter Belastungen für Umwelt und Gesellschaft im eigenen Aufgabenbereich erkennen und zu deren Weiterentwicklung beitragen
b) bei Arbeitsprozessen und im Hinblick auf Produkte, Waren oder Dienstleistungen Materialien und Energie unter wirtschaftlichen, umweltverträglichen und sozialen Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit nutzen
Paradigmenwechsel durch Ausstieg aus fossiler Verbrennung
Die Einsatzgebiete für den/die Anlagenmechaniker/in sind in erster Linie Unternehmen der Metallindustrie, des Anlagenbaus, des Apparate- und des Behälterbaus sowie Unternehmen der Erdöl- und Erdgasförderung. Mögliche Arbeitgeber sind Betriebe des Elektroanlagenbaus, Raffinerien und der chemischen Grundstoff-Industrie, Betriebe der Infrastruktur wie Gas-, Wasser-, Energieversorgung und Verkehrsbetriebe. Die Schwerpunkte liegen dabei im Bereich der Fertigung, Installation, Montage, Instandhaltung und Austausch von Komponenten der Anlagen- und Systemtechnik, Rohrsystemtechnik und Schweißtechnik, also im Bereich Infrastruktur und öffentliche Versorgungsnetze, die der Energienutzung innerhalb von Unternehmen und Privathaushalten vorgelagert ist.
Für den Bereich Anlagentechnik ist dieses SDG im Hinblick auf die aktuellen politischen Entwicklungen besonders relevant. Mit dem Ende der Gaslieferungen aus Russland, dem Ausstieg aus der Atomkraft, dem beschlossenen mittelfristigem Aus für Öl- und Gasheizungen sowie Verbrennungsmotoren ist ein Paradigmenwechsel verbunden, der nahezu alle Bereiche der öffentlichen Energieversorgung umfasst. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit für einen technologischen Umbau der Infrastruktur hin zu Versorgungssystemen und Verfahren, die mittel- bis langfristig ausschließlich aus erneuerbaren Energien und nachhaltigen Rohstoffen gespeist werden.
Folgende Fragestellungen sind hier zu beleuchten:
Die Substitution von Erdgas aus Pipelines durch verflüssigtes Erdgas (LNG) ist als kurzfristige Notlösung, Brückentechnologie anzusehen zur Abwehr von Gas-Mangellagen, da die CO₂-Belastung sogar leicht zunimmt, mit dem Einsatz von Fracking-Gas aus den USA massive Umweltschäden einhergehen und mit dem Bezug von Flüssiggas aus Katar die Abhängigkeit zu einem diktatorischen Regime bestehen bleibt, in dem die Einhaltung von Menschenrechten fraglich ist.
Zielführender ist hier die Substitution durch den Einsatz von ‘grünem’ Wasserstoff und der verstärkten Nutzung von Biomasse/Biogas für Nahwärme-Lösungen vor allem im städtischen Bereich. Hier sind Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, die vorhandene Gasinfrastruktur für den Einsatz von Biogas, ‘grünem’ Wasserstoff (power-to-gas) zu ertüchtigen bzw. die vorhandenen Leitungen als Speichermedium zu nutzen.
Mit dem Rückgang der fossilen Verbrennung ergibt sich eine Zunahme der Elektrifizierung im Bereich der Wärmeversorgung durch den gesteigerten Einsatz von Wärmepumpen, Brennstoffzellen. Die CO₂-Bilanz fällt hierbei nur dann positiv aus, wenn der Strom aus erneuerbaren Quellen stammt.
Für eine umfassende Energie- und Wärmewende müssen im Bereich der öffentlichen Institutionen, städtischen Verwaltungen die Weichenstellungen dafür gelegt werden, dass eine durchgehende Versorgung mit EE bis zum Endverbraucher gewährleistet ist. Für eine zukunftsfähige Infrastruktur ist besonderes Augenmerk auf intelligente und vernetzte Systeme zu legen, Sektorenkopplung, intelligente Schwarmkraftwerke, Quartierslösungen, Klein- und Nahwärmenetze, Kraft-Wärme-Kopplung, BHKWs, weg von zentralistischen Strukturen hin zur Dezentralisierung und Diversifizierung sowie zur Nutzung von Flexibilisierungspotentialen des Strom- und Gasmarktes mit einem abgestimmten Mix aus EE unter Einsatz geeigneter Speichertechnologien. Bisher abhängige Verbraucher werden zu Selbstversorgern, vom Konsument zum Prosument.
Im Sinne eines effizienten Energieeinsatzes kommt der Wärmerückgewinnung, also der Nutzung von Abwärme, eine besondere Bedeutung zu. Vielfältig ungenutzte Potenziale liegen in der Gewinnung der Abwasserwärme aus Gebäuden und der öffentlichen Kanalisation, aber vor allem Prozesswärme aus industrieller oder verfahrenstechnischer Produktion, die oft ungenutzt an die Umgebung abgegeben wird bzw. aufwendig und teuer heruntergekühlt werden muss. Die mitgeführte Heizwärme kann unter Einsatz von Wärmetauschern und Wärmepumpen für den eigenen Arbeitsbereich verwendet oder Nahwärmenetzen zugeführt werden, die benachbarte Gebäude oder Produktionsstätten mit Heizwärme versorgen. Die Stromgewinnung unter dem Einsatz von Dampfturbinen ist ebenfalls möglich.
Auf Basis des erläuterten Strukturwandels ergeben sich weitreichende Implikationen für ein öffentliches Beschaffungswesen unter dem Aspekt des Nachhaltigkeitsziels SDG 12.
Ressource Energie
Energieverbrauch in Deutschland
Nimmt man den gesamten Endenergieverbrauch in Deutschland in den Blick, macht Wärme mehr als 50 Prozent aus. Allein Raumwärme hat einen Anteil von knapp 30 Prozent am Endenergieverbrauch, der Anteil, der auf Prozesswärme entfällt, liegt bei ca. 20 Prozent . Der Endenergieverbrauch für Wärme findet vor allem in drei Sektoren statt: Industrie, private Haushalte sowie Gewerbe, Handel und Dienstleistungen (GHD) (UBA 2022d). Im Sektor Industrie entfallen ca. zwei Drittel auf Prozesswärme, Raumwärme hat nur einen verhältnismäßig geringen Anteil. Bei privaten Haushalten macht Raumwärme dagegen heute ca. 80 Prozent des Endenergieverbrauchs in Gebäuden aus, gefolgt von Warmwasser (18%) (dena 2021). Auch beim Sektor GHD macht Raumwärme mit rund 50 Prozent einen erheblichen Anteil des Endenergieverbrauchs aus. Darüber hinaus ist in diesem Sektor der Stromanteil relativ am höchsten, was im Einsatz von Strom für Beleuchtung und mechanische Energie (z.B. zum Betrieb von Maschinen) begründet ist (UBA 2022d). Schaut man den Verbrauch an Primärenergie an, also der Energie, die benötigt wird inklusive der Energie, die in die Umwandlung und Bereitstellung fließt, sind die Zahlen ähnlich. In Gebäuden entfallen 70 Prozent des Primärenergieverbrauchs auf Raumwärme, 14,5 Prozent auf Warmwasser, 13 Prozent auf Beleuchtung und 2,5 Prozent auf Klimakälte (dena 2022). Sowohl die privaten Haushalte als auch der GHD Sektor setzen für die Bereitstellung von Raumwärme vor allem Erdgas ein (UBA 2022d). Raumwärme und Warmwasser machen nicht nur einen großen Anteil des Energieverbrauchs vor allem von Wohngebäuden aus, der Verbrauch ist in den letzten Jahren auch gestiegen, nachdem er zwischen 1996 und 2014 deutlich gesunken war (dena 2022).
Da Raumwärme und Warmwasserbereitstellung einen so großen Anteil des Energieverbrauchs vor allem bei privaten Haushalten ausmachen, liegt es nahe, dass hier erhebliche Einsparpotenziale bestehen. Dies ist auch der Fall: In Deutschland werden zu einem großen Anteil veraltete Technologien und alte Anlagen genutzt. Heizungen gelten nach 20 Jahren als am Ende ihrer Lebensdauer und veraltet – in Deutschland sind aber dennoch 50 Prozent der Ölheizungen und 36 Prozent der Gasheizungen älter als 20 Jahre (UBA 2019). Zusätzliche Einsparpotenziale liegen in einem effizienten und optimierten Betrieb der Anlagen und Geräte. Eine weitere große Stellschraube ist die Gebäudedämmung. Auf effiziente Energienutzung im Gebäudesektor wird in einem späteren Abschnitt detaillierter eingegangen (ebd.).
Durch den hohen Energiebedarf sowie durch die verbreiteten Arten der Energiebedarfsdeckung zur Wärmebereitstellung sorgt der Bereich Heizung und Warmwasserbereitstellung für den größten CO2 -Ausstoß in privaten Haushalten. Über 70 Prozent der Wohnungen in Deutschland werden noch immer mit Gas oder Öl geheizt. Während der Anteil an Ölheizungen abnimmt, ist der Anteil an gasbeheizten Wohneinheiten seit 2018 konstant bei knapp 50 Prozent (inklusive Biogas und Flüssiggas) (dena 2022). Für die Bereitstellung von Warmwasser wird zu 56% Gas genutzt (dena 2022). Um Raumwärme und Warmwassererzeugung klimaneutral zu machen, muss nicht nur die Effizienz gesteigert werden, sondern es muss vollständig auf klimaneutrale Energieträger umgestellt werden.
Energieversorgung in Unternehmen
Zwar ist die Energieversorgung eines Unternehmens meist kein zentrales Betätigungsfeld, aber inzwischen müssen sich auch Unternehmen außerhalb des Energiesektors zunehmend mit den Fragen der Energieeffizienz auseinandersetzen. Auch wenn die Kosten für Energie nur einen geringen Teil der Ausgaben eines Unternehmens ausmachen, sind sie doch gestiegen und werden durch den nationalen Emissionshandel seit 2021 noch verschärft. Der Energieverbrauch von Unternehmen wird unterteilt in den Energieverbrauch zum Betrieb von Gebäuden und in den Energieverbrauch für die Produktion oder die Verarbeitung von Gütern. In beiden Bereichen sind die gesetzlichen Anforderungen an die Energieeffizienz gestiegen.
Dem GHD-Bereich zugerechnet werden in der Statistik „Gewerbe- und Handwerksbetriebe mit weniger als 20 Beschäftigten, soweit sie nicht in der Gewinnung von Steinen und Erden, im Bergbau und Verarbeitenden Gewerbe erfasst sind, Betriebe der Energie- und Wasserversorgung (ohne Umwandlungsbereich), Betriebe des Baugewerbes, Land- und Forstwirtschaft (einschließlich Verkehrsverbrauch), Kreditinstitute, Versicherungs- und Handelsunternehmen, private und öffentliche Dienstleistungsunternehmen und Einrichtungen, Behörden, militärische Dienststellen.
Die Statistik enthält den gesamten Endenergieverbrauch der für diese Kurzanalyse relevanten Sektoren, Industrie und GHD. Der Endenergieverbrauch dieser beiden Sektoren wird im folgenden Kapitel zum Endenergieverbrauch des Gebäudesektors in Relation gesetzt und soll insbesondere die energetische Relevanz der Nichtwohngebäude unterstreichen.
Der Endenergieverbrauch ist die bereitgestellte Energiemenge, die beispielsweise im Gebäude direkt verbraucht wird. Im Primärenergieverbrauch ist zusätzlich die Energiemenge enthalten, die benötigt wird, um die Endenergie bereitzustellen. Daher sind in der Endenergie auch Energieverluste oder Energiemengen zur Erzeugung, Bereitstellung oder zum Transport von Strom oder Gas enthalten.
Technische Gebäudeausrüstung (TGA) und nachhaltige Gebäude
Einleitung
Der Gebäudesektor ist in Deutschland für etwa ein Drittel des Endenergieverbrauchs verantwortlich. Daher leistet die Steigerung der Energieeffizienz in diesem Sektor einen wichtigen Beitrag zur Energiewende und zum Klimaschutz. Die beiden wichtigsten Hebel zur Senkung des Energieverbrauchs im Gebäudesektor sind die Gebäudehülle und die Technische Gebäudeausrüstung (TGA). Während die Einsparpotenziale bei der Gebäudehülle in der Öffentlichkeit eine starke Berücksichtigung finden, müssen die Potenziale der TGA noch stärker herausgearbeitet werden.
Mit dem Klimaschutzgesetz, das am 18. Dezember 2019 in Kraft trat, sind die Ziele für den Gebäudesektor verbindlich geworden. Im Jahr 2020 sollen die CO₂-Emissionen im Sektor Gebäude nicht mehr als 118 Mio. t betragen und im Jahr 2030 auf 70 Mio. t gesunken sein. Dies entspricht einer Reduktion um 40 Prozent.
Langfristig soll bis zum Jahr 2050 ein nahezu klimaneutraler Gebäudebestand erreicht werden. Ohne eine umfassende energetische Optimierung des Bestands, allein durch den Neubau, kann dieses Ziel allerdings nicht erreicht werden. Daher liegt ein besonderes Augenmerk auf dem Gebäudebestand, den man in Wohn- und Nichtwohngebäude unterteilen kann. In diesem Rahmen werden vorwiegend die Nichtwohngebäude betrachtet.
Da der Bestand im Bereich der Nichtwohngebäude sehr heterogen ist und Zentrallager, Sporthallen, Schulen, Hotels, Bürogebäude, Fertigungshallen, Möbelmärkte oder Werkstätten umfasst, kann kein generelles Konzept entwickelt werden. Allerdings, und das hat eine Studie der dena ergeben (dena 2021), lässt sich von einer durchschnittlichen jährlichen Endenergieeinsparung von 50 Prozent in den erwähnten Nichtwohngebäudetypen ausgehen. Der Ansatz setzt sich zusammen aus Maßnahmen an der Gebäudehülle, aus energieeffizienter Lüftung, Klimatisierung und Beleuchtung sowie einer energieeffizienten Heizung, die idealerweise aus der Kombination einer Flächenheizung auf niedrigem Temperaturniveau und einer Wärmepumpe besteht.
Die Entscheidung für eine energieeffiziente TGA ist umso wichtiger, wenn man sich die durchschnittliche Lebensdauer der Haustechnik gemäß Kostengruppe 420 der DIN 2768 vergegenwärtigt. Das Umweltbundesamt (UBA) quantifiziert in der Studie „Energieaufwand für Gebäudekonzepte im gesamten Lebenszyklus“ (UBA 2019) für Wohngebäude beispielsweise eine Lebensdauer für die Wärmeerzeugung mit Gas und Solar von 18 Jahren und für die Wärmeerzeugung mit BHKW von 20 Jahren. Mit jeder Entscheidung für eine bestimmte Variante wird die Effizienz des angeschafften Systems also auf zwei Jahrzehnte festgelegt.
Gebäude nehmen inzwischen auch eine aktive Rolle bei der Energieerzeugung ein. Diese resultiert vor allem aus der Photovoltaik und der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Aber auch die Einspeisung von Wärme aus Solarthermie, der KWK oder Abwärme aus Produktionsprozessen in entsprechende Wärmenetze ist bereits Realität.
Mit der EU-Gebäuderichtlinie wurden die Weichen für den Niedrigstenergiestandard im Gebäudebereich gestellt. Alle Neubauten innerhalb der EU sollen ab dem Jahr 2021 diesen Standard erfüllen, die Gebäude der staatlichen Behörden bereits ab 2019.
In einem digitalen und vernetzten Gebäude werden aber auch die Verarbeitung von Daten sowie automatisierte Prozesse eine immer größere Rolle spielen. Während früher eher die Automation einzelner Räume im Mittelpunkt stand, findet sich heute die Automation des gesamten Gebäudes, auch im Kontext eines Smart-Buildings, im Vordergrund.
Die folgenden Ausführungen sollen Ansatzpunkte, mögliche Lösungen, Vorgehensweisen und Beispiele zeigen, wie Nichtwohngebäude in energieeffiziente Gebäude transformiert und ressourceneffizient betrieben werden können. Dargestellt werden anhand einiger Beispiele sinnvolle Kombinationen von Technologien im Nichtwohngebäudebereich unter energetischen, wirtschaftlichen, aber auch klimapolitischen Aspekten.
Energieverbrauch im Gebäudesektor
Die 21,7 Mio. Wohn- und Nichtwohngebäude in Deutschland waren 2017 in Summe (870 TWh Endenergieverbrauch) für etwa ein Drittel (33 %) des gesamten Endenergieverbrauchs in Deutschland (2.591 TWh, 2017) verantwortlich.
Der Gebäudebestand gliederte sich in 18,95 Mio. Wohngebäude (WG) und 2,7 Mio. Nichtwohngebäude (NWG). Zu letzteren gehören beispielsweise Schulen, Hotels, Sporthallen, Bürogebäude, Fertigungshallen oder Werkstätten. Der Endenergieverbrauch der Wohngebäude lag bei 64 Prozent, wohingegen der erheblich kleinere Anteil der Nichtwohngebäude einen Endenergieverbrauch von 36 Prozent aufwies.
In Nichtwohngebäuden stellen Heizung, Kühlung, Belüftung, Klimatisierung, Warmwasserbereitung und Beleuchtung die größten Energieverbraucher dar. Der Anteil der Raumwärme liegt bei 73 Prozent, gefolgt von der Beleuchtung mit einem Anteil von 17 Prozent. Die Gruppe der Nichtwohngebäude stellt also durch ihren hohen Energiebedarf einen erheblichen Hebel für Energieeffizienz im Gebäudebereich dar.
Energieeffizienz im Gebäudesektor
Der Gebäudesektor ist in Deutschland für etwa ein Drittel des Endenergieverbrauchs verantwortlich. Daher leistet die Steigerung der Energieeffizienz in diesem Sektor einen wichtigen Beitrag zur Energiewende und zum Klimaschutz. Dementsprechend sind eine Reihe von rechtlichen Vorgaben und Fördermöglichkeiten im Gebäudesektor wirksam. Dazu zählen
Gebäudeenergiegesetz (GEG)
Auf europäischer Ebene ist ist neben der Energieeffizienzrichtlinie 2012/27/EU insbesondere die EU-Gebäuderichtlinie (Richtlinie 2010/31/EU) zur Förderung der Verbesserung der Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden relevant. Die nationale Umsetzung erfolgt in Deutschland durch die Energieeinsparverordnung (EnEV). Am 1. November 2020 wurde die EnEV durch das Gebäudeenergiegesetz (GEG) abgelöst.
Klimaschutzgesetz
Mit dem Klimaschutzgesetz (KSG), das am 18. Dezember 2019 in Kraft trat, sind die Ziele für den Gebäudesektor verbindlich geworden. Im Jahr 2020 sollen die CO₂-Emissionen im Sektor Gebäude 118 Mio. t betragen und im Jahr 2030 auf 70 Mio. t gesunken sein. Dies entspricht einer Reduktion um 40 Prozent. Langfristig soll bis zum Jahr 2050 ein nahezu klimaneutraler Gebäudebestand erreicht werden.
Ökodesign-Richtlinie
Eine weitere europäische Regelung mit hoher Relevanz für den Gebäudesektor ist die Ökodesign-Richtlinie 2009/125/EG, die mit dem Energieverbrauchsrelevante-Produkte-Gesetz (EVPG) in deutsches Recht umgesetzt wurde. Alle Komponenten der Gebäudetechnik wie die Beleuchtung, Heizung, Kühlung und Klimatisierung sowie die Steuerung der Systeme durch die Gebäudeautomation fallen unter die Ökodesign-Richtlinie.
Nachhaltige Gebäude
Nachhaltig Bauen - „Cradle to Cradle“
Im Hinblick auf den Gebäudesektor bedeutet Nachhaltigkeit die Einbeziehung zukünftiger Generationen unter ökologischen, ökonomischen wie auch sozialen Aspekten bei gleichzeitiger Beachtung der städtebaulichen, gestalterischen, technischen und funktionalen Qualität.
Nachhaltiges Bauen bedeutet auch, die zur Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen bestmöglich unter den Gesichtspunkten von schonender Entnahme, effizientem Einsatz und Vermeidung von Umweltbelastungen zu verwenden, um die Bedarfsgerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit des Bauvorhabens sicherzustellen. Ziel ist es also, über den gesamten Lebenszyklus hinweg die Umwelt aktiv zu schonen.
Ökologische Dimension
Bei der ökologischen Dimension der Nachhaltigkeit wird als ein zentrales Schutzziel die Ressourcenschonung angestrebt. Dazu erfolgt ein optimierten Einsatz von nachwachsenden, recycling-fähigen, emissions- und schadstofffreien Bau- und Dämmstoffen, eine geringe Flächeninanspruchnahme, die Erhaltung und Förderung der Biodiversität sowie eine Minimierung des Energie- und Wasserverbrauchs.
Damit einher geht der weitgehende Verzicht auf energieintensive Baustoffe wie Stahl, Beton oder Glas, die Vermeidung atomarer, fossiler Brennstoffe wie Kohle und Erdgas und die konsequente Nutzung erneuerbarer Energien wie Sonne, Wind, Wasser, Biomasse sowie Umgebungs- und Erdwärme.
Ökonomische Dimension
Bei der ökonomischen Dimension der Nachhaltigkeit werden über die Anschaffungs- bzw. Errichtungskosten hinausgehend insbesondere die Baufolgekosten betrachtet. Im Fokus stehen demnach die gebäudebezogenen Lebenszykluskosten, die Wirtschaftlichkeit und die Wertstabilität. Wie Praxisbeispiele zeigen, können die Baufolgekosten die Errichtungskosten um ein Mehrfaches überschreiten.
Sozio-kulturelle Dimension
Die soziale und kulturelle Dimension umfasst Schutzziele, die sowohl die soziale und kulturelle Identität als auch das Wertempfinden des Menschen betreffen. Ein Identifikationsprozess findet statt, indem der Mensch seine Umgebung wahrnimmt und bewusst oder unbewusst beurteilt. Die daraus resultierenden positiven oder auch negativen Empfindungen spiegeln sich im Grad des Wohlbefindens und der Motivation wider. Dabei spielen soziale Bedürfnisse des Einzelnen ebenso eine Rolle wie kulturelle Wertvorstellungen eines gesellschaftlichen Systems.
Hierzu gehören vor allem immaterielle Werte wie Gesundheit, Mobilität und Lebensqualität sowie Chancengleichheit, Partizipation, Bildung und kulturelle Vielfalt. Diese Dimension der Nachhaltigkeit stellt somit einerseits die Nutzerbedürfnisse und Funktionalität, andererseits die kulturelle und ästhetische Bedeutung des Gebäudes in den Mittelpunkt.
Integrale Planung
Zukunftsfähiges und nachhaltiges Bauen und Betreiben setzt eine ganzheitliche und integrale Planung voraus. Bereits in der frühen Planungsphase werden die Weichen für die spätere Nachhaltigkeitsqualität eines Gebäudes gestellt. Daher gilt es, die Aspekte der Nachhaltigkeit in allen Planungs-, Bau- und Bewirtschaftungsprozessen entsprechend zu berücksichtigen.
Lebenszyklusbetrachtung
Erst die Betrachtung über den gesamten Lebenszyklus kann Aufschluss über die tatsächliche Qualität eines Gebäudes geben, da diese üblicherweise über sehr lange Zeiträume genutzt werden. Der Lebenszyklus eines Gebäudes setzt sich aus den Phasen Planung, Errichtung, Nutzung einschließlich Instandhaltung, Modernisierung sowie Rückbau, Verwertung und Entsorgung zusammen. Diese Lebensphasen eines Bauwerks sind in Hinblick auf die unterschiedlichen Aspekte der Nachhaltigkeit zu betrachten und in ihrem Zusammenwirken zu optimieren.
Lebenszyklus Gebäude
Viele Aspekte einer ganzheitlichen „Cradle to Cradle“ Planung sind heute bereits Gegenstand der konventionellen Planung. Diese beschränkt sich jedoch bisher auf eine Vielzahl von Einzelaspekten in den jeweiligen Lebenszyklusphasen, ohne Berücksichtigung etwaiger vorhandener Abhängigkeiten oder Wechselwirkungen. Im Rahmen der ganzheitlichen Planung werden diese Einzelaspekte im Hinblick auf ihre Wechselwirkung miteinander verknüpft, sinnvoll ergänzt, optimiert und daraus zukunftsfähige Gesamtlösungen abgeleitet.
Energieeffiziente Gebäude
Energieeffiziente Gebäude sind Bauwerke, die nach ihrer Errichtung nur einen sehr geringen bis gar keinen Energieverbrauch in der Nutzung benötigen. Sie bieten eine langfristig hohe Unabhängigkeit von der Energiepreisentwicklung und planbare, stabile Nebenkosten. Diese Gebäude zeichnen sich durch eine sehr hohe Gesamtenergieeffizienz aus. Der äußerst geringfügige Energiebedarf sollte vorwiegend durch Energie aus erneuerbaren Energiequellen stammen sowie möglichst auch am Standort oder in der Nähe des Gebäudes erzeugt werden. Niedrigst-, Null- und Plus-Energie-Gebäude sind heute Stand der Technik und werden seit Jahren erfolgreich gebaut
Plus-Energiehäuser
Gebäude nehmen inzwischen auch eine aktive Rolle bei der Energieerzeugung ein. Diese resultiert vor allem aus der Photovoltaik und Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Aber auch die Einspeisung von Wärme aus Solarthermie, der KWK oder Abwärme aus Produktionsprozessen in entsprechende Wärmenetze ist bereits Realität. Bei ausreichender Erzeugung kann ein Gebäude nicht nur den eigenen Bedarf decken, sondern über das Jahr gesehen auch mehr Energie erzeugen als es verbraucht. Solche Gebäude werden als Plus-Energiehäuser bezeichnet.
Ressourceneffizienz durch Technische Gebäudeausrüstung (TGA)
Durch die Kombination verschiedener Technologien der Technischen Gebäudeausrüstung kommt es heutzutage zu einer höheren Technisierung und damit auch einer höheren Komplexität des Gebäudes. Geschuldet ist dies den gestiegenen Anforderungen der Nutzer an das Gebäude, aber auch den übergeordneten Anforderungen an die Effizienz der Gebäudehülle und der technischen Gebäudeausrüstung.
Ressourceneffizienz durch Automation
Digitale vernetzte Gebäude - Smart-Building, Smart-Grid
In einem digitalen und vernetzten Gebäude werden aber auch die Verarbeitung von Daten sowie automatisierte Prozesse eine immer größere Rolle spielen. Die Gebäudeautomation basiert auf der Verarbeitung von Daten.
Die Gebäudeautomation basiert auf Informations- und Kommunikationstechnik (IKT), die die technische Gebäudeausrüstung steuert und regelt. Im Idealfall vernetzt die Gebäudeautomation alle gebäudetechnischen Komponenten und Systeme miteinander. Die Überwachung, Auswertung und Optimierung der einzelnen Komponenten sowie des Gesamtsystems haben das Ziel, die Effizienz des Systems zu verbessern. Mit fortschreitender Digitalisierung der gebäudetechnischen Komponenten und Systeme sind intelligente Gebäude oder Smart Buildings zur logischen Konsequenz geworden.
Automation erfordert auf der Gebäudeebene Sensorik und Aktorik, also passives Erfassen und aktives Bewegen. Ein Sensor misst beispielsweise eine Temperatur oder einen Volumenstrom, ein Aktor kann die Temperatur oder den Volumenstrom regeln.
Gebäude als ökologisches Kraftwerk verdient Geld
Energie-Plus bedeutet, eine Liegenschaft als intelligentes autarkes Kraftwerk zu konzipieren über einen abgestimmten Mix aus regenerativen Energiequellen wie Sonne, Wind, Regen-/Wasser, Biomasse oder Erd- bzw. Abwärme. In der Jahresbilanz wird mehr Energie erzeugt, als für Betrieb und Nutzung durch Betreiber, Bewohner und Geräte erforderlich ist.
Vom Konsument zum Prosument
Damit wandelt sich der Betreiber bzw. Mieter/Nutzer als bislang abhängiger Energieabnehmer – Konsument, der kontinuierlichen Preissteigerungen ausgesetzt ist, zum Energieerzeuger und gleichzeitigen Verbraucher – Prosument, der nur Erzeugungskosten bezahlt, die in etwa bei 25 Prozent der aktuellen Energiepreise liegen.
Durch gezielte Maßnahmen bei Dämmung zur Vermeidung von Wärmeverlusten und Einsatz effizienter Energietechnik in Verbindung mit Wärmerückgewinnung wird eine weitere, langfristig stabile Senkung der jährlichen Energie- und Heizkosten erzielt.
Zusätzlich erschließt sich eine Einnahmequelle aus dem Verkauf der überschüssigen Energie, die für Elektromobilität oder die Versorgung des Quartiers verwendet wird.
Erneuerbare Energien
Die einfachste Maßnahme zum Umstieg auf erneuerbare Energien ist der Bezug von Ökostrom. Der Wechsel des Stromanbieters zu einem Versorger mit Ökostrom im Angebot ist mit einem geringen Aufwand verbunden und kann in wenigen Minuten vollzogen werden. Der Strom wird dabei aus erneuerbaren Energien gewonnen. Damit wird die Energiewende unterstützt und der Ausstieg aus der besonders klimaschädlichen Kohleverstromung beschleunigt. Die Erzeugung von Ökostrom erfolgt dabei in der Regel aus Wind, Sonne, Biomasse und Wasserkraft. Im ersten Halbjahr 2022 lag der Anteil der Erneuerbaren bei 51,6 Prozent . Da die Stromproduktion aus verschiedenen Quellen schwankend ist, zeigt erst die Jahresendbilanz, wie die Verteilung sein wird. In 2021 stammten 23 Prozent der gesamten Stromproduktion aus Windkraft, 9,8 Prozent aus der Fotovoltaik, 8,8 Prozent aus Biomasse und 4 Prozent aus Wasserkraft. Braun- und Steinkohle lieferten 20,7 Prozent des Stroms, Erdgas 10,5 Prozent und die Kernenergie gut 13,3 Prozent (Stromreport 2022).
Aus heutiger Sicht ist in Deutschland der weitere Ausbau nur bei Sonnen- und Windenergie nachhaltig. Das technische Ausbaupotenzial der Wassernutzung ist verhältnismäßig gering. Neue Anlagen sind aus heutiger Sicht aufgrund bestehender Restriktionen (Gewässerschutz, Fischschutz) nur noch in einem sehr eingeschränkten Maße realisierbar. Vereinzelt ist der Neubau deshalb fast nur noch an bestehenden Staustufen möglich.
Allerdings bedingt die Fluktuation der Erneuerbaren auch die Herausforderung, die Energiespeichertechnologie auszubauen. Die Speichertechnologie mit der in Deutschland derzeit größten Leistung und Kapazität sind Pumpspeicherkraftwerke.
Der energetische Wirkungsgrad bei der Entstehung von Biomasse (Umwandlung von Sonnenenergie in Biomasse) ist mit 0,5 – 1,5 Prozent (Pflanzenforschung 2020) zudem wesentlich geringer als der von Photovoltaik mit in der Regel 15 – 22 Prozent (Eigensonne o. J.). Wenn der Bezug von EE-Strom besonders nachhaltig sein soll, ist daher darauf zu achten, dass er aus möglichst aktuell neuen effizienten Wind- oder Solaranlagen stammt. Dieser Strom wird von von verschiedenen Einrichtungen wie dem TÜV oder dem Grüner Strom Label e. V. zertifiziert (Ökostromanbieter o.J.)
Solarenergie: Solarenergie mit gut 21 Prozent der EE-Stromproduktion (Stromreport 2022) ist seit 2007 stark ausgebaut worden und damit die jüngste breit genutzte Stromquelle (vgl. die Graphik auf Wikimedia 2020). Ab 2013 stagnierte der Zuwachs von Solarenergie, weil die Konditionen der Einspeisung verschlechtert wurden. Insbesondere die Energiekrise im Zuge des Ukraine Krieges zeigt, dass der Ausbau jetzt stark beschleunigt werden muss.
Windenergie: 50 Prozent des EE-Stromes in Deutschland wurden 2021 aus Windenergie erzeugt (Stromreport 2022). Der Ausbau hat wesentlich in den Jahren von 2000 bis 2017 stattgefunden. Seitdem ist der Zuwachs geringer, weil sich lokal viele Menschen gegen Windkraftanlagen wehren. Seit Ausbruch des Ukraine-Krieges und dem damit verbundenen Gaslieferstopp Rußlands, sowie seit den deutlichen Auswirkungen der Klimakrise (Waldbrände, Flut), werden wieder höhere Ausbauziele der Windenergie genannt.
Wärmeerzeugung: Zur Wärmeerzeugung wird Bioenergie (insbesondere Festbrennstoffe wie Holz) und Umgebungs- bzw. bodennahe Erdwärme eingesetzt. Wie bei der Stromerzeugung gibt es für die Verbrennung von Biomasse kein Wachstumspotenzial mehr, sondern muss auf “ein naturverträgliches Maß begrenzt” werden (UBA 2021b). Im Gegensatz dazu setzt die Bundesregierung auf den Ausbau der Nutzung von Umgebungswärme, wozu auch die bodennahe Erdwärme gehört (Tagesschau 2022). Die Nutzung erfolgt wie bei einem Kühlschrank oder einer Klimaanlage mittels einer Wärmepumpe. Hier wird die “warme Seite” der Wärmepumpe benutzt. Die Pumpe entzieht der Umgebung (z. B. dem Erdreich) mit einem Kältemittel Wärme und kühlt sie dabei ab. Ein Kompressor verdichtet das Kühlgas und erhöht dabei dessen Temperatur, sodass die Heizung versorgt werden kann. Das Kältemittel kondensiert dabei und gibt die Wärme frei. In einem Ventil verdampft das Kühlmittel wieder, kühlt sich dabei stark ab und kann aufs neue der Umgebung Wärme entziehen. Für diesen Prozess wird elektrischer Strom benötigt. Dieser muss aus Klimaschutzgründen sinnvollerweise aus Sonnen- oder Windenergie gewonnen werden.
Erneuerbare Energien in der Verfahrens- und Anlagentechnik
In der Verfahrens- und Anlagentechnik kommen eine Vielzahl von stationären Anlagen und Prozesse zum Einsatz, die sehr energieintensiv sind. Die technischen Potenziale zur Dekarbonisierung der Industrie sind erheblich. So decken erneuerbare Energien mit knapp sechs Prozent nur marginal den Energiebedarf in der industriellen Prozesswärme und Prozesskälte ab, obwohl mehr als 20 Prozent des deutschen Endenergieverbrauchs auf industrielle Prozesse zum Wärmen und Kühlen entfallen.
Aufgrund der hohen Bedeutung der Prozesswärme und –kälte für die Energiewende besitzt die Dekarbonisierung industrieller Prozesse erhebliche Relevanz. Zudem existieren mit der Solarthermie, Geothermie, Biomasse, (Groß-)Wärmepumpen sowie anderen strombasierten Formen der Wärmeerzeugung verschiedene Technologien für die vollständige oder teilweise Dekarbonisierung vieler Industrieprozesse. Das wirtschaftlich zu hebende Effizienzpotenzial allein im Brennstoffbereich der Industrie beläuft sich auf ca. 10 Prozent des gesamten aktuellen Prozesswärmebedarfs. Mit steigenden CO₂- oder Energiepreisen wächst dieses Potenzial. Folgende Handlungsmöglichkeiten zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energie in der Industrie stehen zur Verfügung (Maaß, u. a. 2018):
Nicht in den Betrieben nutzbare Abwärme sollte für Dritte nutzbar gemacht werden, z. B. durch Einspeisung in Fernwärmenetze. Mit Großwärmepumpen können dabei auch die bislang zu wenig beachteten Potenziale der Niedertemperatur-Abwärme genutzt werden.
