Änderungsschneider/Änderungsschneiderin
Einleitung
Ziele der Projektagentur PA-BBNE
Das Ziel der „Projektagentur Berufliche Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ (PA-BBNE) ist die Entwicklung von Materialien, die die um Nachhaltigkeit erweiterte neue Standardberufsbildposition „Umweltschutz und Nachhaltigkeit“ mit Leben füllen soll. Mit „Leben zu füllen“ deshalb, weil „Nachhaltigkeit“ ein Ziel ist und wir uns den Weg suchen müssen. Wir wissen beispielsweise, dass die Energieversorgung künftig klimaneutral sein muss. Mit welchen Technologien wir dies erreichen wollen und wie unsere moderne Gesellschaft und Ökonomie diese integriert, wie diese mit Naturschutz und Sichtweisen der Gesellschaft auszugestalten sind, ist noch offen.
Um sich mit diesen Fragen zu beschäftigen, entwickelt die PA-BBNE Materialien, die von unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden:
- Zum einen widmen wir uns der beruflichen Ausbildung, denn die nachhaltige Entwicklung der nächsten Jahrzehnte wird durch die jungen Generationen bestimmt werden. Die duale berufliche Ausbildung orientiert sich spezifisch für jedes Berufsbild an den Ausbildungsordnungen (betrieblicher Teil der Ausbildung) und den Rahmenlehrplänen (schulischer Teil der Ausbildung). Hierzu haben wir dieses Impulspapier erstellt, das die Bezüge zur wissenschaftlichen Nachhaltigkeitsdiskussion praxisnah aufzeigt.
- Zum anderen orientieren wir uns an der Agenda 2030. Die Agenda 2030 wurde im Jahr 2015 von der Weltgemeinschaft beschlossen und ist ein Fahrplan in die Zukunft (Bundesregierung o. J.). Sie umfasst die sogenannten 17 Sustainable Development Goals (SDGs), die jeweils spezifische Herausforderungen der Nachhaltigkeit benennen (vgl. Destatis 2022). Hierzu haben wir ein Hintergrundmaterial (HGM) im Sinne der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE, vgl. BMBF o. J.) erstellt, das spezifisch für unterschiedliche Berufe ist.
Die Materialien der Projektagentur
Die neue Standardberufsbildposition gibt aber nur den Rahmen vor. Selbst in novellierten Ausbildungsordnungen in Berufen mit großer Relevanz für wichtige Themen der Nachhaltigkeit wie z. B. dem Klimaschutz werden wichtige Fähigkeiten, Kenntnissen und Fertigkeiten in den berufsprofilgebenden Berufsbildpositionen nicht genannt – obwohl die Berufe deutliche Beiträge zum Klimaschutz leisten könnten. Deshalb haben wir uns das Ziel gesetzt, Ausbildenden und Lehrkräften Hinweise im Impulspapier zusammenzustellen im Sinne einer Operationalisierung der Nachhaltigkeit für die unterschiedlichen Berufsbilder. Zur Vertiefung der stichwortartigen Operationalisierung wird jedes Impulspapier ergänzt durch eine umfassende Beschreibung derjenigen Themen, die für die berufliche Bildung wichtig sind. Dieses sogenannte Hintergrundmaterial orientiert sich im Sinne von BNE an den 17 SDGs, ist faktenorientiert und wurde nach wissenschaftlichen Kriterien erstellt. Ergänzt werden das Impulspapier und das Hintergrundmaterial durch einen Satz von Folien, die sich den Zielkonflikten widmen, da „Nachhaltigkeit das Ziel ist, für das wir den Weg gemeinsam suchen müssen“. Und dieser Weg ist nicht immer gleich für alle Branchen, Betriebe und beruflichen Handlungen, da unterschiedliche Rahmenbedingungen in den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökonomie, Ökologie und Soziales – gelten können. Wir haben deshalb die folgenden Materialien entwickelt:
- BBNE-Impulspapier (IP): Betrachtung der Schnittstellen von Ausbildungsordnung, Rahmenlehrplan und den Herausforderungen der Nachhaltigkeit in Anlehnung an die SDGs der Agenda 2030. Das Impulspapier ist spezifisch für einen Ausbildungsberuf erstellt, fasst aber teilweise spezifische Ausbildungsgänge zusammen (z. B. den Fachmann und die Fachfrau zusammen mit der Fachkraft sowie die verschiedenen Fachrichtungen)
- BBNE-Hintergrundmaterial (HGM): Betrachtung der SDGs unter einer wissenschaftlichen Perspektive der Nachhaltigkeit im Hinblick auf das Tätigkeitsprofil eines Ausbildungsberufes bzw. auf eine Gruppe von Ausbildungsberufen, die ein ähnliches Tätigkeitsprofil aufweisen;
- BBNE-Foliensammlung (FS) und Handreichung (HR): Folien mit wichtigen Zielkonflikten – dargestellt mit Hilfe von Grafiken, Bildern und Smart Arts für das jeweilige Berufsbild, die Anlass zur Diskussion der spezifischen Herausforderungen der Nachhaltigkeit bieten. Das Material liegt auch als Handreichung (HR) mit der Folie und Notizen vor.
Die Standardberufsbildposition “Umweltschutz und Nachhaltigkeit”
Seit August 2021 müssen auf Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) bei einer Modernisierung von Ausbildungsordnungen die vier neuen Positionen „Umweltschutz und Nachhaltigkeit“, Digitalisierte Arbeitswelt“, Organisation des Ausbildungsbetriebs, Berufsbildung, Arbeits- und Tarifrecht“ sowie „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ aufgenommen werden (BIBB 2021). Insbesondere die letzten beiden Positionen unterscheiden sich deutlich von den alten Standardberufsbildpositionen.
Diese Positionen begründet das BIBB wie folgt (BIBB o. J.a): „Unabhängig vom anerkannten Ausbildungsberuf lassen sich Ausbildungsinhalte identifizieren, die einen grundlegenden Charakter besitzen und somit für jede qualifizierte Fachkraft ein unverzichtbares Fundament kompetenten Handelns darstellen“ (ebd.).
Die Standardberufsbildpositionen sind allerdings allgemein gehalten, damit sie für alle Berufsbilder gelten (vgl. BMBF 2022). Eine konkrete Operationalisierung erfolgt üblicherweise durch Arbeitshilfen, die für alle Berufsausbildungen, die modernisiert werden, erstellt werden. Die Materialien der PA-BBNE ergänzen diese Arbeitshilfen mit einem Fokus auf Nachhaltigkeit und geben entsprechende Anregungen (vgl. BIBB o. J.b). Das Impulspapier zeigt vor allem in tabellarischen Übersichten, welche Themen der Nachhaltigkeit an die Ausbildungsberufe anschlussfähig sind.
Die neue Standardberufsbildposition „Umweltschutz und Nachhaltigkeit“ ist zentral für eine BBNE, sie umfasst die folgenden Positionen (BMBF 2022).
a) “Möglichkeiten zur Vermeidung betriebsbedingter Belastungen für Umwelt und Gesellschaft im eigenen Aufgabenbereich erkennen und zu deren Weiterentwicklung beitragen
b) bei Arbeitsprozessen und im Hinblick auf Produkte, Waren oder Dienstleistungen Materialien und Energie unter wirtschaftlichen, umweltverträglichen und sozialen Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit nutzen
c) für den Ausbildungsbetrieb geltende Regelungen des Umweltschutzes einhalten
d) Abfälle vermeiden sowie Stoffe und Materialien einer umweltschonenden Wiederverwertung oder Entsorgung zuführen
e) Vorschläge für nachhaltiges Handeln für den eigenen Arbeitsbereich entwickeln
f) unter Einhaltung betrieblicher Regelungen im Sinne einer ökonomischen, ökologischen und sozial nachhaltigen Entwicklung zusammenarbeiten und adressatengerecht kommunizieren”
Die Schnittstellen zwischen der neuen Standardberufsbildposition „Umweltschutz und Nachhaltigkeit” werden in
fortlaufend aufgezeigt. Mit Ausnahme der Position c) werden in der Tabelle alle Positionen behandelt. Die Position c) wird nicht behandelt, da diese vor allem ordnungsrechtliche Maßnahmen betrifft, die zwingend zu beachten sind. Maßnahmen zur Nachhaltigkeit hingegen sind meist freiwillige Maßnahmen und können, müssen aber nicht durch das Ordnungsrecht geregelt bzw. umgesetzt werden. In der Tabelle werden die folgenden Bezüge hergestellt:
- Spalte A: Positionen der Standardberufsbildposition „Umweltschutz und Nachhaltigkeit”;
- Spalte B: Vorschläge für Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten, die im Sinne der nachhaltigen Entwicklung wichtig sind;
- Spalte C: Bezüge zur Nachhaltigkeit;
- Spalte D: Mögliche Aufgabenstellungen für die Ausbildung im Sinne der Position 3e) „Vorschläge für nachhaltiges Handeln entwickeln“;
- Spalte E: Zuordnung zu einem oder mehreren SDGs (Verweis auf das Hintergrundmaterial).
Bildung für nachhaltige Entwicklung
Die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) meint eine Bildung, die Menschen zu zukunftsfähigem Denken und Handeln befähigt. Sie ermöglicht jedem Einzelnen, die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt zu verstehen (BMBF o. J.). BBNE ist somit nur ein Teil von BNE, der an alle Bürger*innen adressiert ist. Eine Entwicklung ist dann nachhaltig, wenn Menschen weltweit, gegenwärtig und in Zukunft würdig leben und ihre Bedürfnisse und Talente unter Berücksichtigung planetarer Grenzen entfalten können. … BNE ermöglicht es allen Menschen, die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt zu verstehen und verantwortungsvolle, nachhaltige Entscheidungen zu treffen (ebd.).
Grundlage für BNE ist heutzutage die Agenda 2030 mit ihren 17 SDG (Sustainable Development Goals). Die 17 Ziele bilden den Kern der Agenda und fassen zusammen, in welchen Bereichen nachhaltige Entwicklung gestärkt und verankert werden muss (ebd.). Die Materialien der Projektagentur sollen Lehrkräften an Berufsschulen und Ausbildende dabei helfen, die Ideen der SDG in die Bildungspraxis einzubringen. Sie sind somit ein wichtiges Element insbesondere für das Ziel vier “Hochwertige Bildung”: “Bis 2030 sicherstellen, dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben, unter anderem durch Bildung für nachhaltige Entwicklung und nachhaltige Lebensweisen, …” (ebd.).
Während die Grundlage in den Impulspapieren die Ausbildungsordnungen und die Rahmenlehrpläne der beruflichen Bildung waren, die mit den SDG vernetzt wurden, geht das Hintergrundpapier den umgekehrten Weg: Wir betrachten die SDG im Hinblick auf ihre Bedeutung für die berufliche Bildung und stellen uns der Frage, welche Anforderungen ergeben sich aufgrund der SDG und deren Unterziele an die Berufsbildung? Die folgenden Beschreibungen haben deshalb immer die gleiche Struktur:
- Es wird das SDG beschrieben.
- Es werden relevante Unterziele benannt.
- Es wird (wissenschaftlich) ausgeführt, was diese Unterziele für das jeweilige Berufsbild bedeuten.
Glossar
Folgende Abkürzungen werden in diesem Dokument verwendet:
Abkürzung | Bezeichnung |
AO | Ausbildungsordnung |
BMUV | Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit |
Care | Segment der AHV, hier: Krankenhäuser, Pflegeheime |
CO2-Äq | Kohlendioxid-Äquivalente |
FS | Foliensammlung |
HGM | Hintergrundmaterial (wissenschaftliches Begleitmaterial) |
IP | Impulspapier (didaktisches Begleitmaterial) |
KI | Künstliche Intelligenz |
ÖPNV | Öffentlicher Personennahverkehr |
RLP | Rahmenlehrplan |
SBBP | Standardberufsbildposition |
SDG | Sustainable Development Goals |
THG | Treibhausgase bzw. CO2-Äquivalente (CO2-Äq) |
Quellenverzeichnis
BIBB Bundesinstitut für Berufsbildung (2021): Vier sind die Zukunft. Online: www.bibb.de/dienst/veroeffentlichungen/de/publication/show/17281
BIBB Bundesinstitut für Berufsbildung (o. J.a): FAQ zu den modernisierten Standardberufsbildpositionen. Online: https://www.bibb.de/de/137874.php
BIBB Bundesinstitut für Berufsbildung (o. J.b): Ausbildung gestalten. Online: BIBB / Reihen / Ausbildung gestalten
BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung (2022): Digitalisierung und Nachhaltigkeit – was müssen alle Auszubildenden lernen? Online: https://www.bmbf.de/bmbf/de/bildung/berufliche-bildung/rahmenbedingungen-und-gesetzliche-grundlagen/gestaltung-von-aus-und-fortbildungsordnungen/digitalisierung-und-nachhaltigkeit/digitalisierung-und-nachhaltigkeit
BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung (o. J.): Was ist BNE? Online: https://www.bne-portal.de/bne/de/einstieg/was-ist-bne/was-ist-bne.html
Bundesregierung (o. J.): Globale Nachhaltigkeitsstrategie – Nachhaltigkeitsziele verständlich erklärt. Online: www.bundesregierung.de/breg-de/themen/nachhaltigkeitspolitik/nachhaltigkeitsziele-verstaendlich-erklaert-232174
Destatis Statistisches Bundesamt (2022): Indikatoren der UN-Nachhaltigkeitsziele. Online: http://sdg-indikatoren.de/
Die SDGs und der Textil- und Modesektor
Für den Textil- und Modebereich ist das SDG 12 “Nachhaltiger Konsum und Produktion” vorherrschend und ein Drehkreuz zu anderen SDGs. So steht ein nachhaltiger Anbau von Rohfasern in Verbindung mit den Zielen “Maßnahmen zum Klimaschutz” (SDG 13), “Sauberes Wasser” (SDG 6) und “Gesundheit und Wohlergehen” (SDG 3). Die faire Entlohnung und sichere Arbeitsbedingungen in der Textilherstellung insbesondere im Ausland haben mit dem Ziel “Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum” (SDG 8) zu tun. Die Umstellung auf erneuerbare Energien und der Einsatz sauberer Technologien in der Faserverarbeitung wirken sich positiv auf die Ziele “Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen” (SDG 6), “Industrien, Innovation und Infrastruktur” (SDG 9) und “Maßnahmen zum Klimaschutz” (SDG 13) aus. Und auch die Vermeidung von Abfall sowie die längere Nutzung von Bekleidung unterstützen die Reduzierung der CO2-Emissionen (SDG 13).
Das SDG 12 steht ebenfalls in Verbindung mit dem größten Zielkonflikt im Bekleidungssektor: Der in den letzten zehn Jahren immer noch gestiegene Konsum steht im Widerspruch zur Nachhaltigkeit. Zudem verursacht der damit verbundene schnelllebigere Konsum an Kleidung und Textilien (Fast Fashion und Ultrafast Fashion) mehr Emissionen an THG und Schadstoffen sowie einen höheren Wasser- und Chemikalienverbrauch. Die Konsequenz wäre eine qualitativ hochwertige und gut kombinierbare Garderobe aus einer überschaubaren Anzahl an Kleidungsstücken, die möglichst lange getragen werden und deren Rohstoff am Ende der Gebrauchszyklen wieder recycelt werden.
Hierzu können die Schneiderberufe beitragen, indem sie Kleidung herstellen, die langlebig, reparierbar und möglichst recycelbar ist und diese und weitere Aspekte schon beim Design einplanen.
- Das Reparieren und Anpassen von Kleidung zählt originär zu den beruflichen Tätigkeiten der Änderungsschneiderin und des Änderungsschneiders und liegen damit ganz auf der Linie der EU Strategy for Sustainable and Circular Textiles (Textilstrategie) bzw. Ökodesign-Verordnung.
- Auch im Berufsbild der Maßschneiderin und des Maßschneiders ist das Verändern und Aufarbeiten von Bekleidung verankert.
- Beim Berufsbild der Textil – und Modeschneider*in könnte die Langlebigkeit, Reparierbarkeit und Recyclingfähigkeit entsprechend beim Design durch die Umsetzung der Schnitte und Ausschmückungen sowie durch die Auswahl der Materialien in Zukunft entsprechend integriert werden, um Kleidungsstücke nachhaltiger zu gestalten und zu produzieren.
- Der/die Modeschneider*in arbeiten an der Schnittstelle zur industriellen Fertigung und organisieren die entsprechenden Arbeitsschritte für die industrielle Fertigung. Hier gibt es Möglichkeiten, Textilien nachhaltiger zu produzieren, auch wenn es Einschränkungen bei den Aufträgen durch spezielle Vorgaben z. B. den Kostenrahmen gibt. An dieser Schnittstelle machen sich Entscheidungen für mehr nachhaltige Produkte in größerem Umfang bemerkbar als bei den Maßschneider*innen, die weniger Kleidungsstücke produzieren.
Auch wenn der Ausbildungsberuf Maßschneider*in mit 151 Auszubildenden (134 Frauen und 17 Männern) im Jahr 2021 mengenmäßig nicht ins Gewicht fällt, ist er Teil eines Wirtschaftssektors, dessen Auswirkungen auf Klima, Umwelt und Gesellschaft erheblich sind. In der EU ist der Textilkonsum die viertgrößte Quelle negativer Auswirkungen auf Umwelt und Klima und die drittgrößte Quelle bei der Wasser- und Landnutzung. Beim Einsatz von Primärrohstoffen nimmt der europäische Textilkonsum den fünften Platz ein (Ellen McArthur Foundation 2017, Europäische Kommission 2022 b). Etwa 5,8 Millionen Tonnen Textilien (11 kg pro Person) müssen jährlich entsorgt werden (Europäische Umweltagentur 2019). Daher ist die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in diesem und ähnlichen Ausbildungsberufen wichtig.
SDG 3 Gesundheit und Wohlergehen
“Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern”
Für Deutschland sind die im SDG 3 benannten Themen – Mütter- und Kindersterblichkeit, übertragbare Krankheiten wie AIDS oder TBC vermeiden, Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen, selbstbestimmte Familienplanung – eigentlich sehr gering oder kaum bedeutsam. Für die Schneiderberufe ist dennoch das folgende Unterziel relevant:
SDG 3.9 Bis 2030 die Zahl der Todesfälle und Erkrankungen aufgrund gefährlicher Chemikalien und der Verschmutzung und Verunreinigung von Luft, Wasser und Boden erheblich verringern
In diesen Berufen kann es aufgrund der Textilchemikalien zu Belastungen und Erkrankungen führen, denn die Beschäftigten in Änderungs- und Maßschneidereien sowie Textil- und Modeschneider*innen haben intensiven Kontakt zu Stoffen. Beim Zuschneiden und Nähen werden kleine Partikel und beim Bügeln flüchtige Substanzen freigesetzt, die die Atemwege reizen können. Allergene Farbstoffe und andere Textil Inhaltsstoffe können beim direkten Hautkontakt ein Kontaktekzem auslösen (Voß 2000).
Die Schnittmenge für das SDG 3 ergibt sich aus den Buchstaben a, e und 3f der Standardberufsbildposition Umwelt und Nachhaltigkeit (BMBF 2022):
a) Möglichkeiten zur Vermeidung betriebsbedingter Belastungen für Umwelt und Gesellschaft im eigenen Aufgabenbereich erkennen und zu deren Weiterentwicklung beitragen
e) Vorschläge für nachhaltiges Handeln für den eigenen Arbeitsbereich entwickeln
f) unter Einhaltung betrieblicher Regelungen im Sinne einer ökonomischen, ökologischen und sozial nachhaltigen Entwicklung zusammenarbeiten und adressatengerecht kommunizieren
Im Laufe ihrer Herstellung werden Stoffe und Bekleidung mit zahlreichen Chemikalien behandelt. Etwa 3.500 Substanzen werden in der Textilproduktion eingesetzt, darunter 750, die für Menschen schädlich sind und 440, die der Umwelt schaden (Europäische Umweltagentur 2019). Betroffen sind in erster Linie die Textilarbeiter*innen, die intensiv mit den Substanzen Kontakt haben, insbesondere im Niedriglohnsektor und in Schwellenländern, wo es geringere Schutzvorschriften und Umweltauflagen gibt. Sie tragen ein besonders hohes Risiko aufgrund des Chemikalienkontaktes zu erkranken (Kampagne für saubere Kleidung o. J. und Prakash et al. 2022). Ebenso ist das Risiko von tödlichen Arbeitsunfällen in den Produktionsländern in Asien sehr hoch (Jungmichel et al. 2021; siehe auch SDG 8).
Schadstoffe in Textilien
Chemikalien werden entweder bei der Fertigung eingesetzt, um die Verarbeitung der Fasern zu erleichtern. Hierbei werden die Chemikalien im Laufe des Prozesses wieder ausgewaschen. Weniger als zehn Prozent der organischen Chemikalien und Hilfsmittel in der Vorbehandlung und Färbung bleiben auf dem Textil, ca. 90 Prozent dieser Chemikalien gelangen ins Abwasser. Chemikalien kommen aber auch als Ausrüstungsmaterial zum Einsatz, um dem Textil eine bestimmte Eigenschaft oder Farbe zu verleihen. In diesem Fall verbleiben die eingesetzten Chemikalien im Produkt. In der Textilherstellung und -veredlung können Substanzen mit umwelt- und gesundheitsgefährdenden Eigenschaften eingesetzt werden. Dazu gehören 80 krebserzeugende, erbgutverändernde oder fortpflanzungsgefährdende Substanzen, persistente und bioakkumulierende Substanzen und solche mit allergenen Eigenschaften (Antony et al. 2020). In verkaufsfertigen Stoffen und Kleidungsstücken sind aufgrund der Waschgänge zwischen den Verarbeitungsstufen im Laufe der Textilherstellung ein Großteil der Chemikalien und Farbstoffe herausgewaschen (siehe auch SDG 6), dennoch kann es bei den Beschäftigten in Schneidereien wie auch bei Verbraucher*innen zu Allergien und Atemwegsreizungen kommen. Innerhalb des Spektrums möglicher Auslöser wie Fasern und Faserzusätze wie Elastomere, Kunstharze als Appreturen, Duft-, UV-Schutz- oder andere Zusätze, haben Textilfarben eine besondere Bedeutung. Hierunter wurden einige als allergen eingestuft. Manche, wie Dispers Blau 106 und 124, dürfen in der EU in Textilien nicht eingesetzt werden. Sie gelangen wahrscheinlich über Import Textilien auf den deutschen Markt (Schnuch et al. 2004). Nanomaterialien stehen im Verdacht, negative Auswirkungen auf die Gesundheit zu haben, insbesondere in Form von Beschichtungen. Nanomaterialien werden zur Veredlung eingesetzt, um die Textilien schmutz- und wasserabweisend, atmungsaktiv zu machen, sie vor UV-Licht und Bakterienbefall zu schützen. Letztendlich liegen über die Wirkung von Nanoteilchen bisher keine umfassenden Erkenntnisse vor, sodass eine abschließende Beurteilung der Risiken noch nicht möglich ist (Flaspöler und Neitzner 2020). Formaldehydharze, die für die Bügelfrei-Ausrüstung eingesetzt werden, aber auch Chemikalien aus Gummibändern haben Sensibilisierungen ausgelöst (Schnuch et al. 2004). Insgesamt lassen sich Allergien auf Textilchemikalien oft nicht leicht auf ein bestimmtes Kleidungsstück zurückführen, denn die Hautreaktionen können Tage später nach dem Kontakt auftreten, wobei bereits ein anderes Kleidungsstück getragen wird. Zudem werden Erkrankungen durch Textilchemikalien nicht systematisch untersucht. Allergene Farbstoffe, Allergene wie z. B. Nickel in Reißverschlüssen und Knöpfen und viele andere umwelt- und gesundheitsschädliche Substanzen werden in den Kriterienkatalogen von Nachhaltigkeitssiegeln ausgeschlossen (SDG 12, Nachhaltigkeitssiegel).
Gesetzliche Regelungen
Anders als in vielen anderen Ländern soll in Deutschland eine zu große Belastung der Kleidung mit Schadstoffen durch Gesetze verhindert werden. Dazu gehören das Produktionssicherheitsgesetz, die Gefahrstoffverordnung und die REACH-Verordnung (Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien). Zudem untersuchen die Verbraucherschutzbehörden in Deutschland in Stichproben, ob die festgelegten Grenzen für Schadstoffe in der Kleidung auch eingehalten werden. Dennoch ist die Kleidung in Deutschland nicht frei von Schadstoffen. Das liegt vor allem daran, dass nicht alle potenziellen Schadstoffe gesetzlich verboten sind. Denn die Zahl der Farb- und Hilfsstoffe, die in der Textilindustrie verwendet werden und schädlich sind, geht in die Tausende (siehe oben) und die Bewertung durch die REACH-Verordnung ist ein noch nicht abgeschlossener Prozess. Das Risiko für belastete Kleidung ist besonders hoch bei Textilien, die aus außereuropäischen Ländern importiert werden. Wenn Umweltstandards fehlen oder ignoriert werden, wie es in vielen Niedriglohn- und Schwellenländern der Fall ist, kann das gravierende Folgen, nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Gesundheit der Menschen haben. Zum Beispiel, wenn giftige Chemikalien, die in Textilfabriken verwendet werden, direkt ins Abwasser eingeleitet und vorher nicht zurückgewonnen werden. Flüsse und Gewässer in den Produktionsländern sind häufig stark verschmutzt, was die Gesundheit der einheimischen Bevölkerung bedroht (BMZ o. J.).
Schadstoffe im Baumwollanbau
Der Baumwollanbau führt ebenfalls zu Umwelt- und Gesundheitsproblemen: Große Baumwoll-Monokulturen werden unter Einsatz von Pestiziden vor Schädlingen geschützt. Die Gifte werden oft per Hand ausgebracht oder sogar von Flugzeugen auf die Felder gesprüht, während dort Menschen arbeiten. Wenn keine angemessene Schutzkleidung zur Verfügung gestellt wird, können gesundheitliche Schäden die Folge sein. Erkrankungen der Atemwege, der Haut, der Augen und des Nervensystems sind meist die Folge. Baumwolle wächst auf weniger als drei Prozent der weltweit genutzten Agrarfläche, jedoch kommen auf diesen Felder mit ca. 16 Prozent die meisten Pestizide zum Einsatz (Perschau 2021). Andere Faserpflanzen werden auch mit Pestiziden behandelt, aber keine so intensiv wie Baumwolle. Über die Böden der Baumwollfelder gelangen Pestizide ins Grund- und Trinkwasser. So wurden 67 Prozent der Trinkwasserproben aus einem wichtigen Baumwollanbaugebiet in Pakistan von der pakistanischen Umweltbehörde und der Japan International Cooperation Agency im Jahr 2014 als „nicht für den menschlichen Gebrauch geeignet“ eingestuft. (Niebank 2018). Diese Schadstoffe können aufgrund ihrer Toxizität auch die biologische Vielfalt beeinträchtigen (ebd.). Der Anbau in riesigen Monokulturen sorgt außerdem dafür, dass die Böden auslaugen und keine Nährstoffe mehr besitzen. Zudem wird heute noch Baumwolle in Ländern mit aridem Klima angebaut, wie z. B. Usbekistan, was eine intensive Bewässerung erfordert, dort aber bereits seit den 60er Jahren zur Austrocknung des Aralsees und der Versalzung der Böden führte (siehe auch SDG 13).
Schadstoffe in der Faser-und Textilverarbeitung
Bis zu einem Kilo Chemikalien werden pro Kilo Textilien zur Veredelung eingesetzt (UBA 2016). In vielen außereuropäischen Textilfabriken werden Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz vernachlässigt. Bei der Verarbeitung von Stoffen werden zum Beispiel Chemikalien unsachgemäß eingesetzt, sodass schwere Krankheiten ausgelöst werden können. Von 27 Millionen Arbeiter*innen im Textilsektor leiden 45 Prozent unter arbeitsbedingten Krankheiten (CIR 2019). Trotz der Gefahren werden die Angestellten oft weder ausreichend im Umgang mit gefährlichen Substanzen geschult, noch steht ihnen entsprechende Schutzkleidung zur Verfügung (BMZ o. J.). Auch bei Verfahren, die inzwischen weitgehend verboten sind, wie das Sandstrahlen von Stoffen, z.B. bei Jeans (Erb 2012), die dadurch den modischen „Used-Look“ erhalten, ist nicht auszuschließen, dass das Verfahren in einigen Ländern noch angewendet wird. Die Arbeiterinnen und Arbeiter, die mit der Sandstrahltechnik arbeiten, tragen ein hohes Risiko, an einer lebensbedrohenden Staublunge (Silikose) zu erkranken. Der „Used-Look“ wird heute bei großen, internationalen Herstellern mittels Laserbehandlung erreicht und zwar später in der textilen Herstellungskette bei der Fertigteilveredlung. Die Jeans werden in den Fertigteilveredlungsbetrieben aber auch mittels Bimssteinen stone gewaschen oder teils mittels Aufsprühen von Bleichmitteln gebleicht und auch in aufwendigen, teils manuellen Verfahren bearbeitet, um den gewünschten Used-Look zu erzielen (Maier 2019).
Initiativen und Alternativen
Viele Hersteller und Initiativen gehen das Problem der Schadstoffbelastung für Mensch und Umwelt sowie das Thema sozialverträgliche Arbeitsbedingungen schon seit Jahren durch eigene Projekte und Initiativen an, vor allem in den außereuropäischen Anbauländern. Sie haben Lieferantenbeziehungen aufgebaut und Vorgaben umgesetzt – praktisch ein Vorläufer des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (kurz Lieferkettengesetz) in Eigeninitiative. Hier zwei konkrete Beispiele:
Mit der “detox”-Kampagne 2011 von Greenpeace erklärten sich 80 internationale Markenfirmen und Einzelhandelsketten bereit, bis 2020 gefährliche Textilchemikalien zu ersetzen und die Abwasseranalysen transparent zu machen. Nach Überprüfungen im Jahre 2021 zeigte sich, dass dies inzwischen 29 Markenfirmen und Einzelhandelsketten umgesetzt haben. Der Prozess soll weiterhin begleitet werden und das Konzept auf die Mehrheit des Bekleidungsmarktes ausgeweitet werden (Kopp et al. 2021).
Der WWF setzt sich zusammen mit der Initiative Cotton made in Africa (CmiA) in Ländern südlich der Sahara für eine umwelt- und sozialverträgliche Baumwollproduktion ein. Die Kleinbetriebe dürfen keine hochgiftigen Pestizide verwenden. Ihnen wird in Schulungen Wissen über Herstellungen und Einsatz von umweltverträglichen Bio-Pestiziden als Alternative zum konventionellen Pflanzenschutz gelehrt. Im Gegensatz zu Dreivierteln des weltweiten Anbaus, die dauerhafte Bewässerung der Baumwollfelder benötigen, werden die Baumwollfelder dieser Initiative mit Regenwasser bewässert (Regenfeldanbau; siehe auch SDG 13, Ressourcenverbrauch). Die von der Initiative unterstützten Kleinbetriebe produzieren auch Bio-Baumwolle. Sie macht bislang noch einen geringen Anteil von 2 Prozent am Gesamtvolumen dieser Baumwollinitiative aus (WWF 2021).
Ein weiterer Vorläufer des Lieferkettengesetzes, spezifisch für den Textilsektor, ist der “OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten in der Bekleidungs- und Schuhwarenindustrie”, der bereits 2016 entwickelt wurde (OECD 2020). Damit sollen Unternehmen bei der Umsetzung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen unterstützt werden. Der Leitfaden, dessen Empfehlungen nicht rechtsverbindlich sind, steht auch in Einklang mit den ILO-Richtlinien.
Quellenverszeichnis
Antony et al. (2020): Dr. Florian Antony, Dr. Corinna Fischer, Tanja Kenkmann, Katja Moch, Siddharth Prakash, Dr. Dietlinde Quack, Dr. Manuela Weber: Big Points des ressourcenschonenden Konsums als Thema für die Verbraucherberatung – mehr als Energieeffizienz und Klimaschutz. Studie im Rahmen des Projekts „Verbraucherberatung als Baustein einer erfolgreichen Ressourcenpolitik. Öko-Institut e.V., Freiburg Im Auftrag des Umweltbundesamtes
BMZ o. J.: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Umwelt- und Sozialstandards in der Textilproduktion verbessern, Online: https://www.bmz.de/de/themen/textilwirtschaft
CIR (2019): Christliche Initiative Romero e.V. Where´s the change?
Erb (2012): Nadja Erb: Unternehmen verkaufen weiter Killerjeans. Frankfurter Rundschau (03.04.2012). Online: https://www.fr.de/wirtschaft/unternehmen-verkaufen-weiter-killer-jeans-11358121.html
Europäische Umweltagentur (2019): Textiles in Europe’s circular economy Briefing no. 10/2019. Online: https://www.eea.europa.eu/publications/textiles-in-europes-circular-economy
Flaspöler und Neitzner 2020: Eva Flaspöler und Ina Neitzner, Textil und Mode, Ausführliches Branchenbild aus dem Risikoobservatorium der DGUV, Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA), 2020
Kampagne für saubere Kleidung (o.J.): Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, Online: https://saubere-kleidung.de/gesundheit-und-sicherheit/
Kopp et al (2021): Mirjam Kopp, Madeleine Cobbing, Viola Wohlgemuth: Freiwillige Selbstverpflichtung – Ein Mode-Märchen über grüne Fast-Fashion, Greenpeace Hamburg.
Perschau (2021): Alexandra Perschau: Cotton Woman. Broschüre. Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.
Maier (2019 ): Peter Maier, Nachhaltige Fertigteilveredlung von Jeans & Freizeitbekleidung, Lilienweiß GmbH, Textile Dienstleistungen, Online: https://www.lilienweiss-gmbh.de/images/20191130%20Pr%C3%A4sentation%20VDTF.pdf
Niebank (2018): Jan-Christian Niebank, Bringing Human Rights into Fashion, German Institute for Human Rights, 2018
OECD (2020): OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten in der Bekleidungs- und Schuhwarenindustrie, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9789264304536-de
Prakash et al. (2022): Siddharth Prakash, Tobias Schleicher, Inga Hilbert, Peter Gailhofer (Öko-Institut e.V., Freiburg), Dr. Sabine Ferenschild, Irene Knoke, Jiska Gojowczyk (Südwind e.V., Institut für Ökonomie und Ökumene, Bonn: Erweiterte Integration sozialer Aspekte im Umweltzeichen Blauer Engel, Ergebnisse der Analyse der Wertschöpfungsketten und Sozialstandards sowie der Entwicklung produktgruppenspezifischer Formulierungsvorschläge für das Umweltzeichen Blauer Engel, Hrsg. Umweltbundesamt 2022
Schnuch et al (2004): A. Schnuch J. Geier H. Lesssmann W. Uter: Untersuchungen zur Verbreitung umweltbedingter Kontaktallergien mit Schwerpunkt im privaten Bereich, Herausgeber: Umweltbundesamt Februar 2004
UBA (2016): Schwerpunkte 2016. Jahrespublikation des Umweltbundesamtes. Online: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/2546/publikationen/sp2016_web.pdf
WWF (2021): Nachhaltige Baumwolle – Cotton made in Afrika und der WWF, Online: https://www.wwf.de/themen-projekte/landwirtschaft/gemeinsam-fuer-nachhaltige-baumwolle-cotton-made-in-africa-und-der-wwf
SDG 4 Hochwertige Bildung
“Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern”
Das SDG zielt primär auf die globale Entwicklung von guten Bildungssystemen ab. Im Berufsbildungssystem ist Deutschland weltweit führend – trotz einiger Defizite wie Personalausstattung, Digitalisierung oder knappe Investitionsbudgets – viele Länder versuchen ein ähnliches Berufsbildungssystem wie in Deutschland aufzubauen. Insofern ist vor allem das Unterziel 4.7 relevant:
Bis 2030 sicherstellen, dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben, unter anderem durch Bildung für nachhaltige Entwicklung und nachhaltige Lebensweisen, Menschenrechte, Geschlechtergleichstellung, eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit, Weltbürgerschaft und die Wertschätzung kultureller Vielfalt und des Beitrags der Kultur zu nachhaltiger Entwicklung
Das SDG 4 spiegelt sich in der fachlichen Unterrichtung der Stichpunkte der anderen SDG wieder, mündet aber in den Positionen e und f der neuen Standardberufsbildposition (BMBF 2022):
e) Vorschläge für nachhaltiges Handeln für den eigenen Arbeitsbereich entwickeln
f) unter Einhaltung betrieblicher Regelungen im Sinne einer ökonomischen, ökologischen und sozial nachhaltigen Entwicklung zusammenarbeiten und adressatengerecht kommunizieren
10 “Goldene Handlungsregeln” für eine BBNE
Die Nachhaltigkeitsforschung und die Bildungswissenschaften haben inzwischen umfassende Erkenntnisse gesammelt, wie eine berufliche Bildung für Nachhaltigkeit gefördert werden kann (vgl. u. a. vgl. Schütt-Sayed u.a. 2021; Kastrup u. a. 2012; Melzig u. a. 2021). Das Ergebnis sind die folgenden 10 didaktischen Handlungsregeln, die das Berufsbildungspersonal dabei unterstützen, Lehr-/Lernprozesse zielgruppengerecht und angemessen zu gestalten. Diese insgesamt 10 Handlungsregeln lassen sich in vier Schritten zuordnen.