Als strategische Option bieten sich im Niedertemperatur-Bereich zwischen 100 bis 150°C (z.B. zur Warmwasserbereitung, zum Waschen, in der Nahrungs- und Genussmittelproduktion) gute Möglichkeiten einer vollständigen Dekarbonisierung durch erneuerbare Energien und begleitende Effizienzmaßnahmen.
Mit der Digitalisierung ergeben sich aus den neuen Möglichkeiten zur Messung, Steuerung und Vernetzung von Prozessen zusätzliche Effizienzpotenziale. Auf der Erzeugungsseite entstehen neue Märkte für die „klassischen“ erneuerbaren Technologien und neue Optionen an der Schnittstelle von Wärme- und Strommarkt.
Bei Branchen mit mittleren Temperaturen wie der Abfallwirtschaft und der Grundstoffverarbeitung sollte zunächst auf eine Teil-Dekarbonisierung gezielt werden, bei der erneuerbare Energien in Kombination mit fossilen Energieträgern eingesetzt werden. Abfallentsorger verfügen fast immer über große Dachflächen von Anlagen oder für den Fuhrpark sowie über Freiflächen, die entweder direkt geeignet sind für eine Dach- oder Freiflächen-Fotovoltaik. Da sie immer in Gewerbegebieten gelegen sind, eignen sie sich auch für Kleinwindanlagen.
Um auch Hochtemperatur-Anwendungen zu dekarbonisieren, sind noch verstärkte Forschungs- und Entwicklungsarbeiten nötig. Energieeffizienz- maßnahmen, verstärkte Abwärmenutzung und der Einsatz von Biomasse und Strom in Pilotprojekten können jedoch schon heute begonnen werden.
Photovoltaik
Die Kosten der PV-Technologie sind so günstig wie nie. Neben den Kosten der Anlagenerrichtung ist auch der Flächenbedarf deutlich gesunken. Jetzt können auch auf kleineren Dächern nennenswerte Anlagengrößen erreicht werden. Ausnahmslos jede gut dimensionierte Eigenverbrauchsanlage lohnt sich wirtschaftlich. Das gesetzliche Förderregime, etablierte Technik und Branchenstandards sorgen dafür, dass diese Investition risikoarm ist. So können sich Unternehmen gegen hohe Strompreise absichern.
Kunden, Geschäftspartner, Mitarbeiter und auch Geschäftsführer legen zudem immer mehr Wert auf Nachhaltigkeit und darauf, einen echten Beitrag zur Energiewende zu leisten. Eine PV-Anlage ist eine einfache und effektive Maßnahme, die auch über Pressemitteilungen und die PR-Abteilung hinaus eine Wirkung entfaltet. PV-Anlagen nutzen bislang brachliegende Ressourcen und sichern durch die Erzeugung von Solarstrom ein zukünftiges Betriebseinkommen. Schon seit einiger Zeit haben sich die relevanten Rahmenbedingungen hin zu einer Stärkung der Photovoltaik entwickelt, denn durch die deutlich gesunkenen Errichtungskosten ist Photovoltaik die günstigste Energieform in beinahe jedem Markt der Welt; auch in Deutschland.
Technische Eignung der Dachfläche
Eigenerzeugung von Solarenergie
Da Betriebsgebäude in der Regel über große Dachflächen verfügen, besitzen sie ein hohes Potential zur Eigenerzeugung von Solarenergie. Laut der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) sind bisher lediglich 13,2 Prozent der installierten Anlagenleistung aus erneuerbaren Energien in Besitz von Gewerbetreibenden (Neidlein 2021). In Frage kommen dabei sowohl thermische Solaranlagen zur Erzeugung von Warmwasser, aber auch für Prozesswärme im Niedertemperaturbereich als auch photovoltaische Anlagen zur Erzeugung von elektrischen Strom. Neben den Dachflächen können auch Fassadenflächen zur Erzeugung sowohl von thermischer als auch elektrischer Solarenergie genutzt werden.
Technische Eignung
Bei der Prüfung der technischen Eignung ist sicherzustellen, dass Statik (inklusive Schneelast) und Brandschutz einer Anlagenerrichtung nicht entgegenstehen. Zudem ist eine sog. Netzverträglichkeitsprüfung durchzuführen. Dabei prüft der zuständige Netzbetreiber, ob im lokalen Verteilnetz genug Kapazität für die avisierte PV-Anlage vorhanden ist oder ob das Verteilnetz neue Einspeiselasten nicht verträgt und zunächst ausgebaut werden muss.
Rechtliche Eignung
Die rechtliche Eignung der Dachfläche richtet sich nach dem öffentlichen Baurecht. Aufdach-PV-Anlagen sind bauliche Anlage im Sinne des Bauordnungsrechts und bedürfen daher einer Baugenehmigung. Allerdings haben fast alle Bundesländer diese Genehmigungspflicht in ihren Bauordnungen bereits abgeschafft. Relevanz kann auch das Bauplanungsrecht nach dem Baugesetzbuch haben, falls die Anlage einem Bebauungsplan z. B. hinsichtlich der Gebäudehöhe widerspricht. Neben dem Bauplanungsrecht kann auch der Denkmalschutz der Errichtung einer PV-Anlage entgegenstehen und die rechtliche Eignung der Dachfläche ausschließen.
Betriebsmodelle
Dachverpachtung und Contracting-Modelle
Die einfachste Möglichkeit, von einem geeigneten Dach zu profitieren, ist die Verpachtung der Dachfläche an Dritte. Diese sind dann an Stelle des Immobilien- eigentümers Betreiber der Anlage. Stadtwerke, Energieversorgungsunternehmen und Projektentwickler bieten bereits „schlüsselfertige“ Dachpachtlösungen an. Dabei baut der Betreiber auf seine Kosten die Anlage, bewirtschaftet sie und übernimmt das unternehmerische Risiko. Nachdem der Pachtvertrag abgelaufen ist, wird die Anlage rückgebaut und das Dach in seinen Ursprungszustand zurückgegeben. Vorteil dieser Lösung ist, dass keine Kapitalinvestitionen des Gebäudeeigentümers nötig sind. Sofern der Gebäudeeigentümer seinen Eigenverbrauch mit der PV-Anlage abdecken will, zugleich aber nicht weiter in den Anlagenbetrieb involviert werden möchte, bietet sich eine Dachverpachtung mit Contracting-Modell an. Dabei kann gegen eine monatliche Gebühr eine Eigenverbrauchslösung realisiert werden.
Eigenverbrauch mit Überschusseinspeisung
Besonders attraktiv ist die Gestaltung des Eigenverbrauchs. Hintergrund ist, dass der Strommarkt sich in einer anhaltenden Hochpreisphase mit nie dagewesenen Letztverbraucherpreisen befindet. Dies wird sich auf absehbare Zeit voraussichtlich nicht ändern. Demgegenüber sind die PV-Gestehungskosten auf einem Allzeittief und im Leistungsbereich über 30 kWp sogar niedriger als die statistischen mittleren Gewerbe- und Industriekundentarife. Die betrachteten Stromgestehungskosten aus PV-Anlagen sind teilweise sogar niedriger als die Stromgroßhandelspreise. Jede selbstverbrauchte Kilowattstunde Solarstrom verdrängt teureren Strombezug aus dem Netz. Häufig ist die Einsparung je kWh hierbei höher als die Einspeisevergütung bei einer Volleinspeisung, weshalb die Erhöhung des Eigenverbrauchsanteils die Wirtschaftlichkeit erhöht. Der Eigenverbrauch wird deshalb vom Gesetzgeber gefördert, indem bestimmte Kosten wie Netzentgelte, Konzessionsabgabe, Stromsteuer sowie die Netzumlagen ganz oder teilweise entfallen. Falls mehr Strom erzeugt als selbst verbraucht wird, kann dieser Anteil in das Netz der allgemeinen Versorgung eingespeist werden (Überschusseinspeisung). Dafür erhält der Anlagenbetreiber eine Einspeisevergütung.
Volleinspeisung
In diesem Fall ist der Dacheigentümer auch Betreiber der PV-Anlage. Der gesamte erzeugte Strom wird in das Netz der Allgemeinen Versorgung eingespeist und der Anlagenbetreiber erhält für jede eingespeiste kWh die sog. Einspeisevergütung. Allerdings sinkt diese garantierte Vergütung mit zunehmender Größe der Anlage, denn mit steigender Anlagengröße sinken die Systemkosten. Anlagen ab 100 kWp sind im Regelfall zur Direktvermarktung verpflichtet. Der erzeugte Strom wird hierbei direkt an der Strombörse verkauft und der Betreiber erhält die erzielten Erlöse abzüglich eines Vermarktungsentgelts (Sokianos et al 2022, Uhland et al 2021, ERLP 2017).
Technologien
Solarzellen aus kristallinem Silizium
Solarzellen aus kristallinem Silizium werden mit über 90 Prozent am häufigsten verbaut. Als Ausgangsmaterial für ihre Herstellung dient Siliziumdioxid (SiO2) das als Quarzsand oder Quarzkristall abgebaut wird
Aus SiO2 wird in einem mehrstufigen und sehr energieaufwendigen Verfahren hochreines, polykristallines Silizium (poly-Si) mit einer Reinheit von 99, 99999 Prozent hergestellt. Die Herstellung erfolgt in einem Lichtbogenofen bei Temperaturen von etwa 2.000 °C. Entsprechend ist die Errichtung von Anlagen zur Herstellung von hochreinem Solarsilizium besonders kapitalintensiv. In Blöcke gegossen dient das Solarsilizium als Ausgangsmaterial für poly-Si-Solarzellen. Aus eingeschmolzenen poly-Si können in einem weiteren Schritt Silizium-Einkristalle (mono-Si) gezogen werden. Die gewonnenen poly-Si-Blöcke oder mono-Si-Blöcke (Si-Einkristalle) werden in etwa 0,2 mm dicke Scheiben («Wafer») gesägt und in einer Abfolge von mehreren Prozessschritten zu Solarzellen weiterverarbeitet. Häberle (2010). Solarmodule aus monokristallinem bzw. polykristallinem Silizium haben als bereits lange bewährte Technologie die höchsten Marktanteile. Ihre Vorteile sind die hohen Wirkungsgrade und die gute Verfügbarkeit des Ausgangsmaterials. Nachteilig ist ihr hohes Gewicht und Einschränkungen hinsichtlich der Modulgeometrie.
Dünnschicht-Solarmodule
Der Herstellungsprozess der Dünnschicht-Solarmodule unterscheidet sich grundsätzlich von dem der Solarmodule aus kristallinem Silizium. Zwar bestehen die Solarzellen ebenfalls aus elektrischen Kontakten und einem absorbierenden Material, in dem im Zusammenspiel mit weiteren Schichten auch die Trennung der Ladungsträger stattfindet. Diese Schichtstapel werden aber direkt aus einem Trägermaterial hergestellt. Die Dicke der Schichtstapel liegt in der Regel unter 5 µm, wobei die -lichtabsorbierende Schicht nur 1-3 µm einnimmt, also etwa hundertmal weniger als bei den Solarzellen aus kristallinem Silizium. Damit sinkt nicht nur der Materialaufwand deutlich, sondern auch die für die Herstellung benötigte Energie. Dadurch lassen sich auch Dünnschichtmodule deutlich einfacher und kostengünstiger produzieren als ein übliches kristallines Photovoltaikmodul
Als Trägermaterial können, je nach Technologie, Glas, Metall- oder Kunststofffolien eingesetzt werden. Werden flexible Trägermaterialien verwendet, lassen sich schnelle Rolle-zu-Rolle-Verfahren für die Herstellung der Schichten in der Fertigung nutzen. Als Schichtmaterialien kommen insbesondere Halbleitermaterialien wie Galiumarsenid (GaAs), Cadmiumtellurid (CdTe) oder Kupfer-Indium-Gallium-Diselenid (CIGS) zum Einsatz. Vorteile der Dünnschichtzellen sind ihr geringes Gewicht, ihre guten Erträge bei diffusem und schlechtem sowie die schnelle energetische Amortisation aufgrund des geringen Energieeinsatzes bei ihrer Herstellung. Ein weiterer Vorteil ist ihre Flexibilität, welche bei entsprechenden Substraten flexible sowie weitgehend beliebige Modulformen erlauben, was sie besonders für die Fassadenintegration geeignet macht. Nachteilig ist der im Vergleich zu kristallinen Zellen geringere Wirkungsgrad, der wiederum einen erhöhten Flächenbedarf bedingt. Zudem ist der alterungsbedingte Leistungsabfall höher. Nachteilig sind ferner die teilweise nur begrenzten Rohstoffe wie z.B. Indium sowie die eingeschränkte Recyclierbarkeit des Schichtmaterials.
Weitere Technologien mit hohem Potenzial
Andere Technologien, die auf dem PV-Markt noch nicht messbar sind, aber ein hohes Potenzial haben, sind Farbstoffsolarzellen (auch Grätzel-Solarzellen genannt), organische Solarzellen, Hybridkollektoren und hocheffiziente Solarzellen in Kombination mit einer Optik, die das Sonnenlicht auf die Solarzellen bündelt (Konzentrator-Solarzellen).
Anlagenarten
Hauptsächlich gibt es zwei Arten für Photovoltaikanlagen:
Aufdachmontage
Bodenmontage (Freiflächenmontage)
Als dritte Art kann die gebäudeintegrierte Photovoltaik aufgefasst werden, bei der die Module direkt in ein Gebäude z. B. als Fassade integriert sind.
Aufdach Anlagen
Aufdach-Photovoltaikanlagen sind eine weit verbreitete Möglichkeit für Eigenheime, Unternehmen und öffentliche Gebäude ihren eigenen Strom zu erzeugen. Inzwischen sind PV-Anlagen nicht nur weit verbreitet, sondern auch zu einer Art Symbol für grüne Energie, zukunftsorientiertes Denken und Energiebewusstsein geworden. Nicht zuletzt steigert eine Photovoltaikanlage auf dem Hausdach auch den Wert eines Gebäudes. Vorteilig ist insbesondere
Das vorhandene Dach kann optimal genutzt werden.
Das Dach wird vor eventuellen Umwelteinwirkungen zusätzlich geschützt.
Aufdachmontierte Anlagen sind meist schnell und einfach zu installieren
Geringer Wartungsaufwand
Nachteilig ist demgegenüber
Erstinstallationskosten
Mögliche Dachmodifikationen, bevor die Installation überhaupt durchgeführt werden kann.
Platzbeschränkungen, abhängig von der Größe und Beschaffenheit des Daches
Der unveränderbare Winkel und die Ausrichtung der Dachebenen
Bodenmontierte Anlagen
Bodenmontierte Photovoltaikanlagen sind inzwischen ebenfalls weit verbreitet, werden aber vorwiegend von großen Unternehmen bzw. Energieanbietern genutzt. Diese Anlagen arbeiten oftmals mit einer Nachführung. Diese sorgt dafür, dass die Ausrichtung der Solarmodule dem Lauf der Sonne folgt. Somit kann mehr Sonnenlicht erfasst werden, als mit herkömmlichen und fest installierten Photovoltaikanlagen. Vorteile bodenmontierter Anlagen sind (Wirth, 2022; Ritter et al, 2021):
Aufgrund ihrer Größe ist auch eine größer dimensionierte Stromerzeugung möglich.
Bodenmontierte Anlagen haben die Möglichkeit die festen Winkelbeschränkungen – wie sie bei der Aufdachmontage gegeben sind – zu umgehen
Einfache Wartung aufgrund des leichteren Zuganges
Nachteilig ist demgegenüber:
Bodenmontierte Anlagen nehmen sehr viel Fläche ein, die möglicherweise umgewidmet werden muss.
Riesige Freiflächenanlagen sind optisch auffällig, was zu Konflikten mit dem gewünschten Landschaftsbild führen kann.
Solarwärme
Für die Bereitstellung und Nutzung von Solarwärme kommen verschiedene Techniken zum Einsatz. Die wichtigsten Komponenten sind Kollektoren, Speicherung und Einbindung.
Kollektortechnologien
Je nachdem, wofür Solarwärme genutzt werden soll und bei welchem Temperaturniveau dies erfolgt, können unterschiedliche Kollektoren genutzt werden. Zusammen mit einem Wärmespeicher kann dann insbesondere in den Sommermonaten ein erheblicher Teil des Wärmebedarfs mit Solarenergie CO₂-frei bereitgestellt werden.
Niedertemperatur-Absorber: Bei der einfachsten Kollektorart, dem Niedertemperatur-Absorber, werden Absorbermatten aus speziellen organischen Materialien (Kunststoffe, EPDM) genutzt, um das Solarfluid zu erwärmen. Der Temperaturbereich, bei dem diese Kollektoren sinnvoll eingesetzt werden können, geht bis etwa 40 °C und ist demnach gut zur Vorwärmung kalter Flüssigkeiten bis auf Umgebungstemperatur oder als Wärmequelle in Kombination mit Wärmepumpen geeignet.
Flachkollektoren: Bei Flachkollektoren ist der metallische Solarabsorber zwischen einer transparenten Abdeckung und einer Wärmedämmung eingefasst. Dies minimiert die Wärmeverluste des Kollektors, wodurch in Abhängigkeit der Bauart Nutztemperaturen bis 100 °C effizient bereitgestellt werden können. Das Spektrum reicht von kompakten Kollektormodulen mit ca. 2 m² bis hin zu Großflächenkollektoren mit 10..12 m²
Vakuumröhrenkollektoren: Bei Vakuumröhrenkollektoren können die Wärmeverluste durch Konvektion und Wärmeleitung deutlich reduziert werden, wodurch bei höheren Temperaturen teils deutlich höhere Erträge erzielt werden können. Je nachdem ob diese Kollektorbauart mit einem rückseitigen Spiegel versehen ist (CPC-Kollektor) oder nicht, liegt der sinnvolle Einsatzbereich dieser Kollektoren bei bis zu 80..130 °C. Vakuumröhrenkollektoren können direkt durchströmt sein oder nach dem Heat-Pipe-Prinzip funktionieren.
Luftkollektoren: Luftkollektoren verzichten auf ein flüssiges Wärmeträger-
medium und eignen sich daher besonders für Trocknungsanwendungen. Luftkollektoren sind als Röhrenkollektoren (beidseitig offene Sydney-Röhren) oder Flachkollektoren mit offenen Stirnseiten erhältlich.
Konzentrierende Kollektoren: Für Regionen mit hoher Direktstrahlung können konzentrierende Kollektoren verwendet werden, die mittels Spiegel (wie bei dem hier abgebildeten Fresnelkollektor) oder Linsen die eintreffende Sonnenstrahlung auf einen Absorber konzentrieren. Hierzu müssen die Spiegelflächen kontinuierlich der Sonne nachgeführt werden. Der Temperaturbereich dieser Kollektorbauart liegt typischerweise bei 150-400 °C.
Speicherung
In der Regel ist ein Pufferspeicher zentraler Bestandteil einer solaren Prozesswärmeanlage, da das Solarangebot nicht immer mit dem Wärmebedarf der zu versorgenden Verbrauchsstellen zeitlich übereinstimmt. Neben sogenannten Schwachlastphasen innerhalb eines Produktionstages können dies auch ganze Tage ohne Wärmebedarf, z.B. am Wochenende sein. Da bei den meisten Anwendungsfällen in Industrie und Gewerbe am Wochenende kein oder nur ein sehr geringer Wärmebedarf vorhanden ist, sollte ein Pufferspeicher derart dimensioniert werden, dass er den Solarertrag von mindestens einem Tag speichern kann.
Je nach Kollektorfläche und spezifischen Rahmenbedingungen der Wärmesenke können für einen effizienten Anlagenbetrieb unterschiedlich große Speichervolumina erforderlich sein. Es sollte stets angestrebt werden, das erforderliche Volumen mit einem einzelnen Speicher innerhalb des Gebäudes zu realisieren. Neben der optimalen Be- und Entladung, einer verbesserten Temperaturschichtung und geringen Wärmeverlusten, ist diese Variante im Regelfall auch kostengünstig.
Zur Einbindung des Speichers gibt es mehrere Möglichkeiten: Typischerweise wird der mit einem Wasser-Glykol-Gemisch betriebene Solarkreis durch einen Wärmeübertrager vom Speicherkreis getrennt. Für die Einspeisung des aufgewärmten Wassers in den Speicher werden häufig zwei Anschlüsse an unterschiedlichen Höhen des Speichers vorgesehen.
Einbindung von Solarwärme
Bei der Einbindung von Solarwärme lässt sich grundsätzlich die Versorgungs- von der Prozessebene unterscheiden. Viele Industrie- oder Gewerbebetriebe haben ein zentrales Kesselhaus zur Erzeugung und ein Rohrnetz zur Verteilung der Wärme an die Verbrauchsstellen. Je nach Nutztemperatur wird die Wärme über Dampf (140-200 °C), Heißwasser (90-160 °C) oder Warmwasser (<100 °C) verteilt und direkt oder indirekt über einen Wärmeüberträger an die Wärmesenke abgegeben.
Um vor allem bei größeren Betrieben herauszufinden, an welchem Punkt die Einbindung von Solarwärme am sinnvollsten ist, sollten die vorhandenen Wärmesenken gegenübergestellt und verglichen werden. Die drei wichtigsten Kriterien für einen Vergleich sind dabei die Temperatur, das Lastprofil und der Aufwand zur Einbindung der Solarwärme in das bestehende System (Uni Kassel o. J.).
Rationelle Energienutzung
Neben dem Einsatz erneuerbarer Energien zählt auch die rationelle Energienutzung zu den Maßnahmen, um das Energiesystem in Richtung Nachhaltigkeit zu transformieren. Typische Handlungsfelder der rationellen Energienutzung sind die Energieeffizienz und das Energiesparen, die beide eng miteinander verknüpft sind.
Energieeffizienz
Bei der Energieeffizienz geht es darum, Geräte und Maschinen zu nutzen, die bei gleicher Funktionserfüllung einen geringeren Energiebedarf haben. Effizienz ist dabei eine relationale Größe, die sich auf mindestens zwei vergleichbare Arten bezieht, Energie zu nutzen. Dann kann bestimmt werden, welche Art effizienter ist. Unter Energieeffizienz wird somit also die rationelle Verwendung von Energie verstanden. Durch optimierte Prozesse sollen „die quantitativen und qualitativen Verluste, die im Einzelnen bei der Umwandlung, dem Transport und der Speicherung von Energie“ entstehen, minimiert werden, „um einen vorgegebenen (energetischen) Nutzen bei sinkendem Primär- bzw. Endenergieeinsatz zu erreichen. Nützliche Orientierung, um die Energieeffizienz zu überprüfen, können dabei Kennzeichnungen geben. Im Europäischen Wirtschaftsraum gibt die Energieeffizienzkennzeichnung gemäß Verordnung (EU) 2017/1369 Auskunft über die Energieeffizienz von Elektrogeräten und weiteren Energieverbrauchern. Die Kennzeichnung des Energieverbrauchs erfolgt für verschiedene Gerätegruppen in der EU in Form von Etiketten auf den Geräten und in den Werbematerialien für diese. Ab dem Jahr 2021 erfolgt die Kennzeichnung der Energieeffizienz in Form Effizienzklassen. Deren Skala reicht von „A“ bis „G“, wobei Geräte mit der höchsten Effizienz mit der Kennzeichnung “A” ausgezeichnet werden.
Daneben gibt es zahlreiche weitere Kennzeichen, die auch Auskunft über die Energieeffizienz geben können. Bekannt ist der Energy Star, ein US-amerikanisches Umweltzeichen für energiesparende Geräte, Baustoffe, öffentliche/gewerbliche Gebäude oder Wohnbauten. Der Energy Star bescheinigt z. B. elektrischen Geräten, dass sie die Stromsparkriterien der US-Umweltschutzbehörde EPA und des US-Energieministeriums erfüllen (www.energystar.gov). Auch nationale Umweltzeichen wie der Blaue Engel können, je nach ausgezeichnetem Produkt, auf Grund vergleichsweise besonders hoher Energieeffizienz vergeben werden (www.blauer-engel.de).
Neben der Kennzeichnung von Geräten gibt es noch weitere Kennzeichnungen, die sich an diese anlehnen, so zum Beispiel die Pkw-Energieverbrauchskennzeichnung welche die Bewertung und Kennzeichnung der Energieeffizienz neuer Personenkraftwagen hinsichtlich Kraftstoff- und Stromverbrauch regelt (Pkw-EnVKV 2020).
Energiesparen
Eine weitere Art Energie rationell zu nutzen ist das Energiesparen. Die Abgrenzung des Energiesparens zur Energieeffizienz ist allerdings nicht immer eindeutig, denn die Nutzung eines energieeffizienten Gerätes stellt immer auch eine Energieeinsparung gegenüber einem weniger effizienten Gerät dar. Eine typische Maßnahme, um Energie zu sparen, ist der Verzicht auf den „Stand-by-Betrieb“ von Elektrogeräten. Damit wird vermieden, dass Geräte durchgängig „unter Strom“ stehen und das spart gleichzeitig jährlich mehrere Kilowattstunden ein. Allein in Deutschland kostet der Stromverbrauch durch Leerlaufverluste mehrere Milliarden Euro pro Jahr. EU-weit werden die Leerlaufverluste auf jährlich 51 Mrd. Kilowattstunden geschätzt. Dies entspricht einer Energiemenge, die etwa 14 Großkraftwerke mit jeweils 800 Megawatt Leistung pro Jahr erzeugt und dabei etwa 20 Mio. t CO₂ in die Atmosphäre emittieren. Insbesondere elektrische Geräte der Informations- und Kommunikationstechnik, wie sie für die betriebseigene Verwaltung zum Einsatz kommen, aber auch Elektromotoren, Transformatoren, Netzteile und Steckerleisten haben im “Stand-By-Betrieb“ erhebliche Leerlaufverluste die zwischen 8 und bis zu 20% der elektrischen Nennleistung ausmachen können (UBA o. J.).
Wärmerückgewinnung
Im Sinne einer rationellen Energienutzung bildet die Wärmerückgewinnung einen wesentlichen Baustein zur Einsparung bzw. zur Weiter- und Wiederverwendung von Energie.
Abwärme aus Abwasser
Abwasser aus Spülbecken, Duschen oder Badewannen fließt in der Regel mit hohen Temperaturen aus dem Haus. Es führt dabei viel Wärme mit, die sich eigentlich noch nutzen lässt. Möglich ist das mit einem System zur Abwasserwärmerückgewinnung. Es entzieht dem Abwasser Wärme, um diese zum Beispiel mit einer Wärmepumpe für die Heizung nutzbar zu machen.
Heute gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, die Energie aus dem Abwasser nutzbar zu machen. Experten unterscheiden dabei die Abwasserwärmerückgewinnung im Kanal, die Gebäude- und die objektgebundene Wärmerückgewinnung. Wichtig zu wissen ist, dass alle Systeme mit einer stofflichen Trennung arbeiten. Das heißt, dass es in keinem Fall zu einer Übertragung von Schadstoffen oder Gerüchen auf das Trinkwasser kommen kann.
Abwasserwärmerückgewinnung in der Kanalisation
In der Kanalisation fließt Abwasser je nach Jahreszeit mit Temperaturen von 10 bis 20 Grad Celsius bis zum Klärwerk. Ist der Durchfluss groß genug, lässt sich seine Wärme technisch nutzen. Und zwar in neuen und bestehenden Kanalsystemen. Erforderlich sind dazu Wärmeübertrager, die ein Wärmeträgermedium am Abwasser vorbeiströmen lassen. Die Komponenten lassen sich dabei in die Kanalrohre integrieren oder nachträglich in diesen installieren. Das hindurchströmende Wärmeträgermedium (Wasser oder Sole) nimmt Wärme des Abwassers auf, wodurch seine Temperatur ansteigt. Anschließend strömt das Medium zu einer Wärmepumpe, die das Temperaturniveau technisch anhebt und die Energie zum Heizen nutzbar macht. Wie das im Detail funktioniert, erklären wir im Beitrag zur Funktion der Wärmepumpe. Einsetzen lässt sich die Heizwärme dann zum Beispiel in Nah- oder Fernwärmenetzen, die mehrere Gebäude mit Energie versorgen.
Damit sich die Abwasserwärmerückgewinnung lohnt, ist ein entsprechender Mindestdurchfluss im Kanal vonnöten. Experten empfehlen diese Art der Wärmerückgewinnung in Gemeinden beziehungsweise Kanälen mit mindestens 5.000 Haushalten oder Anschlüssen.
Gebäudezentrale Wärmerückgewinnung aus Abwasser
Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert auch die gebäudezentrale Abwasserwärmerückgewinnung. Hier gewinnt eine Wärmepumpe überschüssige Energie aus einem Abwasserspeicher oder einer Sammelgrube. Der Puffer ist dabei nötig, um trotz geringer Abwassermengen kontinuierlich Energie entziehen zu können. Die von der Wärmepumpe gewonnene Heizwärme lässt sich anschließend auf das Heizsystem übertragen und zur Raumheizung sowie zur Warmwasserbereitung nutzen. Eine Kombination mit anderen regenerativen Energiequellen wie der Solaranlage für Warmwasser ist möglich und sinnvoll.
Eine Wärmepumpe kann die Wärme des Abwassers nur dann effizient zum Heizen nutzen, wenn sich das Haus mit niedrigen Vorlauftemperaturen beheizen lässt. Das setzt einen hohen Wärmeschutz und große Heizflächen voraus. Im besten Falle arbeitet die Abwasser-Wärmepumpe mit einer Flächenheizung, wie der Fußbodenheizung.
Hausinterne Wärmerückgewinnung aus dem Abwasser
Hausintern ermöglichen kleine Wärmetauscher die Abwasserwärmerückgewinnung. Sie befinden sich dazu an der Fallleitung oder direkt am Abwasseranschluss von Duschen und werden vom Kaltwasser (Trinkwasser) durchströmt. Beim Duschen fließt das heiße Wasser durch den Wärmetauscher ab. Letzterer nutzt die überschüssige Wärme, um gleichzeitig das frische Trinkwasser aufzuwärmen. Dieses gelangt mit höheren Temperaturen zur Mischbatterie, wodurch der Kessel weniger warmes Brauchwasser zur Verfügung stellen muss. Während die Technik einfach aufgebaut ist und zuverlässig funktioniert, hat sie doch Nachteile. Denn im Abschnitt zwischen dem Wärmeübertrager und der Mischbatterie kann das warme Wasser stagnieren. Das begünstigt die Vermehrung von Legionellen und stellt somit eine Gefahr für die Trinkwasserhygiene dar.
In Deutschland sind diese Geräte zur Abwasserwärmerückgewinnung nicht erlaubt. Denn die Trinkwasserverordnung verbietet es, Kaltwasser auf Temperaturen von mehr als 25 Grad Celsius aufzuheizen.
Ob sich die Abwasserwärmerückgewinnung lohnt, lässt sich nicht pauschal beurteilen. Grundsätzlich ist die Restwärme im Abwasser hoch, wenn viele Anschlüsse vorhanden sind. Letztere gehen mit einem erhöhten Wärmebedarf einher, wodurch das Energieangebot und die Energienachfrage grundsätzlich gut zusammenpassen. Geht es darum, die Abwasserwärme im großen Stil sinnvoll zu nutzen, funktioniert das in der Regel mit einem Nah- oder Fernwärmenetz. Sind die Voraussetzungen günstig, ist die Abwasserwärmerückgewinnung wirtschaftlich.
Laut einer Studie der Universität Stuttgart lassen sich rund 80 TWh Energie aus dem häuslichen Abwasser zurückgewinnen. Das reicht theoretisch aus, um jedes zehnte Gebäude in Deutschland mit Energie zu versorgen. Noch größere Potenziale liegen in gewerblichen Abwässern, die häufig um einiges wärmer und aufwändig zu kühlen sind.
Beispiele zur Abwasserwärmerückgewinnung
Im großen Stil kommen heute immer mehr solche Systeme zum Einsatz. So zum Beispiel im Stuttgarter Neckarpark, in dem Wärme über die Betonrohre aus dem Abwasser gewonnen wird. Hier kommen hohe Abwassermengen und energieeffiziente Neubauten zusammen, weshalb sich die Abwasserwärmerückgewinnung als wirtschaftliche und umweltfreundliche Möglichkeit der Wärmeerzeugung erweist.
In Einfamilienhäusern und kleineren Mehrfamilienhäusern sind heute überwiegend Testanlagen im Einsatz. Sie gewinnen bis zu 80 Prozent der im Abwasser enthaltenen Wärme zurück, um damit einen Teil des Wärmebedarfs von Niedrigenergie- und Passivhäusern zu decken.
Wärmerückgewinnung in der Industrie
Durch die Wärmerückgewinnung in der Industrie lassen sich enorme Energieeinsparpotenziale nutzen. Denn jeden Tag werden große Mengen an Prozesswärme ungenutzt an die Umgebung abgegeben oder kostenintensiv heruntergekühlt. Diese Energie lässt sich jedoch sinnvoll nutzen. Das spart Geld und schont die Umwelt
Bei vielen Prozessabläufen, zur Herstellung von Bauteilen und Produkten, fällt Wärme an. Diese lässt sich nach dem Prozess über Wärmeüberträger unterschiedlichster Art teilweise rückgewinnen und neuen Nutzungszwecken zuführen.
Wer die Quellen der Wärmerückgewinnung in der Industrie kennt, kann anschließend passende Nutzungsmöglichkeiten erörtern. Möglich ist der Einsatz der rückgewonnenen thermischen Energie dabei im eigenen Gebäude:
für Heizzwecke
zur Warmwasserbereitung
für die Vorwärmung von Prozessen
Über Nah- und Fernwärmenetze lässt sich die thermische Energie der Wärmerückgewinnung in der Industrie aber auch außerhalb der Anlage einsetzen. So kann sie unter anderem auch eine Siedlung mit Heizwärme versorgen.
Durch die Komplexität und die Vielzahl der unterschiedlichen Industriebetriebe lässt sich eine Antwort zum Nutzen dieser Systeme nur individuell geben. Die Energieagentur NRW zeigt bei einem virtuellen Rundgang Potenziale und Möglichkeiten der Wärmerückgewinnung in der Industrie auf. Abhängig vom gelieferten Prozessabwärmeangebot ist dabei zu klären, wo die überschüssige Energie zum Einsatz kommen soll. Sei es in der eigenen Firma, für Unternehmen direkt in der Nähe, oder für Fernwärmenutzung.
Die „Ardagh Group“ hat die Wärmerückgewinnung in der Industrie mit dem örtlichen Energieversorger in ihrer Glasproduktion eingeführt. Dabei wurde die Abwärme sowohl thermisch für das Fernwärmenetz als auch für die Erzeugung von Strom genutzt. Diese Potenziale lassen sich in der Regel heben, indem sich Unternehmen und Experten zu sogenannten Energieeffizienznetzwerken zusammenschließen.