Schritt 1 – Richtig anfangen:
Identifizierung von Anknüpfungspunkten für BBNE
1) Ansatzpunkte: Fordern Sie die Verantwortung im eigenen Wirkungsraum heraus, ohne die Berufsschüler und Berufsschülerinnen mit „Megaproblemen“ zu überfordern!
2) Anknüpfungspunkte: Die Curricula sind Grundlage der Lehr-/Lernprozesse – es kommt darauf an, sie im Sinne der Nachhaltigkeit neu zu interpretieren!
3) Operationalisierung: Nachhaltigkeit ist kein „Extra- Thema“, sondern ein integraler Bestandteil des beruflichen Handelns!
Um nachhaltigkeitsorientierte Lehr-/Lernarrangements zu entwickeln, sind zunächst Anknüpfungspunkte für Nachhaltigkeit in den betrieblichen Abläufen zu identifizieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ausbildungsordnungen und Lehrpläne die rechtliche Grundlage der beruflichen Bildung sind. Es gilt diese im Sinne der Nachhaltigkeit zu interpretieren, sofern nicht bereits konkrete Nachhaltigkeitsbezüge enthalten sind.
Wichtig ist dabei, dass Auszubildende nicht mit den „Megaproblemen“ unserer Zeit überfordert werden, sondern zur Verantwortung im eigenen Wirkungsraum herausgefordert werden – sowohl im Betrieb als auch im Privaten. Denn Auszubildende sind selbst Konsument/-innen, die durch eine angeleitete Reflexion des eigenen Konsumverhaltens die Gelegenheit erhalten, ihre „Wirkungsmacht“ im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit in ihrer eigenen Branche zu verstehen.
Schritt 2 – Selbstwirksamkeit schaffen:
Eröffnung von Nachhaltigkeitsorientierten Perspektiven
4) Handlungsfolgen: Berufliches Handeln ist nie folgenlos: Machen Sie weitreichende und langfristige Wirkungen erkennbar!
5) Selbstwirksamkeit: Bleiben Sie nicht beim „business as usual“, sondern unterstützen Sie Schüler*innen dabei, Alternativen und Innovationen zu entdecken!
6) Zielkonflikte: Verstecken Sie Widersprüche nicht hinter vermeintlich einfachen Lösungen, sondern nutzen Sie sie als Lern- und Entwicklungschancen!!
7) Kompetenzen: Bildung für nachhaltige Entwicklung verbindet Wahrnehmen, Wissen, Werten und Wirken!
Im nächsten Schritt sind nachhaltigkeitsorientierte berufliche Perspektiven für die Auszubildenden zu eröffnen. Diese sollten an einer positiven Zukunftsvision und an Lösungen orientiert sein. Auszubildenden sind dabei die weitreichenden Wirkungen ihres Handelns vor Augen zu führen. Sie sollen verstehen können, warum ihr Handeln nicht folgenlos ist. Das bedeutet gleichzeitig, Auszubildenden die positiven Folgen eines nachhaltigen Handelns vor Augen zu führen. In diesem Zusammenhang ist die Selbstwirksamkeitserfahrung von großer Bedeutung. Sie ist eine der Voraussetzungen, um motiviert zu handeln. Auszubildende dabei zu unterstützen, Alternativen zum nicht-nachhaltigen Handeln zu erkennen und Innovationen für eine nachhaltige Entwicklung zu entdecken, sollte dabei für Lehrpersonen selbstverständlich sein. Dabei ist immer die individuelle Motivation der Auszubildenden entscheidend, denn zum nachhaltigen Handeln braucht es nicht nur Wissen (Kopf), sondern auch authentisches Wollen (Herz). Wesentlich ist hierbei die Gestaltung ganzheitlicher Lernprozesse, die sowohl den kognitiven als auch den affektiven und psychomotorischen Bereich einbeziehen (vgl. Költze, S.206).
Schritt 3 – Ganzheitlichkeit:
Gestaltung transformativer Lernprozesse
8) Lebendigkeit: Ermöglichen Sie lebendiges Lernen mit kreativen und erfahrungsbasierten Methoden!
9) Beispiele: Nutzen Sie motivierende Beispiele: Sprechen Sie über Erfolgsgeschichten, positive Zukunftsvisionen und inspirierende Vorbilder!
Aber wie können Lernsituationen in der Praxis so gestaltet werden, dass sie ganzheitlich aktivierend für die Auszubildenden sind? Es sollte ein lebendiges Lernen mit Hilfe kreativer, erfahrungsbasierter Methoden ermöglicht werden. Dies ist ein grundlegender (kein neuer) didaktischer Ansatz für die Förderung einer nachhaltigkeitsorientierten Handlungskompetenz. Im Kern bedeutet dies: Lernen mit Lebensweltbezug, welches ausgerichtet ist auf individuelle Lebensentwürfe und das eigene (auch künftige) berufliche Handlungsfeld, z. B. indem Recherchen im eigenen Unternehmen zu Möglichkeiten der Energieeinsparung durchgeführt werden. Lernen soll vor diesem Hintergrund vor allem unter Berücksichtigung der Sinne stattfinden, d. h. mit Körper und Geist erfahrbar sowie sinnlich-stimulierend sein. Die Auszubildenden sollen sich dabei zudem als Teil einer gestalterischen Erfahrungsgemeinschaft erleben. Dies kann durch gemeinsame Reflexionen über das eigene Verhalten und persönliche Erfahrungen gefördert werden, beispielsweise durch die Entwicklung und Verkostung eigener Lebensmittelkreationen unter Nachhaltigkeitsaspekten. Hierfür muss unbestritten immer auch der „Raum“ zur Verfügung stehen (siehe z.B. Hantke 2018 „‘Resonanzräume des Subpolitischen‘ als wirtschaftsdidaktische Antwort auf ökonomisierte (wirtschafts-)betriebliche Lebenssituationen“). Ebenso können motivierende Beispiele helfen – wie z. B. Erfolgsgeschichten und inspirierende Vorbilder.
Schritt 4 – Lernort Betrieb:
Entwicklung nachhaltiger Lernorte
10) Lernende Organisationen: Auch Organisationen können „Nachhaltigkeit lernen“: Entwickeln Sie Ihre Institution Schritt für Schritt zum nachhaltigen Lernort!
Schließlich geht es im vierten Schritt darum, den Lernort in den Blick zu nehmen und diesen als nachhaltigen Lernort zu gestalten. Den gesamten Betrieb nachhaltig auszurichten ist u. a. deshalb entscheidend, da andernfalls die an Nachhaltigkeit orientierten Inhalte der Ausbildung wenig glaubwürdig für Auszubildende sind. Der Betrieb als Institution sollte dafür an einem gemeinschaftlichen Leitbild ausgerichtet sein, welches neben den üblichen ökonomischen auch soziale und ökologische Ziele beinhaltet. So kann BBNE überzeugend in die Organisation integriert und vom betrieblichen Ausbildungspersonal umgesetzt werden.
BBNE für Schneiderinnen und Schneider
Die adressatengerechte Kommunikation über die Vorschläge für nachhaltiges Handeln bespricht alle Aspekte, die zu einem Mehr an Nachhaltigkeit durch eine Veränderung der Angebote für die Kundinnen und Kunden der Schneidereien führen, aber bietet auch eine stärkere Kommunikation in Form von Beratung beim Ausführen der Aufträge. Auch bei der Präsentation des geänderten oder neu genähten Kleidungsstückes zur Übergabe an die Kundinnen und Kunden können nachhaltige Aspekte gezielt thematisiert werden, wie z. B. benennen, dass der Kundenwunsch zur Änderung des Kleidungsstückes sehr nachhaltig ist, weil so weniger neu produziert werden muss, was mit Energie- und Ressourcenverbrauch verbunden ist. Pflegehinweise seitens der Schneider*innen tragen zudem zur Langlebigkeit bzw. einer längeren Nutzungsdauer von Kleidung bei. Viele Kund*innen kennen die Pflegesymbole nicht. Die Verwendung von nachhaltig produzierten Stoffen oder das maßgeschneiderte, lang nutzbare Lieblingsstück kann bei der Übergabe des Produktes hervorgehoben werden, neben anderen Aspekten von nachhaltig produzierten Textilien. Bildung ist heute mehr als nur Wissen: Bildung ist auch die Kompetenz, dieses Wissen artikulieren zu können oder die richtigen Fragen stellen zu können. Es ist die Kompetenz, zu erfassen, was der Adressat meint und welche Fragen er hat. Und auf diese Fragen sinnvolle und erklärende Antworten zu geben. Folgende Aspekte wären im (Aus-)Bildungskontext zu behandeln bzw. zu diskutieren, um mögliche Antworten zu suchen:
- Verbraucher*innen haben ein hohes Umweltbewusstsein. 65 Prozent der Deutschen halten den Umwelt- und Klimaschutz für ein sehr wichtiges Thema – trotz Corona (UBA 2022). Besonders der Klimaschutz bleibt während der Pandemie für 70 Prozent weiterhin genauso wichtig, für 16 Prozent ist er sogar wichtiger geworden. Gut drei Viertel der Befragten sehen ausschließlich (14 %) oder vor allem (63 %) menschliches Handeln als Ursache für den Klimawandel an.
- Beim Kleidungskauf spielen ökologische und soziale Kriterien, von einer umweltverträglichen und sozial fairen Produktion bis zur stofflichen Verwertbarkeit insgesamt nur eine untergeordnete Rolle (Kleinhückelkotten 2018). Andere Ergebnisse zeigen sich bei der Differenzierung nach Käufermilieus. Hier liegen die Werte für die kritisch-kreativen Milieus bei der Befragung weit über dem Bevölkerungsdurchschnitt (ökologischer Aspekt: für über 60 Prozent war dies im kritsch-kreativen Milieu wichtig im Vergleich zu über 40 % beim Durchschnitt). In den einfachen, prekären und den jungen Milieus wird solchen Kriterien prozentual weit seltener Bedeutung beigemessen. Viele Befragte in diesem Segment sind auch eher bereit, schadstoffbelastete Kleidung hinzunehmen. Insgesamt lassen die Antworten von drei Viertel der Befragten darauf schließen, dass eine mögliche Schadstoffbelastung sie davon abhalten könnte, bestimmte Kleidungsstücke zu kaufen. In den kritisch-kreativen Milieus sind es sogar knapp 87 Prozent (ebd.).
- Auch bei den Aspekten Bio-Landbau gibt es ein klares Bekenntnis der Bevölkerung (UBA 2022): Ganz vorne rangieren die Maßnahmen wie „Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln und Pestiziden“ (93 %) und „stärkere Förderung des Ausbaus der ökologischen Landwirtschaft“ (92 %).
- Bio-Produkte werden allgemein geschätzt, sind aber teurer als konventionelle Agrarprodukte. Außerdem tragen sie nur zu einem geringen Anteil zum Klimaschutz bei, da aufgrund des Verzichts von chemischen Pflanzenschutz die Erträge geringer sind (vgl. Scharp 2019). Der wichtigste Beitrag des Bio-Anbaus liegt in dem Schutz der Biodiversität. Auch wenn nachhaltige Aspekte beim Kleidungskauf bisher eine geringe Rolle spielen (siehe oben), geben viele Verbraucher*innen an, zumindest gelegentlich sozial- und umweltverträglich produzierte Kleidung zu kaufen oder sich vorstellen zu können, dies auszuprobieren (Kleinhückelkotten 2018). Diese Neigung nimmt mit dem Alter zu. Sie ist bei Frauen weiter verbreitet als bei Männern. In den kritisch-kreativen Milieus und den gehobenen Milieus ist der Anteil derer, die angeben, bereits nachhaltig produzierte Kleidung zu kaufen, als auch derer, die Bereitschaft zeigen, in Zukunft nachhaltig produzierte Kleidung zu kaufen, am größten (ebd.).
- Schadstofffreie, umweltwerträgliche und faire Mode wird zwar von vielen Verbraucher*innen beim Einkauf gefordert (siehe oben), doch vermutlich selten in eine direkte Verbindung mit Änderungs- und Maßschneidereien gebracht.
Die Herausforderungen der Beschäftigten in den Maß- und Änderungsschneidereien sowie den Textil- und Modeschneidereien liegen also nicht nur darin, im Rahmen ihrer jeweiligen Möglichkeiten ihre Dienstleistungen nachhaltig, attraktiv und kostengünstig zu gestalten, sondern die Kundeninnen und Kunden so zu beraten, dass sie dieses Angebot auch annehmen. Eine Änderungsschneiderin z.B., die in einem Kaufhaus angestellt ist, hat meist weniger Möglichkeiten als eine selbstständige Änderungsschneiderin.
Quellenverzeichnis
BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung (2022): Digitalisierung und Nachhaltigkeit – was müssen alle Auszubildenden lernen? Online: https://www.bmbf.de/bmbf/de/bildung/berufliche-bildung/rahmenbedingungen-und-gesetzliche-grundlagen/gestaltung-von-aus-und-fortbildungsordnungen/digitalisierung-und-nachhaltigkeit/digitalisierung-und-nachhaltigkeit
Handke, Harald (2018): „Resonanzräume des Subpolitischen“ als wirtschaftsdidaktische Antwort auf ökonomisierte (wirtschafts-)betriebliche Lebenssituationen – eine Forschungsheuristik vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeitsidee. In bwp@Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online (Nr. 35), 2018, S. 1-23.
Kastrup, Julia; Kuhlmeyer, Werner; Nölle-Krug, Marie (2022): Aus- und Weiterbildung des betrieblichen Bildungspersonals zur Verankerung einer Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung. In: MICHAELIS, Christian; BERDING, Florian (Hrsg.): Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung. Umsetzungsbarrieren und interdisziplinäre Forschungsfragen. Bielefeld 2022, S. 173-189
Kleinhückelkotten (2018): Dr. Silke Kleinhückelkotten, Dr. H.-Peter Neitzke, Nora Schmidt: Mode, Kleidung und Nachhaltigkeit: Einstellungen und Verhalten, Ergebnisse der InNaBe-Repräsentativbefragung 2017, InNaBe-Projektbericht, Hannover 2018
Költze, Horst (1993): Lehrerbildung im Wandel. Vom technokratischen zum humanen Ausbildungskonzept. In Cohn, Ruth C.; Terfurth, Christina (Hrsg.): Lebendiges Lehren und Lernen. TZI macht Schule. Klett-Cotta. S. 192 – 212
Melzig, Christian; Kuhlmeyer, Werner; Kretschmer, Susanne (Hrsg. 2021): Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung. Die Modellversuche 2015–2019 auf dem Weg vom Projekt zur Struktur. Bonn 2021. Online: https://www.bibb.de/dienst/veroeffentlichungen/de/publication/show/16974
Scharp, Michael (Hrsg. 2019): Das KEEKS-Projekt – Eine klimafreundliche Schulküche. Online: www.keeks-projekt.de (Materialien: https://elearning.izt.de/course/view.php?id=118)
Schütt-Sayed, Sören; Casper, Marc; Vollmer, Thomas (2021): Mitgestaltung lernbar machen – Didaktik der Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung. In: Melzig, Christian; Kuhlmeier, Werner; Kretschmer, Susanne (Hrsg.): Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung. Die Modellversuche 2015–2019 auf dem Weg vom Projekt zur Struktur. S. 200-227. Online: https://www.bibb.de/dienst/veroeffentlichungen/de/publication/show/16974
UBA Umweltbundesamt (2022): Gefährdung der Biodiversität. Online: https://www.umweltbundesamt.de/themen/boden-landwirtschaft/umweltbelastungen-der-landwirtschaft/gefaehrdung-der-biodiversitaet
SDG 5 Geschlechtergleichstellung
“Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen”
Das SDG 5 verfolgt neun Ziele, von denen zwei Unterziele für die Schneiderberufe besonders relevant sind:
SDG 5.5 Die volle und wirksame Teilhabe von Frauen und ihre Chancengleichheit bei der Übernahme von Führungsrollen auf allen Ebenen der Entscheidungsfindung im politischen, wirtschaftlichen und öffentlichen Leben sicherstellen
SDG 5.b Die Nutzung von Grundlagentechnologien, insbesondere der Informations- und Kommunikationstechnologien, verbessern, um die Selbstbestimmung der Frauen zu fördern
Indirekt kommt aufgrund der globalen Wertschöpfungskette noch zwei weitere Unterziele zum Tragen:
SDG 5.1 Alle Formen der Diskriminierung von Frauen und Mädchen überall auf der Welt beenden
SDG 5.2 Alle Formen von Gewalt gegen alle Frauen und Mädchen im öffentlichen und im privaten Bereich einschließlich des Menschenhandels und sexueller und anderer Formen der Ausbeutung beseitigen
Der Bezug zur Standardberufsbildposition lautet (vgl. BIBB 2020):
b) bei Arbeitsprozessen und im Hinblick auf Produkte, Waren oder Dienstleistungen, Materialien und Energie unter wirtschaftlichen, umweltverträglichen und sozialen Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit nutzen
Diskriminierung in der Textilindustrie
Arbeiterinnen in der Textilindustrie sind in vielen Ländern Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Geschlechtsidentität, ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit oder einer Behinderung ausgesetzt. Vor allem für Frauen besteht das Risiko, am Arbeitsplatz sexuell belästigt zu werden und von Entgelt-Ungleichheit, Benachteiligung beim beruflichen Aufstieg oder Diskriminierung aufgrund einer Schwangerschaft betroffen zu sein. Im Bereich Konfektion sind je nach Land 60 bis 90 Prozent der in der Textilbranche beschäftigten Arbeitenden Frauen. Die Männer arbeiten vor allem in Aufsichts- und Führungspositionen, was ihnen oft die Macht gibt, Druck auszuüben und gewalttätig zu werden, ohne dafür belangt zu werden (Femnet allg. o. J.). Geschlechterdiskriminierung ist in allen asiatischen Produktionsländern entlang der Textilproduktionskette sehr hoch (mit Ausnahme China), aber sogar in Osteuropa (Rumänien und Bulgarien) sowie in der Türkei ist das Risiko der Geschlechterdiskriminierung hoch (Jungmichel et al. 2021). Im April 2022 wurde erstmals in der asiatischen Textilindustrie ein rechtsverbindliches Abkommen zur Beendigung sexueller Gewalt und Belästigung von Arbeiterinnen zwischen der Textilfabrik, einkaufenden Unternehmen, Gewerkschaften und weiteren Organisationen geschlossen. Das Übereinkommen könnte zu einem “Model Agreement” für die Industrie zu werden (Textilbündnis 2022). Das Textilbündnis und seine Mitglieder arbeiten darauf hin, die effektive Teilhabe von Beschäftigten, insbesondere Frauen, in der Arbeitswelt zu gewährleisten. Dabei orientieren sie sich an den einschlägigen internationalen Normen und Rahmenwerken wie den ILO Übereinkommen 100, 111, 156, 175, 183 und 190, der UN-Frauenrechtskonvention, den Gender Dimensions of the Guiding Principles on Business and Human Rights und der Agenda 2030.
Wichtig ist, dass Beschäftigte in den Produktionsstätten ihre Rechte kennen und für das Thema geschlechtsspezifische Gewalt sensibilisiert sind. Aber auch die Förderung von Frauen in Führungspositionen und die Stärkung von Gewerkschaften und Beteiligungs- und Beschwerdekomitees sind wichtige Ansätze für die Geschlechtergleichstellung (Niebank 2018).
Gleichstellung in Deutschland
Deutschland hat in vielen Bereichen der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau in den letzten Jahrzehnten Fortschritte gemacht. In den meisten Industrieländern nehmen immer mehr Frauen am Arbeitsmarkt teil. Ihre Löhne nähern sich dabei den Löhnen der Männer an. Dennoch sind auch Länder wie Deutschland von einer Gleichstellung der Geschlechter am Arbeitsmarkt weit entfernt (Peichel et al. 2022). Frauen verdienten 2021 unbereinigt immer noch 18 Prozent weniger als Männer. Bei gleicher und gleichwertiger Arbeit und Qualifikation verdienten Frauen im Jahr 2018 in Deutschland rund sechs Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen (Statistisches Bundesamt 2022). 2020 fiel in Ostdeutschland der unbereinigte Gender Pay Gap mit sechs Prozent deutlich geringer aus als in Westdeutschland mit 20 Prozent und lag 2021 auf dem gleichen Niveau wie vor 15 Jahren. In Westdeutschland ist der Verdienstabstand in den vergangenen 15 Jahren deutlich kleiner geworden: Seit 2006 sank der unbereinigte Gender Pay Gap hier um fünf Prozentpunkte von 24 Prozent auf 19 Prozent im Jahr 2021 (ebd.).
Daten für den Textilsektor von 2006 weisen deutliche Unterschiede in den geschlechtsspezifischen Verdienststrukturen sowohl bei den Arbeitenden als auch bei den Angestellten auf. Der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst der angestellten Frauen lag im Jahr 2006 mit 2.545 Euro bei rund 72 Prozent des Verdienstes der Männer (3.534 Euro) (Krippendorf et al. 2009). Im gesamten Beobachtungszeitraum der Branchenanalyse seit 1996 liegt das Verdienstniveau der Frauen im Angestelltenbereich konstant um knapp 30 Euro. Bei den Arbeitern öffnet sich die Verdienstschere zwischen weiblichen und männlichen Beschäftigten sogar leicht. So lag der Bruttomonatsverdienst der Arbeiterinnen im Jahr 1996 mit 1.416 Euro bei 76 Prozent des Verdienstes der Arbeiter, im Jahr 2006 waren es mit 1.602 Euro nur noch 74 Prozent des Vergleichswerts. Dies hängt damit zusammen, dass häufig Frauen an Arbeitsplätzen mit einfachen Tätigkeiten eingesetzt sind, für die das Anforderungsprofil gering ist und sie meist dafür nur angelernt werden müssen. Zudem ist der Anteil der Frauen, die in Teilzeit arbeiten, vergleichsweise höher (ebd.).
Quellenverzeichnis
BIBB Bundesinstitut für Berufsbildung (2020): Empfehlung des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung vom 17. November 2020 zur „Anwendung der Standardberufsbildpositionen in der Ausbildungspraxis“. BAnz AT 22.12.2020 S4. Online: https://www.bibb.de/dokumente/pdf/HA172.pdf
Femnet 2022: Maximale Ausbeutung: Die Kosten der Pandemie. Online: https://femnet.de/fuer-frauenrechte/kampagnen/solidarityworks-unsere-arbeit-in-produktionslaendern/nachrichten-produktionslaender/nachrichten-zum-corona-nothilfefonds/2200-maximale-ausbeutung-die-kosten-der-pandemie.html
Jungmichel et al (2021): Norbert Jungmichel, Kordula Wick, Kordula, Dr. Moritz Nill: Kleider mit Haken – Fallstudie zur globalen Umweltinanspruchnahme durch die Herstellung unserer Kleidung, Hrsg Uba, Dessau-Roßlau, Mai 2021
Krippendorf et al. 2009: Walter Krippendorf, Gregor Holst, Ursula Richter: Branchenanalyse Textilindustrie. Untersuchungen zur Situation und Entwicklung der Branchen „Textilgewerbe“ (WZ 17), IMU Institut Berlin, Mai 2009
Niebank (2018): Jan-Christian Niebank: Bringing human rights into fashion. German Institute for Human Rights. Online: www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/ANALYSE/Analysis_Bringing_Human_Rights_into_Fashion.pdf
Peichel et al. 2022: Wie groß ist der Gender Gap? Anspruch und Wirklichkeit der Gleichstellungspolitik, ifo-Insitut München 2022
Statistisches Bundesamt (2022): Gender Pay Gap 2021: Frauen verdienten pro Stunde weiterhin 18% weniger als Männer, Pressemitteilung Nr. 088 vom 7. März 2022, Online: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/03/PD22_088_621.html
Textilbündnis 2022: Sorgfaltspflichten, Transparenz und Fokusthemen. Neuerungen im Textilbündnis. Online: www.textilbuendnis.com/fokusthema-geschlechtergerechtigkeit/
SDG 6 Sauberes Wasser
“Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten”
Das SGD 6 “Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen” verfolgt im Prinzip fünf Ziele, von denen drei für die Schneidereien, aufgrund der indirekten Wassernutzung beim Einkauf von Stoffen insbesondere aus Baumwolle relevant sind:
SDG 6.3 die Verhinderung der Verschmutzung der Wasserressourcen
SDG 6.4 eine effiziente Nutzung von Wasser
SDG 6.5 den Schutz der Ökosysteme
Die Schnittmenge für das SDG 6 ergibt sich aus den Nummern a und b der Standardberufsbildposition (BMBF 2022):
a) Möglichkeiten zur Vermeidung betriebsbedingter Belastungen für Umwelt und Gesellschaft im eigenen Aufgabenbereich erkennen und zu deren Weiterentwicklung beitragen
b) bei Arbeitsprozessen und im Hinblick auf Produkte, Waren oder Dienstleistungen Materialien und Energie unter wirtschaftlichen, umweltverträglichen und sozialen Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit nutzen
Besonders relevant für Deutschland ist das SDG Unterziel 6.3 der Verschmutzung der Wasserressourcen. Vor dem Hintergrund der Zunahme der “Hitzesommer” ist die effiziente Nutzung von Wasser notwendig. Das SDG ist mit vielen Konsumprodukten direkt und indirekt über die Aspekte “Wasserqualität” und “Graues Wasser” verbunden. Im Hinblick auf die nationale Perspektive geht es primär um den schonenden Umgang mit dem Grundwasser in Deutschland. Dieses wird vor allem von Nitraten aus der Vieh- und Geflügelzucht sowie durch übermäßige Düngung belastet (UBA 2021). Der Umweltindikator “Nitrat im Grundwasser” (UBA 2021) zeigt einen kontinuierlich hohen Nitratgehalt, der erst seit 2017 etwas sinkt. Seit 2008 wird der europäische Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter an jeder 6. Messstelle überschritten. Hierfür wurde Deutschland 2018 vom Europäischen Gerichtshof verurteilt. Der Klimawandel wird zu einer Veränderung der Niederschläge führen und einige Gebiete, wie z. B. die neuen Bundesländer, leiden seit 2019 unter zu geringen Niederschlägen. Wasser wird somit zu einem raren, wertvollen Gut, um das viele Hersteller und Verbraucher konkurrieren.
Jede Pflanze benötigt Wasser zum Wachsen. Das aufgenommene Wasser wird dann in den Feldfrüchten gespeichert. Die Gesamtmenge an Wasser, die schließlich für ein Kilogramm Baumwolle, Leinen oder Hanf benötigt wird, nennt man entweder den Wasserfußabdruck oder “virtuelles Wasser” in den Lebensmitteln (UBA 2022). Hierbei unterscheidet man “grünes Wasser”, welches aus dem Regen stammt, “blaues Wasser” aus Flüssen oder Grundwasser. “Graues Wasser” ist die Wassermenge, die benötigt wird, um in der Industrie genutztes Wasser so weit zu verdünnen, dass es den gesetzlichen Qualitätsanforderungen genügt.
Den höchsten Wasserfußabdruck haben Obst, Gemüse und Nüsse. Insbesondere Erdbeeren haben einen sehr hohen Wasserbedarf: mehr als 200 Liter pro Kilogramm (wfd o. J.). Allerdings werden in Deutschland nur ca. zwei Prozent des Gesamtwassereinsatzes (Destatis/Deutscher Bauernverband 2020) benutzt bzw. verbraucht. 50 Prozent des Wassers wird für die Energieerzeugung genutzt. Weltweit nutzt die Landwirtschaft rund 70 Prozent des Frischwassers (bpb 2017). Besonders wasserdurstig sind Baumwolle und Reis. Dies gilt insbesondere bei Agrarprodukten aus Nordafrika, Südafrika und Mittelasien, da diese unter Wasserknappheit leiden. Indirekt tragen Lebensmittelimporte aus Ländern mit Wassermangel dazu bei, dass wir das sogenannte “blaue Wasser” (UBA 2022) des Anbaus der Lebensmittel importieren (Finogenova et mult. al. 2019). Für ein Kilogramm Baumwolle werden zwischen 3.600 und 26.900 Liter Wasser gebraucht (BMZ und UBA 2020). Dagegen geht das Internationale Cotton Advisory Committee (ICA) von einer Menge von 1.200 Litern für ein Kilogramm Baumwolle aus (Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie o.J.). Für die Erzeugung von einem Kilogramm Kartoffeln werden im weltweiten Durchschnitt etwa 290 Liter Wasser. Um die gleiche Menge Rindfleisch zu erzeugen sind es 15.400 Liter, mehr als der 50-fachen Menge (Bundesinformationszentrum Landwirtschaft 2022).
Folgende Aspekte wären im (Aus-)Bildungskontext zu behandeln und hierbei die sich ergebenden Zielkonflikte mit anderen Dimensionen der Nachhaltigkeit zu diskutieren:
- Baumwolle braucht viel Wasser für den Anbau und stammt häufig aus ariden Anbaugebieten wie Kasachstan, Usbekistan und Indien, was zu Wasserknappheit, Versalzungen und Belastungen des Wassers mit Pestiziden und Dünger führt
- die Gewinnung und Reinigung von Naturfasern braucht braucht viel Wasser und verschmutzt das Abwasser (insbesondere Wolle)
- das Färben und Ausrüsten der Stoffe verbraucht Wasser und verschmutzt das Abwasser
Die Produktion von Textilien (darin eingerechnet der Baumwollanbau) verbraucht etwa 93 Billionen m3 Wasser jährlich, was vier Prozent des Frischwassers weltweit ausmacht. Daran hat Kleidung einen Anteil von zwei Dritteln (Ellen McArthur Foundation 2017). Viele der Baumwolle erzeugenden Länder leiden unter Wasserstress und Wasserknappheit, wie China, Indien, USA, Pakistan und die Türkei. In China werden 80 bis 90 Prozent der textilen Erzeugnisse in ariden Gebieten hergestellt (ebd).
Die Unternehmen der Bekleidungsindustrie und auch die Schneidereien nutzen das virtuelle Wasser der Ursprungsländer von textilen Erzeugnissen in den gekauften Stoffen, vor allem aus Baumwolle. Für die Herstellung eines einzigen Baumwoll-T-Shirts werden schätzungsweise 2.700 Liter Süßwasser verbraucht, was der Menge entspricht, die eine Person in 2,5 Jahren trinkt (Europäisches Parlament 2022). Für 1 kg Textilien werden bis zu 1 kg Chemikalien verwendet, die teilweise auch im Abwasser landen (Jungmichel et al 2021). Weniger als zehn Prozent der organischen Chemikalien und Hilfsmittel in der Vorbehandlung und Färbung bleiben auf dem Textil, ca. 90 Prozent dieser Chemikalien gelangen ins Abwasser. Diese Stoffe sind zum Teil schwer abbaubar und können in den biologischen Kläranlagen nur bedingt abgebaut werden. Daher gelangen diese Stoffe in Ländern wie Indien oder Bangladesch oft in die Flüsse, da es häufig keine ausreichende Abwasserbehandlung gibt oder das Abwasser sogar unbehandelt abgeleitet wird (Gimkiewicz et al. 2022).
Schneidereien benötigen vergleichsweise wenig Prozesswasser, lediglich zur Dampferzeugung beim Bügeln und falls Kleidungsstücke gewaschen werden müssen. In den Wasch- und Toilettenräumen für das Personal leisten sparsame Armaturen einen Beitrag zum Wassersparen. Schätzungsweise 20 Prozent der globalen Wasserverschmutzung wird durch das Färben und die Veredlung von Textilien verursacht. Dies betrifft besonders die Textilarbeitenden und die lokalen Kommunen in den Produktionsländern (siehe auch SDG 13 Ressource Wasser). Auch das Waschen im Haushalt setzt Chemikalien (siehe auch SDG 13, Waschen) und Mikroplastik frei (siehe Mikroplastik).
Mikroplastik
Mikroplastik spielt im Hinblick auf Wasser und Wäsche eine bedeutende Rolle. Es handelt sich hierbei um feste, unlösliche, partikuläre und nicht biologisch abbaubare synthetische Polymere in einem Größenbereich von weniger als fünf Millimetern bis 1.000 Nanometer (vgl. UBA 2020, Quarks 2022). Mikroplastik wird unterschieden in primäres und sekundäres Mikroplastik. Als primäres Mikroplastik werden Partikel bezeichnet, die bei Eintritt in die Umwelt bereits im Größenbereich von Mikroplastik sind. Primäres Mikroplastik Typ A wird bereits in diesem Größenbereich eingesetzt. Dazu gehören beispielsweise Partikel, die in der Kosmetik- und Körperpflege-Industrie eingesetzt werden. Primäres Mikroplastik Typ B entsteht während der Nutzungsphase. Hierzu gehören zum Beispiel der Abrieb von Autoreifen, oder Fasern aus synthetischen Textilien, die beim Waschen ins Abwasser gelangen. Schätzungsweise eine halbe Millionen Tonnen Mikrofasern gelangen jährlich beim Waschen von Chemiefaserkleidung in die Ozeane. (Europäische Umweltagentur 2019). Das Waschen von Textilien aus Chemiefasern verursacht 35 Prozent aller in die Umwelt freigesetzten primären Mikrokunststoffe. Mit einer Waschladung mit Polyesterkleidung können 700.000 Mikrokunststofffasern freigesetzt werden und in die Nahrungskette gelangen (Europäisches Parlament 2022). Sekundäres Mikroplastik entsteht bei dem Zerfall größerer Kunststoffteile im Verwitterungsprozess z. B. durch Wellenbewegung und Sonneneinstrahlung (vgl. Quarks 2022).
Mikroplastik in der Nahrungskette
Diese kleinsten Kunststoffteilchen werden vor allem mit der Kosmetik in Verbindung gebracht (z. B. in Peelings, Haarshampoo oder als Binde- und Füllmittel in flüssigen Waschmitteln). Auch Plastikflaschen mit (Mineral-) Wasser enthalten Mikroplastik (Schymanski 2018). Allerdings werden sie durch Abrieb bei der Wäsche von Chemiefaserkleidung freigesetzt und sind somit relevant für die Schneidereien. Über das Abwasser gelangen diese Stoffe ins Meer. Dort ziehen sie Gifte an, werden von Tieren aufgenommen und gelangen so in die Nahrungskette. Allerdings konnte bisher mit Relevanz für die Nahrungskette vor allem in Fischen Mikroplastik nachgewiesen werden, welches wir dann schlussendlich aufnehmen (Quarks 2022). Das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) und auch die WHO sehen die Aufnahme (der bisherigen Mengen?) nicht als gesundheitsrelevant an. So sagt das BFR über die richtige Verwendung mit Kosmetikprodukten wie Cremes: “Bei dieser Partikelgröße ist bei vorhersehbarem Gebrauch der Produkte eine Aufnahme über die gesunde und intakte Haut nicht zu erwarten” (BfR zitiert nach Quarks 2022). Maria Neira von der WHO beschreibt das Risiko von Mikroplastik in Trinkwasser und in PET-Flaschen wie folgt: “Nach allen aktuell verfügbaren Informationen gehe von der derzeitigen Mikroplastik- Konzentration in Trinkwasser allerdings auch keine Gefahr aus”. Relevant aber unbeantwortet ist hierbei die Frage, wie es um die aerosolen Bestandteile des Mikroplastiks aus dem Reifenabrieb oder von Kunstrasenplätzen steht, die eine wesentliche Quelle für Mikroplastik sind (ADAC 2022, Fraunhofer Umsicht 2021). Alles in allem ist der Stand der Forschung zu den Risiken von Mikro- oder gar Nano-Plastik (kleinste Plastikteilchen) unbefriedigend, weshalb ein nachhaltiges Verhalten und ein nachhaltiger (Mikroplastik-freier) Einkauf angeraten sind.