Neben der Auskopplung überschüssiger Energie in Wärmenetze ermöglicht auch die intelligente Verknüpfung technischer Verfahren hohe Einsparungen:
Wärmetauscher in Lüftungsanlagen einbauen
Wärmetauscher in Abwasserrohre einbauen
Kühlkreisläufe von Maschinen verwenden
Von Luft- auf Wasserkühlung umbauen (z. B. Kompressoren)
in stark aufgeheizten Räumen Luft absaugen (zB. Serverräume)
Durch die Wärmerückgewinnung in der Industrie ergeben sich Synergieeffekte zum Nutzen der Umwelt. Mit kurzen Amortisationszeiten lassen sich diese schon heute unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten realisieren.
Fazit und Zusammenfassung
Die Wärmerückgewinnung in der Industrie hat ein enormes Potenzial. Im Jahr 2010 wurden ca. 80% des benötigten Jahresenergieverbrauchs für Raumwärme als Prozesswärme benötigt. Eine gute Möglichkeit besteht darin, über effiziente Wärmerückgewinnungssysteme einen erheblichen Anteil dieser Prozessabwärme zu nutzen. Diese kann dem Industriebetrieb selbst oder naheliegenden Gebäuden zugeführt werden. Die Vielschichtigkeit dieser Systeme erfordert das Hinzuziehen eines Experten, welcher mittels einer Energiepotenzial-Analyse Einsparmöglichkeiten aufzeigt und diese in Kooperation mit Partnern einer Umsetzung zuführt.
Stromgewinnung aus industrieller Abwärme
200 Milliarden Kilowattstunden Wärmeenergie pro Jahr – also etwa der gesamte Energieverbrauch des Bundeslands Hessen – werden als ungenutzte Abwärme von der deutschen Industrie in die Umwelt abgegeben. Im Film „Stromerzeugung aus industrieller Abwärme“ des VDI ZRE zeigen zwei Unternehmen, wie sie aus dieser Ressource Strom erzeugen.
Abwärme aus Stahlbearbeitung
Die Bilstein GmbH & Co. KG in Nordrhein-Westfalen bearbeitet Stahlbänder für die Möbel-, Werkzeug- und Automobilindustrie. Damit sich die Stahlbänder später verformen und somit weiterverarbeiten lassen, müssen sie erhitzt und danach wieder abgekühlt werden. Die bei diesem Rekristallisationsprozess freigesetzte Abwärme wird genutzt, um mit Hilfe einer ORC-Anlage Strom zu erzeugen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Verfahren reicht bei der ORC-Anlage die vergleichsweise niedrige Temperatur der Abwärme für die Stromerzeugung aus. Durch die effiziente Abwärmenutzung spart der Betrieb nicht nur Strom, sondern kann die Wärme auch zum Beheizen von Gebäuden verwenden sowie durch die schnellere Abkühlung seine Produktion beschleunigen.
Abwärme aus Zementindustrie
Das Portland-Zementwerk Gebr. Wiesböck & Co. GmbH in Oberbayern produziert Zement für die Bauindustrie. Dafür werden die benötigten Rohstoffe zusammen mit Zusatzstoffen in einem Drehrohrofen zu Zement-Klinkern gebrannt. Die 400 °C heißen, staubhaltigen Abgase aus dem Drehrohrofen werden zum einen genutzt, um die Roh- und Hilfsstoffe für den Brennprozess vorzuwärmen. Zum anderen werden sie in einen Abhitzekessel geleitet, um Wasserdampf zu erzeugen. Der Dampf betreibt anschließend eine Turbine, die über einen Generator Strom erzeugt. Das Kraftwerk kann damit 30 % des benötigten Stroms selbst produzieren. Das entspricht einer Einsparung von 80.000 t CO₂ pro Jahr.
Die beiden Projekte wurden durch das Umweltinnovationsprogramm des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit gefördert.
Mobilität
Im Rahmen der sogenannten Verkehrswende spielt die Dekarbonisierung der Antriebe eine zentrale Rolle, denn die Treibhausgasemissionen der Mobilität sind, mit rund 149 Mio. t CO2-Äq bzw. fast 20% aller CO2-Emissionen allein in Deutschland im Jahr 2021, maßgeblich für den Klimawandel verantwortlich (UBA 2022). Differenziert nach verschiedenen Verkehrsarten zeigt sich, dass der Straßengüterverkehr 2020 rund 46 Mio. t CO2-Äq bzw. 30% der Verkehrsemissionen verursacht (ebd.) hat. Es sind somit zwei Trends wirksam: Zum einen eine Minderung der Emissionen (insbesondere der Schadstoffe), die aber bei LKWs deutlich größer sind (-32%) als bei PKWs (-5%). Zum anderen stieg für beide die Zahl der gefahrenen Kilometer – die PKW-Fahrleistung hat sich seit 1995 verdoppelt, die des Güterverkehrs per LKW ist um 74% gestiegen (ebd.).
Fuhrpark für den motorisierten Individualverkehr
Der motorisierte Individualverkehr (MIV) wird mit PKW´s durchgeführt. Alle Unternehmen besitzen zumindest ein Fahrzeug für den Geschäftsführer, größere Unternehmen stellen Dienstfahrzeuge, große Unternehmen haben ganze Fahrzeugflotten. Laut Statista gab es 2020 mehr als 5 Millionen PKW’s mit einem gewerblichen Fahrzeughalter (ca. 11% des Fahrzeugbestandes, Statista 2022b). Um die Emissionen im Verkehr deutlich zu reduzieren – dies ist unbedingt notwendig, um die international vereinbarten Klimaziele zu erreichen – muss der Fuhrpark auf emissionsarme Fahrzeuge umgestellt werden. Bei der Umstellung des betrieblichen Fuhrparks von Fahrzeugen mit (fossilen) Verbrennungsmotoren auf alternative Antriebskonzepte stehen derzeit Elektrofahrzeuge mit unterschiedlichen Antriebskonzepten, Wasserstofffahrzeuge mit Brennstoffzellen sowie die Nutzung biogener Kraftstoffe in der Diskussion:
Hybrid-Fahrzeuge: Es gibt verschiedene Typen wie Mild-Hybrid, Voll-Hybrid, Plug-in-Hybrid oder Range Extender, die einen mehr oder weniger starken Verbrenner mit einem Elektroantrieb kombinieren. Solange die Reichweite reiner E-Autos noch begrenzt ist, wird es auch diese Fahrzeuge geben.
Elektroauto mit Batterie: Ein vollelektrisches Fahrzeug (BEV) wird ausschließlich von einem batteriebetriebenen Elektromotor angetrieben. Der wird über das Stromnetz aufgeladen, das heißt: er benötigt keinen fossilen Kraftstoff. Dadurch fährt das Fahrzeug zu 100% emissionsfrei. Allerdings ist hier der Strommix von Bedeutung: Der Anteil von Gas und Kohle führt zu Emissionen bei der Stromerzeugung.
Elektroauto mit Brennstoffzelle: Ein Brennstoffzellenauto (FCEV) wird ausschließlich von einem Elektromotor angetrieben. Der Strom wird in einer Wasserstoff-Brennstoffzelle erzeugt. Bei der Nutzung von Wasserstoff in Fahrzeugen ist von entscheidender Bedeutung, dass dieser mit elektrischem Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt wird, ein sogenannter grüner Wasserstoff – denn nur dann ist sein Einsatz in Fahrzeugen CO2-frei und damit klimaneutral. Die Herstellung von grünem Wasserstoff erfolgt mittels Elektrolyse von Wasser.
Biogene Kraftstoffe: Hier wird der Kraftstoff aus Pflanzen erzeugt. Dies können Öl-Pflanzen wie Raps sein, aus denen Biodiesel, oder Zuckerrohr, aus dem Ethanol erzeugt wird. Letzteres ist z.B. in Brasilien eine wichtige Kraftstoffquelle. Die Antriebstechnik ist vergleichbar mit konventionellen Verbrennungsmotoren mit der Ausnahme, dass das bei der Verbrennung entstehende CO2 klimaneutral ist, denn die bei der Verbrennung freigesetzte CO2-Menge entspricht in etwa derjenigen Menge, die die Pflanze während ihres Wachstums mittels Photosynthese der Atmosphäre entzogen hatte.
Wie wird sich die individuelle und die gewerbliche Mobilität der Zukunft gestalten? Vermutlich wird es die Elektromobilität mit Batterien für PKW und kleine Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen sein. Von entscheidender Bedeutung ist, dass der elektrische Strom zur Ladung der Fahrzeugbatterie mit erneuerbaren Energien erzeugt wird. Bei LKW in der Klasse ab 7,5 t ist die Frage noch nicht beantwortet – hier konkurrieren Elektromobilität mit Batterien und Fahrzeuge mit Brennstoffzellen noch miteinander.
Nutzungsverhalten
Neben der Umrüstung der Dienstwagen auf elektrische Antriebe sollte auch der individuelle Umgang mit Mobilität überdacht werden. Es können beispielsweise THG-Emissionen eingespart werden, wenn die Mitarbeitenden zu Fuß oder mit dem Rad zum Arbeitsplatz im Handel kommen, sofern aus gesundheitlichen Gründen oder einer zu großen Distanz zum Arbeitsort nichts dagegen spricht. Zudem kann der Betrieb die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel z.B. durch ein Jobticket attraktiver gestalten. Auch die Förderung von Dienstfahrrädern ist in einigen Städten und Kommunen möglich. Zusätzlich ist die Bildung von Fahrgemeinschaften denkbar, wenn es sich von den Arbeitszeiten und den Wegen anbietet. Strecken, die mit dem Auto gefahren werden müssen, sollten optimiert werden (Routenoptimierung), insbesondere gilt dies für den Transport von Waren. Außerdem hat die Fahrgeschwindigkeit einen erheblichen Einfluss auf die ausgestoßenen THG-Emissionen. Laut Umweltbundesamt verursachten im Jahr 2020 Pkw und leichte Nutzfahrzeuge auf Bundesautobahnen in Deutschland THG-Emissionen in Höhe von rund 30,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten. Durch die Einführung eines generellen Tempolimits von 120 km/h auf Bundesautobahnen würden die Emissionen um jährlich 2,0 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente reduziert und ein Tempolimit von 100 km/h würde sie um 4,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr mindern (UBA 2022b). Auch ohne generelles Tempolimit kann jede*r die Fahrgeschwindigkeit reduzieren, das spart nicht nur THG-Emissionen sondern auch Kosten ein (mobile.de 2020). Denn bei hohen Geschwindigkeiten verbrauchen Fahrzeuge überdurchschnittlich viel Kraftstoff. Nach Angaben des ADAC verbraucht ein Mittelklasseauto um bis zu zwei Drittel mehr Kraftstoff, wenn es statt 100 km/h mit 160 km/h fährt (ebd.).
Biogene Kraftstoffe
Bei biogenen Kraftstoffen handelt es sich um flüssige Energieträger, die aus Pflanzen, Pflanzenresten und -abfällen oder Gülle statt aus Erdöl gewonnen werden. Die Antriebstechnik ist vergleichbar mit konventionellen Verbrennungsmotoren mit der Ausnahme, dass das bei der Verbrennung entstehende CO₂ klimaneutral ist, denn die bei der Verbrennung freigesetzte CO₂-Menge entspricht in etwa derjenigen Menge welche die Pflanze während ihres Wachstums mittels Photosynthese der Atmosphäre entzogen hatte.
Wasserstoff
Bei der Nutzung von Wasserstoff in Fahrzeugen ist von entscheidender Bedeutung, dass dieser mit elektrischem Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt wird, ein sogenannter grüner Wasserstoff- denn nur dann ist sein Einsatz in Fahrzeugen CO₂-frei und damit klimaneutral. Die Herstellung von grünem Wasserstoff erfolgt mittels Elektrolyse von Wasser. Bei dem dazu eingesetzten elektrischen Strom handelt es sich oftmals um Strom aus Offshore-Windkraftanlagen, bei dem der Wasserstoff als Speicher genutzt wird und auf diese Weise eine zeitliche und örtliche Entkopplung zwischen Erzeugung und Verbrauch erreicht wird sowie kostenintensive Übertragungsleitungen überflüssig werden. Die Nutzung von grünem Wasserstoff in Fahrzeugen erfolgt in Brennstoffzellen. Diese kann als umgekehrte Elektrolyse aufgefasst werden, bei der der Wasserstoff wieder mit Sauerstoff zu Wasser reagiert und dabei elektrischer Strom entsteht.
Elektromobilität
Als Elektromobilität wird schließlich die Nutzung von elektrischem Strom zum Antrieb von Fahrzeugen bezeichnet. Dabei wird elektrischer Strom in Batterien geladen, die im Fahrbetrieb ihre Energie wiederum an einen Elektromotor abgeben. Von entscheidender Bedeutung ist, dass der elektrische Strom zur Ladung der Fahrzeugbatterie mit erneuerbaren Energien erzeugt wird. Für die Elektromobilität gibt es zahlreiche Mischformen. Im einzelne lassen sich dabei unterscheiden:
Mild Hybrid: Ein Mild-Hybrid-Fahrzeug (mHEV) wird von einem Verbrennungsmotor angetrieben, der einen Elektromotor mit Energie versorgt. Dieser kann die Energie speichern und in geeigneten Situationen nutzen. Das sorgt für eine Ersparnis von bis zu einem Liter auf 100 Kilometern.
Vollhybrid: Ein Vollhybrid (sHEV) hat einen Verbrennungs- und einen batteriebetriebenen Motor. Bei niedrigen Geschwindigkeiten bis zu 50 km/h und auf kurzen Strecken bis etwa 3 km ist ein reiner Elektroantrieb möglich. Die für den Betrieb des Elektromotors erforderliche Elektrizität wird vom Verbrennungsmotor erzeugt.
Plug-in Hybrid: Im Vergleich zum Vollhybrid kann ein Plug-in-Hybridfahrzeug (PHEV) rein elektrisch schneller und weiter fahren. Der Verbrennungsmotor lädt die Batterie auf, wenn die Leistung nicht ausreicht. Der Akku kann über ein externes Netzteil geladen werden.
Elektrofahrzeuge mit Range Extender: Elektrofahrzeuge mit Range Extender (E-REV) sind batteriebetriebene Fahrzeuge mit zusätzlichem kleinem Verbrennungsmotor und Generator. Diese nennt man Range Extender. Der Verbrennungsmotor springt nur an, um zusätzlichen Strom für die Batterie zu erzeugen. Im Unterschied zum Hybridantrieb treibt er das Fahrzeug aber nicht direkt an.
Elektroauto mit Batterie: Ein vollelektrisches Fahrzeug (BEV) wird ausschließlich von einem batteriebetriebenen Elektromotor angetrieben. Der wird über das Stromnetz aufgeladen, das heißt: er benötigt keinen fossilen Kraftstoff. Dadurch fährt das Fahrzeug zu 100% emissionsfrei.
Elektroauto mit Brennstoffzelle: Ein Brennstoffzellenauto (FCEV) wird ausschließlich von einem Elektromotor angetrieben. Im Gegensatz zum vollelektrischen Fahrzeug wird der Strom nicht mit Batterien, sondern mit Wasserstoffbrennstoffzellen erzeugt. Wasserstoff-Brennstoffzellen erzeugen Strom, indem sie Wasserstoff mit Sauerstoff kombinieren. Auch ein Auto mit Brennstoffzelle ist lokal zu 100% emissionsfrei.
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SDG 8 Menschenwürdige Arbeit
“Dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und
menschenwürdige Arbeit für alle fördern”
In der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie wird zum SDG 8 auf das Leitbild „Soziale Marktwirtschaft“ verwiesen (Bundesregierung 2021: 2214):
„Soziales Ziel ist es, unternehmerische Freiheit und funktionierenden Wettbewerb mit sozialem Ausgleich und sozialer Sicherheit zu verbinden. Mit Hilfe der Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft, wie fairer Wettbewerb, Unternehmerverantwortung, Sozialpartnerschaft, Mitbestimmung und gerechte Verteilung des erwirtschafteten Wohlstands, werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass wir auch in Zukunft noch Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung haben.“
Hinsichtlich des SDG 8 sind zwei Ebenen zu betrachten: Eine nationale Ebene und die globale Ebene.
Auf der nationalen Ebene steht Deutschland laut der „European Working Survey” hinsichtlich der Arbeitsbedingungen sehr gut da – 89 Prozent der Befragten geben an, mit ihrem Job zufrieden zu sein und 91% bestätigen einen fairen Umgang mit ihnen als Arbeitnehmer*innen (Eurofound 2021). Jedoch zeigt der Index “Gute Arbeit” des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB 2022) detailliert, dass es in manchen Branchen, wie dem Gesundheitssektor und bei Beschäftigten in Leiharbeitsverhältnissen noch große Defizite gibt (DGB 2022). Besonders negativ sind hierbei die Kriterien “Arbeitsintensität” und “Einkommen” aufgefallen, die notwendigen Handlungsbedarf in Berufsbildern aufzeigen.
Auch wenn Kinderarbeit und Sklaverei in Deutschland keine Rolle spielen, so ist die Umsetzung der verschiedenen Unterziele des SDG 8 eine dauerhafte Aufgabe im Sinne einer kontinuierlichen Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Noch ein zweites gilt: Aufgrund der komplexen Lieferketten müssen Unternehmen Verantwortung für ihre Produkte auch in den Ländern, wo diese hergestellt werden, übernehmen. An dieser Stelle sollen folgende Unterziele betrachtet werden:
8.5 Bis 2030 produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle Frauen und Männer, einschließlich junger Menschen und Menschen mit Behinderungen, sowie gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit erreichen
8.6 Bis 2020 den Anteil junger Menschen, die ohne Beschäftigung sind und keine Schul- oder Berufsausbildung durchlaufen, erheblich verringern
8.b Bis 2020 eine globale Strategie für Jugendbeschäftigung erarbeiten und auf den Weg bringen und den GLOBALEN BESCHÄFTIGUNGSPAKT DER INTERNATIONALEN ARBEITSORGANISATION umsetzen (ILO o.J.; Destatis 2022)
8.7 Sofortige und wirksame Maßnahmen ergreifen, um Zwangsarbeit abzuschaffen, moderne Sklaverei und Menschenhandel zu beenden und das Verbot und die Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, einschließlich der Einziehung und des Einsatzes von Kindersoldaten, sicherstellen und bis 2025 jede Form von Kinderarbeit ein Ende setzen
8.8 Die Arbeitsrechte schützen und sichere Arbeitsumgebungen für alle Arbeitnehmer, einschließlich der Wanderarbeitnehmer, insbesondere der Wanderarbeitnehmerinnen, und der Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen, fördern.
Die Schnittstellen zur neuen Standardberufsbildposition „Umweltschutz und Nachhaltigkeit“ ergibt sich über die Beachtung der gesellschaftlichen Folgen des beruflichen sowie der zu entwickelnden Beiträge für ein nachhaltiges Handeln (BMBF 2022)
a) Möglichkeiten zur Vermeidung betriebsbedingter Belastungen für Umwelt und Gesellschaft im eigenen Aufgabenbereich erkennen und zu deren Weiterentwicklung beitragen
b) bei Arbeitsprozessen und im Hinblick auf Produkte, Waren oder Dienstleistungen Materialien und Energie unter wirtschaftlichen, umweltverträglichen und sozialen Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit nutzen
e) Vorschläge für nachhaltiges Handeln für den eigenen Arbeitsbereich entwickeln
f) unter Einhaltung betrieblicher Regelungen im Sinne einer ökonomischen, ökologischen und sozial nachhaltigen Entwicklung zusammenarbeiten und adressatengerecht kommunizieren
Menschenwürdige Arbeit in Deutschland
Menschenwürdige Arbeit in Deutschland bedeutet vor allem Arbeit, die sich zumindest an internationalen Standards orientiert. Formuliert sind diese in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Vereinte Nationen 1948; UN-Charta, Artikel 23 und 24). Als “menschenunwürdige Arbeit” werden Kinderarbeit, Sklavenarbeit und teilweise Leiharbeit bezeichnet sowie Merkmale bei den Beschäftigungsverhältnissen, die sich nicht an den o.g. Regelwerken orientieren, wie “fehlende soziale Sicherheit”, “mangelnder Arbeitsschutz”, “Ausnutzung von Scheinselbstständigen” und “Ungleichbehandlung von Frauen”.
Saisonarbeit
Alle bei einem in Deutschland ansässigen Unternehmen befristet angestellte Arbeitnehmer: innen aus anderen Ländern werden als Saisonarbeiter bezeichnet. Laut Definition in den relevanten Vorschriften üben sie eine Tätigkeit aus die “aufgrund eines immer wiederkehrenden saisonbedingten Ereignisses oder einer immer wiederkehrenden Abfolge saisonbedingter Ereignisse an eine Jahreszeit gebunden sind, während der Bedarf an Arbeitskräften den für gewöhnlich durchgeführte Tätigkeiten erforderlichen Bedarf in erheblichem Maße übersteigt” (Zoll 2022). Folgende Bereiche setzen Saisonarbeitskräfte ein:
Tourismus: Gaststätten, Hotels für Kellner: innen, Küchenpersonal, Zimmerservice und in Betrieben, die nicht ganzjährig geöffnet sind, wie Biergärten und Skihütten, oder auch zur Abdeckung von Arbeitsspitzen in Ausflugslokalen.
Schaustellergewerbe auf Volksfesten, Jahrmärkten etc.
In der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau (Erntehilfen in Sonderkulturbetrieben wie Obst-, Gemüse- oder Weinbau).
DGB Index Gute Arbeit
Die Qualität von Arbeitsbedingungen wird seit 2012 aufgrund von 42 standardisierten Fragen in einer bundesweiten repräsentativen Erhebung ermittelt (DGB 2022). Elf Kriterien der Arbeitsqualität werden abgefragt. Im November 2022 wurde der DGB-Index Gute Arbeit 2022 veröffentlicht. Wie schon in den vorangegangenen Jahren gibt es zu den Kriterien „Arbeitsintensität“ und „Einkommen“ erheblich kritische Bewertungen.
Der Index 2022 zeigt z. B. für die Branchen „Metallerzeugung und –bearbeitung“ (64), „Ver- und Entsorgung“ (69), „Baugewerbe“ (66), „Gastgewerbe“ (62), „Information und Kommunikation“ (69), „Finanz- und Versicherungsdienstleistungen“ (68) und „Gesundheitswesen“ (62) auf, dass die Arbeitsbedingungen noch weit entfernt sind vom Anspruch „Gute Arbeit“.
In der ausführlichen Debatte über die Detailergebnisse für 2022 sticht hervor, dass Beschäftigte in Leiharbeitsverhältnissen ihre Situation auffällig schlecht bewerten (ebd.).
„Auf Branchenebene kommen Beschäftigte aus dem Gastgewerbe und dem Gesundheitswesen auf die niedrigsten Indexwerte (jeweils 62 Punkte). In der Informations- und Kommunikationsbranche (IuK) liegt der Wert dagegen bei 69 Punkten. Auch in den Branchen treten auf Ebene der Teilindizes zum Teil sehr große Unterschiede zutage. Beim Teilindex „Ressourcen“ kommen IuK-Beschäftigte auf 75 Indexpunkte, Arbeitnehmer*innen aus der Metallerzeugung und -bearbeitung dagegen lediglich auf 68 Punkte. Die höchsten Belastungen finden sich im Bereich Erziehung und Unterricht (54 Punkte) sowie im Gesundheitswesen (56 Punkte), wo häufig sowohl physische als auch psychische Belastungsfaktoren auftreten. Die größte Diskrepanz auf Branchenebene zeigt sich bei der Bewertung von „Einkommen und Sicherheit“. Hier liegen die Befragten aus dem Gastgewerbe mit 54 Punkten um 16 Punkte unter dem Wert der Beschäftigten aus der öffentlichen Verwaltung (70 Punkte).“ (a.a.O., S. 13)
Darüber hinaus zeigt der Blick in einzelne Branchen und Berufsgruppen, dass noch immer körperliche Belastungen in vielen Bereichen sehr verbreitet sind (ebd.:S. 19).
Einen wesentlichen Einfluss auf die Bewertung der eigenen Arbeitsbedingungen haben die Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten im Arbeitskontext. Im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung ist das Kriterium „Sinn der Arbeit“ eine wesentliche Ressource zur Beurteilung der eigenen Arbeitsbedingungen. Dazu führt der Bericht „Index Gute Arbeit 2022“ aus: „Der Sinngehalt von Arbeit ist eine Ressource, die sich aus unterschiedlichen Quellen speisen kann. Dazu gehört, dass die Produkte bzw. Dienstleistungen, die produziert oder erbracht werden, als nützlich erachtet werden. Häufig ist dies mit der Einschätzung verbunden, ob die Arbeit einen gesellschaftlichen Mehrwert erzeugt. Sinnhaftigkeit kann dadurch entstehen, dass die Arbeit einen Nutzen für Andere hat. Und wichtig für Sinnempfinden ist auch, dass die eigenen, ganz konkreten Arbeitsaufgaben und -merkmale nicht sinnlos erscheinen. Wird Arbeit als sinnvoll empfunden, wirkt sich das positiv auf die Motivation und das Wohlbefinden der Beschäftigten aus. Dauerhaft einer als sinnlos erachteten Arbeit nachzugehen, stellt dagegen eine mögliche psychische Belastung und damit ein gesundheitliches Risiko dar.
BDA - Die ArbeitgeberBDA - Die Arbeitgeber
Die Arbeitgeber argumentieren mit positiven Statistiken, dass die Arbeitsbedingungen in Deutschland sehr gut sind (BDA o.J.). So sind laut der European Working survey 89% der in Deutschland Beschäftigten mit ihrem Job zufrieden, 74% gaben in der Befragung an, dass ihnen ihr Job Spaß macht und 91% bestätigen einen fairen Umgang am Arbeitsplatz (Eurofond 2021, BDA o.J.). Auch hinsichtlich der Arbeitssicherheit ist die Entwicklung positiv: Sowohl die Arbeitsunfälle, als auch die Unfallquote hat sich seit 1991 halbiert (BDA o.J.). Diese befinden sich seit 2004 unter 1 Mio. und bewegen sich seitdem zwischen 954.000 und 760.000 gemeldeten Fällen (Statista 2021).
Außerdem wird auf die Prävention und den Gesundheitsschutz hingewiesen, für den 2016 ca. 5 Mrd. € ausgegeben wurden, was 40% der gesamten Ausgaben von 11,7 Mrd. € ausmacht (BDA o.J.). Die betriebliche Gesundheitsförderung, wie Stressmanagement, gesundheitsgerechte Mitarbeiterführung oder Reduktion der körperlichen Belastung kommt dabei sowohl den Beschäftigten als auch den Arbeitgebern zugute. Zuletzt wird noch auf die Eigenverantwortung hingewiesen, die aus selbstverantwortlichen Entscheidungen und flexibleren Arbeitszeiten resultiert.
Prekäre Beschäftigungsverhältnisse
Menschen arbeiten auch in Deutschland teilweise in prekären Beschäftigungsverhältnissen und die “Bedeutung des sogenannten Normalarbeitsverhältnisses nimmt ab, während atypische Formen von Arbeit an Bedeutung zunehmen” (Jakob 2016). Dazu zählen befristete Arbeitsverträge, geringfügige Beschäftigung, Zeitarbeit, (Ketten-)Werkverträge und verschiedene Formen der (Schein-)Selbstständigkeit oder auch Praktika. Durch die Agenda 2010 wurde das Sicherungsniveau für von Arbeitslosigkeit Betroffene deutlich gesenkt (Arbeitslosengeld I in der Regel nur für ein Jahr, danach Arbeitslosengeld II). Menschen sehen sich eher gezwungen, “jede Arbeit zu fast jedem Preis und zu jeder Bedingung anzunehmen. Das hat dazu geführt, dass die Löhne im unteren Einkommensbereich stark gesunken sind” (Jakob 2016). 2015 wurde mit der Einführung des Mindestlohns dagegen gesteuert.
Das Thema betrifft auch das SDG 10 “Ungleichheit”, denn jeder Mensch hat das Recht auf faire und gute Arbeitsverhältnisse, dies ist vielen Menschen jedoch verwehrt. Prekäre Beschäftigung widerspricht dem Leitbild von ”Guter Arbeit“, verbaut Entwicklungsmöglichkeiten von Beschäftigten und verstärkt nachweislich den Trend zu psychischen Belastungen und Erkrankungen sowie deren Folgewirkungen (Jakob 2016) (siehe auch SDG “Gesundheit”) .
Kinderarbeit
Zur Definition und Umsetzung von menschenwürdigen Arbeitsbedingungen sind global große Unterschiede zu verzeichnen. Ein Beispiel hierfür ist die Kinderarbeit, die weltweit noch immer verbreitet ist. 79 Millionen Kinder arbeiten unter ausbeuterischen Bedingungen, vor allem in Fabriken, die wenig qualifiziertes Personal benötigen oder in der Landwirtschaft sowie im Bergbau (BMZ 2021 und 2022). Nach Angaben der ILO müssen weltweit rund 152 Millionen Kinder zwischen fünf und siebzehn Jahren arbeiten, vor allem in der Landwirtschaft, als Hausangestellte oder in Minen. Viele dieser Tätigkeiten sind gesundheitsgefährdend. Die ILO setzt sich schon lange für die Abschaffung von Kinderarbeit ein, sie ist Partnerorganisation in der „Allianz 8.7“, einer globalen Partnerschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, Zwangsarbeit, moderne Sklaverei, Menschenhandel und Kinderarbeit weltweit zu beseitigen, wie es in den Zielen für nachhaltige Entwicklung 2030 formuliert wurde. (ILO 2021) Unter Mitwirkung der deutschen Bundesregierung wird seit 1992 ein von der ILO betriebenes Internationales Programm zur Abschaffung der Kinderarbeit umgesetzt (International Programme on the Elimination of Child Labour, IPEC<, BMZ 2022)
Arbeitsschutz, Gesundheit und Gute Arbeit
Im Bereich “Gesundheit” und “Gute Arbeit” sind durch die Folgen des Klimawandels wesentliche neue Herausforderungen sowohl für die Arbeitskräfte als auch für die Gesellschaft festzustellen. Bei Bauarbeiten im Freien sind alle Arbeitenden durch Extremwetterereignisse wie hohe Temperaturen und lang anhaltende Hitzewellen, oder auch Starkregenereignisse, mit diesen neuen Herausforderungen direkt konfrontiert.
Gender Pay Gap
Unterschiedliche Entlohnung für vergleichbare Tätigkeiten und Qualifikation für Frauen und Männer lassen sich durch die statistischen Erhebungen des Statistischen Bundesamtes aufzeigen. In einer Pressemitteilung vom März 2022 wird betont, dass Frauen pro Stunde noch immer 18% weniger verdienen als Männer: „Frauen haben im Jahr 2021 in Deutschland pro Stunde durchschnittlich 18 % weniger verdient als Männer. Damit blieb der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern – der unbereinigte Gender Pay Gap– im Vergleich zum Vorjahr unverändert. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis 2022b) anlässlich des Equal Pay Day am 7. März 2022 weiter mitteilt, erhielten Frauen mit durchschnittlich 19,12 Euro einen um 4,08 Euro geringeren Bruttostundenverdienst als Männer (23,20 Euro). Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16.02.2023 müssen Frauen bei gleicher Arbeit auch gleich bezahlt werden, eine individuelle Aushandlung der Lohn- oder Gehaltshöhe ist damit nicht wirksam (Zeit Online 2023).
Deutsches Sorgfaltspflichtengesetz
Um ihrer Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte gerecht zu werden, setzt die Bundesregierung die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen mit dem Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte von 2016 (Nationaler Aktionsplan, Bundesregierung 2017; 2021; 2022) in der Bundesrepublik Deutschland mit einem Gesetz um. Das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten ist besser unter dem Namen Lieferkettengesetz oder auch Sorgfaltspflichtengesetz bekannt (BMAS 2022, o.a. “Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz”). Dort ist die Erwartung an Unternehmen formuliert, mit Bezug auf ihre Größe, Branche und Position in der Lieferkette in angemessener Weise die menschenrechtlichen Risiken in ihren Liefer- und Wertschöpfungsketten zu ermitteln, ihnen zu begegnen, darüber zu berichten und Beschwerdeverfahren zu ermöglichen.
Das Lieferkettengesetz tritt 2023 in Kraft und gilt dann zunächst für Unternehmen mit mehr als 3.000, ab 2024 mit mehr als 1.000 Angestellten. Es verpflichtet die Unternehmen, in ihren Lieferketten menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten. Kleine und mittlere Unternehmen werden nicht direkt belastet. Allerdings können diese dann betroffen sein, wenn sie Teil der Lieferkette großer Unternehmen sind.
Unabhängig ob betroffen oder nicht: Es lohnt sich auch für kleinere Unternehmen, sich mit dem Gesetz adressierten Nachhaltigkeitsthemen auseinanderzusetzen, um das eigene Handeln entlang dieser Leitplanken zu überprüfen. Der Nachhaltigkeitsbezug ist unter anderem durch den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) gegeben, er gab einen wichtigen Impuls für das Gesetz. Der NAP wurde gemeinsam von Politik und Unternehmen verabschiedet, um zu einer sozial gerechteren Globalisierung beizutragen (Bundesregierung 2017). Ergebnisse einer 2020 im Rahmen des Nationalen Aktionsplans durchgeführten repräsentativen Untersuchungen zeigten jedoch, dass lediglich zwischen 13 und 17 Prozent der befragten Unternehmen die Anforderungen des Nationalen Aktionsplans erfüllen (VENRO 2021). Der gesetzgeberische Impuls war also erforderlich, um die Einhaltung der Menschenrechte zu fördern und damit auch zu einem fairen Wettbewerb zwischen konkurrierenden Unternehmen beizutragen.
Das Lieferkettengesetz rückt internationale Menschenrechtsabkommen und lieferkettentypische Risiken in den Blick: Dazu zählen bspw. das Verbot von Kinderarbeit, der Schutz vor Sklaverei und Zwangsarbeit, die Vorenthaltung eines gerechten Lohns, der Schutz vor widerrechtlichem Landentzug oder der Arbeitsschutz und damit zusammenhängende Gesundheitsgefahren. Es werden zudem internationale Umweltabkommen benannt. Sie adressieren die Problembereiche Quecksilber, persistente organische Schadstoffe und die grenzüberschreitende Verbringung gefährlicher Abfälle und ihre Entsorgung. Zu den jetzt gesetzlich geregelten Sorgfaltspflichten der Unternehmen gehören Aufgaben wie die Durchführung einer Risikoanalyse, die Verankerung von Präventionsmaßnahmen und das sofortige Ergreifen von Abhilfemaßnahmen bei festgestellten Rechtsverstößen. Die neuen Pflichten der Unternehmen sind nach den tatsächlichen Einflussmöglichkeiten abgestuft, je nachdem, ob es sich um den eigenen Geschäftsbereich, einen direkten Vertragspartner oder einen mittelbaren Zulieferer handelt. Bei Verstößen kann die zuständige Aufsichtsbehörde Bußgelder verhängen. Unternehmen können von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden.