Gesundheitsbelastung durch Mikroplastik
Laut einer Studie der Medizinischen Universität Wien aus dem Jahr 2019 gelangen durchschnittlich pro Person und Woche fünf Gramm Plastik in den menschlichen Magen-Darm-Trakt (Schwab et al. 2019). Dieses Gewicht entspricht in etwa dem Gewicht einer Kreditkarte. In die Nahrungskette gelangen Mikro- und Nanoplastikpartikel (MNP) unter anderem aus Verpackungsabfall. In den Körper werden die Plastikteilchen nicht nur über Lebensmittel wie insbesondere Fisch und andere Meeresbewohner sowie über das Meersalz in den Körper geschleust. Auch Getränke in Plastikflaschen spielen eine Rolle. Deshalb empfiehlt es sich, auf Plastikflaschen zu verzichten. „Wer die empfohlenen 1,5 bis zwei Liter Wasser pro Tag aus Plastikflaschen trinkt, nimmt […] allein auf diese Weise rund 90.000 Plastikpartikel pro Jahr zu sich. Wer zu Leitungswasser greift, kann – je nach geografischer Lage – die Menge auf 40.000 reduzieren“ (DERSTANDARD 2022:1, Wright et al. 2019). Eine neue Studie hat erstmals Mikroplastik im menschlichen Blut nachgewiesen. Drei Viertel der Getesteten hatten laut der Studie der Freien Universität Amsterdam nachweislich Kunststoff im Blut. Die Untersuchung waren der erste Beweis dafür, dass Kunststoffpartikel in den menschlichen Blutkreislauf gelangen können. Die Gesamtkonzentration von Kunststoffpartikeln im Blut der 22 Probandinnen und Probanden betrug durchschnittlich 1,6 µg/ml, was einem Teelöffel Kunststoff in 1.000 Litern Wasser (zehn große Badewannen) entspricht. Polyethylenterephthalat (PET), Polyethylen und Polymere von Styrol waren die häufigsten Kunststoffarten, gefolgt von Poly(methylmethacrylat), die in den Blutproben gefunden wurden. Auch Polypropylen wurde analysiert, aber die Konzentrationen waren zu gering für eine genaue Messung (Leslie et al., 2022).
Technische Ansätze zur Filterung und Abbau von Mikroplastik
Damit weniger Mikroplastikpartikel aus der Wäsche ins Abwasser gelangen, werden Filter für Waschmaschinen angeboten (AEG o. J.; Electrolux o. J.; Grundig o. J.; PlanetCare o. J.). Sie können allerdings nicht alle Partikelgrößen herausfiltern. Je nach Filtertyp können die abgefangenen Fasern gleich mit dem Filter recycelt werden, wofür der Filter immer wieder erneuert werden muss. Aus anderen Filtermodellen werden die gesammelten Partikel aus dem Filter heraus gebürstet und im Hausmüll entsorgt und so verbrannt. Bei der Fraunhofer UMSICHT wird ein bionischer Waschmaschinenfilter nach dem Vorbild der Fischkiemen entwickelt. Ziel des Forschungsteams ist, einen Filter zu entwickeln, der möglichst lange hält, nachhaltig gefertigt ist und eine Rückhalteeffizienz von mehr als 90 Prozent hat (Fraunhofer Umsicht 2021 b). Wissenschaftler*innen an der Universität von Texas (Nature 2022) haben eine Enzym Variante entwickelt, die Polyethylenterephthalat (PET) in wenigen Stunden abbauen kann. Im Gegensatz zu diesem enzymatischen Abbau dauert der Abbau im Wasser sonst Jahrhunderte (Hoffmann 2022).
Quellenverzeichnis
ADAC (2022): Dem Mikroplastik auf der Spur: Weniger Reifenabrieb ist möglich. Online: www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/ausstattung-technik-zubehoer/reifen/reifenkauf/reifenabrieb-mikroplastik/
AEG o. J.: Online: https://www.aeg.de/care/inspiration/mikroplastikfilter/
bpb Bundeszentrale für politische Bildung: Globalisierung – Wasserverbrauch. Online: www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/globalisierung/52730/wasserverbrauch
Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (2022): Wasserfußabdruck – Wie viel Wasser steckt in landwirtschaftlichen Produkten? Online: www.landwirtschaft.de/diskussion-und-dialog/umwelt/wie-viel-wasser-steckt-in-landwirtschaftlichen-produkten
DERSTANDARD (2022): Ein Mensch isst pro Woche eine Kreditkarte. Diese Menge an Mikro- und Nanokunststoffpartikeln nehmen wir laut Med-Uni Wien im Magen-Darm-Trakt auf. 24. März 2022. Online: https://www.derstandard.at/story/2000134377806/ein-mensch-isst-pro-woche-eine-kreditkarte
Destatis/Deutscher Bauernverband (2020): Landwirtschaft und
Umwelt. Online: www.bauernverband.de/faktencheck/wasser-landwirtschaft-und-klimawandel
Electrolux o. J.: Online: https://www.electrolux.ch/de-ch/care/inspiration/mikroplastikfilter/
Ellen McArthur Foundation (2017): A new textiles economy: Redesigning fashion’s future. Online: www.ellenmacarthurfoundation.org/assets/downloads/publications/A-New-Textiles-Economy_Full-Report.pdf
Europäische Umweltagentur (2019): Textiles in Europe’s circula economy Briefing no. 10/2019. Online: https://www.eea.europa.eu/publications/textiles-in-europes-circular-economy
Europäisches Parlament (2022): Umweltauswirkungen von Textilproduktion und -abfällen (Infografik). Online: www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20201208STO93327/umweltauswirkungen-von-textilproduktion-und-abfallen-infografik
Fraunhofer Umsicht (2021): Fraunhofer UMSICHT untersucht Nachhaltigkeit von Kunstrasenplätzen. Online: www.umsicht.fraunhofer.de/de/presse-medien/pressemitteilungen/2021/systemanalyse-kunstrasenplaetze.html
Fraunhofer Umsicht (2021 b): Mikroplastik – Fischkiemen als Vorbild für bionische Mikroplastikfilter. Pressemitteilung. Online: www.umsicht.fraunhofer.de/de/presse-medien/pressemitteilungen/2021/fishflow.html
Gimkiewicz et al (2022): Jan Gimkiewicz, Dr. Sina Depireux, Dr. Laura Spengler, Brigitte Zietlow: Die Rolle der Langlebigkeit und der Nutzungsdauer für einen nachhaltigen Umgang mit Bekleidung. Eine Studie zum aktuellen Forschungsstand, Hrsg. Uba, Texte 112/2022
Grundig o. J.: Online: https://www.grundig.com/de-de/presse-medien/news/weltinnovation-mikroplastikfilter-waschmaschinehttps://deutschland-favorit.de/portfolio/grundig-waschmaschine-mit-mikroplastik-filter
Hoffmann (2022): Ein Mittel gegen die Plastikflut? Neues Enzym kann Kunststoffe zersetzen. Online: www.geo.de/wissen/plastikfressendes-enzym-zersetzt-pet-in-rekordzeit-31822066.html
Jungmichel et al (2021): Norbert Jungmichel, Kordula Wick, Kordula, Dr. Moritz Nill: Kleider mit Haken – Fallstudie zur globalen Umweltinanspruchnahme durch die Herstellung unserer Kleidung, Hrsg Uba, Dessau-Roßlau, Mai 2021
Leslie et al (2022): Heather A. Leslie, Martin J.M.van Velzen, Sicco H.Brandsma, A. DickVethaak, Juan J.Garcia-Vallejo, Marja H.Lamoree: Discovery and quantification of plastic particle pollution in human blood. Environment International Volume 163, May 2022.
Nature (2022): Lu, H., Diaz, D.J., Czarnecki, N.J. et al.: Machine learning-aided engineering of hydrolases for PET depolymerization, Nature 604, 662–667 (2022), Online: https://doi.org/10.1038/s41586-022-04599-z
PlanetCare d.o.o. o.J.: Online: https://planetcare.org/de/?utm_source=google&utm_medium=cpc&utm_campaign=waschmaschinen-filter-adgroup&gclid
Quarks (2022): Wie gefährlich ist Mikroplastik. Online: www.quarks.de/umwelt/muell/fakten-zu-mikroplastik/
Schwab et al. (2019): Philipp Schwabl, Sebastian Köppel, Philip Königshofer, Theresa Bucsics, Michael Trauner, Thomas Reiberger, and Bettina Liebmann: Detection of Various Microplastics in Human Stool. Annals of Internal Medicine. DOI: https://doi.org/10.7326/M19-0618i
Schymanski, Dana (2018) / Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt Münsterland-Emscher-Lippe: Untersuchung zu Mikroplastik in Lebensmitteln und Kosmetika. Zusammenfassung einer Studie der Universität Münster. Online: www.cvua-mel.de/index.php/aktuell/138-untersuchung-von-mikroplastik-in-lebensmitteln-und-kosmetika
UBA Umweltbundesamt (2020): Was ist Mikroplastik. Online: www.umweltbundesamt.de/service/uba-fragen/was-ist-mikroplastik
UBA Umweltbundesamt (2021): Aufteilung der Erneuerbaren Energien Stand 2020. Online: https://www.umweltbundesamt.de/daten/energie/erneuerbare-konventionelle-stromerzeugung#bruttostromerzeugung-nach-energietragern
UBA Umweltbundesamt (2022): Was ist der Wasserfußabdruck? Online: www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/wasser-bewirtschaften/wasserfussabdruck#was-ist-der-wasserfussabdruck
Weltfriedensdienst (o.J.): Kleidung statt Nahrung. Online: https://wfd.de/thema/kleidung; (Arbeitsblatt: Virtuelles Wasser in der Textilindustrie (o J): https://jugend-und-bildung.de/fileadmin/user_upload_jubi/02_PDFs/Virtuelles-Wasser-Arbeitsblatt.pdf
Wright S et al. (2019): Stephanie Wright, Ian Mudway The Ins and Outs of Microplastics. Editorial. Annals of Internal Medicine. DOI: https://doi.org/10.7326/M19-2474
SDG 7 Bezahlbare und saubere Energie
“Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für alle sichern”
Das SDG 7 beinhaltet soziale und ökologische Anforderungen an den Klimaschutz. Für die Kreislauf- und Abfallwirtschaft sind daher vor allem drei Unterziele wichtig (Destatis 2022):
SDG 7.1 Bis 2030 den allgemeinen Zugang zu bezahlbaren, verlässlichen und modernen Energiedienstleistungen sichern
SDG 7.2 Bis 2030 den Anteil erneuerbarer Energie am globalen Energiemix deutlich erhöhen
SDG 7.3 Bis 2030 die weltweite Steigerungsrate der Energieeffizienz verdoppeln
Das SDG 7 “Bezahlbare und saubere Energie” beinhaltet soziale und ökologische Anforderungen an den Klimaschutz. Ökologische und das Klima schützende Anforderungen werden durch andere SDGs (insbesondere 13, 14 und 15) abgedeckt (Destatis 2022). “Saubere Energie”, wie dies in SDG 7 genannt wird, bedeutet heute für den Klimaschutz grundsätzlich der Umstieg auf erneuerbare Energien (EE), eine höhere Energieeffizienz und Energiesparen. Die Schnittmenge für das SDG 7 ergibt sich aus vier Nummern der Standardberufsbildposition (BiBB 2020):
a) Möglichkeiten zur Vermeidung betriebsbedingter Belastungen für Umwelt und Gesellschaft im eigenen Aufgabenbereich erkennen und zu deren Weiterentwicklung beitragen
b) bei Arbeitsprozessen und im Hinblick auf Produkte, Waren oder Dienstleistungen Materialien und Energie unter wirtschaftlichen, umweltverträglichen und sozialen Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit nutzen.
e) Vorschläge für nachhaltiges Handeln für den eigenen Arbeitsbereich entwickeln
f) unter Einhaltung betrieblicher Regelungen im Sinne einer ökonomischen, ökologischen und sozial nachhaltigen Entwicklung zusammenarbeiten und adressatengerecht kommunizieren
Dieses Kapitel beschreibt die Grundlagen der verwendeten Energieformen und eingesetzten Verfahren sowie wichtige Themen aus dem Bereich „Bezahlbare und saubere Energie”. Es ist sozusagen das Basiswissen, welches heute in jeder Ausbildung vermittelt werden sollte, da kein Beruf mehr ohne die nachhaltige Nutzung von Energie auskommen kann. Zum Abschluss wird auf spezielle Themen für die Berufsbilder Änderungs- und Maßschneider*innen sowie Textil-und Modeschneider*in hingewiesen.
Erneuerbare Energien
Die einfachste Maßnahme zum Umstieg auf erneuerbare Energien ist der Bezug von Ökostrom. Die Produktion erfolgt dabei in der Regel aus Wind, Sonne, Biomasse und Wasserkraft. Im ersten Halbjahr 2022 lag der Anteil der Erneuerbaren bei 51,6 Prozent. Da die Stromproduktion aus verschiedenen Quellen schwankend ist, zeigt erst die Jahresendbilanz, wie die Verteilung sein wird. In 2021 stammten 23 Prozent der gesamten Stromproduktion aus Windkraft, 9,8 Prozent aus der Photovoltaik, 8,8 Prozent aus Biomasse und vier Prozent aus Wasserkraft. Braun- und Steinkohle lieferten 20,7 Prozent des Stroms, Erdgas 10,5 Prozent und die Kernenergie gut 13,3 Prozent (Stromreport 2022).
Wichtig sind hinsichtlich des Ziel “bezahlbarer Energie” vor allem die Kosten von Strom und Wärme. Die Stromgestehungskosten waren in 2021 wie folgt (ISE 2021, gerundet): Dachkleinanlagen 6-11 Cent/kWh, große Dachanlagen 5-10 Cent/kWh, Freiflächenanlagen 3-6 Cent. Die Stromgestehungskosten fossiler Stromerzeugung liegen aktuell zwischen 4 und 15 Cent/kWh. Diese werden jedoch, im Gegensatz zur erneuerbaren Stromerzeugung, aufgrund steigender CO2-Preise zukünftig steigen. Für Braunkohle wurde für das Jahr 2040 ein Stromgestehungspreis von mehr als 20 Cent/kWh prognostiziert (ISE 2021). Allerdings sind diese Vergleiche vor dem Hintergrund des Krieges von Russland gegen die Ukraine hinfällig geworden, da die Untersuchung 2021 mit einem funktionierenden und ausgeglichenen Markt von Angebot und Nachfrage erfolgte.
Im Folgenden wird eine Übersicht über die wichtigsten Technologien zur Nutzung der Erneuerbaren Energien gegeben:
Solarenergie: Solarenergie mit Hilfe von Photovoltaik ist mit gut 21% der EE-Stromproduktion (Stromreport 2022) seit 2007 stark ausgebaut worden und damit die jüngste breit genutzte erneuerbare Stromquelle (vgl. die Graphik auf Wikimedia 2020). Ab 2013 stagnierte der Zuwachs von Solarenergie, weil die Konditionen der Einspeisung verschlechtert wurden. Insbesondere die Energiekrise im Zuge des Ukraine Krieges zeigt, dass der Ausbau jetzt stark beschleunigt werden muss.
Solarthermie: Es stehen jährlich 1.050 KWh/m2 Solarstrahlung für die Umwandlung von Sonnenenergie in Wärme zur freien Verfügung. Hiermit lassen sich Strom sowie Wärme für Heizung und Warmwasser erzeugen. In Deutschland wird Solarthermie dennoch nur in weniger als 10% (co2online 2021) der Heizanlagen für Häuser und Wohnungen genutzt.
Windenergie: 50 Prozent des EE-Stromes in Deutschland wurden 2021 aus Windenergie erzeugt (Stromreport 2022). Der Ausbau hat wesentlich in den Jahren von 2000 bis 2017 stattgefunden. Seitdem ist der Zuwachs geringer, weil sich lokal viele Menschen gegen Windkraftanlagen wehren. Seit Ausbruch des Ukraine-Krieges und dem damit verbundenen Gaslieferstopp Rußlands, sowie seit den deutlichen Auswirkungen der Klimakrise (Waldbrände, Flut), werden wieder höhere Ausbauziele der Windenergie genannt.
Wärmeerzeugung: Zur Wärmeerzeugung können Bioenergie (insbesondere Festbrennstoffe wie Holz) sowie die Umgebungs- bzw. bodennahe Erdwärme eingesetzt werden. Wie bei der Stromerzeugung aus Wasserkraft gibt es für die Verbrennung von Biomasse kein Wachstumspotenzial mehr, sondern muss auf “ein naturverträgliches Maß begrenzt” werden (UBA 2021b). Im Gegensatz dazu setzt die Bundesregierung auf den Ausbau der Nutzung von Umgebungswärme, wozu auch die bodennahe Erdwärme gehört (Tagesschau 2022).
Photovoltaik
Photovoltaik ist die Umwandlung von Sonnenlicht in Strom. Dies geschieht mit Hilfe von PV-Modulen, in denen die Solarstrahlung Strom erzeugt. Der Strom wird über Leitungen zu einem Wechselrichter geführt, der den Gleichstrom aus den PV-Modulen in Wechselstrom umwandelt. Die Kosten der PV-Technologie sind bei höherer Leistung – trotz Preissteigerungen aufgrund des Krieges – deutlich günstiger als vor 20 Jahren. Für den Betrieb von Photovoltaik-Anlagen gibt es drei Betriebsmodelle:
Dachverpachtung: Die einfachste Möglichkeit, von einem geeigneten Dach zu profitieren, ist die Verpachtung der Dachfläche an Dritte. Diese sind dann Betreiber der Anlage. Stadtwerke, Energieversorgungsunternehmen und Projektentwickler bieten bereits „schlüsselfertige“ Dachpachtlösungen an. Dabei baut der Betreiber auf seine Kosten die Anlage, bewirtschaftet sie und übernimmt das unternehmerische Risiko.
Eigenverbrauch mit Überschusseinspeisung: Besonders attraktiv ist die Gestaltung des Eigenverbrauchs. Der Eigentümer errichtet die Anlage auf eigene Kosten und versucht, seine Stromnutzung so zu gestalten, dass bei Sonnenschein Strom entweder verbraucht oder in Batterien gespeichert wird.
Volleinspeisung: In diesem Fall ist der Dacheigentümer auch Betreiber der PV-Anlage. Der gesamte erzeugte Strom wird in das Netz der allgemeinen Versorgung eingespeist und der Anlagenbetreiber erhält für jede eingespeiste kWh die sog. Einspeisevergütung.
Im Folgenden werden kurz die wichtigsten Technologien zur Solarstromerzeugung vorgestellt:
Solarzellen aus kristallinem Silizium: Solarzellen aus kristallinem Silizium werden mit über 90 Prozent am häufigsten verbaut. Als Ausgangsmaterial für ihre Herstellung dient Siliziumdioxid (SiO2), das als Quarzsand oder Quarzkristall abgebaut wird. Aus SiO2 wird in einem mehrstufigen und sehr energieaufwendigen Verfahren hochreines polykristallines Silizium (poly-Si) mit einer Reinheit von 99, 99999 Prozent hergestellt. Die Herstellung erfolgt in einem Lichtbogenofen bei Temperaturen von etwa 2.000 °C. Anschließend werden Silizium-Einkristalle (mono-Si) gezogen. Die gewonnenen Einkristalle werden in etwa 0,2 mm dicke Scheiben («Wafer») gesägt und in einer Abfolge von mehreren Prozessschritten zu Solarzellen und dann zu PV-Modulen weiterverarbeitet.
Dünnschicht-Solarmodule: Die Module bestehen wie die obigen PV-Module ebenfalls aus elektrischen Kontakten und einem absorbierenden Material, allerdings werden auf dem Trägermaterial verschiedene Schichten von Metallen aufgetragen. Die Dicke der lichtabsorbierenden Schicht liegt in der Regel bei 1-3 µm, also etwa hundertmal weniger als bei den Solarzellen aus kristallinem Silizium. Als Trägermaterial können, je nach Technologie, Glas, Metall- oder Kunststofffolien eingesetzt werden. Als Schichtmaterialien kommen insbesondere Halbleitermaterialien wie Galiumarsenid (GaAs), Cadmiumtellurid (CdTe) oder Kupfer-Indium-Gallium-Diselenid (CIGS) zum Einsatz. Vorteile der Dünnschichtzellen sind ihr geringes Gewicht, ihre guten Erträge bei diffusem Sonnenlicht und schlechtem Wetter sowie die schnelle energetische Amortisation aufgrund des geringen Energieeinsatzes bei ihrer Herstellung.
Im Wesentlichen gibt es zwei Arten für Photovoltaikanlagen:
Aufdachmontage: Aufdach-Photovoltaikanlagen sind eine weit verbreitete Möglichkeit für Eigenheime, Unternehmen und öffentliche Gebäude um ihren eigenen Strom zu erzeugen. Vorteile sind: Das vorhandene Dach kann optimal genutzt werden; das Dach wird vor eventuellen Umwelteinwirkungen zusätzlich geschützt; Aufdach-montierte Anlagen sind meist schnell und einfach sowie mit geringem Wartungsaufwand zu installieren. Nachteile sind höhere Kosten der Montage, mögliche Probleme bei der Befestigung und Tragfähigkeit, Platzbeschränkungen durch die Dachfläche sowie der unveränderliche Winkel des Daches (der nicht immer optimal zur Nutzung der Solarstrahlung ist).
Bodenmontage (Freiflächenmontage): Bodenmontierte Photovoltaikanlagen sind inzwischen ebenfalls weit verbreitet, werden aber vorwiegend von großen Unternehmen, professionellen Investoren bzw. Energieanbietern genutzt. Vorteile sind: Aufgrund ihrer Größe ist auch eine größer dimensionierte Stromerzeugung möglich; bodenmontierte Anlagen haben die Möglichkeit die festen Winkelbeschränkungen zu umgehen und sie haben einfache Wartungsmöglichkeiten. Nachteilig sind die Flächenbedarfe (“ganze Äcker”) und ihre optische Auffälligkeit (Landschaftsbild).
Solarwärme
Solarthermie erzeugt warmes oder heißes Wasser, zusammen mit einem Wärmespeicher kann dann insbesondere in den Sommermonaten ein erheblicher Teil des Wärmebedarfs mit Solarenergie CO2-frei bereitgestellt werden. Das Prinzip ist ganz einfach: Das Sonnenlicht erwärmt die Solarflüssigkeit (Wasser-Glykol-Gemisch) und über einen Wärmtauscher erwärmt die heiße Solarflüssigkeit Wasser. Im folgenden werden die beiden wichtigsten Kollektortypen sowie die Wärmespeicherung und die Einbindung der Solarwärme vorgestellt:
Flachkollektoren: Bei Flachkollektoren ist der metallische Solarabsorber zwischen einer transparenten Abdeckung und einer Wärmedämmung eingefasst. Dies minimiert die Wärmeverluste des Kollektors, wodurch in Abhängigkeit der Bauart Nutztemperaturen bis 100 °C effizient bereitgestellt werden können. Das Spektrum reicht von kompakten Kollektormodulen mit ca. 2 m² bis hin zu Großflächenkollektoren mit 10 bis 12 m²
Vakuumröhrenkollektoren: Bei Vakuumröhrenkollektoren können die Wärmeverluste durch Konvektion und Wärmeleitung deutlich reduziert und somit mehr Wärme erzeugt werden. Der sinnvolle Einsatzbereich dieser Kollektoren bei 80 bis 130 °C, der höhere Wert wird mit Spiegeln auf der Rückseite erzeugt.
Speicherung: In der Regel ist ein Pufferspeicher zentraler Bestandteil einer solaren Prozesswärmeanlage, da das Solarangebot nicht immer mit dem Wärmebedarf der zu versorgenden Verbrauchsstellen zeitlich übereinstimmt. Zur Einbindung des Speichers gibt es mehrere Möglichkeiten: Typischerweise wird der mit einem Wasser-Glykol-Gemisch betriebene Solarkreis durch einen Wärmeübertrager vom Speicherkreis getrennt.
Einbindung von Solarwärme: Bei der Einbindung von Solarwärme lässt sich grundsätzlich die Versorgungs- von der Prozessebene unterscheiden. Viele Industrie- oder Gewerbebetriebe haben ein zentrales Kesselhaus zur Erzeugung von Wärme und ein Rohrnetz zur Verteilung der Wärme an die Verbrauchsstellen. Je nach Nutztemperatur wird die Wärme über Dampf (140-200 °C), Heißwasser (90-160 °C) oder Warmwasser (<100 °C) verteilt und direkt oder indirekt über einen Wärmeüberträger an die Wärmesenke abgegeben.
Bioenergie
Unter Bioenergie wird die energetische Nutzung biogener Energieträger verstanden. Biogene Energieträger sind pflanzlicher oder tierischer Herkunft. Zu den typischen biogenen Energieträgern zählen Holz und Stroh sowie ihre Derivate wie Holzschnitzel- oder -pellets. Aber auch Biogas aus der Vergärung von Bioabfällen, Ernterückständen oder von tierischen Abfällen wie Mist und Gülle-Exkremente. Obwohl bei der Verbrennung von Biomasse oder Biogas Kohlendioxid freigesetzt wird, wird die Erzeugung und Nutzung von Bioenergie als klimaneutral angesehen, denn das freigesetzte CO2 wurde während des Pflanzenwachstums der Atmosphäre entzogen. Allerdings verursacht die Verbrennung von Biomasse weiterer Luftschadstoffe wie NOX und insbesondere Feinstaub (Kamine im Eigenheimbereich).
Der typische Einsatz von Biogas zur Energieerzeugung erfolgt über Blockheizkraftwerke (BHKW), die sowohl Wärme als auch Strom erzeugen. Problematisch ist der Anbau von Energiepflanzen wie z.B. Mais, Raps, Futterrüben, Hanf, Chinaschilf, schnellwachsende Bäume (Pappeln, Weiden), Zuckerrohr und Algen. In der Regel erfolgt deren Anbau in schnell wachsenden Monokulturen und haben damit einen erheblichen Einfluss auf Landschaft und Boden. Zudem kann der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zum Verlust von Biodiversität, die Düngung zur Belastung des Grundwassers und der Verbrauch von Trinkwasser zur regionalen Verknappung von Wasser führen (vgl. BUND o. J.). Des Weiteren ist der energetische Wirkungsgrad der Biomassenproduktion mit 0,5 – 1,5% (Pflanzenforschung 2020) wesentlich geringer als der von Photovoltaik , der in der Regel 15 – 22 Prozent beträgt (Eigensonne o. J.). Zudem gibt es eine Flächenkonkurrenz – anstelle von Energiepflanzen könnten auch Feldfrüchte oder Getreide angebaut werden – im Sinne des SDG 2 “Kein Hunger”.
Erd- und Umgebungswärme
Eine Möglichkeit der Wärmeerzeugung ist die Nutzung von Temperaturunterschieden zwischen Gebäuden und ihrer Umgebung oder dem Erdreich mit Wärmepumpen. Eine Wärmepumpe funktioniert wie ein Kühlschrank oder eine Klimaanlage (Tagesschau 2022). Die Pumpe entzieht der Umgebung (z. B. dem Erdreich) mit einem Kältemittel Wärme und kühlt sie dabei ab. Ein Kompressor verdichtet das Kältemittel und erhöht dabei dessen Temperatur, die dann zur Raumheizung genutzt wird. Das Kältemittel kondensiert und gibt die Wärme frei. In einem Ventil verdampft das Kühlmittel wieder, kühlt sich dabei stark ab und kann aufs Neue der Umgebung Wärme entziehen. Zum Antrieb einer Wärmepumpe wird elektrischer Strom benötigt, der allerdings aus erneuerbaren Quellen stammen sollte. Bei der Nutzung von Erdwärme wird zwischen Tiefengeothermie und oberflächennaher Geothermie unterschieden.
Die oberflächennahe Geothermie nutzt den Untergrund bis zu einer Tiefe von ca. 400 m und Temperaturen von bis zu 25° C für das Beheizen und Kühlen von Gebäuden, technischen Anlagen oder Infrastruktureinrichtungen. Hierzu wird die Wärme oder Kühlenergie aus den oberen Erd- und Gesteinsschichten oder aus dem Grundwasser gewonnen. Als Tiefengeothermie bezeichnet man die Nutzung der Erdwärme in Tiefen zwischen 400 und 5.000 Metern. Im Vergleich zur oberflächennahen Geothermie sind dort die Temperaturen weitaus höher. Der Vorteil der Geothermie ist ihre ständige Verfügbarkeit. Die geothermische Stromerzeugung in Deutschland steht noch am Anfang und ist noch ausbaufähig
Rationelle Energienutzung und Energiesparen
Neben dem Einsatz erneuerbarer Energien zählt auch die rationelle Energienutzung zu den Maßnahmen, um das Energiesystem in Richtung Nachhaltigkeit zu transformieren. Typische Handlungsfelder der rationellen Energienutzung sind die Energieeffizienz und das Energiesparen, die beide eng miteinander verknüpft sind.
Energieeffizienz: Bei der Energieeffizienz geht es darum, Geräte und Maschinen zu nutzen, die bei gleicher Funktionserfüllung einen geringeren Energiebedarf haben. Effizienz ist dabei eine relationale Größe, die sich auf mindestens zwei vergleichbare Arten bezieht, Energie zu nutzen. Durch optimierte Prozesse sollen die quantitativen und qualitativen Verluste, die im Einzelnen bei der Umwandlung, dem Transport und der Speicherung von Energie entstehen, minimiert werden, um einen vorgegebenen (energetischen) Nutzen bei sinkendem Primär- bzw. Endenergieeinsatz zu erreichen.
Energieeffizienzkennzeichnung: In der EU gibt die Energieeffizienzkennzeichnung gemäß Verordnung (EU) 2017/1369 Auskunft über die Energieeffizienz von Elektrogeräten und weiteren Energieverbrauchern. Die Kennzeichnung erfolgt für verschiedene Gerätegruppen in Form von Etiketten auf den Geräten und in Werbematerialien. Ab dem Jahr 2021 erfolgt die Kennzeichnung der Energieeffizienz in Form von Effizienzklassen. Deren Skala reicht von „A“ bis „G“, wobei Geräte mit der höchsten Effizienz mit der Kennzeichnung “A” ausgezeichnet werden. Daneben gibt es zahlreiche weitere Kennzeichen. Bekannt ist der amerikanische Energy Star für energiesparende Geräte, Baustoffe, öffentliche/gewerbliche Gebäude oder Wohnbauten. Der Energy Star bescheinigt die jeweiligen Stromsparkriterien der US-Umweltschutzbehörde EPA und des US-Energieministeriums (www.energystar.gov). Auch nationale Umweltzeichen wie der Blaue Engel können, je nach ausgezeichnetem Produkt, auf Grund vergleichsweise besonders hoher Energieeffizienz vergeben werden (www.blauer-engel.de). Für Pkw gibt es ein eigenes Kennzeichen, welches die Bewertung und Kennzeichnung der Energieeffizienz neuer Personenkraftwagen hinsichtlich Kraftstoff- und Stromverbrauch regelt (Pkw-EnVKV 2020).
Stromsparen: Die Abgrenzung des Energiesparens zur Energieeffizienz ist allerdings nicht immer eindeutig, denn die Nutzung eines energieeffizienten Gerätes stellt immer auch eine Energieeinsparung gegenüber einem weniger effizienten Gerät dar. Die wichtigsten Stromsparmaßnahmen im Haushalt sind energieeffiziente Geräte (Kühl- und Gefriergeräte, Flachbildschirme u. a. m.) sowie LED-Beleuchtung. Eine Vielzahl von Energiespartipps sind z. B. bei CO2-Online zu finden (ebd. o. J.). Selbst kleine Maßnahmen wie Reduzierung des Standby-Verbrauchs summieren sich im Großen (UBA 2015). EU-weit werden die Leerlaufverluste auf jährlich 51 Mrd. Kilowattstunden geschätzt. Dies entspricht einer Energiemenge, die etwa 14 Großkraftwerke mit jeweils 800 Megawatt Leistung pro Jahr erzeugt und dabei etwa 20 Mio. t CO2 in die Atmosphäre emittieren (ebd.).
Beleuchtung
Beleuchtung ist in allen Berufen ein Handlungsfeld, bei dem viel Energie eingespart werden kann. Der Standard für Energieeffizienz in der Beleuchtung sind LED-Lampen und LED-Röhren. In 2009 wurde die “Glühbirne” aus Initiative der EU vom Markt genommen, anstelle dessen wurde im breiten Umfange die Energiesparlampe bzw. Leuchtstofflampe (Fachbegriff: Kompaktleuchtstofflampen) verwendet, die bei gleiche Lichtstärke wie eine 75 Watt Glühbirne nur rund zehn Watt verbrauchte. Die technische Entwicklung ging jedoch weiter hin zu LED-Lampen, die wiederum im Vergleich zur Glühbirne rund 70 Prozent bis 90 Prozent der Energie einsparen (enterga o. J., energieexperten o. J.). In Haushalten und kleinen Gewerbebetrieben ohne eigene Produktion fallen rund zehn Prozent des Stromverbrauchs für die Beleuchtung an – dies sind zwischen 350 und 600 kWh/a.
Die Bedeutung des technischen Wandel weg von der Glühbirne (und auch der Halogenbirne) hin zu LED-Technik lässt sich im Rückblick zeigen. In 2003 wurden ca. 71 TWh/a (Terawattstunden pro Jahr) Strom für die Beleuchtung verwendet. Dies waren 71.000 Gigawattstunden. Ein Atomkraftwerk erzeugt zwischen 9.000 und 13.000 GWh Strom, rein rechnerisch mussten fast neun Atomkraftwerke nur die Beleuchtung laufen (in 2003, stromrechner.com o. J.).
Für Gewerbetreibende mit Büro und Werkstatt sind die LED-Leuchtstoffröhren besonders interessant, da bisher immer Leuchtstofflampen installiert wurden. Heutzutage gibt es LED-Röhren, die ohne Umbau in die vorhandenen Lichtkästen eingebaut werden können. Nur das Vorschaltgerät muss ggf. ausgewechselt werden. Die Einsparung liegt bei 50 Prozent des bisher genutzten Stroms (LEDONLINE o. J.). Die Vorteile neben der Energieeinsparung sind offensichtlich: Die Röhren zerbrechen nicht, sie enthalten kein Quecksilber, sie flimmern nicht und haben einen hohen Leistungsfaktor (ebd.)
Eine weitere mögliche Stellschraube bei der Beleuchtung ist die Verwendung von Strom aus regenerativen Energiequellen. Eine eigene PV-Anlage auf dem Bürogebäude oder auf dem Betriebsgelände in Verbindung mit einem Batteriespeicher kann erheblich Strom aus Sonnenlicht bereitstellen. Allerdings ist die Solarstrahlung in den Wintermonaten – gerade dann, wenn die Anzucht stattfindet, nur gering. In diesem Falle sollte zumindest der Strom aus erneuerbaren Energien – im Winter fast ausschließlich aus Windenergie – bezogen werden.
Mobilität
Im Rahmen der sogenannten Verkehrswende spielt die Dekarbonisierung der Antriebe eine zentrale Rolle, denn die Treibhausgasemissionen der Mobilität sind, mit rund 149 Mio. t CO2-Äq bzw. fast 20 Prozent aller CO2-Emissionen allein in Deutschland im Jahr 2021, maßgeblich für den Klimawandel verantwortlich. Differenziert nach verschiedenen Verkehrsarten zeigt sich, dass der Straßengüterverkehr 2020 rund 46 Mio. t CO2-Äq bzw. 30 Prozent der Verkehrsemissionen verursacht (UBA 2022) hat. Es sind somit zwei Trends wirksam: Zum einen eine Minderung der Emissionen (insbesondere der Schadstoffe), die aber bei Lkw deutlich größer sind (-32%) als bei Pkw (-5%). Zum anderen stieg für beide die Zahl der gefahrenen Kilometer – die Pkw-Fahrleistung hat sich seit 1995 verdoppelt, die des Güterverkehrs per Lkw ist um 74 Prozent gestiegen (ebd.).