Quellenverzeichnis
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BGBl Bundesgesetzblatt Jahrgang 2021 Teil I Nr. 46, ausgegeben zu Bonn am 22. Juli 2021, Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten. Online: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl121s2959.pdf
BMAS Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2022): Sorgfaltspflichtengesetz – Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten. Online: https://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze-und-Gesetzesvorhaben/gesetz-unternehmerische-sorgfaltspflichten-lieferketten.html
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BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung (2017): Nachhaltigkeit im Personalmanagement. Online: nachhaltig-forschen.de/fileadmin/user_upload/FactSheets_LeNa_Personal.pdf
BMZ Bundesministerium für Wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) 2021: Das Lieferkettengesetz. Online: https://www.bmz.de/de/entwicklungspolitik/lieferkettengesetz
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SDG 9 Industrie, Innovation und Infrastruktur
“Eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, inklusive und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen”
SDG 9 “Eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, inklusive und nachhaltige Infrastruktur fördern und Innovationen unterstützen”, zielt im Kern darauf ab, für alle Menschen einen gleichberechtigten Zugang zu einer hochwertigen und verlässlichen Infrastruktur zu gewährleisten. Für die Anlagentechnik als eine wesentliche Infrastruktur für die Daseinsvorsorge sind vor allem die folgenden Unterziele von Relevanz (Destatis 2022):
SDG 9.1 “Eine hochwertige, verlässliche, nachhaltige und widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, einschließlich regionaler und grenzüberschreitender Infrastruktur, um die wirtschaftliche Entwicklung und das menschliche Wohlergehen zu unterstützen, und dabei den Schwerpunkt auf einen erschwinglichen und gleichberechtigten Zugang für alle legen”
SDG 9.4 “Bis 2030 die Infrastruktur modernisieren und die Industrien nachrüsten, um sie nachhaltig zu machen, mit effizienteren Ressourceneinsatz und unter vermehrter Nutzung sauberer und umweltverträglicher Technologien und Industrieprozesse, wobei alle Länder Maßnahmen entsprechend ihren jeweiligen Kapazitäten ergreifen”
Diversifizierung der Energieversorgung
Vor allem mit Blick auf häufigere extreme Wetter- und Witterungsereignisse und deren Folgen gibt es kaum einen Energieträger, auf den Auswirkungen durch den Klimawandel nicht denkbar wären. Je nach Energieträger sind die möglichen Klimawandelfolgen dabei verschieden und erfordern unterschiedliche Anpassungsmaßnahmen (UBA Monitoringbericht 2019).
Um die Risiken für die Zuverlässigkeit und Qualität des Energieversorgungssystems insgesamt gering zu halten, sind eine Senkung des absoluten Endenergieverbrauchs und eine risikomindernde räumliche Verteilung von Energieinfrastrukturen wichtige Bausteine.
Auch eine Energieversorgungsstruktur, die viele Energieträger und Kraftwerkstypen nutzt, trägt dazu bei, die Risiken künftiger Klimawandelfolgen auf viele Schultern zu verteilen und dadurch zu mindern. Den Rahmen für den zukünftigen Energieträgermix in Deutschland spannen die energie- und klimaschutzpolitischen Vorgaben auf, die langfristig u. a. auf den Ersatz fossiler und nuklearer Energieträger durch klimafreundliche erneuerbare Energien zielen. Die energie- und klimaschutzpolitischen Weichenstellungen der vergangenen Jahre haben eine hohe Dynamik in der Energiewirtschaft ausgelöst und Bewegung in die Energieträgerstruktur gebracht. Das gilt besonders für die Stromerzeugung, bei der die erneuerbaren Energien sehr stark zunahmen. Rückgänge betrafen bei der Stromerzeugung vor allem Steinkohle und Kernenergie, während Gas und seit 2022 aufgrund der Energiekrise auch die mit hohen CO₂-Emissionen verbundene Braunkohle an Bedeutung gewannen.
Beim Endenergieverbrauch für die Erzeugung von Wärme (Raumwärme, Warmwasser, Prozesswärme) und Kälte (Klimatisierung, Prozesskälte) stieg der Anteil der erneuerbaren Energien ebenfalls an. Der Transformationsprozess läuft jedoch im Vergleich zur Stromerzeugung langsamer ab.
Die energiepolitischen Weichenstellungen der letzten Jahre haben bei einer nach wie vor zunehmenden Stromerzeugung eine stärker auf erneuerbare Energien gestützte Struktur hervorgebracht, die im Sinne einer Risikostreuung auch die Anpassung an den Klimawandel unterstützt. Klimaschutz- und -anpassungsziele lassen sich dabei vor allem durch eine stärkere Nutzung erneuerbarer Energieträger verbinden. Im Ergebnis ist die Energieversorgung, vor allem mit Blick auf die Stromerzeugung, heute auf mehr Schultern verteilt als Anfang der 1990er Jahre.
Flexibilisierung des Stromsystems
Während die konventionelle Stromerzeugung der Nachfrage folgte, muss das Stromsystem nun zunehmend die wetterabhängige Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen integrieren (UBA Monitoringbericht 2019). Die erforderliche Flexibilisierung des Gesamtsystems wird über den Ausbau und die bessere Auslastung der Stromnetze sowie den Wettbewerb von flexiblen Erzeugern, Verbrauchern und Speichern am Strommarkt erreicht. Für einen großräumigen Ausgleich von Erzeugung und Nachfrage wird der Ausbau der Stromnetze vorangetrieben. Dadurch und durch die verstärkte Anbindung an die Netze der europäischen Nachbarn können die kostengünstigsten Erzeugungsorte erschlossen werden. Damit wird auch die Klimaanpassung des Stromversorgungssystems unterstützt, z. B. wenn es zukünftig zu stärkeren zeitlichen und regionalen Ungleichgewichten von Stromangebot und -nachfrage kommt. Treten Engpässe im Netzbetrieb auf, müssen die Netzbetreiber das jeweils effizienteste Mittel zur Behebung ergreifen und können dazu z. B. auf Erzeuger und Speicher (im Rahmen des Redispatch) und flexible Lasten (im Rahmen der Verordnung zu abschaltbaren Lasten) zugreifen. Zur Deckung der Stromnachfrage treten flexible Erzeuger, Lasten und Speicher am Strommarkt in den Wettbewerb.
Speichertechnologien können durch den Strombezug, d. h. den zur Befüllung von Speichern notwendigen Stromverbrauch und die spätere Wiedereinspeisung in das Stromsystem dazu beitragen, eine zunehmende Fluktuation der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien abzufedern. Neben Batteriespeichern können z.B. Power-to-Gas-Anlagen (PtG) zur Flexibilität des Stromsystems beitragen. Der dort erzeugte Wasserstoff kann zu einem geringen Anteil, Methan zu einem hohen Anteil in das bereits vorhandene Erdgasnetz eingespeist und dort gespeichert werden. Die eingespeisten Gase können bei Bedarf auch rückverstromt werden. Im Vergleich zur Stromdirektnutzung ist PtG jedoch aufgrund der Wirkungsgradverluste teurer und erfordert einen erhöhten Zubau von erneuerbaren Energien, der aber durch fehlende Flächen bzw. fehlende Akzeptanz in der Bevölkerung beschränkt ist.
Pumpspeicherkraftwerke sind derzeit die wichtigste Technologie, um in Deutschland Energie im großtechnischen Maßstab zu speichern. Für die Erzeugung von Strom ist in diesen Kraftwerken eine installierte Turbinenleistung von ca. 9 Gigawatt verfügbar; um die Speicher zu befüllen, sind Pumpen mit einer Gesamtleistung von ca. 8 Gigawatt installiert.
Forschungs- und Demonstrationsprojekt C/sells
Das Projekt C/sells (Smart Grids 2017-2020) verfolgt drei Eigenschaften für die zukünftigen Energienetze: Zellularität, Partizipation und Vielfältigkeit. Als zentrale Prinzipien sind sie Leitplanken für verschiedene Maßnahmen, mit denen das die Energiewende voranbringen will.
C/sells ist ein Demonstrationsprojekt im Rahmen des SINTEG-Programmes. Das Förderprogramm „Schaufenster intelligente Energie — Digitale Agenda für die Energiewende“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie will skalierbare Musterlösungen für eine sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung bei hohen Anteilen fluktuierender Stromerzeugung aus Wind- und Sonnenenergie entwickeln und demonstrieren. Die gefundenen Lösungen sollen als Modell für eine breite Umsetzung dienen.
Bei Csells sollen zelluläre, vielfältige und partizipative Energieinfrastrukturen einen geeigneten Ansatz darstellen, um eine nahezu vollständige Marktdurchdringung mit Erneuerbaren Energien (EE) zu beherrschen, regionalisierten Handel zu entwickeln und Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Die „Zelle“ ist die grundlegende Einheit von C/sells. Sie kann geografischer Natur, wie z.B. eine Stadt oder ein Stadtteil sein oder auch ein einzelnes Objekt, wie etwa ein Flughafen oder auch eine einzelne Liegenschaft. Die Zellen können vielfältige Funktionen und Aufgaben übernehmen. Der Ausgleich von Erzeugung und Verbrauch von Energie innerhalb einer Zelle wird ebenso geregelt wie die netzdienliche Bereitstellung von Flexibilität. Somit wird auch regionalisierter Handel ermöglicht.
Das Projekt C/sells möchte ein breites „Movement“ in der Bevölkerung erzeugen. Bisher war die Energieversorgung zentral orientiert und von wenigen Akteuren gesteuert. C/sells möchte die Energiewende unter aktiver Beteiligung aller Bürgerinnen und Bürger realisieren. Dazu werden zum einen Demonstrationsprojekte gestartet; zum anderen gibt es Partizipationszellen, in denen die Bürgerinnen und Bürger zur aktiven Teilnahme motiviert werden.
Das C/sells-Movement besteht aus vielen einzelnen Zellen, die sich sowohl inhaltlich als auch organisatorisch unterscheiden. Diese Vielfalt der Lösungen mit technischer, wirtschaftlicher oder organisatorischer Struktur ermöglicht es, allen Bedürfnissen gerecht zu werden. Es wird nicht die eine umfassende Lösung für alle geben. Vielmehr ist es die Masse der Einzellösungen, die ein großes, funktionierendes Ganzes bildet.
Die Zellularität gehört dabei zu den Voraussetzungen einer smarten Weiterentwicklung der Stromnetze bei zunehmender dezentraler und fluktuierender Einspeisung. Dies gilt auch über das Projekt C/sells hinaus. Folgende Aspekte sind zu berücksichtigen:
Digitalisierung - Subnetze
Das Energieversorgungssystem mit seiner zunehmend veränderten Erzeugungsstruktur muss sich als System auch auf niedrigen Spannungsebenen weiterentwickeln: Das Konzept der Zellularität könnte eine maßgebliche Komponente des zukünftigen Energieversorgungssystems sein — neben der immer noch erforderlichen Transportkomponente im europäischen Maßstab von den entfernten Erzeugungszentren aus erneuerbaren Quellen. Die Idee der Zellsystematik entspringt den neuen Möglichkeiten, die sich aus der zunehmenden Einspeisung und der Digitalisierung auf unterlagerten Netzebenen ergeben; die Verantwortung für eine sichere Energieversorgung würde, ergänzend zu den Übertragungsnetzbetreibern und Verteilnetzbetreibern, auch auf kleinere Organisationseinheiten heruntergebrochen. Zur Wahrung der Versorgungssicherheit und der Gesamtstabilität des Energieversorgungssystems — insbesondere in netzkritischen Situationen — wird eine überregionale Steuerung des Systems durch die Netzbetreiber sowie eine Abstimmung zwischen den Netzbetreibern stets erforderlich sein. Der zelluläre Ansatz ermöglicht die Partizipation der Akteure in der Zelle und die Versorgung der Akteure entsprechend ihrer Präferenzen und möglichen Funktionen der Zellen. Eine Funktion von Zellen ist die Bereitstellung von Flexibilität für die Netzbetreiber, um beispielsweise lokale Netzengpässe zu beheben oder um die Stabilität des Gesamtsystems bei Schwankungen zwischen Erzeugung und Verbrauch zu unterstützen.
Des Weiteren können in und zwischen den Zellen sowie an den bereits existierenden zentralen Märkten Produkte oder Energiedienstleistungen gehandelt werden. Diese Zellfunktionen können durch die Erfassung von Erzeugungs- und Lastdaten sowie Prognosen bzw. Optionen für die Betriebsstrategien unterstützt werden. Ob und in welchem Umfang Zellen diese Funktionen bereitstellen, können sie autonom und gemäß ihrer primären Zielfunktion selbst entscheiden. So kann zum Beispiel nach dem Subsidiaritätsprinzip ein primärer Ausgleich auf Zellebene angestrebt und erst danach der Austausch mit anderen Zellen gesucht werden. Dies wird durch eine möglichst gute Ausnutzung der in der Zelle vorhandenen Infrastrukturen – auch über verschiedene Energieträger hinweg – erreicht.
Flexibilitätsverhalten und Abstimmungskaskade
Flexibilität ist ein zentraler Baustein für das komplexe Zusammenspiel einer Vielzahl verschiedenartiger Technikkomponenten und Akteure. Deshalb sollen Anreize geschaffen werden, die die Nutzung von Flexibilität sowohl auf der Angebots- wie auf der Nachfrageseite attraktiv machen. Auch die damit verbundenen Anstrengungen z.B. auf Netzbetreiberseite sollten entsprechend angereizt werden.
Die auf der Ampellogik basierende sog. Abstimmungskaskade definiert für die beteiligten Rollen die jeweiligen Ampel-abhängigen Prozesse und Aufgaben sowie den intelligenten und digitalen Daten- und Informationsaustausch zwischen den Rollen. Ist die Ampel grün, liegen keine kritischen Netzzustände vor. In der gelben Ampelphase ist der Netzzustand eines Netzsegments gefährdet. In dieser sogenannten Marktpartizipationsphase können Zellakteure den Netzbetreibern Flexibilitäten als Alternative anbieten und so helfen, kritische Situationen zu vermeiden. Schaltet die Ampel auf Rot, ist die Systemstabilität und damit die Versorgungssicherheit unmittelbar gefährdet. In diesem Fall dürfen Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber nach § 13 Abs. 2 des Energiewirtschaftsgesetzes die Erzeugungs- bzw. Verbrauchssituation durch die direkte Regelung von Anlagen steuern. Eine automatisierte, einheitliche Abwicklung von Maßnahmen zur Sicherung der Netzstabilität minimiert die Dauer von roten Phasen. Damit wird eine diskriminierungsfreie, gleichberechtigte und ungehinderte Entfaltung der Akteursvielfalt ermöglicht, wobei die Netzbetreiber dem Markt die Netzinfrastruktur diskriminierungsfrei zur Verfügung stellen und damit die Rolle des Market Facilitators übernehmen.
Grundlage für einen abgestimmten Netzbetrieb sind neben den Echtzeitdaten auch die Stamm- und Planungsdaten sowie die Nichtverfügbarkeiten von Anlagen. Damit die geplante Smart-Meter-Gateway-Infrastruktur ihren Beitrag zur Systemintegration leisten kann, empfehlen wir eine zügige Definition und Umsetzung des Zielmodells für Messsysteme. Durch die einhergehende softwareseitige Weiterentwicklung der Smart Meter Gateway (SMGW) und Backendsysteme hin zur Sternkommunikation im Zielmodell werden sowohl marktliche Anwendungen gefördert, als auch Netzbetreibern verbesserte Zugriffsmöglichkeiten für netzrelevante Betriebsführungsprozesse eingeräumt.
Intelligente Messsysteme und Smart-Building-Anwendungen
Der Rollout intelligenter Messsysteme bedarf politischer Unterstützung. Erst mit dem flächendeckenden Rollout intelligenter Messsysteme (iMSys) wird ein essentieller Meilenstein in Richtung Digitalisierung der Energiewende mit der Vernetzung einer Vielzahl von Lasten, Speicher und Erzeuger sowie Daten aus Netz und Markt erreicht werden können. Der verpflichtende Rollout von iMSys beginnt in Deutschland mit der Zertifizierung der SMGW durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, die zwar in Sichtweite, aber bislang noch nicht erreicht ist. Das SMGW bildet den sicheren Kommunikationsanker im Gebäude. Mit „Security by Design“, zertifikatsbasierter Authentifizierung und End-to-End-Verschlüsselung garantiert das SMGW im Gegensatz zum privaten Router höchste Sicherheit bei der Datenübertragung.
Bei Anwendungen, die nicht netz- oder sicherheitskritisch sind, sollten in der von BMWi und BSI in Ausarbeitung befindlichen Roadmap „Standardisierung zur Sektorübergreifenden Digitalisierung nach dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende“ ausreichend Freiheitsgrade vorgesehen werden, um Geschäftsmodelle mit und ohne Einsatz von SMGW zu ermöglichen.
Dezentrales Energiemanagement (DEMS)
In solchen Systemen werden unterschiedliche Großkraftwerke – z.B. eine Gas-und Dampfturbine, ein Kohlekraftwerk, eine Müllverbrennungsanlage – ferngesteuert, um die maximale Effizienz zu gewährleisten, und mit sogenannten dezentralen Mikrokraftwerken – also PV auf Hausdächern, Mini-Blockheizkraftwerken BHKWs in Kellern usw. – kombiniert.
Das DEMS ist das Herzstück des Systems. Die Technik stimmt den Strombedarf eines Quartiers mit dem Angebot ab. Das System schaut in die Zukunft. Anhand von Wetterprognosen berechnet es einige Stunden im Voraus eine Einsatzplanung. Die Planer können berücksichtigen, dass der Wind an der Nordsee abnimmt und die Windkraftwerke weniger Strom liefern. Gekoppelte Netzwerke von Kleinkraftwerken, Brennstoffzellen lassen sich so rechtzeitig hochfahren, um den Bedarf zu decken. Sogar der Verbrauch lässt sich abschätzen. Ist etwa ein Gewitter im Anzug, das den Himmel verdunkelt, werden tausende Stromkunden das Licht einschalten. Das System kann in solchen Fällen selbständig entscheiden, ob es per Fernsteuerung die Klimaanlagen größerer Firmen kurzzeitig drosselt oder ob das Biomassekraftwerk seine Leistung steigern muss.
Quellenverzeichnis
Destatis Statistisches Bundesamt (2022): Indikatoren der UN-Nachhaltigkeitsziele. Online: http://sdg-indikatoren.de/
Smart Grids-Plattform Baden-Württemberg e.V. (2017-2020). C/sells – das Schaufenster für intelligente Energie. Online:
https://smartgrids-bw.net/projekte/c-sells-das-schaufenster-fuer-intelligente-energie/
UBA Umweltbundesamt (2019): Monitoringbericht 2019 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel. Online:
https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/das_monitoringbericht_2019_barrierefrei.pdf
SDG 12 Nachhaltige/r Konsum und Produktion
“Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen”
Das SDG 12 “Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen”, fordert im Kern zu nachhaltigem Konsum und nachhaltigen Produktionsmustern auf („Ensure sustainable consumption and production patterns“).
SDG 12 zielt auf die notwendige Veränderung unserer Lebensstile und Wirtschaftsweise ab. Konsumieren und Produzieren muss innerhalb der planetaren ökologischen Grenzen stattfinden. Um dies zu erreichen, sind Konsum- und Produktionsaktivitäten weitgehend vom Ressourcenverbrauch sowie von der Emission von Treibhausgasen zu entkoppeln.
SDG 12 bezieht sich sowohl auf den individuellen Konsum als auch auf die Umgestaltung der Wertschöpfungsmuster, die unserer Produktion zugrunde liegen. Kreislaufwirtschaft und nachhaltige Lieferketten sind dabei ebenso angesprochen wie die Vermeidung beziehungsweise die verantwortungsvolle Entsorgung von Abfällen.
Mit Blick auf den Bereich der Anlagentechnik sind folgende Unterziele von SDG 12 von besonderer Relevanz:
SDG 12.2 “Bis 2030 die nachhaltige Bewirtschaftung und effiziente Nutzung der natürlichen Ressourcen erreichen.”
SDG 12.4 „Bis 2020 einen umweltverträglichen Umgang mit Chemikalien und allen Abfällen während ihres gesamten Lebenszyklus in Übereinstimmung mit den vereinbarten internationalen Rahmenregelungen erreichen und ihre Freisetzung in Luft, Wasser und Boden erheblich verringern, um ihre nachteiligen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt auf ein Mindestmaß zu beschränken.“
SDG 12.5 „Bis 2030 das Abfallaufkommen durch Vermeidung, Verminderung, Wiederverwertung und Wiederverwendung deutlich verringern.“
Darüber hinaus sind erwähnenswert:
SDG 12.1 “Die Umsetzung des Zehnjahresprogramms für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster der UNO.”
SDG 12.6 “Unternehmen zu einer nachhaltigen Unternehmensführung ermutigen.”
SDG 12.7 “In der öffentlichen Beschaffung nachhaltige Verfahren fördern.“
SDG 12.8 “Bis 2030 sicherstellen, dass die Menschen überall über einschlägige Informationen und das Bewusstsein für nachhaltige Entwicklung und eine Lebensweise in Harmonie mit der Natur verfügen.”
SDG 12.c “Die ineffiziente Subventionierung fossiler Brennstoffe abschaffen.”
Die Schnittmenge für das SDG 12 ergibt sich aus den Nummern a und b der Standardberufsbildposition (BMBF 2022):
a) Möglichkeiten zur Vermeidung betriebsbedingter Belastungen für Umwelt und Gesellschaft im eigenen Aufgabenbereich erkennen und zu deren Weiterentwicklung beitragen
b) bei Arbeitsprozessen und im Hinblick auf Produkte, Waren oder Dienstleistungen Materialien und Energie unter wirtschaftlichen, umweltverträglichen und sozialen Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit nutzen
SDG 12 zielt im Kern auf die nachhaltige und effiziente Nutzung der Ressourcen ab. Ressourcen sind alle Stoffe der Natur (Mineralien und Metalle, biotische Ressourcen wie Holz oder Baumwolle), aber auch Luft, Wasser und Boden (vgl. ProgRess 2020). Von zentraler Bedeutung für die Anlagenmechanik sind die Ressourcen Wasser, Gas und Fernwärme und zunehmend der Einsatz regenerativer Energiequellen. Die nachhaltige und effiziente Nutzung von Wasser und Energieträgern ist in den Zielen von SDG 6 und SDG 7 abgebildet und wird in den entsprechenden Kapiteln diskutiert.
Im vorliegenden Kapitel liegt der Fokus auf über diese Ressourcen hinausgehende Themen der nachhaltigen Produktion, die für Anlagenmechanik relevant sind; dies sind die nachhaltige Nutzung von Werkstoffen, Geräten, und Anlagenteilen und die Verringerung von Materialrest- und Abfallentstehung sowie nachhaltige Beschaffung (vgl. dazu auch SDG 13).
Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft
Nachhaltiges Konsumieren und Wirtschaften beinhaltet eine verantwortungsbewusste Ressourcennutzung, die Vermeidung von Abfällen, ein effizientes Recycling und schließlich die sichere Ausschleusung von Schadstoffen. So kann ein möglichst geschlossener Kreislauf geschaffen werden.
In diesem Kontext geben Gesetze, Verordnungen und Programme den rechtlichen Rahmen vor:
- das im Jahr 2019 unter Federführung des BMU geänderte Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG)
- das im Jahr 2015 novellierte Elektro- und Elektronikgerätegesetz (ElektroG).
- das Abfallvermeidungsprogramm (Fortschreibung AbVP) des Bundes und der Länder für den bewussteren Umgang mit Produkten, die Abfall werden können, Dialogprozess zu unterschiedlichen Konzepten der Abfallvermeidung
das Deutsche Ressourceneffizienzprogramm, das im Jahr 2012 erstmals von der Bundesregierung beschlossen wurde. Das Programm fördert Innovation im Bereich Ressourceneffizienz, der globalen Verantwortung für die Nutzung von knappen Ressourcen und eine konsequente Kreislaufwirtschaft und wird alle vier Jahre unter Berücksichtigung aktueller umweltpolitischer Herausforderungen unter Federführung des BMU fortgeschrieben (ProgRess III).
Ressourcen und Ressourceneffizienz
Das deutsche Ressourceneffizienzprogramm ProgRess II mit einer Laufzeit von 2016 bis 2020 zielte darauf ab, eine nachhaltige Rohstoffversorgung zu sichern, die Ressourceneffizienz in der Produktion zu steigern, den Konsum ressourcenschonender zu gestalten und die Kreislaufwirtschaft auszubauen. Im Folgeprogramm ProgRess III mit einer Laufzeit bis 2023, das am 17. Juni 2020 vom Bundeskabinett verabschiedet wurde, werden die Wechselwirkungen von Ressourceneffizienz, Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft vertieft betrachtet.
Ressourceneffizienz ist sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik ein häufig gebrauchter Begriff. Die Interpretationen der jeweils gemeinten Ressourcen unterscheiden sich allerdings deutlich.
„Aus Sicht eines Unternehmens können als Ressourcen Betriebsstoffe, Werkstoffe, Kapital, Personal, Know-how und Zeit angesehen werden. Die deutsche und europäische Umweltpolitik interpretiert den Begriff Ressource als „Ressource, die Bestandteil der Natur ist. Hierzu zählen erneuerbare und nicht erneuerbare Primärrohstoffe, physischer Raum (Fläche), Umweltmedien (Wasser, Boden, Luft), strömende Ressourcen (z. B. Erdwärme, Wind-, Gezeiten- und Sonnenenergie) sowie die Biodiversität. Es ist hierbei unwesentlich, ob die Ressourcen als Quellen für die Herstellung von Produkten oder als Senken zur Aufnahme von Emissionen (Wasser, Boden, Luft) dienen.“
In der Richtlinie VDI 4800-1:2016-0219 wird Ressourceneffizienz als das „Verhältnis eines bestimmten Nutzens oder Ergebnisses zum dafür nötigen Einsatz an natürlichen Ressourcen“ definiert. Natürliche Ressourcen sind laut VDI Richtlinie 4800 Blatt 1 Energieressourcen, Rohstoffe (erneuerbare und nicht erneuerbare Primärrohstoffe), Wasser, Luft, Fläche/Boden, Ökosystemleistungen.
Beispiel Aluminium - ein problematischer Rohstoff
Der Einsatz von Aluminium ist mit vielfältigen Auswirkungen auf Umwelt und Klima verbunden, wie der Online-Beitrag des Verbraucherservice Bayern (2021): ‘Aluminium – ein problematischer Rohstoff’ aufzeigt.
Der weltweite Rohstoffhunger nach Aluminium steigt kontinuierlich an. Neben der Verwendung in der Automobilindustrie, Baustoffen und Elektronikgeräten kommt das Leichtmetall auch in Verpackungen zum Einsatz. Der Abbau und die Produktion verursachen jedoch enorme Umweltschäden. Aluminiumrecycling hingegen gilt als saubere Alternative. Doch auch die Wiederverwertung ist problematisch.
Ökologische Folgen
Zerstörung von Ur- und Regenwäldern
Aluminium ist zwar nach Sauerstoff und Silicium das dritthäufigste Element der Erdkruste, kommt aber nie in Reinform vor. Die höchste Konzentration an Aluminiumverbindungen findet sich im Bauxit, einem oberflächennah lagernden Erz. Allerdings ist der Abbau der Aluminiumerze durch den Tagebau sehr flächenintensiv und zerstört Natur und Boden. Ein Großteil der weltweiten Bauxitvorkommen lagert unter Ur- und Regenwäldern, die der Förderung des aluminiumhaltigen Gesteins zum Opfer fallen. Auch nach Wiederaufforstung erreicht die Fläche keinesfalls die zuvor herrschende ökologische Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt (Umweltbundesamt 2022).
Hochgiftige Nebenprodukte: Rotschlamm
Neben der Zerstörung der Landschaft durch mechanische Abtragung entstehen weitere Schäden durch die Verarbeitung der Aluminiumverbindungen. Das Herauslösen des Aluminiumoxids aus dem Gestein erfordert ätzende Natronlauge. Zurück bleibt Rotschlamm – eine mit Schwermetallen versetzte Lauge, die in Deponien gelagert oder schlimmstenfalls in die örtlichen Flüsse eingeleitet wird. Gerade in Ländern der dritten Welt fehlen Umweltstandards, die die Bevölkerung und die Natur vor den Folgen schützen (Verbraucherservice Bayern 2021).
Energie
Die Weiterverarbeitung des gelösten Aluminiums erfolgt unter enormem Energieaufwand. Durch Schmelzelektrolyse gewonnenes Primäraluminium erfordert pro Tonne durchschnittlich 15 Megawattstunden Strom. Das entspricht in etwa dem Stromverbrauch eines Zwei-Personen-Haushalts von fünf Jahren (Tagesschau). Die Verarbeitung von Glas benötigt 25-Mal weniger Strom.
Aluminiumrecycling – Lösung oder Sackgasse?
Das Recycling des Leichtmetalls benötigt im Vergleich zur Primäraluminium- Herstellung lediglich fünf Prozent der Energie. Außerdem entfällt der aufwändige und problematische Abbau des Bauxits. Die Recyclingquote ist bei Aluminium im Vergleich zu anderen recyclebaren Stoffen hoch. So werden bei Verpackungen 87,9 Prozent Aluminium der Wiederverwertung zugeführt (UBA). Doch ist das Recycling mit verschiedenen Schwierigkeiten verbunden.
Verbundstoffe lassen sich nicht oder nur mit hohem Aufwand recyceln. Getränkekartons beispielsweise bestehen häufig aus schwer trennbaren Schichten aus Polyethylen, Aluminium und Papier. In Deutschland gibt es nur wenige Recyclinganlagen, die diese Laminate verwerten können. Auch kommt von den drei Komponenten nur das Papier in die Wiederverwertung. Der Aluminium- und Plastikanteil geht der thermischen Verwertung zu und wird also verbrannt. Von einer echten Kreislaufwirtschaft kann hier keine Rede sein.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) wirft dem Fachverband für Getränkekartonverpackung eine schöngerechnete Recyclingquote von 75,7 Prozent (2018) vor. Laut DUH beträgt die “tatsächliche Recyclingquote” lediglich 29,9 Prozent. Eine große Menge der verbrauchten Getränkekartons sammeln Verbraucher*innen nicht korrekt über den Gelben Sack, die gelbe Tonne oder die Wertstoffhöfe, sondern entsorgen diese über den Restmüll oder das Altpapier.
Aluminium-Legierungen
Reines Aluminium existiert nicht auf dem Markt. Der Zusatz unterschiedlicher anderer Metalle und Halbmetalle wie Chrom, Kupfer, Eisen, Zink u.a. erzeugt Produkteigenschaften, die mit reinem Aluminium nicht möglich sind. Beispielsweise verleihen Metallgemische aus Aluminium und Mangan dem Material Hitzebeständigkeit, Silizium dagegen erhöht die Korrosionsbeständigkeit. Diese Legierungen, gefertigt für verschiedene Einsatzgebiete, landen allerdings alle auf dem gleichen Schrotthaufen. Eine sortenreine Sammlung der Gemische ist sehr aufwendig. Werden unterschiedliche Aluminiumlegierungen bei der Wiederverwertung miteinander verschmolzen, bedeutet das einen Qualitätsverlust – ein Downcycling. Dann bleibt nur die Beimischung von reinem Primäraluminium oder die Nutzung in wenig anspruchsvollen Anwendungsbereichen.
Fazit
Die sogenannte Abfallhierarchie Deutschlands wurde 2012 im KrWG festgehalten. Hier kommt der Vermeidung von Abfällen die größte Bedeutung zu, vor der Wieder- und Weiterverwendung, dem Recycling, der Verwertung und Beseitigung. Die Abfallhierarchie wird zur Veranschaulichung gerne als umgedrehte Pyramide dargestellt. Erst wenn sich Materialien nicht wiederverwenden lassen, erfolgt das Recycling.
Es ist also in jedem Fall besser, wenn Müll gar nicht erst entsteht, bevor die Themen Recycling und Entsorgung auf den Tisch kommen. Das gilt auch für Aluminium. Die ökologischen Folgen des Abbaus und der enorme Energieverbrauch bei der Herstellung
des Leichtmetalls sollte den Verbraucher*innen bewusst sein, wenn sie Pausenbrot oder Döner großzügig in Alufolie wickeln und das Erfrischungsgetränk gerne aus der Dose genießen (Verbraucherservice Bayern 2021).
Ressourceneffizienz durch Werkstoffsubstitution
Eine wichtige Säule im Bereich des nachhaltigen Einsatzes von Rohstoffen bildet die Werkstoffsubstitution, also der Ersatz von Rohstoffen durch neu zu entwickelnde Werkstoffe und Materialien. Das nachfolgende Kapitel bezieht sich auf die Kurzanalyse Nr. 4 des VDI Zentrum Ressourceneffizienz: ‘Ressourceneffizienz durch Werkstoffsubstitution’(VDI ZRE 2013).
Ziele und Motivation
Eine ausreichende Rohstoffversorgung, die Herstellung von Werkstoffen und effiziente Werkstoffe spielen im globalen Wettbewerb eine zentrale Rolle. Allein die Nachfrage nach Rohstoffen nimmt stetig zu, auch aufgrund der fortschreitenden Industrialisierung der Schwellenländer. In den letzten 30 Jahren hat sich der Rohstoffverbrauch weltweit verdoppelt, was teilweise zu massiven lokalen und globalen Umweltbelastungen geführt hat. Schon heute verbraucht die Welt anderthalbmal mehr Ressourcen als sich erneuern.
Eine zuverlässige Versorgung mit Rohstoffen wie strategischen Metallen, Edelmetallen und Seltenen Erden ist für das Exportland Deutschland von höchster Wichtigkeit. Als rohstoffarmes Land ist die Industrie in Deutschland auf den Import fast aller für Hochtechnologien wichtigen Ausgangsstoffe angewiesen. Um die Abhängigkeiten und die sich abzeichnenden Versorgungsengpässe von Rohstoffen zu verringern und den steigenden Rohstoffkosten zu begegnen, ist es notwendig, vorhandene Wertstoffe sowohl zu recyceln als auch durch neu zu entwickelnde Werkstoffe zu ersetzen.
Zudem ist es wichtig, Rohstoffe so ressourceneffizient wie möglich einzusetzen. In diesem Sinne muss auch die Verwendung von Werkstoffen in Produkten entlang der gesamten Wertschöpfungskette ressourcenschonend und effizient erfolgen. Eine vielversprechende Strategie dafür stellt die Werkstoffsubstitution dar, mit der verschiedene Ziele verfolgt werden:
- Unabhängigkeit von kritischen Rohstoffen,
- Vermeidung des Einsatzes toxischer/umweltschädigender Substanzen,
- Effizienzsteigerungen durch neue Werkstoffe,
- Anpassung an die Änderung von Kundenanforderungen (B2B, B2C).