Nutzungsverhalten
Neben der Umrüstung der Dienstwagen auf elektrische Antriebe sollte auch der individuelle Umgang mit Mobilität überdacht werden. Es können beispielsweise THG-Emissionen eingespart werden, wenn die Mitarbeitenden zu Fuß oder mit dem Rad zum Arbeitsplatz im Handel kommen, sofern aus gesundheitlichen Gründen oder einer zu großen Distanz zum Arbeitsort nichts dagegenspricht. Zudem kann der Betrieb die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel z. B. durch ein Jobticket attraktiver gestalten. Auch die Förderung von Dienstfahrrädern ist in einigen Städten und Kommunen möglich. Zusätzlich ist die Bildung von Fahrgemeinschaften denkbar, wenn es sich von den Arbeitszeiten und den Wegen anbietet. Strecken, die mit dem Auto gefahren werden müssen, sollten optimiert werden (Routenoptimierung), insbesondere gilt dies für den Transport von Waren. Außerdem hat die Fahrgeschwindigkeit einen erheblichen Einfluss auf die ausgestoßenen THG-Emissionen. Laut Umweltbundesamt verursachten im Jahr 2020 Pkw und leichte Nutzfahrzeuge auf Bundesautobahnen in Deutschland THG-Emissionen in Höhe von rund 30,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten. Durch die Einführung eines generellen Tempolimits von 120 km/h auf Bundesautobahnen würden die Emissionen um jährlich 2,0 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente reduziert und ein Tempolimit von 100 km/h würde sie um 4,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr mindern (UBA 2022b). Auch ohne generelles Tempolimit kann jede/r die Fahrgeschwindigkeit reduzieren, das spart nicht nur THG-Emissionen sondern auch Kosten ein (mobile.de 2020). Denn bei hohen Geschwindigkeiten verbrauchen Fahrzeuge überdurchschnittlich viel Kraftstoff. Nach Angaben des ADAC verbraucht ein Mittelklasseauto um bis zu zwei Drittel mehr Kraftstoff, wenn es statt 100 km/h mit 160 km/h fährt (ebd.).
Logistik
Die Wahl der Verkehrsmittel entlang der Wertschöpfungskette ist sehr relevant für die CO2-Emissionen. Die Emissionen aus der Logistik können leicht mit Hilfe kostenloser Online Tools ermittelt werden wie z. B. mit carboncare ( o. J.), die die Emissionen nach EN 16258-Standard berechnet. Darin ist auch der Emissionsanteil für die Erzeugung und Bereitstellung des Kraftstoffes enthalten. Die folgende Tabelle stellt beispielhaft die CO2- Emissionen unterschiedlicher Transportmittel dar, die bei einem Transport von einer Tonne Gewicht von Shanghai nach Berlin freigesetzt werden. Die Datenauswertung zeigt deutlich, dass Ferntransporte per Schiff zu den energieeffizientesten Transporten gehören. Bereits 1.000 km per Lkw emittieren genauso viel CO2 wie bei 20.000 km Schiffstransport. Die Daten zeigen auch, dass selbst bei einem Transport von Elektronikbauteilen mit geringem Gewicht per Flugzeug, um ein Vielfaches mehr CO2 freigesetzt wird als ein Transport mit anderen Verkehrsmitteln.
Transportmittel | Strecke (km, gerundet) | WTW-CO2-Äq |
Schiff Lkw |
19.900 km (Schiff) 200 km (Lkw) 20.100 km (gesamt) |
73 kg (nur Schiff) 15 kg (Lkw) 88 kg (gesamt) |
Bahn (im Bau) | 10.400 km | 120 kg |
Flugzeug | 8.500 km | 6.900 kg |
Quelle: eigene Berechnungen mit carboncare (ebd. o. J.)
Geschäftsreisen
Bei Geschäftsreisen besteht vielfach die Wahl zwischen Bahn und Pkw-Nutzung. Die Reisedauer bei innerdeutschen Flügen ist aufgrund der langen Check-In-Zeiten im Prinzip kaum kürzer als mit der Bahn. Hier kann der UmweltMobilCheck der Deutschen Bahn eine Orientierung geben (DB o. J.). Eine Fahrt von Berlin nach Hamburg führt bei Pkw-Nutzung zu etwa 54 kg CO2-Äq, bei Bahnnutzung zu 0,03 kg CO2-Äq.
Sollten Geschäftsreisen mit dem Flugzeug gelegentlich unvermeidbar sein, bieten sich Kompensationsmodelle zum Ausgleich der Klimawirkung an, bei denen eine Klimakompensation erfolgt. Hierbei wird ein Geldbetrag entsprechend der verursachten Emissionen überwiesen und dieser wird in Klimaschutzprojekte investiert z. B. in den Moorschutz oder Wiederaufforstung (vgl. atmosfair o. J.). Bei einem Hin-und Rückflug von Berlin nach Shanghai entstehen ca. 4.800 kg CO2 Emissionen. Diese können durch 111 Euro Ausgleichszahlung kompensiert werden.
Antriebskonzepte
Darüber hinaus stellt sich die Frage nach den “Kraftstoffen” für die Mobilität der Zukunft. In der Diskussion stehen Elektrofahrzeuge mit unterschiedlichen Antriebskonzepten, Wasserstofffahrzeuge mit Brennstoffzellen sowie biogene Kraftstoffe.
Hybrid-Fahrzeuge: Es gibt verschiedene Typen wie Mild-Hybrid, Voll-Hybrid, Plug-in-Hybrid oder Range Extender, die einen mehr oder weniger starken Verbrenner mit einem Elektroantrieb kombinieren. Solange die Reichweite reiner Elektroautos noch begrenzt ist, wird es auch diese Fahrzeuge geben.
Elektroauto mit Batterie: Ein vollelektrisches Fahrzeug (BEV) wird ausschließlich von einem batteriebetriebenen Elektromotor angetrieben. Der wird über das Stromnetz aufgeladen, das heißt: er benötigt keinen fossilen Kraftstoff. Dadurch fährt das Fahrzeug zu 100 Prozent emissionsfrei. Allerdings ist hier der Strommix von Bedeutung: Der Anteil von Gas und Kohle führt zu Emissionen bei der Stromerzeugung, dennoch hat das Elektroauto mit Batterie die geringsten Emissionen aller gut am Markt verfügbaren Fahrzeuge.
Elektroauto mit Brennstoffzelle: Ein Brennstoffzellenauto (FCEV) wird ausschließlich von einem Elektromotor angetrieben. Der Strom wird in einer Wasserstoff-Brennstoffzelle erzeugt. Bei der Nutzung von Wasserstoff in Fahrzeugen ist von entscheidender Bedeutung, dass dieser mit elektrischem Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt wird, ein sogenannter grüner Wasserstoff – denn nur dann ist sein Einsatz in Fahrzeugen CO2-frei und damit klimaneutral. Die Herstellung von grünem Wasserstoff erfolgt mittels Elektrolyse von Wasser.
Biogene Kraftstoffe: Hier wird der Kraftstoff aus Pflanzen erzeugt. Dies können Öl-Pflanzen wie Raps sein, aus denen Biodiesel, oder Zuckerrohr, aus dem Ethanol erzeugt wird. Letzteres ist z. B. in Brasilien eine wichtige Kraftstoffquelle. Die Antriebstechnik ist vergleichbar mit konventionellen Verbrennungsmotoren mit der Ausnahme, dass das bei der Verbrennung entstehende CO2 klimaneutral ist, denn die bei der Verbrennung freigesetzte CO2-Menge entspricht in etwa derjenigen Menge, die die Pflanze während ihres Wachstums mittels Photosynthese der Atmosphäre entzogen hatte.
Energiespeicherung
Eine zentrale Herausforderung bei der Nutzung erneuerbarer Energien ist ihre Fluktuation, denn Solarstrahlung steht nachts nicht zur Verfügung und auch der Wind weht nicht kontinuierlich. Eine ausgeglichene Balance von Stromerzeugung und Stromnachfrage ist aber unabdingbar für die Versorgungssicherheit sowie die Netzstabilität. Um eine gleichmäßige Frequenz im Stromnetz aufrechtzuerhalten, müssen Erzeugung und Nutzung aufeinander abgestimmt werden. Andernfalls muss die Differenz und mögliche Frequenzschwankungen durch die sogenannte Regelenergie ausgeglichen werden. Möglichkeiten dazu sind:
- Abschaltung von EE-Anlagen (geringere Einspeisung)
- Zuschaltung von Speicherkraftwerken (höhere Einspeisung)
- Abschaltung großer Verbraucher (geringere Entnahme)
Die Abschaltung ist aber unökologisch und unwirtschaftlich. Um dies zu vermeiden, bieten sich Energiespeicher an, die bei Bedarf zugeschaltet werden. Diese sind:
Pumpspeicherkraftwerke: Kostengünstig, nur für gebirgige dünn besiedelte Regionen (z. B. Norwegen, Öst. Alpen), benötigen einen Netzanschluss z.B. durch sehr lange und teure DC-Leitungen z.B. durch die Ost- und Nordsee bei norwegischen Speichern.
Druckluft: Einfache Technologie, gut nutzbar bei Anbindung an Windkraftanlagen, aber nur begrenztes Speicherpotential und bisher eher ein Forschungsgegenstand.
Schwungräder: Einfache Technologie, aber hohe Masse des Rades und noch in der Entwicklung.
Chemisch als Wasserstoff: Elektrolyse von Wasser zur Stromerzeugung, gut erforscht für Kleinanlagen, derzeit erfolgt ein großtechnischer Aufbau, wichtiger Zielkonflikt: Wasserstoff ist auch relevant für die Stahl-, Zement- und chemische Industrie sowie zum Antrieb von LKWs (evt. Flugzeuge), teure Technologie.
Chemisch als Methan: Elektrolyse von Wasser zur Stromerzeugung, dann Reduktion von CO2 zu Methan (CH4), relevant für Gebäudeheizungen, teure Technologie.
Allen obigen Technologien ist gemeinsam, dass die Umwandlung von Kraft oder innerer Energie immer mit hohen Verlusten aufgrund der Thermodynamik (Wärmeverluste) verbunden ist. Die wichtigste Batterie ist derzeit die Lithium-Ionen-Batterie. (GRS o. J., ISE 2021): Dieser Batterietyp dient sowohl für die Versorgung von Kleingeräten (Mobiltelefone, Tablet, Notebooks, Werkzeuge) als auch für Fahrzeuge und Fahrräder sowie als Hausspeicher (siehe auch unten). Batterien im Kleinstbereich und für die Elektromobilität müssen ein geringes Gewicht beim höchsten Energiegehalt haben. Weitere Faktoren sind die Kosten, die Brandsicherheit, die Ladefähigkeit und die Lebensdauer. Die Kathode enthält Kobalt-Oxid (CoO), die Anode besteht aus Graphit. Als Elektrolyt dienen Li-organische Verbindungen. Die Vorteile sind die höchste Energiedichte aller im großen Maßstab produzierten Batterien, kein Memory Effekt und eine gute Zyklenfestigkeit. Die Nachteile sind ein hoher Preis, ein aufwändiges Zellmanagement aufgrund der geringen Größe und damit verbunden mit einer hohen Anzahl von Zellen. Aus Sicht der Nachhaltigkeit ist insbesondere die Gewinnung von Cobalt in Sambia und der Demokratischen Republik Kongo, dem wichtigsten aller Lieferländer, sehr gewichtig, da hier u.a. ein illegaler und umweltzerstörender Abbaus stattfindet (FAZ-net 2022, Safe the Children 2022). Lithium ist ein Salz, das in verschiedenen Ländern in Salzseen vorkommt. Der größte Produzent ist Australien (51.000 t) vor Chile (13.000 t; VW o. J.). Hierbei spielt insbesondere die Bereitstellung von Wasser und die Abwasserbehandlung eine wichtige Rolle, da die Gewinnung meist in ariden Regionen stattfindet. Die bekannten Reserven übersteigen derzeit die Bedarfe um ein Vielfaches, weshalb diskutiert wird, ob Lithium ein “knappes” Metall ist oder nicht (ebd.).
In den Schneidereien steht vor allem die rationelle Energienutzung für die verschiedenen Geräte im Vordergrund, wenn möglich mit Strom aus erneuerbaren Energien. Die Mobilität hat einerseits für die Beschäftigten, die zur Arbeit kommen Relevanz, aber auch indirekt für die verwendeten Stoffe und Zutaten, die meist im Ausland hergestellt werden und in das Verarbeitungsland transportiert werden müssen.
Geräte in den Schneidereien
In Änderungs- und Maßschneidereien werden in erster Linie Näh- und Overlockmaschinen sowie Bügelgeräte verwendet. In Textil- und Modeschneidereien kommen dann je nach Größe auch elektrische Schneidegeräte und Apparaturen für Klebenähte zum Einsatz. Um die Möglichkeiten zur Energieeinsparung zu eruieren, ist es sinnvoll, den Energieverbrauch im Standby-Betrieb und im Normalbetrieb mit einem Strommessgerät (Steckergerät) zu ermitteln. Dabei kann man auch den Stromverbrauch für die Aufheiz- und Nachheizphasen vergleichen und so ein Konzept erstellen, wie in der Schneiderei energieeffizient gearbeitet werden kann. Manche Geräte haben einen besonders hohen Standby-Verbrauch. Durch abschaltbare Steckerleisten und Zeitschaltuhren kann der Energieverbrauch ebenfalls vermindert werden.
Bügelgeräte
Bügeleisen haben in der Regel eine Leistung von zwei bis drei Kilowatt (kW). Allerdings wird diese Leistung nicht während der ganzen Bügelzeit, sondern lediglich zum Aufheizen und Nachheizen gebraucht. Dadurch kommt in einer Stunde Bügeln ein Energieverbrauch von etwa 1 bis 1,5 Kilowattstunden (kWh) zusammen (UBA 2016). Empfehlenswert ist zudem zügiges Bügeln ohne große Unterbrechungen, damit weniger Energie zum Nachheizen gebraucht wird (UBA 2013).
Ein Dampfbügeleisen benötigt Strom für das Erhitzen des Bügeleisens und zur Erzeugung von Wasserdampf. Die Umwandlung von Wasser in Dampf macht dabei rund 90 Prozent des Stromverbrauchs aus. Aus ökologischer Sicht ist es deshalb empfehlenswert, die Dampferzeugung und damit den Stromverbrauch einzuschränken (UBA 2013). Bügelstationen verbrauchen in der Regel mehr Strom als Dampfbügeleisen. Der hohe Stromverbrauch von Bügelstationen entsteht durch den separaten Dampfgenerator. In diesem Generator, der ein wesentlich größeres Fassungsvolumen hat als die Wassertanks von Dampfbügeleisen, wird das Wasser schnell und mit viel Druck erhitzt. Die Dampfleistung sowie der Druck sind ausschlaggebend für den Stromverbrauch. Des Weiteren wird bei Bügelstationen oft die gesamte Menge an Wasser erhitzt, auch wenn diese nicht benötigt wird (UBA 2013). Die Wassertanks haben unterschiedliche Volumina, ebenso unterscheiden sich der Betriebsdruck und die Kesselleistung von Gerät zu Gerät.
Nähmaschinen
Eine Nähmaschine kann zwischen 90 und 100 Watt verbrauchen, wobei ältere Modelle weniger Strom verbrauchen (https://krostrade.de/heim/wie-viel-watt-verbraucht-eine-naehmaschine/) Leistungsstärkere Industriemodelle benötigen bis zu 1000 Watt. Nähmaschinen mit Kupplungsmotoren verbrauchen mehr Energie als solche ohne, jedoch erhöht sich die Anzahl der umweltfreundlicheren Modelle mit niedrigerem Energieverbrauch auf dem Markt. Mit Servomotor ausgestattete Nähmaschinen verbrauchen ebenfalls weniger Energie als Kupplungsmotoren und sind zudem leiser (https://www.directindustry.com/industrial-manufacturer/industrial-sewing-machine-80048.html).
Weitere Geräte
Neben Nähmaschinen und Bügelgeräten bedienen Textil- und Modeschneider*innen weitere Geräte und größere Anlagen. Elektrische Rotationsschneider haben eine Leistung von 150 bis 250 Watt. Der Energieverbrauch von speziellen Geräten wie Stichnäh-, Stofflege-, Zuschneidemaschinen, Abwickeleinrichtungen, Nähautomaten, Kunststoffklebe- und -schweißautomaten, Fixierpressen und Bügelpressen muss jeweils separat ermittelt werden.
Quellenverzeichnis
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SDG 8 Menschenwürdige Arbeit
“Dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern”
Der Zusammenhang des SDG 8 “Menschenwürdige Arbeit” und der Standardberufsbildposition ist nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar, da die Textilwirtschaft Produkte einer global verzweigten und stark diversifizierten Wertschöpfungskette nutzt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Standardberufsbildposition zwar den Fokus auf den eigenen Arbeitsbereich legt (3e), aber gleichzeitig auch die Zusammenarbeit bei der nachhaltigen Entwicklung fordert und diese auch adressatengerecht kommuniziert werden soll (§ 5 Absatz 3 Nummer 3, vgl. BMBF 2022):
e) Vorschläge für nachhaltiges Handeln für den eigenen Arbeitsbereich entwickeln
f) unter Einhaltung betrieblicher Regelungen im Sinne einer ökonomischen, ökologischen und sozial nachhaltigen Entwicklung zusammenarbeiten und adressatengerecht kommunizieren
Der Bezug zwischen SDG 8 und der Arbeit in den Schneidereien lässt sich vor allem über das SDG Unterziel 8.5 herstellen:
SDG 8.5 Bis 2030 produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle Frauen und Männer, einschließlich junger Menschen und Menschen mit Behinderungen, sowie gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit erreichen
Menschenwürdige Arbeit in Deutschland bedeutet vor allem Arbeit, die sich zumindest an internationalen Standards orientiert. Formuliert sind diese in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (UN-Charta, Artikel 23, zitiert nach DGB o. J.):
Jeder hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit.
Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale Schutzmaßnahmen.