Formen der Substitution
Generell wird zwischen den drei folgenden Formen der Werkstoffsubstitution unterschieden:
Funktionale Substitution - Organischen Materialien und Polymere
Die funktionale Substitution basiert auf Verfahren und Konzepten zur Substitution eines Produkts durch ein anderes Produkt oder eine innovative Produkt-Dienstleistung bei gleicher Funktion, aber geringerem Bedarf an strategischen Rohstoffen. Ein Beispiel dafür stellt die Organische Elektronik dar. Sie umfasst Lichtquellen, photovoltaische Zellen, Batterien und den Bereich der gedruckten Elektronik. Hierbei werden elektronische Komponenten aus organischen Materialien und Polymeren aufgebaut und ersetzen die klassischen anorganischen Elektronikmaterialien. Insbesondere die Umwandlung von Licht in elektrische Energie (Photovoltaik) sowie die Umwandlung von elektrischer Energie in Licht durch Leuchtdioden ergeben herausragende Anwendungsschwerpunkte, die grundlegende ökonomische und ökologische Vorteile in Aussicht stellen. Aber auch hinsichtlich weiterer Anwendungspotenziale im Bereich der Energiewandler oder als Designelemente, zum Beispiel als großflächige, flexible Beleuchtungen und Displays, erweist sich diese Form der Substitution als interessant.
Material- und Werkstoffsubstitution - Nanomaterialien und Hybridwerkstoffe
Bei der Werkstoffsubstitution handelt es sich um ein allgegenwärtiges Thema. Neue Anwendungsbereiche, innovative Produkte und höhere Anforderungen an Lebensdauer,
Energieeffizienz, Umweltfreundlichkeit, Wiederverwertbarkeit oder eine preiswertere Herstellung von Bauteilen oder Werkstoffen erfordern den Ersatz von bisher verfügbaren, beziehungsweise eingesetzten konventionellen Materialien durch neue und verbesserte Werkstoffe. Da Materialien einer permanenten Weiterentwicklung unterliegen, entstehen Materialeigenschaften, die für die jeweiligen Anwendungen „maßgeschneidert“ werden können. Die stetige Weiterentwicklung von Metallen, Keramik, Glas, Kunststoffen, Textilien oder Verbundwerkstoffen bildet die Basis für vielfältige Werkstoffsubstitutionen – etwa in der Automobilindustrie, der Luftfahrt, dem Maschinenbau, der Energietechnik, aber auch der Medizintechnik oder im textilen Sektor. Dabei rücken innovative Werkstoffe, insbesondere Nanomaterialien und Hybridwerkstoffe, ins Blickfeld.
Die wachsende Informationsmenge und die komplexe Vielfalt von Materialien, Fertigungsverfahren und Kompositionsmöglichkeiten erfordern den verstärkten Einsatz von Software-und Informationstechnologien, um optimale Zusammenstellungen zu erzielen und Möglichkeiten für Substitutionen zu erschließen. Wichtige Aspekte hierbei sind unter anderem:
- die Darstellung des Eigenschaftsspektrums von Werkstoffgruppen,
- der Vergleich von Werkstoffeigenschaften und kosten,
- der Vergleich der Potenziale der Werkstoffgruppen,
- die Auswahl der Werkstoffgruppen und konkreter Werkstoffe
- Direktvergleich konkreter Werkstoffe.
Es wird geschätzt, dass heute etwa 40.000 metallische und ebenso viele nichtmetallische Werkstoffvarianten existieren und für technische Konstruktionen genutzt werden können. Aufgrund der unterschiedlichen massebezogenen Werkstoffkennwerte ergibt sich ein weites Feld von Möglichkeiten der Substitution spezifisch schwererer durch spezifisch leichtere Werkstoffe. Mit der steigenden Zahl von Werkstoffen und Werkstoffvarianten wird es zugleich immer schwieriger, die Übersicht über das gesamte Spektrum an Konstruktionswerkstoffen und deren Kennwerte zu behalten. Im normalen Konstruktionsprozess werden in vielen Fällen Werkstofflösungen innerhalb einer Werkstoffgruppe oder innerhalb einer Werkstofffamilie gesucht. Bei der Entwicklung von Leichtbaustrukturen werden häufig explizit werkstoffübergreifende Ansätze gefordert und der Wettbewerb unterschiedlicher Werkstoffgruppen um das beste materialtechnische Lösungskonzept verstärkt.
Werkstoffleichtbau
Die im Werkstoffleichtbau verwendeten Konzepte lassen sich hinsichtlich ihres Lösungsansatzes in Maßnahmen zur Werkstoffoptimierung und solche zur Werkstoffsubstitution unterscheiden.
Werkstoffoptimierung und -substitution
Im klassischen Konstruktionsprozess setzt der Konstrukteur zur Minimierung des Produktrisikos in der Regel auf Werkstoffe, deren Eigenschaften bekannt sind und die sich in dem jeweiligen Anwendungsfall bereits bewährt haben.
Impulse für Werkstoffoptimierungen erwachsen häufig aus den Anforderungslisten der Konstruktionsabteilungen und auf Basis der Lastenhefte des Kunden, zum Beispiel der Entwicklungsvorgaben der Automobilhersteller. Hierbei werden einzelne Werkstoffparameter über die Werkstoffzusammensetzung oder die Beeinflussung der Struktur oder Oberfläche so angepasst, dass sie die Anforderungen des Konstrukteurs besser erfüllen als der bisher verwendete Werkstoff. Da die übrigen Eigenschaften des Werkstoffs weitgehend erhalten bleiben, ist eine erneute Erprobung nur hinsichtlich der veränderten Eigenschaften notwendig. Die eigentliche Werkstoffoptimierung findet dabei häufig in den Entwicklungslabors der Werkstoffhersteller statt, so dass das Entwicklungsrisiko des Konstrukteurs und seines Auftraggebers verhältnismäßig gering ausfällt.
Demgegenüber steht ein wesentlich höheres Entwicklungsrisiko bei der vollständigen Substitution bewährter Konstruktionswerkstoffe durch andere und zum Teil neue Werkstoffe, die einen erheblich größeren Entwicklungsaufwand erfordern und eine umfassende Erprobung vor der Freigabe für den Serieneinsatz durchlaufen müssen. Hilfe bei der Auswahl der in Frage kommenden Substitutionswerkstoffe bieten Material-Property-Charts, Werkstoffdatenbanken und Informationen der Werkstoffhersteller.
Oberflächenmodifizierung, Beschichtungen
Zum Werterhalt von Gütern und zum Ressourcen- und Klimaschutz im industriellen und privaten Bereich können intelligente Materiallösungen beitragen. Mittel zum Zweck sind zum einen eine gezielte Werkstoffauswahl und -bearbeitung, zum anderen eine Funktionalisierung von Produktoberflächen durch Beschichtungstechnologien.
Beschichtungen umfassen inzwischen sehr verschiedene Funktionen, wie den Schutz vor Verschmutzungen, Verschleiß und Korrosion. Sie gewährleisten eine erhöhte Abrieb- und Kratzfestigkeit sowie die gezielte Veränderung der Gleitfähigkeit. Dadurch stellen sie ein Mittel zur Erfüllung von Kundeninteressen dar und verbessern die Wertschöpfungsmöglichkeiten.
Diese Optimierung für den Einsatzzweck kann durch eine Modifikation der Werkstoffoberfläche selbst erfolgen oder durch die Aufbringung einer neuen Schicht. Bei der Modifikation ohne separaten Schichtauftrag, etwa mittels Nitrieren, Randschichthärten, Ionenimplantation oder Nanomaterialien, werden nicht nur das Reibungs- und Verschleißverhalten des Werkstoffs verbessert, sondern auch seine Oxidations- und Korrosionsbeständigkeit. Grundwerkstoffe erhalten durch neu aufgebrachte Oberflächenschichten, wie durch Physical Vapour Deposition/Chemical Vapour Deposition (PVD/CVD-Beschichtung), neuartige und auf ein bestimmtes Anforderungsprofil optimierte physikalische und chemische Eigenschaften.
Anwendungspotanzial von Werkstoffsubstitutionen - Praxisbeispiele
Das Anwendungsspektrum von Werkstoffsubstitutionen mittels innovativer Material- und Oberflächentechnologien, insbesondere auf Basis der Nanotechnologie, fällt sehr breit aus und reicht vom Maschinen- und Anlagenbau über die Automobilindustrie, Kunststoffverarbeitung, Stahlindustrie und Medizintechnik bis hin zur Optik. Der Nutzen der Werkstoffsubstitutionen wird im Folgenden anhand von Anwendungs- und Produktbeispielen im Bereich des Maschinen- und Anlagenbaus, in der Automobiltechnik und im Bauwesen dargestellt.
Nanokomposit, Werkzeuge, gehärteter Stahl
mit Nanokompositbeschichtung eine bis zu fünfmalige Wiederbeschichtung möglich.Bei Werkzeugen haben Hartstoffschichten zum Zwecke des Verschleißschutzes in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Durch die funktionelle Ausgestaltung der Oberflächenschicht können wesentliche Eigenschaften des Bauteils durch die Hartstoffschicht anstelle des Grundwerkstoffs bestimmt werden. Das beinhaltet neben der hohen Härte bei ausreichender Zähigkeit einen großen Verschleißwiderstand sowie thermische und chemische Beständigkeit. Die gute Haftung auf dem Substratwerkstoff ist dafür unabdingbar.
Diese multifunktionalen Eigenschaften werden mit einem nanoskaligen Schichtaufbau umgesetzt. Etabliert sind Hartstoffschichten aus Diamant und Verbindungen von Übergangsmetallen wie Chrom, Wolfram oder Titan mit Stickstoff (zum Beispiel Titannitride), Kohlenstoff (zum Beispiel Wolframcarbide) oder Sauerstoff (zum Beispiel Zirkoniumoxide).
Neuere Entwicklungen betreffen Sulfide (zum Beispiel Molybdänsulfide) und Selenide (zum Beispiel Wolframselenide) und amorphe Kohlenstoffverbindungen. Beim Bohren oder Fräsen von harten Werkstoffen, wie gehärtetem Stahl für den Automobilbau wie auch bei der Trockenzerspanung, werden aus Kosten- und Umweltschutzgründen keine Kühlmittel verwendet. Hier ersetzt kubisches Bornitrid Diamantschichten, da es mit seiner guten thermischen Leitfähigkeit die entstehende Prozesswärme effizient ableitet und zudem oxidationsbeständig und thermisch sehr stabil ist.
Die goldfarbene Werkzeugbeschichtung aus Titannitrid mit erhöhter Standzeit hat sich – aus dem industriellen Umfeld stammend – längst bei privaten Endkunden durchgesetzt. Neu sind superharte, nur wenige Mikrometer dicke Beschichtungen auf der Basis von Nanokompositen, die nanokristalline Titannitrid- oder Titanaluminiumnitrid Kristalle in eine amorphe Siliziumnitrid-Hartstoffmatrix einbetten. Eine solche Zweiphasenstruktur entsteht durch gleichzeitiges Abscheiden der Ausgangskomponenten in einem kombinierten PVD- und CVD-Prozess. Diese Nanokompositstruktur weist eine höhere Härte und auch geringere Temperaturleitfähigkeit auf als die kristalline Struktur der Einzelphasen, welche das Werkzeugsubstrat gegen die entstehende Prozesswärme isoliert. Nanokompositstrukturen zeigen keine Baufehler wie Versetzungen, Mikrorisse oder Korngrenzen, so dass ihre Oxidationsbeständigkeit höher liegt als die von Diamant. Zudem ist bei einem Werkzeug
Forschungsprojekt Stahlschnecke - Substitution von Bronze durch Stahl
Im Forschungsprojekt „StahlSchnecke“ wird ein neues Konzept für Schneckenradgetriebe entwickelt, bei dem die bisher als reiner Verschleißwerkstoff eingesetzte Bronze durch einen konventionellen Stahlwerkstoff substituiert wird. Mit der Substitution sollen insbesondere die wertvollen und strategischen Basismetalle Kupfer und Zinn eingespart und durch Stahl ersetzt werden. Ziel ist eine drastische Senkung der Produktionskosten bei gleichzeitiger Erhöhung der mechanischen Stabilität der Bauteile sowie der Arbeitseffizienz der Schneckengetriebe.
Forschungsprojekt nanoRec - Wolframfreie Hartverbundschichten für Schaufelradbagger
Wie “harte Werkstoffe und Verschleißschutzschichten mit erhöhter Lebensdauer auf der Basis neuartiger und recycelter Nanomaterialien” entstehen, untersucht das aktuelle Forschungsprojekt “nanoRec”.
Im Rahmen dieses Projektes sollen insbesondere der Verbrauch kritischer Stoffe wie Wolfram, Kobalt und natürlichem Diamant reduziert sowie Einspar- und Substitutionsmöglichkeiten durch Ersatzmaterialien aufgezeigt werden. Dabei soll die Verschleißbeständigkeit der Bauteile und Bauteilbeschichtungen beibehalten bzw. weiter verbessert werden. Im Fokus stehen neue Verbundwerkstoffe mit eingelagerten mikroskaligen Hartstoffpartikeln. Diese Partikel weisen polykristalline Strukturen auf, die wiederum aus nanoskaligen Kristalliten bestehen. Die neuen verschleißreduzierten Werkstoffe sollen die Lebensdauern stark abrasiv beanspruchter Werkzeuge erheblich verlängern.
Bei Baggern und Grabgeräten im Bergbau, bei Erdarbeiten oder generell bei der Aushebung mineralischen Materials tritt an den Grabwerkzeugen über die Nutzungszeit ein hoher Materialverschleiß auf. Hier haben sich Hartverbundschichten aus metallischen Matrixmaterialien – überwiegend auf NickelBasis – mit eingelagerten Wolframkarbidpartikeln bewährt. Diese Kompositwerkstoffe zeichnen sich durch geringen Verschleiß, große Bruchzähigkeit und eine lange Lebensdauer aus.
Wolfram zählt jedoch zu den sogenannten kritischen Rohstoffen, die entweder selten vorkommen oder deren Versorgungssicherheit langfristig mit Unsicherheiten versehen ist. Ziel des Projektes „SubsTungs“ ist die Substitution von Wolfram in Verschleißschutzschichten durch kostengünstige und ausreichend verfügbare Hartstoffe wie etwa Siliziumkarbid oder oxidische Materialien. Zusätzlich sollen die bisher verwendeten Nickel-Matrices durch solche auf Eisen-Basis ersetzt werden. Die Entwicklungsarbeit erfordert umfangreiche Analysen und Tests der Materialbindungen und geeignete Fertigungsverfahren sowie die Übertragung der Laborergebnisse auf reale Praxisbedingungen.
Beim Umformen hochfester Bleche treten große Drücke und Flächenbelastungen auf. Die eingesetzten Werkzeuge müssen deshalb sehr stabil sein. Die Automobilindustrie setzt zur Teilefertigung Tiefziehwerkzeuge ein, die aus Hochleistungs-Warmarbeitsstahl bestehen. Dennoch weist dieser Werkstoff einen erheblichen Verschleiß auf, der unter anderem zu hohen Umrüstkosten führt. Die Verschleißfestigkeit von Umformwerkzeugen lässt sich durch Material und Oberflächentechnologien jedoch erheblich verbessern. So führt eine Kombination aus Plasmanitrieren und PVD Beschichtungen aus Chrom(III)nitrid zu einer optimierten Festigkeit, die die Standzeit der Werkzeuge um das Achtfache erhöht. Auch im Bereich der kunststoff- und elastomer verarbeitenden Industrie haben sich die PVD-Hartstoffschichten als Verschleißschutz und zur maximalen Optimierung der Standzeiten von Verarbeitungswerkzeugen bewährt.
Nanoinspirierte Sonnenschutzverglasung
In Industrieländern entfallen etwa 40 Prozent des gesamten Energiebedarfs auf Wohn- und Gewerbegebäude. Der größte Teil davon wird für Heizung, Klimatisierung und Beleuchtung sowie deren Anpassung an die sich im Tages- und Jahresverlauf ändernden Umgebungsbedingungen aufgewendet. Wenn Sonnenlicht statt elektrisches Licht genutzt werden kann, sich Blendlicht mildern lässt und sich gleichzeitig der Aufwand für Heizung und Kühlung reduziert, kann der Energieverbrauch erheblich gesenkt werden. Entsprechend liegt in der intelligenten Nutzung des natürlichen Licht-und Wärmeangebots und in der Ausgestaltung von Glasflächen ein großes Einsparpotenzial.
Eine normale Gebäudeverglasung hat den Nachteil, dass sich die Räume im Sommer sehr stark aufheizen. Klimaanlagen müssen dann oft für Kühlung sorgen. Moderne, nanobasierte Fensterfolien können hier innovative Abhilfe schaffen. Inzwischen kommerziell angeboten werden Folien als Sonnenschutz für Gebäudeverglasungen, die vor Sonne, Lichteinstrahlung und Hitze schützen – ohne dabei die Räume zu verdunkeln. So stellt etwa die Firma 3M etwa 60 Mikrometer dicke transparente Fensterfolien her, die aus 200 übereinander geschichteten nanoskaligen Filmen aus Acryl und Polyester bestehen. Durch die Struktur der Folien wird ein großer Teil der Wärme-und UV-Strahlung des Sonnenspektrums herausgefiltert, während sichtbares Licht kaum beeinträchtigt wird.
Eine elektrisch schaltbare Transparenz kann durch “elektrochromes Glas” erreicht werden. Elektrochrome Materialien ändern ihre optische Transparenz je nach angelegter Gleichspannung. Durch das Anlegen einer geringen Spannung von 3 Volt wird eine bläuliche Färbung erreicht. Bei der Abgabe elektrischer Ladungen an mikro-oder nanoskalige Dünnschichten (zum Beispiel Wolframoxid oder Polyanilin) werden diese aktiviert und ändern ihre Farbe. Wird die Polarität der Spannung geändert, wird das Glas wieder farblos. Die Steuerung kann manuell oder automatisch erfolgen. Das Glas benötigt Strom nur während der Einfärbungsphase oder beim Herstellen vollständiger Transparenz. Ist keine Spannung angelegt, so behält das Glas seine Farbe bei, bis erneut Strom zugeführt wird.
Elektrochromes Glas kann teure und störanfällige mechanische Sonnenschutzsysteme, wie automatische Lamellenvorhänge, Jalousiensysteme oder zweischalige Vorhangfassaden sinnvoll ersetzen. Mit elektrochromen Glas können die Transmission des sichtbaren Lichts und der Gesamtenergie durchlass über ein breites Spektrum abgestimmt werden. Mit einer Lichtdurchlässigkeit von nur zwei Prozent in voll getöntem Zustand lässt sich grelles Sonnenlicht blockieren. Vor allem in Gebäuden mit großen Glasfassaden können dadurch Energieverluste vermindert werden.
Einen Schritt weiter ging Anfang 2013 eine Arbeitsgruppe am Lawrence Berkeley National Laboratory (LBL) in den USA. Hier gelang die Entwicklung einer Glasscheibe auf der Basis von Nanokristallen aus IndiumZinnOxid (ITO), die in eine Glasmatrix aus NiobOxid eingebettet wurden. Die optischen Eigenschaften des Materials können durch die Höhe der angelegten Spannung gezielt so verändert werden, dass sich die Transmission von Wärmestrahlung und sichtbarem Licht unabhängig voneinander selektiv schalten lassen. So ist es möglich, etwa Wärmestrahlung zu blockieren, während Licht weiterhin ungehindert durch das Glas hindurchtreten kann. Die Zukunft des neuen Materials wird als aussichtsreich angesehen, allerdings sind die verwendeten Materialien sehr teuer und werfen für den flächendeckenden Einsatz Sicherheitsfragen hinsichtlich ihrer chemischen Reaktivität auf. Insofern wird für eine umfangreichere Anwendung nach Alternativmaterialien gesucht.
Nanoporöse Dämmstoffe
Durch nanotechnologische Entwicklungen konnte im zurückliegenden Jahrzehnt das Spektrum der verfügbaren Dämmmaterialien deutlich erweitert werden. Zu erwähnen sind hier insbesondere sogenannte Aerogele. Diese entstehen durch Vernetzung von Silikat-Nanoteilchen mit organischen Molekülen im SolGelVerfahren. Nachdem im Anschluss das Lösemittel entzogen wird, bildet sich ein transluzentes Gel mit einem Durchmesser von wenigen Millimetern, welches bis zu 95 Prozent aus Luft besteht. Trotz seiner geringen Dichte verfügt das Material über eine hohe Härte. Da der Durchmesser der Poren von Aerogelen nur wenige Nanometer beträgt, werden in dem Dämmmaterial die Luftzirkulation und damit die Weiterleitung von Wärme und Schall weitgehend unterbunden.
Aufgrund seiner Lichtdurchlässigkeit eignet es sich etwa für Dachkonstruktionen, die neben einer effizienten Wärmedämmung auch Tageslicht in das Innere der Gebäude hindurchlassen sollen. Ein bedeutender Hersteller von Aerogelen ist das US-amerikanische Unternehmen Cabot, welches bereits seit 2003 Aerogele im großtechnischen Maßstab am Produktionsstandort in Frankfurt herstellt. Ursprünglich unter dem Markennamen Nanogel® kommerzialisiert, handelt es sich bei dem Produkt nach den Angaben des Herstellers um das weltweit leichteste lichtdurchlässige, feste Dämmmaterial. Mit seinem aktuellen Markennamen Lumira® zielt das Aerogel von Cabot vor allem auf den Markt von Tageslichtbeleuchtungssystemen, die gleichzeitig einen hohen Umweltstandard erreichen sollen.
Vakuumisolationspaneele
Als hocheffiziente Dämmstoffe sind weiterhin Vakuumisolationspaneele zu nennen, bei denen das gewöhnliche Kernmaterial Polyurethanschaum durch nanoporöses Silica ersetzt werden kann. Ein solches Dämmmaterial weist wegen des evakuierten, porösen Kernmaterials wesentlich geringere Materialstärken auf als konventionelle Dämmstoffe.
Sowohl bei Aerogelen auf Silikatbasis als auch bei Vakuumisolationspaneelen ist allerdings eine fachgerechte Verarbeitung unter Baustellenbedingungen nur schwierig zu gewährleisten. BASF hat daher den flexiblen Kunststoff Polyurethan mit einem neuartigen Herstellungsverfahren so aufgeschäumt, dass die hergestellten Platten mit den darin gebildeten Nanoporen direkt auf der Baustelle verarbeitet werden können. Sie können gesägt, gefräst, gebohrt und geklebt werden. Eine 15 Zentimeter dicke Hauswand mit dem neuartigen Dämmmaterial isoliert genauso gut wie eine fast 50 Zentimeter dicke Hauswand mit konventioneller Dämmung. Die nun nanoskaligen Löcher im Slentite genannten Dämmstoff sind mit 50 bis 100 Nanometern Durchmesser bis zu 1000mal kleiner als bei bisherigen Schaumstoffen und dämmen dabei fast doppelt so gut. Eine Pilotproduktionsanlage wird im Jahr 2014 im Werk Lemförde bei Osnabrück in Betrieb gehen.
Produktlebenszyklus
Die Auswirkungen von Werkstoffsubstitutionen fallen vielfältig aus, insbesondere wenn recyclingfähige Werkstoffe betroffen sind. Werkstoffsubstitutionen können zu umfangreichen Produktverbesserungen und einer längeren Lebensdauer führen.
Allerdings ziehen Substitutionswerkstoffe auch eine erhebliche Ausweitung des Güterbestandes nach sich. Diese in Gütern gebundenen Materialien stehen kurzfristig nicht als Sekundärrohstoff zur Verfügung. Somit ist jede Substitution im Hinblick auf das Recycling mit dem Aufbau neuer Werkstoffbestände verbunden, so dass die Vorteile des Recyclings erst zeitverzögert wirken. Werkstoffsubstitution und Recycling stehen in dieser Hinsicht in Konkurrenz um Ressourceneffizienz und Umweltschonung. Dennoch zeigen neue Materialentwicklungen erhebliche Ressourcen-Effizienzpotenziale. Sie ermöglichen neue Leichtbaukonzepte oder können verbesserte Verschleißfestigkeiten bewirken. So können etwa die Anwendungsbereiche verschleißfester technischer Keramiken erweitert werden, was insbesondere bei Hochtemperaturanwendungen zum Tragen kommt. In Industrieöfen oder im Motorenbau werden solche Werkstoffe bereits erfolgreich eingesetzt. Die weitere Verbesserung von Prozesswirkungsgraden erfordert jedoch stetig steigende Temperaturen und damit permanent weiter zu optimierende Werkstoffeigenschaften. Das verwendete Material ist von entscheidender Bedeutung im Hinblick auf die Ressourceneffizienz von Produkten. Seine Auswahl bildet die Voraussetzung für korrekte Funktionalitäten und hohe Lebensdauer.
Ähnlich verhält es sich mit Roboterarmen. Werden Varianten aus Stahl und kohlefaserverstärkten Kompositen (CFK) verglichen, zeigt sich für den deutlich leichteren Verbundwerkstoff ein signifikant höherer Ressourcenverbrauch. Die Leichtbauweise allein erweist sich also noch nicht als hinreichend für gute Ressourceneffizienz. Allerdings verändert sich durch die Substitution des Stahlarmes durch das Kompositmaterial auch die Leistungsfähigkeit des Roboters. So erlaubt das geringere Gewicht eine schnellere Beschleunigung des Roboterarms bei gleicher Antriebsleistung, womit der Arbeitsdurchsatz erhöht werden kann. Damit liegt die Ressourceneffizienz der Verbundwerkstoff variante deutlich über der Stahlvariante. Bei einer vollständigen Betrachtung nicht nur der Roboterarme, sondern des kompletten Robotersystems, kann durch den Verbundwerkstoffarm im Idealfall die Leistung verdoppelt werden.
Digitale Technologien für die Entwicklung ressourceneffizienter Produkte und Services
Der Einsatz digitaler Technologien wird in der Kurzanalyse Nr. 31 des VDI Zentrum Ressourceneffizienz: ‘Digitale Technologien für die Entwicklung ressourceneffizienter Produkte und Services’ (VDI ZRE 2022) umfassend dargestellt.
Die Vernetzung von Objekten und Menschen im Umfeld der Industrie 4.0 birgt vielfältige Chancen, erzeugt und fordert aber auch große Mengen an Informationen, die in Echtzeit erfasst und weiterverarbeitet werden können. Ingenieurinnen und Ingenieure stehen somit bei der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen häufig Daten zur Verfügung, die Rückschlüsse über zukünftiges Verhalten ermöglichen. Das dadurch hervorgerufene Effizienzpotenzial für Produkte, Prozesse und Services ist groß und für die Steigerung der Ressourceneffizienz in der Produkt- und Serviceentwicklung von Bedeutung. Mit der Zunahme an Informationen und Optimierungsmöglichkeiten geht allerdings auch eine Komplexität einher, in der es sich zunächst zurechtzufinden gilt.
Als digitale Technologien können dabei solche Technologien verstanden werden, die auf (Computer-)Hardware, Software und Vernetzung beruhen und sich von den klassischen Technologien durch Flexibilität und eine hohe Verfügbarkeit abgrenzen. Die häufig ökonomisch getriebenen digitalen Effizienzbestrebungen bergen dabei das Potenzial, aufgrund der schnelleren Bestimmung der bestmöglichen Lösung oder erwartbarer Qualitätsverbesserungen, die natürlichen Ressourcen zu schonen und damit zur Ressourceneffizienz beizutragen.
Mit Ressourceneffizienz ist gemäß VDI-Richtlinie 4800 (Blatt 1) das Verhältnis eines bestimmten Nutzens oder Ergebnisses zum dafür nötigen Ressourceneinsatz gemeint. Ein Unternehmen handelt also dann ressourceneffizient, wenn Materialien beziehungsweise Energie im Produktlebensweg eingespart werden oder der Nutzen im Verhältnis zum Einsatz gesteigert werden kann. Im Idealfall werden Produkte daher so entwickelt, dass möglichst wenig Rohstoffe und Energieressourcen für den vorgesehenen Nutzen benötigt werden und zudem eine gute Reparier- und Wiederverwendbarkeit gewährleistet ist. Da die Inanspruchnahme von Ressourcen immer auch mit Treibhausgasemissionen verbunden ist, leisten Maßnahmen zur Ressourceneffizienz zudem einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz.
Ziel dieses Kapitels ist es, digitale Technologien und damit verbundene Methoden in der Produktentwicklung zu identifizieren und im Sinne der Ressourceneffizienz zu bewerten. Darüber hinaus sollen auch die Voraussetzungen ihrer Umsetzbarkeit herausgearbeitet und in einem Ordnungsrahmen dargestellt werden. Eine Auswahl an praktischen Beispielen zeigt außerdem, wie Unternehmen bereits heute Aspekte der Ressourceneffizienz bei der Produktentwicklung berücksichtigen. Dabei werden digitale Technologien vorgestellt, die ressourceneffiziente Produkt- und Serviceentwicklung begünstigen können. Aufgezeigt wird eine Methodik, wie die Entwicklung von Produkt-Service-Systemen (PSS) auch aus Sicht der Ressourceneffizienz vorangetrieben werden kann. Abschließend einen Ausblick über mögliche Technologien, bei denen zukünftig die ressourceneffiziente Produktentwicklung eine wichtige Rolle spielen wird.
Ressourceneffiziente Produkt- und Serviceentwicklung
Die Anpassung oder Neuentwicklung von Produkten und Dienstleistungen resultiert häufig aus unternehmensinternen Veränderungen, geänderten Rahmenbedingungen wie neuen Gesetzen und Technologien oder veränderten Kundenansprüchen. Neben der fortschreitenden Digitalisierung ist somit erwartbar, dass gesetzliche Vorgaben wie das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG), aber auch der gesellschaftliche Wunsch nach neuen Funktionalitäten und umweltfreundlichen Produkten, die Neu- und Weiterentwicklung von ressourceneffizienten Produkten und Services vorantreiben.
Für die Produkt- und Serviceentwicklung ergeben sich durch die Vernetzung und Kommunikation von Menschen und Maschinen neue Möglichkeiten. Während die Weitergabe von Informationen lange Zeit gleichgerichtet mit den Schritten der Wertschöpfung erfolgte und eine spätere Anpassung der Produkte mit hohen Kosten verbunden war, unterstützt die Vernetzung von immer mehr Komponenten nun eine vor- wie rückwärts gerichtete Kommunikation und Anpassung in allen Schritten der Wertschöpfung.
Eine Produktentwicklung in industriellen Unternehmen unterscheidet sich – im Vergleich zum Handwerk – durch die stärkere Vernetzung interner und externer Beteiligter. Aufgrund der Vielzahl an Schnittstellen mit anderen Bereichen (z. B. Marketing, Produktion oder Logistik) weist die Produktentwicklung unter allen Abteilungen den höchsten Vernetzungsgrad auf. Deshalb können nahezu alle Informationen aus anderen Bereichen eines Unternehmens direkt oder indirekt zur effizienteren Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen beitragen. Beispiele hierfür sind:
- Verknüpfung zur Produktion: Problemstellen in der Produktion, wie überdurchschnittliche Bearbeitungszeiten, werden durch die Erfassung der Produktionszeiten erkannt und anschließend durch die Anpassungen der Produkte behoben.
- Verknüpfung zum Kundenmanagement: Analysierte Kundenwünsche führen schneller zur Entwicklung zufriedenstellender Produkte mit weniger Anpassungsschleifen.
- Verknüpfung zur Infrastruktur und Logistik: Vorhandene Maschinen, Verpackungsarten und Transportmöglichkeiten bilden eine logistische Grenze bei der Entwicklung neuer Produkte.
Viele Produkte setzen sich aus mechanischen, elektrischen, elektronischen, hydraulischen und/oder pneumatischen Teilkomponenten zusammen und bieten darüber hinaus immaterielle Servicedienstleistungen in Form von PSS an. Richtlinien und Normen in der Produktentwicklung, die dies berücksichtigen, sowie ein methodisches Herangehen, können die Ressourceneffizienz in der Produktentwicklung fördern. Die integrierte Produktentwicklung ist demnach eine zielorientierte Vorgehensweise, die organisatorische, methodische und technische Maßnahmen berücksichtigt. „Sprünge“ zwischen den einzelnen Phasen verdeutlichen, dass die Produktentwicklung durch die beschriebene Kombination von Objekten und Services an Komplexität zunimmt.
Eine Möglichkeit, dieser Herausforderung gerecht zu werden, ist das sogenannte Simultaneous Engineering. Dabei wird die Produktentwicklungszeit verkürzt, indem einzelne Phasen des Entwicklungsprozesses zeitlich parallel bzw. überlappend bearbeitet werden. Auf diese Weise können Anpassungsschleifen verbessert werden. Eine gute Abstimmung der Projektteams in den einzelnen Stufen ist hierfür grundlegend. Allgemein ist auf alle folgenden Faktoren zum Gelingen einer integrierten Produktentwicklung zu achten: Mensch, Methodik, Organisation und Technik.
Integrierte Produktentwicklung in interdisziplinären Teams
Ein weiterer wichtiger Faktor in der integrierten Produktentwicklung sind interdisziplinäre Teams. Durch verschiedene Fachrichtungen der Teammitglieder wird eine umfassende Sicht auf die Entwicklung eines Produkts wahrscheinlicher. Personen an der Schnittstelle zu Zulieferern oder der Materialwirtschaft können beispielsweise mögliche Potenziale für die Kreislaufwirtschaft leichter erkennen, wohingegen Expertinnen und Experten aus der Fertigungsvorbereitung frühzeitig Optimierungspotenziale bei der anschließenden Produktion identifizieren können.
Um den Ressourceneinsatz in den einzelnen Phasen der Produktentwicklung zu bestimmen und anschließend Rückschlüsse auf die Ressourceneffizienz zu ziehen, müssen die aufgewendeten Rohstoffe und Energieressourcen ermittelt werden. So ermöglichen beispielsweise der Kumulierte Rohstoffaufwand (KRA) und der Kumulierte Energieaufwand (KEA) die Berechnung des Ressourceneinsatzes im gesamten Lebensweg.
Gängiger ist jedoch die Methode des Life Cycle Assessment (LCA). Dazu werden die In- und Outputs eines Prozesses oder Produktes über den kompletten Lebensweg gesammelt und mittels Software in vergleichbare Indikatoren umgerechnet. Aktuell wird häufig der CO₂-Fußabdruck als Indikator für LCA verwendet.
Im Bereich der Produktentwicklung kann so bestimmt werden, wie hoch die Material- und Energieeinsätze bis zur tatsächlichen Entwicklung waren. Diese Sachbilanz kann anschließend zur Bestimmung der Ressourceneffizienz herangezogen werden. Stellt ein Unternehmen beispielsweise fest, dass bestimmte Maßnahmen, wie z. B. der Einsatz digitaler Technologien, bis zur Entwicklung des gewünschten Produkts einen geringeren Material- und Energieaufwand erforderten, können diese Maßnahme sowohl aus ökonomischer als auch aus Sicht der Ressourceneffizienz sinnvoll sein.
Produktentwicklung in der Industrie 4.0
Die Industrie 4.0 zielt darauf ab, ganze Unternehmen und damit verbundene Netzwerke digital zu steuern und zu leiten. Dieses Ziel erfordert die vollständige Digitalisierung der industriellen Prozesse. Eine Industrie 4.0 ist letztlich nicht nur die digitale Steuerung von Maschinen und Produktionslinien, sondern soll ein effektives Zusammenspiel aller wertschöpfungsrelevanten Prozesse (inkl. Dienstleistungen) darstellen.
Um dieser zunehmenden Vernetzung und Komplexität aus Sicht der Produkt- und Serviceentwicklung gerecht zu werden, müssen insbesondere die Veränderungen in der, auf die Entwicklung folgenden, Produktion berücksichtigt werden. Zukünftig ist zu erwarten, dass datengesteuerte Produktionsprozesse zu mehr dynamischen und individuellen Umplanungen von Produktaufträgen und Baureihenfolgen führen können, beispielsweise bei Materialverfügbarkeiten oder Chargenprüfungen. Für die Produktentwicklung bedeutet dies wiederum, die Aspekte der Modularisierung in zukünftigen Produkten stärker zu berücksichtigen, um den Flexibilitätsanforderungen in der Produktion gerecht zu werden.
Durch die zunehmende Vernetzung können Produkte zukünftig in der Wertschöpfung eines Unternehmens eine Teilkomponente darstellen, deren Wert erst im gesamten System erkennbar wird. Die nachfolgende Darstellung zeigt beispielhaft, wie sich die Entwicklung von Produkten im Zuge der Digitalisierung und der allgemeinen Vernetzung z.B. in der Mobilitätsbranche weiterentwickeln kann.
Produkte sind gegenwärtig immer häufiger mit digitalen Komponenten wie Sensoren, Aktoren und Rechnern ausgestattet und können so untereinander und mit anderen digitalen Endgeräten kommunizieren. Während Finanzierungs- oder Sharing-Angebote längst wichtige Teilkomponenten der Mobilitätsbranche sind, ist zu erwarten, dass zukünftig komplette industrielle digitale Plattformen und vernetzte Systeme mit einer Vielzahl an Informationen entstehen werden. Schnittstellen zur urbanen Mobilität oder zum Energiemanagement könnten dann z. B. Kundinnen und Kunden dabei unterstützen, Staus zu vermeiden oder das Laden der Batterien besser zu koordinieren.
Die Vernetzung und die daraus resultierenden Möglichkeiten, große Datenmengen zu erfassen, zu analysieren und im Sinne der Effizienzsteigerung einzusetzen, machen somit eine der Hauptbestrebungen der Industrie 4.0 aus. Folgende technische Errungenschaften beziehungsweise Begrifflichkeiten sind dabei auch für die Produktentwicklung essenziell:
Retrofitting - Nachrüstung
Unter dem Ansatz des Retrofittings (auch „digitales Retrofit“) werden die Nachrüstung und Modernisierung bestehender Industrieanlagen verstanden. Anstatt Maschinen komplett zu wechseln, soll durch die nachträgliche Ergänzung insbesondere von Sensorik und Kommunikationstechnik der Anschluss an das Internet der Dinge (IoT) (siehe nächster Abschnitt) umsetzbar werden. Neben möglichen Kosteneinsparungen werden durch die längere Nutzungsdauer und die Option von ergänzenden Dienstleistungen wie dem Predictive Maintenance auch Ressourcen geschont. Entwicklerinnen und Entwicklern zeigt das Retrofitting zudem, dass nicht nur die Konzeption neuer Produkte Chancen für die Ressourceneffizienz mit sich bringt, sondern auch die Weiterentwicklung bereits vorhandener Produkte Potenziale birgt.
Cyberphysische Systeme (CPS) und Internet der Dinge (IoT)
CPS bauen auf mechatronischen bzw. smarten Objekten auf und bestehen aus Sensoren, Aktoren, einer Benutzerschnittstelle und Funktionen, die alle Aufgaben der Datenaufnahme, -verarbeitung und -ausgabe ausführen. Sie bilden dadurch eine Hauptkomponente der Industrie 4.0. CPS können als Weiterentwicklung von programmierbaren mechatronischen Systemen verstanden werden, wobei sie maßgeblich durch die Vernetzung mit dem Internet der Dinge (IoT) und andere Dienste gekennzeichnet sind.
Unter dem Begriff IoT wird ein Netzwerk von computergestützten Objekten verstanden, die in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren. Der Austauschprozess kann dabei teilweise ohne den Faktor Mensch geschehen. Der Begriff „computergestützt“ bedeutet wiederum, dass die verbundenen Geräte selbst keine Computer sein müssen, sondern eine andere Hauptfunktion haben.
CPS und IoT als übergeordnete Technologien sind auch für die Produktentwicklung von großer Bedeutung. So lassen sich durch die aus der Herstellungs- und Nutzungsphase erhobenen Daten sowie die Möglichkeit der Weitergabe Erkenntnisse für die Produktentwicklung ableiten – beispielsweise durch präzises Ermitteln von Fehlerquellen der Vorgängerprodukte. Allerdings müssen neue Produkte mit den notwendigen Sensoren, Aktoren und Rechnern ausgestattet sein, um die Möglichkeiten und Potenziale der Industrie 4.0 überhaupt umsetzen zu können.
Big Data und Smart Data
Durch die Vernetzung von Mensch und Maschine entstehen riesige Mengen an Daten. Unter dem Begriff „Big Data“ werden die Sammlung und Anwendung von qualitativ und quantitativ vielfältigen Informationen zusammengefasst. Im industriellen Umfeld handelt es sich häufig um (Echtzeit-)Daten zu Prozessen, Qualitätsmerkmalen, Produkten und Beschäftigten sowie deren Umfeld, mit dem Ziel einer Prozess- und Qualitätsverbesserung. Im Zuge der Aufbereitung von „Big Data“ wird auch von “Smart Data” gesprochen. Smart-Data-Analysen unterstützen beispielsweise eine effizientere Produktionsplanung, aber auch genauere Wartungsplanungen (sogenannte Predictive Maintenance).
Das große Potenzial für Entwicklerinnen und Entwickler liegt hier zum einen in der Präzisierung der für den Entwicklungsprozess relevanten Daten, zum anderen in der Erweiterung der Sammlung um Informationen, die bislang schwer bzw. gar nicht messbar waren. Ein Beispiel hierfür ist die Auswertung von Nutzungsdaten in der Automobilbranche: Ursprünglich erhielten Ingenieurinnen und Ingenieure Informationen über die durchschnittliche Lebensdauer ihrer Autos – gemessen in Jahren oder gefahrenen Kilometern. Durch nun messbare Echtzeitdaten wie das Bremsverhalten, Standzeiten, Durchschnittsgeschwindigkeiten und Geokoordinaten lassen sich zukünftige Produkte oder Komponenten deutlich effizienter an die geforderten Ansprüche anpassen. Auf diese Weise lässt sich sukzessive die Lebensdauer der Fahrzeuge erhöhen, was sich wiederum positiv auf die Ressourceneffizienz auswirkt.
High Performance Computing (HPC)
Aufgrund der großen Datenmengen in der Industrie 4.0 kommt dem sogenannten High Performance Computing (HPC) ebenfalls eine Schlüsselrolle zu. Hochleistungsrechner ermöglichen die parallele und effiziente Simulation, die Analyse komplexer Modelle sowie das Finden und Implementieren softwarebasierter Lösungen. Durch die weitere Vernetzung und das damit verbundene Datenwachstum stoßen gegenwärtige Standardrechner immer häufiger an ihre Grenzen. Die Bedeutung dieser Technologie wird deshalb unweigerlich in Zukunft zunehmen.
Im Zuge des HPC sind auch das sogenannte Cloud Computing und Edge Computing zu nennen. Unter Cloud Computing wird der Echtzeitzugriff auf einen Rechner über das Netz verstanden, wobei durch die Zentralisierung der Verwaltungsaufwand und die Interaktion mit Dienstleistungsunternehmen auf ein Minimum reduziert werden können. Gleichzeitig wird eine große Rechenleistung bereitgestellt. Aufgrund der weiter zunehmenden Datenmengen und Transfers stößt auch das Cloud Computing immer häufiger an Grenzen, sodass aufgrund von Latenzen insbesondere der für die Technologie so wichtige Echtzeitfaktor zunehmend öfter beeinträchtigt wird. Das Edge Computing kann deshalb als Zwischenebene zwischen Sensoren an Endgeräten und den zentralen Rechnern oder Rechenzentren verstanden werden. Vereinfacht dargestellt, werden mithilfe von Edge Computing relevante Daten an den Orten, wo sie entstehen (beispielsweise an Maschinen mit Sensoren), gesammelt und gefiltert und lediglich wichtige Daten an einen zentralen Rechner geliefert.
Zugleich bietet das HPC komplexe Berechnungen und Simulationen, wodurch schnelle und präzise Simulationen möglich sind, die auch die Entwicklungsarbeiten unterstützen. Aus Sicht der Ressourceneffizienz lassen sich daraus vielfältige positive Effekte schließen, wie z. B. die Vermeidung von Fehlern und weniger Test- und Anpassungsschleifen.
Produktdatenmangement-Systeme (PDM) in der Produktentwicklung
mit dem Fokus auf der Integration kommerzieller Produktdaten. Wer digitale Technologien bei der Produkt- und Serviceentwicklung verwenden möchte, benötigt eine Vielzahl unterschiedlicher Daten, mit denen er arbeitet. Das sogenannte Produktdatenmanagement (PDM) als zentrales „Verwaltungsorgan“ kann als Grundlage angesehen werden, um die in den anderen Abschnitten vorgestellten Potenziale der digitalen Technologien voll auszuschöpfen. Mittels PDM können produktspezifische Daten, die in der Produktentwicklung anfallen, erfasst, verwaltet und archiviert und anschließend nachgelagerten Phasen des Produktlebenswegs zur Verfügung gestellt werden. Insofern bietet sich das PDM an, die zunehmende Komplexität der Daten effizient zu organisieren. Der Ansatzpunkt von PDM ist die Schaffung einer konsistenten und in allen Unternehmensbereichen gleichmäßig nutzbaren Datenhaltung. Hierfür werden Metadaten, also Dokumente, Dateien oder Datenbanken, im PDM-System verwaltet und Verknüpfungen zu Primärdaten in den Erzeugersystemen hergestellt.
Die derzeit auf dem Markt angebotenen PDM-Systeme teilen sich in folgende Bereiche auf:
Klassisches PDM-System mit Fokus auf Produktstruktur und Lifecycle Management
CAD (Computer-Aided Design)-orientiertes PDM-System mit Fokus auf dem CAD-Modell Management für Projektteams und Integration mit CAD/Digital Mock-up
Dokumentenorientierte PDM-Systeme mit Fokus auf der Integration unternehmensübergreifender Dokumente und Archivmanagement
PPS/ERP-orientiertes PDM-System
Kostenstruktur Life-Cycle - Ressourceneffizienz
Die Potenziale für Ressourceneffizienz zeigen sich vor allem bei der Betrachtung der Kostenstruktur von Produkten über den kompletten Lebensweg hinweg. Dabei wird ersichtlich, dass beim Entwerfen und Entwickeln eines Produktes der Einfluss und die Festlegung der Kosten am höchsten sind. Mit etwa 42 % der Gesamtkosten bilden Materialien im Unternehmen weiterhin den größten Kostenpunkt.
Maßnahmen zur Ressourceneffizienz wie Fehlermanagement und die Effizienzsteigerung von Prozessen erreichen somit in den ersten Phasen die größte Wirkung, machen sich allerdings (teilweise) erst in den anschließenden Phasen wie der eigentlichen Produktion oder dem Verkauf bemerkbar.
Können Ingenieurinnen und Ingenieure bei der Produktentwicklung auf ein PDM-System zugreifen, ist es beispielsweise möglich, potenzielle Fehlerquellen und Problemstellungen frühzeitig zu erkennen und anzupassen. Des Weiteren kann durch die konsistente Datenstruktur eine effiziente Abwicklung von Freigabeprozessen, Revisionen u. ä. gewährleistet werden.
Praxisbeispiele
Antriebskomponenten für Sport- und Rennfahrzeuge
Die Drexler Automotive GmbH entwickelt und fertigt Antriebskomponenten für Sport- und Rennfahrzeuge. Bei der Entwicklung der Produkte fallen in jedem Abschnitt große Mengen an Daten an. Das Datenaufkommen wird stetig größer und bei unzureichender Verwaltung unübersichtlich.
Um Misskommunikationen bei Revisionen und Freigaben, doppelte Arbeit in der Konstruktion und die lange Suche nach notwendigen Zeichnungen und Modellen zu vermeiden, etablierte das mittelständische Unternehmen eine durchgängige Lösung aus 3D-CAD, PDM und ERP. Dafür investierte Drexler Automotive in ein PDM- sowie ein ERP-System, das speziell für KMU der Fertigungsindustrie vorgesehen ist. Ein 3D-CAD-System wurde bereits 2006 eingeführt. Das PDM-System ermöglicht strukturiertes Arbeiten mit aktuellen Daten. Veraltete Zeichnungen und Modelle gibt es nicht mehr. Daten werden bei Änderungen synchron gehalten, sodass die Fehlerrate erheblich reduziert und Ressourcen eingespart werden können. Eine bessere Zusammenarbeit der Teams sowie eine schnellere Konstruktion der Produkte ließen sich zusätzlich beobachten. Der entscheidende Erfolgsfaktor für das Unternehmen war die digitale Durchgängigkeit der Daten, um Konstruktionsprozesse und Änderungen vollständig nachzuvollziehen (VDI ZRE 2022).
Aggregate für Hydraulik, Pneumatik und Elektronik
Die Otto Zimmermann GmbH aus Saarbrücken mit ca. 45 Mitarbeitenden hat sich auf Maschinen und Aggregate für Hydraulik, Pneumatik und Elektronik spezialisiert. Allein bei der Entwicklung und Fertigung von Hydraulikanlagen stehen den Angestellten der Konstruktion mehr als 5.000 Bauteile zur Verfügung. Dabei erwies sich die bisherige Datenverwaltung als nicht besonders effizient und fehleranfällig. Zwar wurden die entsprechenden CAD-Daten auf dem Server gespeichert, jedoch mussten kaufmännische Informationen, wie Artikelnummer, Preise, Lieferantinnen und Lieferanten und Lagerbestände der benötigten Teile bei jedem Zugriff über einen Explorer gesucht werden. Daher entschied sich das Unternehmen für die Implementierung eines PDM-Systems, das die Konstruktionsdaten mit einem ERP-System verbindet. Dabei stand auch eine benutzerfreundliche Oberfläche der Datenbankverwaltung im Fokus. Mit dem nun verwendeten System lassen sich relevante Produktdaten strukturiert ablegen und suchen. Abgespeicherte Bauteile können schnell wiederverwendet werden. Der Austausch zwischen Artikeldaten und Stücklisten erfolgt dadurch einfach und mühelos. Anstatt die Bestandsdaten automatisch zu übernehmen, hatte sich das Unternehmen entschieden, die Bauteile Stück für Stück anzulegen, um die Datenbank zu aktualisieren. Veraltete oder falsche Daten werden im Zuge dessen entfernt, um Fehler bei künftigen Produktentwicklungen zu vermeiden und Ressourcen zu schonen. Neue Bauteile können einfach und schnell auf Basis bestehender Teile oder Vorlagen in der Datenbank erfasst werden. Mit der Umsetzung des PDM-Systems ist die Otto Zimmermann GmbH zuversichtlich, ihre Arbeitsgeschwindigkeit um das Dreifache zu erhöhen (VDI ZRE 2022).
Digitales Prototyping
Prototyping ist eine ausführende Aktivität, die zur Erstellung eines Prototyps führt. In digitaler Form (DPC) kann es als Teilbereich des sogenannten Virtual Product Creation (VPC) verstanden werden. Das VPC umfasst alle Prozessschritte und Engineering-Aktivitäten, die aus digitalen Anwendungen, IT-Tool-Funktionen, Software, Algorithmen, Arbeitsmethoden und Beurteilungs- sowie Entscheidungsfähigkeiten bestehen. Je nach Entwicklungsstadium kann es einzelne oder alle geplanten Funktionen eines Produkts darstellen. So können Prototypen in der frühen Phase der Produktentwicklung dabei helfen, ein allgemeines Verständnis und ein Gefühl für das Produkt zu erlangen.
Ziel ist es, Ideen so weit zu entwickeln, dass sie direkt in die Realität umgesetzt werden können. Dabei wird grundsätzlich zwischen physischem und digitalem Prototyping unterschieden. Digitale Prototypen basieren in der Regel auf CAD-Modellen, Berechnungen und Simulationen, die am Computer erstellt werden und auch nur dort existieren.
Einsparungen entlang der Wertschöpfungskette
Gegenüber physischen Modellen bietet digitales Prototyping folgende Vorteile:
Geringere Entwicklungskosten
Beliebig viele und parallele Untersuchungen von Prototypvarianten
Einbindung anderer Abteilungen, der Kundschaft und Lieferunternehmen in den Produktentwicklungsprozess
Schnelle Anpassungen und Optimierung der Prototypen sowie frühzeitige Erkennung von Fehlern
Anschauliche Darstellung des zukünftigen Produkts bei zukünftigen Kundinnen und Kunden sowie Investierenden
Aufgrund der kontinuierlichen Zunahme der Rechnerleistung sowie Angebote von Cloud-Technologien, Open-Source-Plattformen und Community-Software reicht das digitale Prototyping heute weit über die bloße digitale Abbildung von Entwürfen hinaus.
Die Finite-Elemente-Methode (FEM) beispielsweise ist ein Verfahren, das im Rahmen von Simulationen zur Strukturanalyse und -optimierung verwendet wird. Bei der FEM werden Bereiche von Bauteilen dazu genutzt, das physikalische Verhalten des Bauteils zu untersuchen. Virtuelle Modelle begünstigen und ergänzen außerdem das sogenannte Rapid Prototyping (schneller Modellbau), wenn CAD-Modelle und Simulation auf den Einsatz von additiver Fertigung bzw. 3D-Druckern treffen.
Ressourceneffizienz - Material, Gewicht, Rohstoffe
Für die Ressourceneffizienz ergeben sich – neben der Einsparung von physischen Prototypen und damit verbundenen Materialeinsätzen – durch das digitale Prototyping Erkenntnisse zu überschüssigem Materialeinsatz, wodurch im Weiteren Gewicht reduziert und damit Rohstoffe eingespart werden können. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn durch die FEM-Methode Bereiche in Bauteilen identifiziert werden, die auch bei geringerem Materialeinsatz weiterhin die geforderten Belastungsansprüche erfüllen. Außerdem können potenzielle Fehlerquellen frühzeitig erkannt werden, was eine spätere notwendige Anpassung unwahrscheinlicher macht.
Zu den Herausforderungen zählt neben den Investitionskosten auch die richtige Schulung des für das digitale Prototyping eingesetzten Personals. Neben der fachlichen Expertise sollten deshalb auch die Analyseziele und die dafür benötigten Daten genau definiert werden. Das digitale Prototyping endet nicht bei der Entwicklung neuer Produkte, sondern kann auch im Bereich der Fertigung und Produktion eingesetzt werden. So können beispielsweise ebenso Abläufe in digital abgebildeten Fabriken simuliert und verbessert werden.
Praxisbeispiele
Emissionsfreies und autonomes Transportsystem - Ottobahn GmbH aus München
Das 2019 gegründete Unternehmen Ottobahn GmbH entwickelt ein emissionsfreies und autonomes Transportsystem. Das System besteht aus einer schienengebundenen Gondelbahn, die sich auf fünf bis zehn Meter Höhe oberhalb der Straßen fortbewegt. Schon während der Produktentwicklung setzten die Ottobahn-Ingenieure auf Datenanalyse-, Simulations- sowie HPC-Lösungen, um das optimale Fahrwerkskonzept zu ermitteln.
Dafür wurden zunächst verschiedene Konzeptmodelle in Bezug auf die Fahrdynamik und auftretenden Kräfte entwickelt und mittels Simulationen verglichen. Zur Unterstützung griff das Unternehmen auf das Altair-Start-up-Programm zurück, das verschiedene und maßgeschneiderte Technologiepakete einschließlich fachlicher Beratung anbietet. Um das Verhalten beim Gleiswechsel zu untersuchen, wurden unterschiedliche Mehrkörpersimulationen durchgeführt. Damit ließen sich die jeweiligen Mechaniken der virtuellen Prototypen in kürzester Zeit untersuchen, sodass nach einer Woche bereits erste Ergebnisse zu den besten Fahrwerkzeugmodellen präsentiert werden konnten. Durch den frühzeitigen Einsatz von Simulationen in der Entwicklungsphase entfielen nicht nur physische Prototypen, Konstrukteurinnen und Konstrukteure erhielten auch ein tiefgreifendes Verständnis der Systemdynamiken. So konnten bereits im frühen Entwicklungsprozess exakte Entscheidungen getroffen werden.
Zudem ermöglicht der Einsatz externer HPC-Lösungen die Durchführung von hochkomplexen Simulationen und Berechnungen mit hoher Geschwindigkeit. Die Basis dafür bieten Cloud-Services, die eine fast unbeschränkt skalierbare Rechenkapazität mit sich bringen, ohne dass eine eigene High-Performance-IT-Infrastruktur vorausgesetzt wird. In Kombination mit Data Analytics können aus den verarbeiteten Daten wertvolle Informationen gewonnen werden. Zusätzlich erlauben prädiktive Analysen, die Abnutzung von Bauteilen sowie ein Maschinenversagen vorherzusagen. Damit lassen sich bestmögliche Wartungsintervalle bestimmen und Ressourcen einsparen.
Durch die Verknüpfung aller drei Technologien wurde nicht nur die Entwicklungszeit verkürzt, vielmehr konnten damit die Produkte bzw. Systeme kosteneffizienter und nachhaltiger bzw. ressourceneffizienter entwickelt werden.
Sensortechnologie - Sensitec GmbH aus Wetzlar
Ein Hersteller von magnetoresistiver Sensortechnologie ist die Sensitec GmbH. Seit über 15 Jahren ist das virtuelle Prototyping in dem mittelständischen Unternehmen Grundbestandteil der Entwicklungsphase. Mussten zuvor mehrere physische Prototypen hergestellt werden, bis die gewünschten Kundenanforderungen erfüllt waren, entfiel dieser Schritt mit der virtuellen Produktsimulation. Heute werden die benötigten Produktmuster der Sensoren mittels Simulationssoftware, wie CAD und CAE, digital entwickelt und simuliert. Vor der Fertigung des Produktmusters können Änderungswünsche seitens der Kundschaft jederzeit in die Simulation integriert werden. Damit lässt sich die Anzahl der Prototypen reduzieren – das spart nicht nur Zeit, sondern auch Material- und Energieressourcen. Zur Verwaltung von Produktionsdaten (u. a. CAD-Daten) implementierte das Unternehmen ein PDM/PLM-System. Das ermöglicht zudem den digitalen Datenaustausch mit Kundinnen und Kunden sowie Zuliefernden, wodurch potenzielle Fehlerraten durch Übertragungsfehler oder Medienbrüche vermieden werden können.
Digitaler Zwilling
Ein vermehrter Einsatz von CPS und die Integration der Produktentwicklung und Produktion im IoT haben das Potenzial, die Forderung nach einer steigenden Produktivität, Flexibilität und Konfigurierbarkeit in der Industrie zu erfüllen. Das Versprechen einer adaptiven und intelligenten Überwachung, Steuerung und Beeinflussung der physischen Welt ist aber gleichzeitig mit einer hohen Komplexität und erheblichen Herausforderungen verbunden. Einen Ansatz stellt die Automatisierung der kontinuierlichen Synchronisation der verschiedenen digitalen Komponenten mit dem realen Gegenstück dar. Die digitalen Komponenten von CPS, die das beschriebene Verhalten aufweisen, werden als digitaler Zwilling bezeichnet.
Vereinfacht ausgedrückt, ist ein digitaler Zwilling die digitale Repräsentation einer Produktinstanz (reale Geräte, Objekte, Maschinen oder immaterielle Güter) mit ausgewählten Merkmalen, Zuständen und Verhalten, die mit realen Daten „gefüttert“ wird.
"Digitaler Master" und "Digitaler Schatten"
Allerdings wird sowohl in der Praxis als auch in der Wissenschaft der Begriff des „digitalen Zwillings“ unterschiedlich verstanden. Eine genauere Differenzierung findet beispielsweise durch die Verwendung der Begriffe „digitaler Master“ und „digitaler Schatten“ statt. Erst beide Konzepte gemeinsam ergeben einen digitalen Zwilling. Unter dem digitalen Master versteht man die zu Beginn einer Entwicklung erstellten digitalen Geometriemodelle oder Stammdaten. Der digitale Schatten wiederum beschreibt die über den Lebenszyklus eines Produkts gewonnenen und verwerteten Daten.47 Im Sinne der vereinfachten Darstellung werden in der vorliegenden Kurzanalyse die Begrifflichkeiten nicht explizit differenziert.
Speziell im Bereich der Produktentwicklung überschneiden sich die Beschreibungen vom digitalen Zwilling mit denen des digitalen Prototypings. Ein zentraler Unterschied zeigt sich beispielsweise darin, dass ein digitaler Zwilling die Existenz eines realen Objekts voraussetzt. Darüber hinaus kann ein digitaler Zwilling in allen Produktlebensphasen eingesetzt und auch nachträglich für bereits vorhandene Produkte entwickelt werden. Mögliche weitere Anwendungsfelder eines digitalen Zwillings sind:
- In der Produktentwicklung: digitales Testen und Simulieren der Produkte. Idealerweise kann der digitale Zwilling das komplette physische Testen substituieren, wodurch Entwicklungs- und Einführungszeiten gesenkt werden können. In diesem Fall kann die Technologie mit der des digitalen Prototypings übereinstimmen. Ein digitaler Zwilling kann außerdem als Schnittstelle zur Kundschaft dienen, beispielsweise in Form einer Austausch- und Testplattform für zukünftige Funktionen.
- Bei der Produktion und Lieferketten: Simulation und Verbesserung von Produktions- und Lieferprozessen. Im Idealfall können Prozesse in Echtzeit oder vorausschauend simuliert und berechnet werden. Neben der digitalen Abbildung eines Produkts ist es dann sinnvoll, auch das Produktionsumfeld in Form einer digitalen Fabrik abzubilden. So können potenzielle Fehlerquellen oder Störungen in realen Prozessen frühzeitig erkannt werden, wodurch Qualitäts- und Effizienzsteigerungen möglich werden und sich strategische Entscheidungen ableiten lassen.
- Bei Instandhaltung und Entsorgung: Als Nachbildung eines echten Produkts erleichtert der digitale Zwilling das Monitoring und die Wartung. Im Idealfall kann der Status eines Produkts (Lage, Zustand, Leistung etc.) in Echtzeit dargestellt werden. Diese Informationen können dann z. B. zum Ende der Nutzungsphase verwendet werden, um Informationen über die Entsorgung oder wiederverwendbare Komponenten zu erhalten.Ein digitaler Zwilling in der Nutzungs- und Entsorgungsphase kann somit auch die Grundlage eines PSS sein.
Die Erstellung eines vollumfänglichen digitalen Zwillings erfolgt am besten parallel zur Entwicklung des physischen Produkts. Speziell bei vorhandenen Vorgängermodellen kann die digitale Abbildung aber auch auf realen Daten von installierten Sensoren bei der durchgängigen Analyse beruhen.
In einer 2019 von PricewaterhouseCoopers (PwC) erstellten Studie konnte festgehalten werden, dass der Einsatz eines digitalen Zwillings vor allem in den Bereichen der Produktentwicklung und der Produktion liegt. Während 75 % der sogenannten Digitalen Champions in der untersuchten Gruppe bereits einen digitalen Zwilling einsetzen, liegt bei den sogenannten Digitalen Novizen der Anteil bei 38 %. Weiter wurde erwartet, dass 2021 knapp 60 % aller befragten Unternehmen digitale Zwillinge im Unternehmen einsetzen werden.
KI in der Produktentwicklung
In Deutschland und weltweit ist die Nutzung von Big bzw. Smart Data weiter auf dem Vormarsch: 2017 verwendeten bereits ein Fünftel der deutschen Unternehmen Big Data in mindestens einem Unternehmensbereich. Außerdem wird erwartet, dass Smart Data Lösungen weltweit bis 2025 einen Umsatz von 85 Milliarden Euro erwirtschaften (VDI ZRE 2022).
Die Eigenschaften von Big Data, nämlich Volumen, Geschwindigkeit und Diversität, bringen klassische Analysemöglichkeiten schnell an ihre Grenzen. In diesem Bereich kommt die sogenannte künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel: Mittels KI können Anwendungsprobleme durch Computerprogramme gelöst werden, wobei die Systeme der KI durch Algorithmen und Daten zur Selbstoptimierung fähig sind.
Typische Aufgabenfelder umfassen die Klassifikation, Segmentierung und Regression. Dadurch können Anwendungsfelder, wie die Ursachenanalyse oder das Text- und Bildverständnis, automatisiert werden. KI bietet so auch das Potenzial, bestimmte Problemstellungen zu lösen, die erst durch die Bereitstellung sehr großer Datenmengen möglich geworden sind. Beispiele hierfür sind Gesichts-, Objekt- oder Spracherkennung. Die Implementierung einer künstlichen Intelligenz in der Industrie kann als eine der großen Aufgaben der Gegenwart verstanden werden und wird vom Netzwerk Mittelstand Digital bzw. dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert.
Auch wenn die Umsetzungsmaßnahmen den jeweiligen Unternehmen angepasst werden müssen, gibt es grundsätzliche Handlungsempfehlungen für die Anwendung von KI:
- Existenz einer Datenbasis und von Datenverarbeitungssystemen
- Nutzung bereits vorhandener KI-Lösungen
- Ausbau der IT-Infrastruktur
- Demos oder Pilotprojekte zum Aufbau von Akzeptanz und Know-how
- Nutzung von standardisierten Schnittstellen und Open-Source-Lösungen
- Durchführung einer Machbarkeitsstudie
- Entwicklung einer Strategie/Roadmap zur Einführung
In der Studie „Potenziale der schwachen künstlichen Intelligenz für die betriebliche Ressourceneffizienz“ des VDI ZRE (VDI ZRE 2021) konnte festgestellt werden, dass Unternehmen, die KI bereits verwenden, vor allem Vorteile in den Bereichen „Fehlererkennung und -vorhersage“ (41,9% der Befragten), „Prozessoptimierung Produktion“ (38,7%), „Prozessoptimierung Produktentwicklung“ (38,7%) und „Produktoptimierung“ (35,5%) sehen. Als Motivation berufen sich die befragten Unternehmen auf die Senkung von Kosten (25,7 %), die Qualitätsverbesserung (22,9 %) und den Anreiz, Abläufe zeiteffizienter zu gestalten (20 %). Die Steigerung der Ressourceneffizienz wird oftmals als ein positiver Sekundäreffekt wahrgenommen.
Mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz in der Produktentwicklung steigt zudem das Potenzial, Material- und Energieressourcen effektiver und nachhaltiger zu nutzen und die Entwicklungszeiten der Produkte zu verringern. Hieraus resultiert zumeist eine gesteigerte Ressourceneffizienz. Eine in die Produktentwicklung integrierte KI kann beispielsweise mithilfe digitaler Zwillinge oder Prototypen Daten erhalten und anschließend Berechnungen und Simulation durchführen. Das große Potenzial für neue und effizientere Produkte entsteht unter anderem durch die schnelle und simultan ablaufende Berechnung von Szenarien und daraus resultierende Handlungsempfehlungen. Aus diesem Grund sind die Chancen für die Ressourceneffizienz durch digitales Prototyping und digitale Zwillinge eng verbunden mit den Potenzialen durch KI und beziehen sich vor allem auf Fehlervermeidungen und schnelle Entscheidungsfindungen durch Simulation.
Folgende weitere Chancen sind durch eine Implementierung von KI zu erwarten und können ebenso Auswirkungen auf Ressourceneffizienz und Produktentwicklung haben:
KI in der Kommunikation: KI hat das Potenzial, Kundenbedürfnisse automatisiert zu erfassen und daraus Rückschlüsse zu ziehen. Entwicklungsteams können Informationen aus der Nutzungsphase verwenden, um Nachfolgeprodukten schneller zur Marktreife zu verhelfen oder nachträgliche Anpassungen vorzunehmen. Potenziale für die Ressourceneffizienz entstehen so beispielsweise durch kürzere Entwicklungszeiten, kürzere Testschleifen oder im Falle von Produktanpassungen durch längere Nutzungsphasen, da die (An-)Forderungen der Kundschaft präziser umgesetzt werden können.
KI und menschliche Intelligenz: Langfristig ist zu erwarten, dass die KI aufgrund der Lernfähigkeit immer detaillierteres menschliches Verhalten berechnen und imitieren kann. Für die Produktentwicklung ergeben sich dadurch insbesondere im Bereich der Testphasen neue Chancen. Notwendige Sicherheitstests in Bezug auf menschliches Verhalten könnten so in Zukunft in verschiedenen Szenarien digital berechnet werden, noch bevor Produktentwicklung mittels digitaler Technologien 45 tatsächliche Prototypen zum Einsatz kämen. Potenziale für die Ressourceneffizienz wären so z. B. durch die Entmaterialisierung und schnellere Fehleranpassung gegeben.
KI in der Produktion und Logistik: Effizienzpotenziale durch KI wie automatisierte Produktionsschritte, Anpassungen oder Lieferungen erfordern Schnittstellen von Sensoren, Aktoren und Rechnern. Die daraus resultierenden Chancen für die Ressourceneffizienz, z. B. durch die Reduktion von Fehlern, stehen daher ebenfalls intensiv in Verbindung mit der Produktentwicklung. So wird in dieser Phase entschieden, in welcher Form und mit welchen Schnittstellen neue Produkte im digitalen Netzwerk der Dinge (Internet of Things) interagieren.
Agile Produktentwicklungstools
Agilität in der Produktentwicklung bedeutet eine Abkehr von linearen Prozessen hin zu mehr Flexibilität sowie proaktiven und antizipativen Handlungen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das Ziel der agilen Produktentwicklung die Veränderung bestehender Organisationen im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit. Der ursprünglich in der Softwareentwicklung entstandene Ansatz etabliert sich im Zuge der Digitalisierung auch sukzessive in der Fertigungsindustrie. Speziell durch PSS werden langlebigere physische Produkte immer häufiger durch Apps oder Software ergänzt, die es in kürzeren Abständen anzupassen gilt.
Auch die Fortschritte im Bereich der Kommunikation mit Kundinnen und Kunden, in der ebenso die KI- oder VR-Technologien eine wichtigere Rolle einnehmen, führen dazu, dass die Kundschaft bereits früher und tiefer in den Entwicklungsprozess eingreifen kann. Agile Tools bieten sich daher in diesem Fall an, um den Austausch und Entwicklungsprozess effizient zu steuern.
Die grundsätzliche Herausforderung beinhaltet das Neudenken und Verändern bestehender Strukturen, Denkmodelle und Systeme bei agilen Produktentwicklungen. Folgende Erkenntnisse lassen sich für diese Herangehensweise festhalten:
- Aspekte wie Qualität, Einkauf und Management müssen sich für eine erfolgreiche Organisation dem Entwicklungsprozess unterordnen.
- Die Produktentwicklung unterliegt diversen Unsicherheiten und ist nicht vollumfänglich planbar. Transparenz und eine frühzeitige Fehlermeldung sind Grundlage der agilen Produktentwicklung.
- Innovationen gehen vom Menschen aus, weshalb sich Prozesse nach den Menschen richten müssen. Die kontinuierliche Verbesserung der Abläufe erzeugt den Wettbewerbsvorteil.
Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass sich eine schrittweise Einführung in die agile Produktentwicklung als sinnvoll erweist. Es empfiehlt sich, anfangs Projekte auszuwählen, die sich von den bisherigen Strukturen und Hierarchien abkapseln lassen. Dem zuständigen Team sollten weitreichende Kompetenzen zustehen, um das Projekt von der Produktplanung bis hin zur Vermarktung des Produkts umzusetzen.
Agilen Entwicklungsprojekten geht eine Wertstromanalyse voraus: Dabei kommt der bisherige Entwicklungsprozess auf den Prüfstand. Alle Prozessschritte werden auf ihre Notwendigkeiten und Zeitbedarfe hin untersucht, um die gängigen Wartezeiten zu minimieren. Ziel ist es, dass das agile Team schneller als bisher einen ersten nutzbaren Prototyp erstellt.
Ressourceneffizienzpotenziale ergeben sich bei der agilen Produktentwicklung vor allem indirekt. So verspricht die agile Produktentwicklung Chancen durch die schnellere Zielfindung und Risikominimierung. Werden gewünschte Endresultate früher erzielt, dann kann dies beispielsweise zu Einsparungen von Ressourcen führen, da mögliche Test- und Anpassungsschleifen kürzer ausfallen können.
Der interaktive Ansatz kann außerdem das Risiko minimieren, an dem Vertrieb und der Kundschaft „vorbei zu entwickeln“. Kosten- und ressourcenintensive Anpassungen am Endprodukt können so ebenfalls vermieden werden. Eine schnelle und kontinuierliche Weiterentwicklung und Anpassung von Software an bestehende Objekte weisen außerdem das Potenzial auf, die Nutzungsdauer zu erhöhen und so ebenfalls Ressourcen einzusparen. Können beispielsweise Anforderungen, die erst später in der Nutzungsphase entstanden sind, durch Softwareupdates erfüllt werden, ist der Austausch von Objekten oder Komponenten seltener notwendig.
Digitaler Produktpass
Der digitale Produktpass ist Teil der umweltpolitischen Digitalagenda und soll als “digitaler Lebenslauf” von Produkten dienen (VDI ZRE 2022).
Grundsätzlich ist geplant, den digitalen Produktpass für alle Produkte und Dienstleistungen zu erstellen, wobei der Schwerpunkt zunächst auf ressourcen- und energieintensiven Gütern wie Batterien liegt. Ziel ist es, einen Datensatz zu jedem physischen Produkt zu schaffen, der die Komponenten, Materialien und chemischen Substanzen sowie Informationen zu Reparierbarkeit, Ersatzteilen oder fachgerechter Entsorgung für ein Produkt zusammenfasst. Dafür müssen – wie im PLM-System – Daten aus allen Abschnitten der Lebensphase gesammelt werden, um sie bei Bedarf abzurufen.
Eine Strukturierung umweltrelevanter Daten in einem standardisierten, vergleichbaren Format soll zukünftig alle Agierenden in der Wertschöpfungskette dabei unterstützen, die Kreislaufwirtschaft voranzutreiben. Durch die geschaffene Transparenz soll außerdem eine nachhaltige Kaufentscheidung begünstigt werden.
Durch die Berücksichtigung wichtiger Schnittstellen zum Informationsaustausch durch Sensoren, Rechner und den Anschluss zum IoT können zukünftige Produkte wichtige Voraussetzungen erfüllen, um einen digitalen Produktpass zu etablieren. Auch aus Sicht einer nachhaltigen Produktentwicklung ist es deshalb wichtig, das zukünftige Potenzial und die Bedeutung des digitalen Produktpasses zu kennen.
Ressourcenverbrauch
Noch immer steigen Ressourcen- und Energieverbrauch sowie das Abfallaufkommen weltweit an. Diese Probleme sind gekoppelt, denn die Gewinnung und Verarbeitung von Ressourcen führt zu Treibhausgasemissionen, hohen Umweltbelastungen und Verlusten an Biodiversität. Auch wenn sich das Bevölkerungswachstum gegenwärtig abgeschwächt und die Weltbevölkerung irgendwann in der Mitte des Jahrhunderts voraussichtlich bei ca. 10 Milliarden ihr Maximum erreicht (Statista 2023), bestehen weiter steigende Ansprüche der Menschen, auch um die ungleiche Verteilung aufzuheben und sorgen so zu weiterem Ressourcenverbrauch und zunehmender Abfallmenge.
Beim Verbrauch stofflicher Ressourcen, d.h. auch der hier eingehenden Rohstoffe sind folgende Aspekte – Forderungen und Lösungswege – zu berücksichtigen:
- Transformation von linearen hin zu einem zirkulären Wirtschaftssystem
- Marktvorteile durch Effizienzsteigerung und nachhaltige Produktion nutzen
- Verbesserung bestehender Technologien, Systeme und Prozesse
- Beschaffung und Nutzung recycelbarer, unbedenklicher und möglichst biobasierter Materialien
- Beachtung von Herstellerverantwortung und Obhutspflicht
- Aspekte des Designs wie Materialauswahl, Zerlegbarkeit, Reparierbarkeit, Re-Use
- Herstellung ressourceneffizienter und wiederverwendbarer Produkte
- Ressourceneffizienz durch Remanufacturing – Aufarbeitung von Altteilen
- Rohstoffrückgewinnung (Aufbereitung) und Recycling
- Erfassung, Nutzung und Bereitstellung von Daten über den gesamten Lebenszyklus
- Unterstützung eines ressourcenschonenden Verbraucherverhaltens bezüglich Leasing, Sharing, Re-Use, Refurbishment und Repair
Ressource Energie siehe SDG7
Abfallvermeidungsprogramm
Das Abfallvermeidungsprogramm der Bundesregierung von 2013 erfasst systematisch und umfassend zielführende Ansätze zur Abfallvermeidung in Form von Empfehlungen konkreter Instrumente und Maßnahmen. Es empfiehlt abfallvermeidende Maßnahmen, die die verschiedenen Lebenszyklusstufen von Erzeugnissen betreffen, darunter Ansätze, die Produktion, Produktgestaltung, Handel, Gewerbe sowie den Gebrauch von Produkten berücksichtigen (BMUV, 2020).
Wertschätzen statt Wegwerfen
Aus dem Vorwort der damaligen Bundesumweltministerin Svenja Schulze
“Liebe Bürgerinnen und Bürger,
Abfallvermeidung ist in jeder Lebenssituation möglich: am Arbeitsplatz, im Haushalt, in der Schule und im Urlaub. Wir haben es selbst in der Hand, weniger und bewusster zu konsumieren. Darum geht es im Abfallvermeidungsprogramm.
Unser Lebensstil fußt bislang auf einem übermäßigen Verbrauch von begrenzten Ressourcen. Zwischen 2014 und 2019 haben weltweit der Ressourcenverbrauch um 17 Prozent und der Energieverbrauch um acht Prozent zugenommen…
… Abfälle zu vermeiden spart Geld. Allein aus wirtschaftlichen Gründen ist es vernünftig, über die Kosten nachzudenken, die Abfall verursacht. Es schont außerdem natürliche Ressourcen und schützt Menschen und Umwelt. Unternehmen, die ihre Materialflüsse dementsprechend kontrollieren, sind oft effizienter und sie produzieren nachhaltiger…
Ein Beispiel: Das novellierte Kreislaufwirtschaftsgesetz enthält … eine erweiterte Produktverantwortung und eine „Obhutspflicht“ für Hersteller und Handel für die von ihnen hergestellten und vertriebenen Erzeugnisse. Ich will es zum Beispiel nicht akzeptieren, dass Retouren von Neuware einfach weggeworfen werden, nur weil die Logistik bei einem erneuten Vertrieb zu aufwändig ist. …”
Gegenwärtig steigen sowohl der weltweite Ressourcenverbrauch als auch das globale Abfallaufkommen unvermindert an. Die Gewinnung und Verarbeitung von Ressourcen führen dabei zu hohen Treibhausgasemissionen sowie zu enormen Umweltbelastungen und Biodiversitätsverlusten. Laut Schätzungen des International Ressource Panels der Vereinten Nationen gehen etwa 50 % der globalen Treibhausgasemissionen direkt oder indirekt auf die Gewinnung und Verarbeitung von fossilen Rohstoffen, Biomasse, Erzen und Mineralien zurück. Deshalb ist es dringend geboten, den Ressourcenverbrauch auf ein zukunftsverträgliches Ausmaß zu reduzieren und das Wirtschaftswachstum mit der Begrenztheit der Ressourcen in Einklang zu bringen. Das erfordert eine Abkehr vom derzeit dominierenden linearen hin zu einem zirkulären Wirtschaftssystem. Auch Deutschland muss sich dieser Herausforderung stellen und den entsprechenden Transformationsprozess durchlaufen (Global Resources Outlook 2019).
Ziel der Transformation ist es, durch Innovation, Technologie und die Betrachtung des gesamten Systems die Basis für eine zirkuläre Wirtschaftsweise bereitzustellen. Das erfordert die Entwicklung neuer und die Verbesserung bestehender Technologien, Systeme und Prozesse. Im Fokus stehen dabei die Beschaffung und Nutzung recycelbarer, unbedenklicher und möglichst biobasierter Materialien, sämtliche Aspekte des Designs (Materialauswahl, Zerlegbarkeit, Reparierbarkeit, Re-Use) sowie die ressourceneffiziente und emissionsarme Herstellung wiederverwendbarer Produkte (Circular Futures o.J.).
Weitere zentrale Handlungsfelder sind die Rohstoffrückgewinnung (Aufbereitung) und sämtliche Aspekte des Recyclings. Überlegungen zu einem entsprechend angepassten Verhalten der Verbraucher und Verbraucherinnen wie Leasing, Sharing, Re-Use, Refurbishment und Repair sind dabei ebenso von entscheidender Bedeutung wie eine durchgängige Erfassung, Nutzung und Bereitstellung von Daten über den gesamten Lebenszyklus (BMWK 2022).
Konzepte zur Abfallvermeidung
Für erfolgreiche Abfallvermeidung gibt es kein einzelnes Patentrezept. Sie erfordert daher ein ganzes Bündel von kohärenten Maßnahmen. Abfallvermeidung muss sowohl im staatlichen Handeln, in der Wirtschaft als auch im alltäglichen Leben angegangen werden. Dementsprechend sind nicht nur Maßnahmen gefragt, die auf einzelne Produkte oder Bereiche abzielen, sondern auch übergreifende Konzepte, die möglichst umfassend angewendet werden können. In den folgenden Kapiteln stellen wir vier dieser Konzepte näher vor:
- Produkte wertschätzen und lange nutzen
- Nachhaltige Verbraucherentscheidungen ermöglichen
- Produkte besser gestalten
- Ökodesign – Umweltbelastungen reduzieren
Produkte wertschätzen und lange nutzen
Reparatur – reparieren statt wegwerfen
Die Qualität von Produkten bemisst sich sowohl nach ihrer Funktionalität als auch nach ihrer Zuverlässigkeit und Langlebigkeit. Sobald ein Produkt nicht mehr funktionstüchtig ist, entscheiden sich Verbraucherinnen und Verbraucher häufig für einen Neukauf; teilweise aus dem Wunsch nach etwas Neuem, teils jedoch auch, weil benötigte Ersatzteile nicht erhältlich sind, Reparatureinrichtungen nicht ausreichend vorhanden beziehungsweise schwierig zu erreichen sind, eine Reparatur im Vergleich zum Preis eines neuen Produkts weniger wirtschaftlich erscheint, Reparaturen aufgrund eines reparaturverhindernden Produktdesigns unmöglich sind oder für das Produkt nicht angeboten werden. So werden fortwährend Geräte, Textilien, Spielzeug oder Möbel entsorgt, die manchmal bereits durch kleine Reparaturen hätten weiter genutzt werden können. Die Vereinfachung von Reparaturen kann eine Wieder- beziehungsweise Weiterverwendung ermöglichen und damit die Nutzungsdauer verlängern.
In der Abfallrahmenrichtlinie (EG 2008/98) und im KrWG wird der Reparatur für die Abfallvermeidung ein hoher Stellenwert zugewiesen. Eine Reparatur ist häufig arbeitsintensiv; dies birgt auch Arbeitsplatzpotenziale – sowohl im privaten Sektor als auch im Bereich der sozialwirtschaftlichen Unternehmen.
Zur Unterstützung der Reparatur spielt auch das Produktdesign eine wichtige Rolle. So wurden auf europäischer Ebene im Rahmen der Ökodesign-Richtlinie (EG 2009/125) für zehn Produktgruppen bereits verbesserte Reparaturanforderungen gesetzlich festgelegt. Bestimmte Komponenten dieser Produkte müssen zerstörungsfrei auseinanderbaubar sein und Ersatzteile für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Reparaturbetriebe über mehrere Jahre vorgehalten werden.
Wiederverwendung – wiederverwenden statt wegwerfen
Viele Produkte könnten deutlich länger genutzt werden. Auch wenn ihre Nutzer sie aus unterschiedlichen Gründen selbst nicht mehr verwenden möchten, können andere Verbraucher sie noch gut nutzen. Besonders häufig gilt dies für Elektronikprodukte, Möbel oder Textilien. Statt diese Produkte zur Weiterverwendung abzugeben, werden sie entsorgt und durch neue Produkte ersetzt, wobei wiederum natürliche Ressourcen verwendet werden und weitere Abfälle anfallen.
Die Weiterverwendung ist damit ein zentraler Bestandteil der Abfallvermeidung. Sie ist verbunden mit sozialen Aspekten, wenn beispielsweise dadurch hochwertige Produkte Verbraucherinnen und Verbrauchern zugänglich werden, die sich diese als Neuprodukt nicht leisten können. Die Wiederverwendung bietet auch die Möglichkeit, neue Arbeitsplätze zu schaffen beziehungsweise den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen, zum Beispiel durch die Gründung von Gebrauchtwarenkaufhäusern oder Start-ups im Online-Handel von Secondhandprodukten.
Aus Umweltsicht ist die Wiederverwendung zumeist auch dem hochwertigen Recycling vorzuziehen – sie spart Energie und Ressourcen. Nur für wenige Produkte bedeutet sie ökologische Nachteile. Dies ist beispielsweise bei langlebigen Produkten, wie z.B. großen Haushaltsgeräten mit hohem Energieverbrauch der Fall. Deren wesentliche Umweltauswirkungen fallen in die Nutzungsphase. Ein Austausch durch neue Geräte, welche durch technischen Fortschritt deutlich energieeffizienter sind, würde also eine Einsparung von Energie bedeuten.
Wiederverwendung ist häufig dort besonders sinnvoll, wo Produkte nur für einen kurzen Zeitraum genutzt werden (Kinderspielzeug, Mobilfunktelefone, Kleidung, Sportequipment und so weiter), der zum Teil deutlich unter der möglichen Nutzungsdauer liegt.
Ziel: Verlängerung der Nutzungsdauer von Produkten bis zum Ende ihrer Gebrauchstauglichkeit.
Nutzen statt Besitzen!
Viele Produkte werden heute kaum genutzt. PKW haben beispielsweise ungenutzte Standzeiten von durchschnittlich 23 Stunden am Tag. Eine Alternative dazu ist die gemeinsame Nutzung: „Nutzen statt Besitzen“. Damit lässt sich die Menge an Produkten, die irgendwann als Abfall anfällt, deutlich reduzieren. Gleichzeitig bieten solche Sharing-Modelle weitere Vorteile, weil sie zum Beispiel die Flexibilität erhöhen. Je nach Anforderung können unterschiedliches Werkzeug, Spielzeug, Sportartikel, Handtaschen, Autos, Kleidung ausgeliehen werden. Unter anderem reduziert sich der Platzbedarf für die Aufbewahrung – oder bei PKW die benötigten Parkplätze – immens.
Sharing-Konzepte können auf unterschiedlichen Ebenen zur Abfallvermeidung beitragen: So können Anwohner beispielsweise in ihren Nachbarschaften Netzwerke bilden, in denen sie sich gegenseitig verschiedene Gerätschaften ausleihen, die in einzelnen Haushalten nur selten gebraucht werden. In Wohngemeinschaften werden üblicherweise Wohnraum sowie eine Vielzahl von Geräten miteinander geteilt. Auch Unternehmen erkennen, dass die Digitalisierung solchen „Produkt-Dienstleistungen“ neue Geschäftschancen eröffnet: Immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher wollen sich nicht auf Dauer an ein Produkt binden, sondern es bei Bedarf nutzen.
„Nutzen statt Besitzen“ ist damit ein Beitrag zur Abfallvermeidung. Gleichzeitig muss der Gefahr entgegengewirkt werden, dass die ständige Verfügbarkeit beispielsweise von Carsharing-Angeboten zu einer weiteren Ausweitung des Individualverkehrs zu Lasten des Umweltverbundes (ÖPNV, Rad- und Fußverkehr) führt.
Ziel: Bedarfsgerechte Nutzung von Produkten und Förderung eines nachhaltigen Konsums.
Nachhaltige Verbraucherentscheidungen ermöglichen
„Nudging“ – Kluge Entscheidungen anstoßen
Der Begriff Nudging stammt aus der Verhaltenspsychologie. Der Staat kann das Entstehen von Abfällen in aller Regel nicht verbieten. Das Nudging („Anstupsen“) ist ein Instrument, das mit positiven Impulsen statt mit Vorschriften und Verboten arbeitet.
Das Konzept des Nudgings macht sich psychologische Erkenntnisse zunutze, die dem Bedürfnis der Menschen nach Bequemlichkeit und Gewohnheit entgegenkommen, um ihnen den Weg zu einer alternativen Handlungsweise sanft zu ebnen. Durch dezente Anreize sollen die Gewohnheitsstrukturen von Personen aufgebrochen und Verhaltensänderungen ermöglicht werden. Dabei wird die Wahlfreiheit der adressierten Personen aufrechterhalten, ein kleiner Schubser in die richtige Richtung soll es ihnen jedoch erleichtern, sich für die nachhaltigere Option zu entscheiden.
Die Veränderung einer gewohnten Ausgangssituation kann eine einfache Vorgehensweise im Nudging sein. Ist die Fortführung einer alten Gewohnheit für eine Person plötzlich mit mehr Aufwand verbunden, während sich eine alternative Handlungsoption bequem anbietet, wird die weniger umständliche Praxis schnell als neue Normalität akzeptiert.
Ein anderer Ansatzpunkt zielt auf die Orientierung von Bürgern an sozialen Normen. Indem Personen die vorbildhaften Gewohnheiten anderer Menschen nahegelegt werden, können Nachahmungseffekte angeregt werden.
Ziel: Durch positive Impulse zur Abfallvermeidung motivieren – Abfallvermeidung soll nicht in erster Linie mit Verboten und Verzicht assoziiert werden.
Produkte besser gestalten
Strategien gegen Obsoleszenz – Langlebigkeit von Produkten fördern
Die Obsoleszenz wird in vier Typen unterteilt: Die werkstoffliche und die funktionale Obsoleszenz beschreiben Defekte der Materialien oder der Technik. Die psychologische Obsoleszenz beruht auf dem Wunsch nach einem neuen Produkt. Hier stehen Verbraucherinnen und Verbraucher im Fokus. Die ökonomische Obsoleszenz beschreibt das Unterlassen einer Reparatur aus Kostengründen, wenn der Unterschied zwischen Reparaturkosten und Kosten für Neuanschaffung zu gering ist.
Produkte, deren Verschleiß größer ist als notwendig und die schon vor Erreichung ihrer maximal möglichen Lebens- oder Nutzungsdauer ersetzt werden, führen zu erhöhtem Ressourcenbedarf und vermehrtem Abfallaufkommen. Studien im Auftrag des Umweltbundesamts haben gezeigt, dass einige Elektrogeräte kürzer genutzt werden als noch vor zehn Jahren. Gleichzeitig verschleißen auch immer mehr Geräte innerhalb der ersten fünf Jahre – so stieg beispielsweise der Anteil der Haushaltsgroßgeräte, die aufgrund eines Defekts bereits innerhalb der ersten fünf Jahre ersetzt wurden, von 3,5 Prozent im Jahr 2004 auf 8,3 Prozent im Jahr 2013.
Ziel: Abfallvermeidende Produktgestaltung und -nutzung fördern.
Ökodesign – Umweltbelastungen reduzieren
Ökodesign ist ein umfassender Gestaltungsansatz für Produkte, um durch verbessertes Produktdesign Umweltbelastungen über den gesamten Lebensweg zu mindern. In der Produktplanungs- und -designphase können Produzenten Einfluss auf jede Phase der Wertschöpfung und des stofflichen Lebenswegs nehmen und ökologische Innovationen voranbringen. In diesem Zusammenhang spielen Kriterien wie die Minimierung des Gehalts an gefährlichen Stoffen in Materialien und Produkten, Reparierbarkeit, Austauschbarkeit von Komponenten, Rezyklateinsatz, Wiederverwendungsmöglichkeit von Produkten und deren Lebensdauer eine wichtige Rolle.
Fallbeispiele – wie Elektrogeräte und ihre Komponenten – zeigen, dass durch ein lebensverlängerndes Design erhebliche Mengen an Abfällen reduziert werden können und damit auch weniger Treibhausgase emittiert werden. Die zu erwartenden Effekte hinsichtlich der reduzierten Abfallmengen und der damit verbundenen Umweltwirkungen hängen von den jeweiligen Regelungen und Produktgruppen ab.
Ziel: Bereits beim Design von Produkten sollte Abfallvermeidung mitbedacht werden.
Kreislaufwirtschaft und Remanufacturing
Abfallvermeidung, Wiederverwendung, Recycling, Sonstige Verwertung, Beseitigung – nach diesem Grundsatz, der sogenannten Abfallhierarchie, wird heute in Deutschland mit Abfällen verfahren. Früher ging es schlicht darum, Abfälle zu beseitigen, inzwischen hat man erkannt, dass Abfälle wertvolle Rohstoffe sind, die effektiv genutzt werden können, um natürliche Ressourcen zu schonen. Abfall verwerten bedeutet, dass Rohstoffe und Energie in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden. Die Kreislaufwirtschaft betrachtet die Wirtschaft vom Abfall her: Die Stoffkreisläufe sollen möglichst geschlossen werden, indem Abfälle der Wirtschaft wieder als Sekundärrohstoffe zur Verfügung gestellt werden.
Remanufacturing
Das Remanufacturing ist eine zentrale Maßnahme zur Steigerung der Ressourceneffizienz, wie aus der Kurzanalyse Nr. 18 des VDI ZRE “Ressourceneffizienz durch Remanufacturing – Industrielle Aufarbeitung von Altteilen” hervorgeht (VDI ZRE 2017).
Der Material- und Energieaufwand zur Herstellung eines Produkts und die damit verbundenen Kosten werden gesenkt. Durch das Remanufacturing wird die ursprüngliche Wertschöpfung auf hoher Stufe erhalten und die Importabhängigkeit kritischer Rohstoffe verringert.
Definiert wird das Remanufacturing als Behandlung zur Wiederverwendung eines gebrauchten Produkts, das durch verschiedene Prozessschritte auf mindestens das Qualitätsniveau eines Neuprodukts gebracht wird. Dazu werden die gesammelten Altteile demontiert, gereinigt, geprüft, aufgearbeitet und remontiert.
Das Remanufacturing als Schlüsselkomponente einer Kreislaufwirtschaft wird, insbesondere im Vergleich zum Recycling, als bevorzugte Option zur Stoffstromschließung gesehen und verfügt über ein hohes Ressourceneffizienzpotenzial.
Bereits während des Zweiten Weltkriegs erfuhr die Remanufacturing-Branche einen rasanten Aufschwung. Sinkende Fertigungskapazitäten zugunsten der Militärproduktion führten zur Aufarbeitung gebrauchter Güter.
Heute hält die Remanufacturing-Branche einen Anteil von ca. 2 % am gesamten europäischen Fertigungssektor. In Deutschland generiert die Remanufacturing-Branche einen Umsatz von rund 8,7 Mrd. Euro pro Jahr, was einem Drittel des europäischen Umsatzes entspricht.
Konzerne nutzen die Vorteile des Remanufacturing und arbeiten eigene Produkte in Remanufacturing-Sparten des Unternehmens wieder auf (u. a. Bosch, Liebherr, Ricoh, Caterpillar). Aber auch für KMU bietet Remanufacturing vielfältige Optionen. Aufgearbeitete Produkte können entweder anstelle neuer Fabrikate eingesetzt werden oder eine Wiederaufarbeitung wird in die eigenen Unternehmensabläufe eingebunden.
Für den Hersteller resultieren daraus geringere Produktionskosten, höhere Gewinnspannen und strategische Vorteile im Wettbewerb, während die Kunden von einer flexibleren Preispolitik profitieren können.
Die folgenden Abschnitte liefern einen Branchenüberblick und soll insbesondere KMU
- Ideen zur Implementierung von Remanufacturing-Prozessen geben,
- Anreize zum Einsatz aufgearbeiteter Produkte schaffen,
- das Bewusstsein für ökologische und ökonomische Effizienzpotenziale des Remanufacturing stärken sowie
- zu einer weiteren Auseinandersetzung mit der Thematik anregen.
Definition und Abgrenzung
Das Remanufacturing (deutsch: Refabrikation) ist die industrielle Aufarbeitung von gebrauchten Altteilen und wird in der Literatur in seinen wesentlichen Eigenschaften einheitlich definiert. Aufbauend auf den nachgestellten Definitionen und Abgrenzungen wird Remanufacturing hier wie folgt verstanden und verwendet:
- Das Remanufacturing ist ein industrieller Aufarbeitungsprozess von Altteilen.
- Ein Altteil wird über standardisierte Prozessschritte wieder aufgearbeitet und ihm dessen ursprüngliche Funktion wieder zugeführt.
- Die dem Altteil wieder zugefügte Produktleistung ist gleich- oder höherwertig einer äquivalenten Neufertigung.
- Über gleiche Qualitätssicherungsmaßnahmen wie in der Neuteileproduktion und eine Garantie wird sichergestellt, dass das refabrizierte Produkt der Qualität einer Neufertigung entspricht.
Sundin fasst das Remanufacturing zusammen als industriellen Prozess, durch den Altteile für eine erneute Verwendung aufgearbeitet werden. Am Prozessende ist sicherzustellen, dass das refabrizierte Produkt den Standards der Originale entspricht. Die Einstufung als Abfall erfolgt nicht. Dabei wird der Begriff des Refurbishment mit dem des Remanufacturing gleichgesetzt.
Redaktioneller Hinweis: In der hier vorliegenden Kurzanalyse wird zugunsten einer guten Lesbarkeit die Wortgruppe‚ refabriziertes Produkt bzw. refabrizierte Produkteinheit im Weiteren als ‚refabriziertes Produkt‘ zusammengefasst. Unter der Begriff ‚Produkt‘ fallen folglich auch Produkteinheiten, wie Produktbaugruppen bzw. Produktteilsysteme.
Verwertungsverfahren zur Wiederverwendung
Remanufacturing ist in diesem Fall ein Verwertungsverfahren und kann gemäß § 6 (1) KrWG, der zweiten Ebene der Abfallhierarchie, der Vorbereitung zur Wiederverwendung, zugeordnet werden. Führt der Originalgerätehersteller die Aufarbeitung durch oder lässt diese durchführen, verbleibt die Produktverantwortung bei ihm. Diese kann übergehen zu einem vom Originalgerätehersteller unabhängigen Unternehmen, wenn dieses das jeweilige Produkt aufarbeitet und z. B. unter eigenem Namen vermarktet.
Das Elektro- und Elektronikgerätegesetz (ElektroG) stellt spezifische Anforderungen an Akteure, die auf eine Vorbereitung zur Wiederverwendung direkt oder indirekt Einfluss nehmen:
- Hersteller sollten gemäß § 4 (1) ElektroG “ihre Elektro- und Elektronikgeräte möglichst so gestalten, dass die Wiederverwendung und die Demontage […] berücksichtigt und erleichtert werden”.
- Erstbehandlungsanlagen für Elektro(nik)altgeräte sind nach § 20 (1) ElektroG verpflichtet, durch Sicht- und Funktionsprüfung zu kontrollieren, ob die Altgeräte einer Vorbereitung zur Wiederverwendung zugeführt werden können – soweit es technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar ist.
- Erstbehandlungsanlagen, also Remanufacturing-Unternehmen, die Elektro(nik)altgeräte aufarbeiten, müssen zudem gemäß § 21 ElektroG durch einen Sachverständigen zertifiziert werden.
Abfälle, die für ein Remanufacturing vorgesehen sind, werden oftmals international gehandelt und unterliegen dann der Abfallverbringungsverordnung (VVA) bzw. den Vorgaben der Baseler Konvention. Diese sind sehr strikt, um illegale Verbringungen zu unterbinden. Abfälle können somit, abhängig vom Gefährlichkeitsgrad und Empfängerstaat, genehmigungsfrei oder -pflichtig verbracht werden, wenn kein generelles Ausfuhrverbot besteht.
Prozesskette des Remanufacturing
Das Remanufacturing findet in Produktionsbetrieben statt, die wie Industriebetriebe organisiert sind. Das schließt Serienfertigung bzw. standardisierte Industrieprozesse sowie ein einheitliches Qualitätsniveau der aufgearbeiteten Produkte ein.
Die Abfolge der Prozesskettenschritte ist u. a. abhängig von den aufzuarbeitenden Altteilen. Mechanische, elektrische, elektromechanische und hydraulische Systeme (z. B. Kupplungen, Starter oder Lichtmaschinen) werden meist sofort demontiert und folgen den weiteren Prozessschritten der Reinigung, Prüfung, Aufarbeitung und Remontage.
Die vorgelagerte Eingangsfunktionsprüfung findet hauptsächlich bei mechatronischen, elektronischen und hybriden Systemen statt. In Fahrzeugen sind beispielsweise bis zu 100 Elektronikbaugruppen verbaut, für die eine sichere Prüfung und eine Fehlerdiagnose erfolgen müssen. Dazu dienen beispielsweise ein Verhaltenstest anhand einer Kennlinienanalyse, eine sich anschließende thermografische Diagnose und eine manuelle optische Diagnose, bevor das Produkt im verarbeitbaren Zustand in die Demontage gegeben wird.
Über die Demontage werden die Altteile in ihre Einzelbestandteile zerlegt und sortiert. Nicht wiederverwendbare und nicht refabrizierbare Bestandteile werden entfernt und einer adäquaten Verwertung zugeführt. Die Demontage erfordert zumeist eine manuelle Zerlegung, da unterschiedliche Korrosions- sowie Verschmutzungsgrade und die damit verbundene Aufarbeitung oder Verwertung nur durch geschultes Personal eingeschätzt werden können, eine große Vielfalt mit unterschiedlichen, zum Teil demontageunfreundlichen Altgerätestrukturen besteht und das Mengenaufkommen nur schwer kalkulierbar ist.
In der folgenden Reinigungsstufe werden die demontierten und für eine Aufarbeitung aussortierten Altteile entfettet, entölt, entrostet oder entlackt. Dies erfolgt durch Nassreinigung (z. B. Waschplatzsysteme, Kammerwaschanlagen mit Spritz-Flut-Tauch-Technik) oder durch Trockenreinigungssysteme (z. B. Brennöfen zur Lackschichtentfernung, Trockenstrahlanlagen mit Strahlmitteln gängiger Art, wie Sand, Glasperlen oder Korund). Es besteht Entwicklungsbedarf bei produkt- und werkstoffspezifischen Reinigungstechnologien, damit Oberflächen weniger angegriffen werden und die funktionalen Eigenschaften der Altteile besser geschützt werden können. Gleichzeitig sollen dabei Ressourceneffizienz-Aspekte Beachtung finden, wie die Aufbereitung und Kreislaufführung der Reinigungsmedien oder der Einsatz speicherprogrammierbarer Steuerungen (SPS), die eine auf die Verschmutzungstiefe abgestimmte Reinigung ermöglichen.
Die gereinigten Bauteile unterliegen einer weiteren Zustandsprüfung und werden entsprechend den festgestellten Mängeln in folgende Kategorien eingeteilt:
- Altteile, die keiner Aufarbeitung bedürfen, werden direkt in die Remontage gegeben.
- Altteile, die aufgearbeitet werden müssen, werden durch typische Verfahren wie Bohren, Fräsen, Honen, Schleifen oder Schweißen aufgearbeitet, geprüft und dann in der Remontage zum Ausgangsprodukt zusammengesetzt.
- Nicht wiederverwendbare Teile werden einer adäquaten Verwertung zugeführt und können durch neue Bau- bzw. Ersatzteile ausgetauscht werden.
Die Remontage kann nach der Aufarbeitung der Komponenten z. T. auf Fertigungslinien der Neuteile erfolgen, wenn die Altteile durch den Originalgerätehersteller refabriziert werden.
Nach der Fertigung des aufgearbeiteten Produkts, aber auch entlang des gesamten Aufarbeitungsprozesses werden kontinuierlich Qualitätssicherungsmaßnahmen betrieben. Die Endprüfung dient letztlich der Kontrolle der Leistungs- bzw. Funktionsfähigkeit und stellt sicher, dass sich diese auf gleichem oder höherem Niveau eines Neuprodukts bewegt. Qualitätssicherungsmaßnahmen werden — anders als bei Neuproduktionen – bei jedem refabrizierten Altteil durchgeführt.
Ökologische und Ökonomische Effekte durch Remanufacturing
Das Remanufacturing führt Produkte im Kreislauf. Die Nutzung von Primärrohstoffen und der Einsatz von u. a. Energie, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen für eine Neuproduktion entfallen folglich für mindestens einen Lebenszyklus. Die Frage, ob das Remanufacturing tatsächlich weniger Materialien und Energie benötigt als eine Neuproduktion, wurde bereits in mehreren Studien durch die Methode des Life Cycle Assessment (LCA) untersucht. Die vergleichende Bewertung von ökologischen Auswirkungen über den gesamten Lebensweg ermittelt dabei die aus Umweltsicht zu favorisierende Alternative.
Ausgewählte Ergebnisse von fünf durchgeführten LCA-Analysen verschiedener Remanufacturing-Fallbeispiele sind in nachfolgender Tabelle aufgelistet (VDI ZRE 2017):
LCA-Ergebnisse neu- und refabrizierter Produktteile – Fallbeispiele | ||||
Neufertigung | Refabrikation | Einsparung in % | ||
Fallbeispiel 1: Dieselmotor | ||||
Energieverbrauch in Megajoule | 6.016,68 MJ | 3.620,16 MJ | 40 % | |
Ressourcenverbrauch von Kohle in Kilogramm | 2.200 kg | 590 kg | 73 % | |
Ressourcenverbrauch von Erdöl in Kilogramm | 59,5 kg | 48,5 kg | 18 % | |
CO2-Emissionen in Tonnen | 3,9 t | 1,02 t | 74 % | |
Fallbeispiel 2: Zylinderkopf | ||||
Ressourcenverbrauch von Kohle in Kilogramm | 320.175 kg | 71.182 kg | 78 % | |
Ressourcenverbrauch von Erdöl in Kilogramm | 6.468 kg | 9.237 kg | – 43 % | |
CO2-Emissionen in Tonnen | 534 t | 126 t | 76 % | |
Fallbeispiel 3: Kompressor | ||||
Emissionen in Kilogramm CO2-Äquivalente | 1,590 kg CO2-eq | 168 kg CO2-eq | 89 % | |
Fallbeispiel 4: Schaltgetriebe | ||||
Energieverbrauch | Keine Angabe | Keine Angabe | 33 % | |
Fallbeispiel 5: Starter | ||||
Energieverbrauch in Megajoule-Äquivalente | 281,03 MJ-e | 122,73 MJ-e | 56 % | |
Materialverbrauch in Kilogramm | 3,49 kg | 0,43 kg | 88 % | |
Emissionen in Kilogramm CO2-Äquivalente | 17,01 kg CO2-eq | 8,03 kg CO2-eq | 53 % |
(Eigendarstellung aus VDI ZRE 2017)
Bis zu knapp 90 % weniger Emissionen und Material sowie bis zu 56 % weniger Energie werden in den vorgestellten Beispielen durch die Refabrikation von Altteilen verbraucht. Im Fall „Zylinderkopf“ werden etwa die Prozessschritte der Gusseisenerzeugung sowie das Gießen des Zylinderkopfs vermieden. Zudem benötigt die Aufarbeitung eines gebrauchten Zylinderkopfs weniger energetische Ressourcen und erzeugt geringere Emissionen als die Bearbeitung eines neuen Zylinderkopfs. Dieses Fallbeispiel zeigt auch, dass die Betrachtung des gesamten Lebenswegs unabdingbar ist. So erhöht sich der Erdölverbrauch für die gebrauchten Zylinderköpfe um 2.800 kg. Dies liegt einerseits am Transportweg zum Aufarbeitungsort (Remanufacturing-Zentrum), der sich um mehr als 750 km verlängert. Andererseits werden ca. 4,5 kg Erdöl je Zylinderkopf für die Pyrolyse zur Lackschichtentfernung während des Reinigungsprozesses eingesetzt. Die Refabrikation des Zylinderkopfs erhöht somit den Erdöleinsatz um insgesamt 43 %. Dennoch substituieren die übrigen Einsparungen den erhöhten Transportweg und den Erdöleinsatz im Reinigungsprozess und verringern die Umweltbelastung um rund 40 %.
Das Remanufacturing wird daher als Kreislaufführungsoption mit einem der höchsten Ressourceneffizienzpotenziale bewertet und besitzt beispielsweise auch im Vergleich zum Recycling eine geringere Umweltbelastung. Die eingesetzte Energie, die für die Aufarbeitung eines Altteils genutzt wird, liegt meist unter der genutzten Energie zum Recycling des Produkts und zur erneuten Produktherstellung aus den resultierenden Sekundärrohstoffen. Beide Varianten sind Kreislaufschließungsstrategien, die eine Unabhängigkeit von kritischen Rohstoffen fördern. Zusammenfassend besitzt der Einsatz refabrizierter Produkte klare Vorteile aus Umweltsicht. Die Bewertung sollte jedoch alle Kriterien und Lebensphasen einbeziehen.
Im verarbeitenden Gewerbe rechnen die Hersteller im Schnitt mit Materialkosten von mehr als 40 %, die den größten Kostenblock im Unternehmen ausmachen. Durch das Remanufacturing können Material- sowie Energieaufwendungen eingespart werden. Dies führt zu Kosteneinsparungen, die nach Möglichkeit über reduzierte Verkaufspreise teilweise an den Kunden weitergegeben werden können. Das Remanufacturing führt in diesem Fall zu einer Win-win-Situation für Hersteller und Kunden.
Am Beispiel mechatronischer Systeme konnte ermittelt werden, dass Altteile unter adäquaten Voraussetzungen teilweise zu Kosten von weniger als 50 % im Vergleich zum Originalneupreis aufarbeitbar sind. Die Gewinnschwelle ist dabei bereits bei geringen Stückzahlen erreichbar. Folglich können refabrizierte Produkte fallweise für rund 40 % bis 80 % des Anschaffungspreises eines äquivalenten Originalprodukts angeboten werden und bedeuten für den Kunden einen nicht zu vernachlässigenden Kostenvorteil. Die resultierenden Einsparungen für Hersteller und Kunden stellen sich jedoch nur unter bestimmten Marktvoraussetzungen ein. In den Vereinigten Staaten hat sich die Remanufacturing-Branche, die 2011 eine Marktgröße von ca. US $ 43 Milliarden besaß, nicht aus ökologischen Motiven oder gesetzlichen Auflagen etabliert, sondern aus rein wirtschaftlichen Anreizen (VDI ZRE 2017).
Die notwendigen Voraussetzungen können drei Bereichen zugeordnet werden:
- dem Rücknahmesystem für Altteile (a),
- dem Remanufacturing-Prozess (b) und
- der Vermarktung der Refabrikate (c).
Ein adäquates Rücknahmesystem (a) ist eine der Grundvoraussetzungen für ein wirtschaftlich funktionierendes Remanufacturing-Unternehmen bzw. eine Remanufacturing-Sparte in einem Unternehmen. Über das Beschaffungsmanagement bzw. die Akquise muss die kontinuierliche Bereitstellung konstanter Altteilmengen über die Zeit in möglichst gleichbleibender Qualität und für angemessene Preise gesichert werden. Das ist entscheidend davon abhängig, wie hoch der Verbreitungsgrad des Originalprodukts auf dem Markt ist. Eine geringe Marktmenge an Produkten erschwert die Rücknahmelogistik, während eine Markt(über)sättigung die Nachfrage nach refabrizierten Produkten in der Vermarktungsphase sinken lässt.
Die Prozessgestaltung der Aufarbeitung (b) ist der Art und Variantenvielfalt der Altteile anzupassen und muss wirtschaftlich ausgerichtet sein, d. h., die Kosten des technischen Aufwands sollten die Einnahmen durch die Refabrikate nicht übersteigen. Insbesondere die Überprüfung der Altteile kann aktuell noch nicht bzw. kaum über automatisierte Prozessschritte erfolgen, sondern bedarf einer manuellen Sichtdiagnose und erfordert spezifisches Know-how, also eine ausreichende Qualifikation der Mitarbeiter. Zudem müssen das Logistiksystem und die damit einhergehenden Transportaufwendungen die Rücknahmekanäle, die Remanufacturing-Standorte und die verfügbaren Vermarktungskanäle effizient vernetzen.
Zur Vermarktung der Refabrikate (c) müssen diese einen angemessenen Produktwert besitzen, d. h., es sollte eine konstante Nachfrage bestehen. Es ist dahingehend schwieriger, schnelllebige Elektronikartikel zu refabrizieren als beispielsweise über längere Zeitphasen benötigte Automobilprodukte wie Starter oder Lichtmaschinen. Hilfreich ist zudem ein bereits etablierter Aftermarket – ein Markt, auf dem reparierte, wiederverwendbare und aufgearbeitete Produkte gehandelt werden. Die Vertriebskanäle, über die die refabrizierten Produkte angeboten werden, sind immer wieder neu zu justieren und an die Anforderungen der Kunden und die aktuellen Marktentwicklungen anzupassen. Die Skepsis des Kunden gegenüber refabrizierten Produkten kann gehemmt werden, indem er die Produktleistung erkauft, ohne in Besitz des Produktes zu sein. Innerhalb des Unternehmens können weitere Effekte wie die des Produktkannibalismus auftreten. Dabei gehen refabrizierte Produkte zulasten von Marktanteilsgewinnen anderer im Unternehmen angebotener neu gefertigter Produkte. Um diesem Effekt vorzubeugen, trennte beispielsweise Dell auf dem amerikanischen Markt die Internetauftritte für Neuprodukte und refabrizierte Produkte. Die ökonomischen Effekte des Remanufacturing können sich somit positiv auf die Bilanz eines Unternehmens auswirken, wenn die Marktvoraussetzungen gegeben sind und beachtet werden.
Für das Remanufacturing bestehen demnach folgende Vorteile:
- ursprüngliche Ressourcen und Energie – also die ursprüngliche Wertschöpfung – bleiben zum Großteil erhalten
- i. d. R. geringere Herstellkosten im Vergleich zur Neuproduktion eines äquivalenten Produkts
- Kostenvorteile für Nutzer: Beschaffungskosten von Refabrikaten liegen ca. 40 % bis 80 % unter denen äquivalenter Neuprodukte
- Wettbewerbsvorteile durch höhere Gewinnspannen und strategische Vorteile
Design for Remanufacturing
Die ökonomischen und ökologischen Vorteile des Remanufacturing können verstärkt werden, indem bereits die Produktgestaltung an die Refabrikation angepasst wird. Das sogenannte „Design for Remanufacturing“ (DfRem) ist eine Komponente des Ökodesigns, das die Umweltbelastungen über den Lebensweg eines Produktes senkt.
Design for Remanufacturing kann an zwei Stellschrauben angewandt werden: einerseits beim strategischen Design, z. B. den Verkauf, das Marketing, den Service- Support, das Rücknahmesystem oder die Analyse des Aftermarket, und andererseits auf der technischen Ebene. Der Fokus lag in den letzten Jahren fast ausschließlich auf der Analyse und Entwicklung der technischen Ebene. Dazu gehören z. B. eine einfache Zerlegbarkeit, ein modularer Aufbau oder eine Verschleißfestigkeit von Komponenten.
Das geplante Produkt ist unter den Aspekten einer adaptiven Technologie, adäquater Materialien und einer effizienten Konstruktion zu gestalten. Die Hersteller/-Designer erzielen dabei den größten Nutzen einer nachhaltigen Produktgestaltung, wenn die Produktverantwortung, also der Produktbesitz, über den gesamten Lebensweg beim Hersteller verbleibt.
Es können sich dabei unter Umständen Zielkonflikte in der Produktentwicklung einstellen. Im Leichtbau kann beispielsweise die Einsparung von möglichst viel Gewicht (u. a. im Automobilsektor zur Reduktion des Benzin- bzw. Dieselverbrauchs) die Haltbarkeit eingesetzter Materialien beeinflussen und einer Produktnutzung über mehrere Lebenszyklen und damit dem Remanufacturing entgegenstehen. Eine umfassende Betrachtung des Produktlebenszyklus und eine genaue Zieldefinition sind somit unabdingbar.
Neben dem Lebenszyklus-Gedanken als Schlüsselempfehlung sollte das strategische Design, also die Auslegung der operativen und organisatorischen Faktoren zugunsten des Remanufacturing, eine größere Rolle spielen. Dies beinhaltet die Definition der Strategie hinsichtlich u. a. der Kundenbedürfnisse bzw. des Verbraucherverhaltens, einer angemessenen Kommunikations- und Öffentlichkeitsarbeit, optimaler Preisstrategien, effizienter Rücknahmesysteme und die Marktanalyse für aufgearbeitete Altteile.
Die organisatorische und operative Gestaltung beeinflusst ein erfolgreiches Remanufacturing maßgeblich. Die VDI Richtlinie 2343, Blatt 2 präzisiert z. B. die Sammel- und Entsorgungslogistik, dennoch sind Untersuchungen dazu aktuell noch rar und bedürfen einer Intensivierung, um das Design for Remanufacturing auf strategischer Ebene voranzutreiben.
Wesentliche Aspekte auf den beiden Ebenen des Design for Remanufacturing sind:
- Technische Ebene: Einsatz dauerhafter und adaptionsfähiger Technologien, Verarbeitung langlebiger und belastbarer Materialien und zerlegbarer, modularer, teilweise standardisierter Produktaufbau
- Strategische Ebene: umfassende Analyse des Markts und des Verbraucherverhaltens in Bezug auf die zu refabrizierenden Produkte sowie die Festlegung einer Marketingstrategie und eines effizienten Rücknahmesystems.
Praxisbeispiele
Aufgearbeitete Wasserzähler
Wasserzähler bestehen grundsätzlich aus einem Kunststoffzählwerk und einer durchflossenen Hydraulik aus Messing. In den letzten Jahren waren die Rohstoffpreise für Messing starken Schwankungen unterworfen, weshalb in der Produktion von Wasserzählern Messing durch Kunststoffe ersetzt wurde. Die Nachteile liegen dabei in der energieintensiven Herstellung des Kunststoffs und in seiner geringeren Haltbarkeit.
Die Mess- und Eichverordnung legt nach Anlage 7, Punkt 5.5. (MessEV – BGBl. I 2014) Eichfristen für Messgeräte für strömendes Wasser fest. Für Kaltwasserzähler mit mechanischer Zusatzeinrichtung wird beispielsweise eine erneute Eichung nach sechs Jahren erforderlich. Dies bedingt aus wirtschaftlichen Gründen den Tausch der gesamten Wasserzähler. Aufgrund dieser relativ verlässlichen Rücklaufquote der Wasserzähler hat die Lorenz GmbH, ein mittelständischer Hersteller von Wasserzählern, ein Rücknahmekonzept entwickelt: Durch Messdienste und Wasserversorger ausgewechselte Wasserzähler werden durch die Lorenz GmbH wieder zurückgenommen bzw. gekauft und einer eigenen Aufarbeitung zugeführt. Diese beinhaltet eine effiziente Demontage der Wasserzähler, wobei verschlissene, verbrauchte oder verschmutzte Komponenten, z. B. Batterien und Siebe, teilweise ausgetauscht werden. Die Hydraulikkomponente aus Messing mit oftmals geringen Verschleißerscheinungen wird wieder aufgearbeitet und teilweise mit Neumaterial zu einem refabrizierten Wasserzähler remontiert.
Da u. a. der gesamte Schmiedeprozess der Herstellung der Hydraulikkomponente entfällt, spart die Lorenz GmbH rund 30 % an Neumaterial, insbesondere an Messing, und reduziert den jährlichen Energieverbrauch um rund 150.000 kWh. Derzeit werden rund 75 % der rückläufigen Wasserzähler wiederverwertet, wobei rund 25 % der hergestellten Wasserzähler aus aufgearbeitetem Material bestehen.
Der reduzierte Materialaufwand schlägt sich in sinkenden Materialkosten nieder, die die zusätzlichen Personalkosten für den Aufarbeitungsprozess nicht übersteigen. Durch eine rund 30%ige Entlastung der Hydraulik-Fertigung kann zusätzlich eine gleiche Produktionsmenge bei geringerem Aufwand produziert und ein Produktionswachstum ohne zusätzliche Investitionen erreicht werden.
Aufgearbeitete carbonfaserverstärkte Kunststoffkomponenten
Die Herstellung von kohlenstofffaserverstärkten Kunststoffen (CFK) bedarf eines hohen energetischen Aufwands, der über eine Rück- bzw. Kreislaufführung des CFK gerechtfertigt werden kann. Die aktuellen Recyclingtechnologien für CFK (z. B. Pyrolyse) sind jedoch weder wirtschaftlich noch ressourceneffizient und verkürzen die zurückgewonnenen Fasern.
Recycelte CFK haben so eine verminderte Qualität und werden nur noch für Bauteile geringerer Anforderungen verwendet. Somit stellt das Remanufacturing eine wirtschaftliche Variante dar, um die hochwertige Qualität der CFK-Komponenten zu erhalten. Ein Unternehmen stellt CFK-Komponenten für Fahrräder, den Motorsport und die Medizintechnik her. Da die Firma einen Nischenmarkt bedient, besteht ein enges Kundenverhältnis, über das gebrauchte oder defekte Produkte zum Unternehmen zurückgelangen. Die zurückgegebenen Produkte werden demontiert und unterliegen einer Prüfung. Häufig wird der defekte CFK-Bereich, meist Röhren oder CFK-Oberflächen, vom Rest des Produkts entfernt und durch ein neues CFK-Teil ersetzt. Die Herausforderung liegt in der erneuten Verbindung des vorhandenen und neu eingesetzten CFK-Bereichs, die viel Know-how und technischer Erfahrung bedarf.
Während des Remanufacturing-Prozesses werden die aufgearbeiteten Komponenten permanent geprüft. Am Prozessende unterliegen die Komponenten einer finalen Prüfung, um die Funktion und die Leistungsfähigkeit des aufgearbeiteten Produkts zu gewährleisten, wobei die Herstellungskosten in einigen Fällen um 70 % bis 80 % gesenkt werden können.
Fazit
Die Kurzanalyse zeigt, dass das Remanufacturing von Produkten unter adäquaten Voraussetzungen hohe Ressourceneffizienzpotenziale birgt und in kleinen und mittleren Unternehmen – als Beschaffer sowie Anbieter von refabrizierten Produkten – zu verminderten Materialverbräuchen und Kosteneinsparungen und damit zu Wettbewerbsvorteilen führen kann.
Im Vergleich zu einer Neufertigung erbringen die aufgearbeiteten Produkte eine äquivalente oder höherwertige Produktleistung. Eine Garantie wird durch den Remanufacturer gewährleistet.
Durch die Vermeidung einer Neufertigung werden Material- und Energieaufwendungen in der Werkstoffherstellung, der Bauteilherstellung sowie im End-of-life eingespart.
Beispiele und Analysen zeigen, dass durch die Refabrikation von Altteilen in Einzelfällen bis zu 80 % der Herstellungskosten eingespart und die Materialverbräuche bis zu knapp 90 % reduziert werden konnten. Dies ermöglicht es den Herstellern, die resultierenden Gewinnspannen teilweise an die Kunden weiterzugeben. Refabrizierte Produkte können somit für ca. 40 % bis 80 % des Anschaffungspreises eines Neuprodukts angeboten werden. Dies resultiert in einer erhöhten Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen durch eine variable Preispolitik bei gleichzeitig größerer Produktpalette.
Die positiven ökonomischen und ökologischen Effekte können noch verstärkt werden, indem bereits bei der Produktgestaltung auf ein Remanufacturing-gerechtes Design geachtet wird. Dazu zählen beispielsweise ein modularer Aufbau sowie eine einfache Zerlegbarkeit, hohe Korrosionsresistenz und Verschleißfestigkeit eingesetzter Materialien oder das Vorsehen von Möglichkeiten zu Technologiesprüngen.
Gerade der zunehmende Anteil an Elektronik in Produkten und die steigende Komplexität stellen die Remanufacturing-Branche jedoch vor Herausforderungen. Auch die Verfügbarkeit von qualitativ hochwertigen Ersatzteilen, das Image des Remanufacturing-Sektors und die Verfügbarkeit von gut ausgebildetem Personal werden als aktuelle und teilweise als zukünftige Schwächen eingeschätzt.
Gleichzeitig begreift die Remanufacturing-Branche beispielsweise den 3D-Druck als Chance, um auf eine beschränkte Verfügbarkeit von Ersatzteilen zu reagieren. Auch die steigende positive Wahrnehmung der Branche wird bereits als Chance erkannt, die dem Markt u. a. zum Wachstum verhilft. Bis zum Jahr 2030 wird unter aktuellen Konditionen mit einem Wachstum der europaweiten Remanufacturing-Branche um mehr als 50 % auf 46 Mrd. Euro gerechnet. Dies unterstreicht die steigende Bedeutung des Remanufacturing für die industrielle Produktion und eröffnet weitere Ressourceneffizienzpotenziale.
Quellenverzeichnis
BGR Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (2020): Kupfer – Informationen zur Nachhaltigkeit. Online: https://www.bgr.bund.de/DE/Gemeinsames/Produkte/Downloads/Informationen_Nachhaltigkeit/kupfer.pdf
BMUV Abfallvermeidungsprogramm des Bundes unter Beteiligung der Länder, Fortschreibung (2020). Online:
www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Abfallwirtschaft/fortschreibung_abfallvermeidungsprogramm_bund_laender_bf.pdf
ERN Europäisches Remanufacturing-Netzwerk (2020). Online: www.remanufacturing.eu
Der Blaue Engel – Umweltfreundliche Beschaffung (o.J.). Online:
www.blauer-engel.de/de/aktuelles/publikationen?format=beschaffungsleitfaeden
Destatis Statistisches Bundesamt (2022): Indikatoren der UN-Nachhaltigkeitsziele. Online: http://sdg-indikatoren.de/
Mess- und Eichverordnung – MessEV, Anlage 7 (zu § 34 Absatz 1 Nummer 1). Besondere Eichfristen für einzelne Messgeräte (BGBl. I 2014). Online: https://www.gesetze-im-internet.de/messev/anlage_7.html
Quarks WDR (2022): Recycling- Darum ist Aluminium nicht gut für die Umwelt. Online:
https://www.quarks.de/umwelt/muell/darum-ist-aluminium-nicht-gut-fuer-die-umwelt/
Suchmaschine für Maschinen (o.J.) Online: https://www.maschinensucher.de/
Statista (2023): Prognose zur Entwicklung der Weltbevölkerung von 2010 bis 2100. Online: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1717/umfrage/prognose-zur-entwicklung-der-weltbevoelkerung/
Uhland et al (2021): Thomas Uhland, Nicolas Fuchs, Verena Fluri, Christoph Kost: Photovoltaik in Gewerbe und Industrie – Solarenergie erfolgreich einsetzen. Solar Cluster Baden-Württemberg e.V. (Hrsg.) Stuttgart 2021. Online: https://solarcluster-bw.de/fileadmin/Dokumente/Downloads/2021_12_Solar_Cluster_BW_PV-Netzwerk_Leitfaden_Photovoltaik_in_Gewerbe_und_Industrie.pdf
UBA Umweltbundesamt (2017): Position- Strategien gegen Obsoleszenz. Online:
www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2017_11_17_uba_position_obsoleszenz_dt_bf.pdf
UBA Umweltbundesamt (2022) – Ökodesign. Online:
www.umweltbundesamt.de/themen/wirtschaft-konsum/produkte/oekodesign
UBA Umweltbundesamt (2023): Umweltgefahrenradar für Eisen-, Kupfer,- und Bauxitlieferketten. Online:
www.umweltbundesamt.de/themen/umweltgefahrenradar-fuer-eisen-kupfer
VDI ZRE Publikationen – Kurzanalyse Nr. 4 (2013): Ressourceneffizienz durch Werkstoffsubstitution. Online:
https://www.ressource-deutschland.de/… Werkstoffsubstitution.pdf
VDI ZRE Publikationen – Kurzanalyse Nr. 18 (2017): Ressourceneffizienz durch Remanufacturing – Industrielle Aufarbeitung von Altteilen. Online:
https://www.ressource-deutschland.de/… Remanufacturing_bf.pdf
VDI ZRE Publikationen – Kurzanalyse Nr. 31 (2022): Digitale Technologien für die Entwicklung ressourceneffizienter Produkte und Services. Online:
https://www.ressource-deutschland.de/… Digitalisierung & Produktentwicklung.pdf
VDI ZRE Publikationen – Studie (2021): Potenziale der schwachen künstlichen Intelligenz für die betriebliche Ressourceneffizienz. Online:
https://www.ressource-deutschland.de/ … KI-betriebliche-Ressourceneffizienz.pdf
Verbraucherservice Bayern (2021): Aluminium – ein problematischer Rohstoff. Online:
www.verbraucherservice-bayern.de/…aluminium-ein-problematischer-rohstoff
SDG 13 Maßnahmen zum Klimaschutz
“Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen”
Das SDG 13; “Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen”, gehört zu den besonders zentralen Nachhaltigkeitszielen und zielt darauf ab den Klimawandel als globale Bedrohung, die bereits heute jedes Land auf allen Kontinenten betrifft und sich negativ auf die Volkswirtschaften und das Leben jedes Einzelnen auswirkt, zu begrenzen.
Für den Bereich der Anlagentechnik ist insbesondere das folgende Unterziel von Relevanz (Destatis 2022):
SDG 13.3: “Die Aufklärung und Sensibilisierung sowie die personellen und institutionellen Kapazitäten im Bereich der Abschwächung des Klimawandels, der Klimaanpassung, der Reduzierung der Klimaauswirkungen sowie der Frühwarnung verbessern”
Die Schnittmengen mit der Standardberufsbildposition liegen vor allem in der Reduzierung der direkten und indirekten Emissionen (Belastung der Umwelt) sowie der nachhaltigen Nutzung von Energie (vgl. BMBF 2022):
a) Möglichkeiten zur Vermeidung betriebsbedingter Belastungen für Umwelt und Gesellschaft im eigenen Aufgabenbereich erkennen und zu deren Weiterentwicklung beitragen
b) bei Arbeitsprozessen und im Hinblick auf Produkte, Waren oder Dienstleistungen Materialien und Energie unter wirtschaftlichen, umweltverträglichen und sozialen Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit nutzen
Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels
Die Auswirkungen des Klimawandels sind bereits heute Realität: Die Wetterverhältnisse ändern sich, der Meeresspiegel steigt, die Wetterereignisse werden immer extremer und die Treibhausgasemissionen erreichen heute die höchsten Werte in der Geschichte. Ohne entsprechende Maßnahmen dürfte der Anstieg der durchschnittlichen Oberflächentemperatur der Welt in diesem Jahrhundert 3 Grad Celsius überschreiten. Am stärksten betroffen sind die Ärmsten und die Schwächsten. Doch erschwingliche und ausbaufähige Lösungen sind bereits jetzt verfügbar, denn immer mehr Menschen greifen auf erneuerbare Energien und eine Reihe anderer Maßnahmen zurück, welche die Emissionen von Treibhausgasen reduzieren und die Anpassung an den Klimawandel stärken. Der Klimawandel ist jedoch eine globale Herausforderung, die keine nationalen Grenzen kennt. Für die Lösung dieses globalen Problems ist daher eine Koordination auf internationaler Ebene unverzichtbar (UNRIC o.J.).
Der Klimawandel wird durch die Emission von Treibhausgase verursacht. Zahlreiche Gase sind verantwortlich für den Klimawandel. Ihnen gemeinsam ist ihre Undurchlässigkeit für die (Infrarot-)Wärmestrahlung der Erde. Dies führt bekanntlichermaßen zum Klimawandel. Jedes dieser Gase trägt in unterschiedlichem Maße zum Klimawandel bei. Die Stoffe bleiben zudem unterschiedlich lange in der Atmosphäre, weshalb sie unterschiedlich zum Treibhauseffekt beitragen. Das IPCC (International Panel for Climate Change) definiert deshalb ein GWP Global Warming Potential (Erwärmungswirkung für den Klimawandel) eines Stoffes in hundert Jahren im Vergleich zu Kohlendioxid CO₂ wie folgt (My Climate, o.J.):
Kohlendioxid CO₂: 1 (Bezugswert)
Methan CH4: 28
Stickstoffdioxid N2O: 265
FCKW (verboten) > 12.000
CO₂-Emissionen
Bedeutung und Minderungsziele
Unter den Treibhausgas-Emissionen fällt den CO₂-Emissionen eine besondere Bedeutung zu. Neben Methan, Lachgas und den F-Gasen macht der Anteil der CO₂-Emissionen fast neunzig Prozent aus (Stand 2022: 89,4 Prozent) (UBA 2023b). Damit ist Kohlenstoffdioxid insgesamt und gerade auch für das Berufsfeld der Anlagenmechanik das bei Weitem bedeutendste Klimagas, bei dem somit auch das größte Einsparpotenzial durch entsprechende Anlagentechnik besteht.
In der Änderung des Klimaschutzgesetzes vom August 2021 sind die deutschen Treibhausgasminderungsziele bis 2040 festgelegt. Demnach sollen die Emissionen bis 2030 um mindestens 65 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden. Tatsächlich gehen in Deutschland die Kohlendioxid-Emissionen nahezu kontinuierlich zurück (Baunetzwissen (o.J.).
Herkunft und Wirkung der CO₂-Emissionen
Bei jeder Verbrennung, etwa von Öl, Kohle, Gas oder Holz (kohlenstoffhaltigen Materialien), wird gebundenes Kohlendioxid freigesetzt. CO₂-Emissionen entstehen aber auch bei der Verbrennung von Steinen und Erden, etwa von Kalkstein, der als Branntkalk zur Zement- und Baustoffherstellung dient. Bei der Verbrennung von festen Brennstoffen, die überwiegend aus Kohlenstoff bestehen, sind die Emissionen bezogen auf die Einheit der eingesetzten Energie am höchsten, bei gasförmigen Brennstoffen wegen des Wasserstoffgehalts am niedrigsten. Flüssige Brennstoffe lassen sich dazwischen einordnen. Mit 84 Prozent im Jahr 2021 war die bedeutendste Quelle der Treibhausgas-Emissionen die Verbrennung fossiler Brennstoffe, was sich mit Ausbau der regenerativen Energien sowie der Elektromobilität auf Basis regenerativ erzeugten Stroms in den Folgejahren merklich reduzieren dürfte.
CO₂ verstärkt maßgeblich den natürlichen Treibhauseffekt, wodurch die Durchschnittstemperatur messbar ansteigt. Diese Erderwärmung führt etwa zum Abschmelzen der Pole und Gletscher, wodurch der Meeresspiegel steigt und Überschwemmungen drohen. Naturkatastrophen und Wetterextreme können auf diesen Klimawandel und damit auf die CO₂-Emissionen zurückgeführt werden.
Entwicklung der CO₂-Emissionen in Deutschland
In den 1990er-Jahren (vor allem zwischen 1990 und 1995) sind die CO₂-Emissionen wegen des verminderten Braunkohleeinsatzes in den ostdeutschen Bundesländern merklich zurückgegangen. Die Klimaschutzpolitik in den 1990er-Jahren wirkte sich emissionsmindernd aus, ebenso die ökonomische Krise im Jahr 2009. Anstiege der Emissionen gibt es hauptsächlich durch kalte Winter, insgesamt aber konnten seit 1990 die allgemeinen Treibhausgas-Emissionen in Deutschland deutlich verringert werden. Bis 2021 sanken die in die Kohlendioxid-Äquivalente umgerechneten Gesamt-Emissionen (ohne Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft) um rund 480 Millionen Tonnen (38,7 Prozent). 2021 stiegen die Gesamt-Emissionen – aufgrund von Sondereffekten – wieder, lagen mit 762 Mio. Tonnen aber deutlich unter dem Niveau von 2019 (Baunetzwissen (o.J.).
Wichtigster Faktor beim Anstieg der Emissionen im Jahr 2021 war die Energiewirtschaft und hier besonders die Emissionen aus der Stein- und Braunkohleverstromung. Die steigenden Preise beim emissionsärmeren Erdgas führten demgegenüber zu einem geringeren Einsatz desselben. Verstärkt hat sich diese Entwicklung im Rahmen des Ukrainekrieges, der folgenden Wirtschaftssanktionen und der Befürchtung einer Erdgasmangelsituation im Winter 2022/23. Insgesamt aber nahmen die energiebedingten Emissionen aller Treibhausgase seit 1990 um rund 39 Prozent ab.
Treibhausgasminderungsziele
Eingebettet ist die deutsche Klimapolitik in die Klimaschutzprozesse der Europäischen Union sowie der UNO. Maßstab und Leitbild sind die Vereinbarungen der UN-Klimarahmenkonvention und ihrer Zusatzprotokolle, dem Kyoto-Protokoll und dem Übereinkommen von Paris.
Die nationalen Treibhausgasminderungsziele, die 2010 im Energiekonzept entsprechend der Koalitionsvereinbarungen festgehalten wurden, waren zwar ambitioniert (40 Prozent für 2020 und 55 Prozent für 2030 gegenüber 1990), jedoch als unverbindliche Ziele niedergeschrieben. Im Dezember 2014 zeichnete sich bereits eine Lücke in der Zielerreichung ab, weswegen das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 verabschiedet wurde, das in jährlichen Klimaschutzberichten überprüft wird. Im Dezember 2019 wurde das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) als Teil des Klimaschutzprogramms 2030 verabschiedet, das verbindliche Treibhausgasminderungsziele für die Jahre 2020 bis 2030 als zulässige Jahresemissionsmengen (Sektorenziele) festlegt, die durch Monitoring überprüft werden. 2021 wurde mit dem Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) ein nationales Emissionshandelssystem (nEHS) eingeführt, das einen Preis pro Tonne CO₂ für Brennstoffe vorsieht, die nicht vom EU-Emissionshandel abgedeckt sind, was vorwiegend die Sektoren Gebäude und Verkehr betrifft.
Ein Gutachten zur Abschätzung der Treibhausgasminderungswirkung des Klimaschutzprogramms 2030 im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA 2021) zeigte, dass auch die Maßnahmen des Klimaschutzprogramms 2030 nicht ausreichen würden, um das Ziel von 55 Prozent bis 2030 zu erreichen. Vor allem in den Sektoren Gebäude und Verkehr wären ambitioniertere Maßnahmen notwendig gewesen (UBA 2023a). Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom August 2021 führte deshalb zu einer ersten Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes:
Bis 2030 sollten nun die Treibhausgasemissionen um mindestens 65 Prozent,
bis 2040 um mindestens 88 Prozent gesenkt,
bis 2045 die Netto-Treibhausgasneutralität erreicht und
bis 2050 negative Treibhausgasemissionen erzielt werden.
In dem Projektionsbericht des Umweltbundesamtes (UBA Projektionsbericht 2021) wurde ein Szenario für die Entwicklung der Treibhausgas-Emissionen in Deutschland für den Zeitraum 2021 bis 2040 erarbeitet. Demnach verfehlt Deutschland die Vorgaben mit den derzeit gültigen Klimaschutzmaßnahmen. Der Bericht prognostiziert bis 2030 eine Minderung um 49 Prozent und bis 2040 um 67 Prozent .
Es müssen künftig also weitere und wirkungsvolle Maßnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen, und hier speziell der CO₂-Emissionen, getroffen werden. Der Bereich der Infrastrukturtechnik im Zusammenspiel mit dem nachgelagerten Gebäudesektor kann hier einen wichtigen Beitrag leisten.
Quellenverzeichnis
Baunetzwissen (o.J.): CO2-Emissionen. Online:
https://www.baunetzwissen.de/gebaeudetechnik/fachwissen/planungsgrundlagen/CO₂-emissionen-7906731
BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung (2022): Digitalisierung und Nachhaltigkeit – was müssen alle Auszubildenden lernen? Online: https://www.bmbf.de/bmbf/de/bildung/berufliche-bildung/rahmenbedingungen-und-gesetzliche-grundlagen/gestaltung-von-aus-und-fortbildungsordnungen/digitalisierung-und-nachhaltigkeit/digitalisierung-und-nachhaltigkeit
Destatis Statistisches Bundesamt (2022): Indikatoren der UN-Nachhaltigkeitsziele. Online: http://sdg-indikatoren.de/
My Climate (o.J.): Was sind CO2-Äquivalente. Online: https://www.myclimate.org/de/informieren/faq/faq-detail/was-sind-co2-aequivalente/
UBA Projektionsbericht 2021. Online: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/372/dokumente/projektionsbericht_2021_uba_website.pdf
UBA (2021): Abschätzung der Treibhausgasminderungswirkung des Klimaschutzprogramms 2030 der Bundesregierung. Online: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/5750/publikationen/2021-03-19_cc_33-2020_klimaschutzprogramm_2030_der_bundesregierung.pdf
UBA (2023a). Treibhausgasminderungsziele Deutschlands. Online:
https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgasminderungsziele-deutschlands#nationale-treibhausgasminderungsziele-und-deren-umsetzung
UBA (2023b): Treibhausgas-Emissionen in Deutschland . Online: https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgas-emissionen-in-deutschland#emissionsentwicklung
UNRIC (o. J.) Regionales Informationszentrum der Vereinten Nationen: SDG 13 Maßnahmen zum Klimaschutz. Online: https://unric.org/de/17ziele/sdg-13/