Jeder hat das Recht, zum Schutze seiner Interessen Gewerkschaften zu bilden und solchen beizutreten.
Menschenwürdige Arbeit
Menschenwürdige Arbeit in Deutschland bedeutet vor allem Arbeit, die sich zumindest an internationalen Standards orientiert. Formuliert sind diese in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Vereinte Nationen 1948; UN-Charta, Artikel 23 und 24). Als “menschenunwürdige Arbeit” werden Kinderarbeit, Sklavenarbeit und teilweise Leiharbeit bezeichnet sowie Merkmale bei den Beschäftigungsverhältnissen, die sich nicht an den o. g. Regelwerken orientieren, wie “fehlende soziale Sicherheit”, “mangelnder Arbeitsschutz”, “Ausnutzung von Scheinselbstständigen” und “Ungleichbehandlung von Frauen”.
Saisonarbeit
Alle bei einem in Deutschland ansässigen Unternehmen befristet angestellte Arbeitnehmer: innen aus anderen Ländern werden als Saisonarbeiter bezeichnet. Laut Definition in den relevanten Vorschriften üben sie eine Tätigkeit aus die “aufgrund eines immer wiederkehrenden saisonbedingten Ereignisses oder einer immer wiederkehrenden Abfolge saisonbedingter Ereignisse an eine Jahreszeit gebunden sind, während der Bedarf an Arbeitskräften den für gewöhnlich durchgeführte Tätigkeiten erforderlichen Bedarf in erheblichem Maße übersteigt” (Zoll 2022). Folgende Bereiche setzen Saisonarbeitskräfte ein:
- Tourismus: Gaststätten, Hotels für Kellner: innen, Küchenpersonal, Zimmerservice und in Betrieben, die nicht ganzjährig geöffnet sind, wie Biergärten und Skihütten, oder auch zur Abdeckung von Arbeitsspitzen in Ausflugslokalen.
- Schaustellergewerbe auf Volksfesten, Jahrmärkten etc.
- In der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau (Erntehilfen in Sonderkulturbetrieben wie Obst-, Gemüse- oder Weinbau).
DGB Index Gute Arbeit
Die Qualität von Arbeitsbedingungen wird seit 2012 aufgrund von 42 standardisierten Fragen in einer bundesweiten repräsentativen Erhebung ermittelt (DGB 2022). Elf Kriterien der Arbeitsqualität werden abgefragt. Im November 2022 wurde der DGB-Index Gute Arbeit 2022 veröffentlicht. Wie schon in den vorangegangenen Jahren gibt es zu den Kriterien „Arbeitsintensität“ und „Einkommen“ erheblich kritische Bewertungen.
Der Index 2022 zeigt z. B. für die Branchen „Metallerzeugung und –bearbeitung“ (64), „Ver- und Entsorgung“ (69), „Baugewerbe“ (66), „Gastgewerbe“ (62), „Information und Kommunikation“ (69), „Finanz- und Versicherungsdienstleistungen“ (68) und „Gesundheitswesen“ (62) auf, dass die Arbeitsbedingungen noch weit entfernt sind vom Anspruch „Gute Arbeit“.
In der ausführlichen Debatte über die Detailergebnisse für 2022 sticht hervor, dass Beschäftigte in Leiharbeitsverhältnissen ihre Situation auffällig schlecht bewerten (ebd.).
„Auf Branchenebene kommen Beschäftigte aus dem Gastgewerbe und dem Gesundheitswesen auf die niedrigsten Indexwerte (jeweils 62 Punkte). In der Informations- und Kommunikationsbranche (IuK) liegt der Wert dagegen bei 69 Punkten. Auch in den Branchen treten auf Ebene der Teilindizes zum Teil sehr große Unterschiede zutage. Beim Teilindex „Ressourcen“ kommen IuK-Beschäftigte auf 75 Indexpunkte, Arbeitnehmer*innen aus der Metallerzeugung und -bearbeitung dagegen lediglich auf 68 Punkte. Die höchsten Belastungen finden sich im Bereich Erziehung und Unterricht (54 Punkte) sowie im Gesundheitswesen (56 Punkte), wo häufig sowohl physische als auch psychische Belastungsfaktoren auftreten. Die größte Diskrepanz auf Branchenebene zeigt sich bei der Bewertung von „Einkommen und Sicherheit“. Hier liegen die Befragten aus dem Gastgewerbe mit 54 Punkten um 16 Punkte unter dem Wert der Beschäftigten aus der öffentlichen Verwaltung (70 Punkte).“ (a. a. O., S. 13)
Darüber hinaus zeigt der Blick in einzelne Branchen und Berufsgruppen, dass noch immer körperliche Belastungen in vielen Bereichen sehr verbreitet sind (ebd.: S. 19).
Einen wesentlichen Einfluss auf die Bewertung der eigenen Arbeitsbedingungen haben die Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten im Arbeitskontext. Im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung ist das Kriterium „Sinn der Arbeit“ eine wesentliche Ressource zur Beurteilung der eigenen Arbeitsbedingungen. Dazu führt der Bericht „Index Gute Arbeit 2022“ aus: „Der Sinngehalt von Arbeit ist eine Ressource, die sich aus unterschiedlichen Quellen speisen kann. Dazu gehört, dass die Produkte bzw. Dienstleistungen, die produziert oder erbracht werden, als nützlich erachtet werden. Häufig ist dies mit der Einschätzung verbunden, ob die Arbeit einen gesellschaftlichen Mehrwert erzeugt. Sinnhaftigkeit kann dadurch entstehen, dass die Arbeit einen Nutzen für Andere hat. Und wichtig für Sinnempfinden ist auch, dass die eigenen, ganz konkreten Arbeitsaufgaben und -merkmale nicht sinnlos erscheinen. Wird Arbeit als sinnvoll empfunden, wirkt sich das positiv auf die Motivation und das Wohlbefinden der Beschäftigten aus. Dauerhaft einer als sinnlos erachteten Arbeit nachzugehen, stellt dagegen eine mögliche psychische Belastung und damit ein gesundheitliches Risiko dar.
BDA - Die Arbeitgeber
Die Arbeitgeber argumentieren mit positiven Statistiken, dass die Arbeitsbedingungen in Deutschland sehr gut sind (BDA o. J.). So sind laut der European Working survey 89 Prozent der in Deutschland Beschäftigten mit ihrem Job zufrieden, 74 Prozent gaben in der Befragung an, dass ihnen ihr Job Spaß macht und 91 Prozent bestätigen einen fairen Umgang am Arbeitsplatz (Eurofonds 2021, BDA o. J.). Auch hinsichtlich der Arbeitssicherheit ist die Entwicklung positiv: Sowohl die Arbeitsunfälle, als auch die Unfallquote hat sich seit 1991 halbiert (BDA o. J.). Diese befinden sich seit 2004 unter 1 Mio. und bewegen sich seitdem zwischen 954.000 und 760.000 gemeldeten Fällen (Statista 2021).
Außerdem wird auf die Prävention und den Gesundheitsschutz hingewiesen, für den 2016 ca. 5 Mrd. Euro ausgegeben wurden, was 40 Prozent der gesamten Ausgaben von 11,7 Mrd. Euro ausmacht (BDA o. J.). Die betriebliche Gesundheitsförderung, wie Stressmanagement, gesundheitsgerechte Mitarbeiterführung oder Reduktion der körperlichen Belastung kommt dabei sowohl den Beschäftigten als auch den Arbeitgebern zugute. Zuletzt wird noch auf die Eigenverantwortung hingewiesen, die aus selbstverantwortlichen Entscheidungen und flexibleren Arbeitszeiten resultiert.
Prekäre Beschäftigungsverhältnisse
Menschen arbeiten auch in Deutschland teilweise in prekären Beschäftigungsverhältnissen und die “Bedeutung des sogenannten Normalarbeitsverhältnisses nimmt ab, während atypische Formen von Arbeit an Bedeutung zunehmen” (Jakob 2016). Dazu zählen befristete Arbeitsverträge, geringfügige Beschäftigung, Zeitarbeit, (Ketten-)Werkverträge und verschiedene Formen der (Schein-)Selbstständigkeit oder auch Praktika. Durch die Agenda 2010 wurde das Sicherungsniveau für von Arbeitslosigkeit Betroffene deutlich gesenkt (Arbeitslosengeld I in der Regel nur für ein Jahr, danach Arbeitslosengeld II). Menschen sehen sich eher gezwungen, “jede Arbeit zu fast jedem Preis und zu jeder Bedingung anzunehmen. Das hat dazu geführt, dass die Löhne im unteren Einkommensbereich stark gesunken sind” (Jakob 2016). 2015 wurde mit der Einführung des Mindestlohns dagegen gesteuert.
Das Thema betrifft auch das SDG 10 “Ungleichheit”, denn jeder Mensch hat das Recht auf faire und gute Arbeitsverhältnisse, dies ist vielen Menschen jedoch verwehrt. Prekäre Beschäftigung widerspricht dem Leitbild von ”Guter Arbeit“, verbaut Entwicklungsmöglichkeiten von Beschäftigten und verstärkt nachweislich den Trend zu psychischen Belastungen und Erkrankungen sowie deren Folgewirkungen (Jakob 2016) (siehe auch SDG “Gesundheit”) .
Kinderarbeit
Zur Definition und Umsetzung von menschenwürdigen Arbeitsbedingungen sind global große Unterschiede zu verzeichnen. Ein Beispiel hierfür ist die Kinderarbeit, die weltweit noch immer verbreitet ist. 79 Millionen Kinder arbeiten unter ausbeuterischen Bedingungen, vor allem in Fabriken, die wenig qualifiziertes Personal benötigen oder in der Landwirtschaft sowie im Bergbau (BMZ 2021 und 2022). Nach Angaben der ILO müssen weltweit rund 152 Millionen Kinder zwischen fünf und siebzehn Jahren arbeiten, vor allem in der Landwirtschaft, als Hausangestellte oder in Minen. Viele dieser Tätigkeiten sind gesundheitsgefährdend. Die ILO setzt sich schon lange für die Abschaffung von Kinderarbeit ein, sie ist Partnerorganisation in der „Allianz 8.7“, einer globalen Partnerschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, Zwangsarbeit, moderne Sklaverei, Menschenhandel und Kinderarbeit weltweit zu beseitigen, wie es in den Zielen für nachhaltige Entwicklung 2030 formuliert wurde. (ILO 2021) Unter Mitwirkung der deutschen Bundesregierung wird seit 1992 ein von der ILO betriebenes Internationales Programm zur Abschaffung der Kinderarbeit umgesetzt (International Programme on the Elimination of Child Labour, IPEC<, BMZ 2022)
Arbeitsschutz, Gesundheit und Gute Arbeit
Im Bereich “Gesundheit” und “Gute Arbeit” sind durch die Folgen des Klimawandels wesentliche neue Herausforderungen sowohl für die Arbeitskräfte als auch für die Gesellschaft festzustellen. Bei Bauarbeiten im Freien sind alle Arbeitenden durch Extremwetterereignisse wie hohe Temperaturen und langanhaltende Hitzewellen, oder auch Starkregenereignisse, mit diesen neuen Herausforderungen direkt konfrontiert.
Gender Pay Gap
Unterschiedliche Entlohnung für vergleichbare Tätigkeiten und Qualifikation für Frauen und Männer lassen sich durch die statistischen Erhebungen des Statistischen Bundesamtes aufzeigen. In einer Pressemitteilung vom März 2022 wird betont, dass Frauen pro Stunde noch immer 18 Prozent weniger verdienen als Männer: „Frauen haben im Jahr 2021 in Deutschland pro Stunde durchschnittlich 18 Prozent weniger verdient als Männer. Damit blieb der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern – der unbereinigte Gender Pay Gap– im Vergleich zum Vorjahr unverändert. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) anlässlich des Equal Pay Day am 7. März 2022 weiter mitteilte, erhielten Frauen mit durchschnittlich 19,12 Euro einen um 4,08 Euro geringeren Bruttostundenverdienst als Männer (23,20 Euro). Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom 16.02.2023 müssen Frauen bei gleicher Arbeit auch gleich bezahlt werden, eine individuelle Aushandlung der Lohn- oder Gehaltshöhe ist damit nicht wirksam (Zeit Online 2023).
Deutsches Sorgfaltspflichtengesetz
Um ihrer Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte gerecht zu werden, setzt die Bundesregierung die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen mit dem Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte von 2016 (Nationaler Aktionsplan, Bundesregierung 2017; 2021; 2022) in der Bundesrepublik Deutschland mit einem Gesetz um. Das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten ist besser unter dem Namen Lieferkettengesetz oder auch Sorgfaltspflichtengesetz bekannt (BMAS 2022, o.a. “Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz”). Dort ist die Erwartung an Unternehmen formuliert, mit Bezug auf ihre Größe, Branche und Position in der Lieferkette in angemessener Weise die menschenrechtlichen Risiken in ihren Liefer- und Wertschöpfungsketten zu ermitteln, ihnen zu begegnen, darüber zu berichten und Beschwerdeverfahren zu ermöglichen.
Das Lieferkettengesetz tritt 2023 in Kraft und gilt dann zunächst für Unternehmen mit mehr als 3.000, ab 2024 mit mehr als 1.000 Angestellten. Es verpflichtet die Unternehmen, in ihren Lieferketten menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten. Kleine und mittlere Unternehmen werden nicht direkt belastet. Allerdings können diese dann betroffen sein, wenn sie Teil der Lieferkette großer Unternehmen sind.
Unabhängig ob betroffen oder nicht: Es lohnt sich auch für kleinere Unternehmen, sich mit dem Gesetz adressierten Nachhaltigkeitsthemen auseinanderzusetzen, um das eigene Handeln entlang dieser Leitplanken zu überprüfen. Der Nachhaltigkeitsbezug ist unter anderem durch den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) gegeben, er gab einen wichtigen Impuls für das Gesetz. Der NAP wurde gemeinsam von Politik und Unternehmen verabschiedet, um zu einer sozial gerechteren Globalisierung beizutragen (Bundesregierung 2017). Ergebnisse einer 2020 im Rahmen des Nationalen Aktionsplans durchgeführten repräsentativen Untersuchungen zeigten jedoch, dass lediglich zwischen 13 und 17 Prozent der befragten Unternehmen die Anforderungen des Nationalen Aktionsplans erfüllen (VENRO 2021). Der gesetzgeberische Impuls war also erforderlich, um die Einhaltung der Menschenrechte zu fördern und damit auch zu einem fairen Wettbewerb zwischen konkurrierenden Unternehmen beizutragen.
Das Lieferkettengesetz rückt internationale Menschenrechtsabkommen und lieferkettentypische Risiken in den Blick: Dazu zählen bspw. das Verbot von Kinderarbeit, der Schutz vor Sklaverei und Zwangsarbeit, die Vorenthaltung eines gerechten Lohns, der Schutz vor widerrechtlichem Landentzug oder der Arbeitsschutz und damit zusammenhängende Gesundheitsgefahren. Es werden zudem internationale Umweltabkommen benannt. Sie adressieren die Problembereiche Quecksilber, persistente organische Schadstoffe und die grenzüberschreitende Verbringung gefährlicher Abfälle und ihre Entsorgung. Zu den jetzt gesetzlich geregelten Sorgfaltspflichten der Unternehmen gehören Aufgaben wie die Durchführung einer Risikoanalyse, die Verankerung von Präventionsmaßnahmen und das sofortige Ergreifen von Abhilfemaßnahmen bei festgestellten Rechtsverstößen. Die neuen Pflichten der Unternehmen sind nach den tatsächlichen Einflussmöglichkeiten abgestuft, je nachdem, ob es sich um den eigenen Geschäftsbereich, einen direkten Vertragspartner oder einen mittelbaren Zulieferer handelt. Bei Verstößen kann die zuständige Aufsichtsbehörde Bußgelder verhängen. Unternehmen können von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden.
Beschäftigte im Textilsektor
Fast 13 Millionen Vollzeitbeschäftigte waren weltweit in der Lieferkette beschäftigt, um die Menge an Kleidung, Textilien und Schuhen zu produzieren, die in der EU im Jahre 2020 verbraucht wurden. Damit ist der Textilsektor weltweit der drittgrößte Arbeitgeber nach Nahrung und Wohnen (Europäische Umweltagentur 2022). Der größte Teil der Faser- und Garnproduktion und die Herstellung der textilen Flächen findet hauptsächlich in Asien statt, insbesondere in China und Indien. Beim Bleichen, Färben und Veredeln hat China mit 44 % immer noch den größten Anteil, gefolgt von Bangladesh (28 %), der Türkei (16 %) und die EU (11 %). Der Anteil Asiens an der weltweiten Textilproduktion nimmt entlang der Wertschöpfungskette ab. Beim Konsum und der Entsorgung sind Europa und Nordamerika die Hauptakteure. (Notten 2020). Der Bekleidungssektor ist im Vergleich zu anderen Bereichen sehr arbeitsintensiv. Im Jahr 2021 waren in der deutschen Textilindustrie insgesamt etwa 59.300 Beschäftigte tätig, davon über 8.100 Personen in Webereien (Statista 2022 a). Infolge der Corona-Pandemie sind die Umsätze in der Textil- und Bekleidungsbranche stark zurückgegangen. Trotz Umsatzeinbrüche von bis zu 45 Prozent sind die Beschäftigtenzahlen mit sechs Prozent seit 2020 weniger stark zurückgegangen. Durch Kurzarbeit konnten Arbeitsplätze erhalten bleiben (textil + Mode o. J.). In den Niedriglohnländern dagegen gab es Massenentlassungen ohne ausreichende Einkommenskompensationen (Femnet 2022).
Löhne in der Bekleidungsindustrie
In Deutschland kostete eine Arbeitsstunde in der Bekleidungsindustrie im Jahr 2015 laut Angaben des Gesamtverbands der Textil- und Modeindustrie 30,80 Euro (textil + mode 2017). In anderen EU-Ländern ist das Lohnniveau ähnlich. Aus Kostengründen werden viele Produktionsstufen in Niedriglohnländer wie Asien oder Afrika verlagert. Selbst die gesetzlich festgelegten Mindestlöhne sind dort oft zu niedrig, um davon leben zu können. In Bangladesch erhalten ungelernte Näherinnen zum Beispiel nur einen Mindestlohn von ungefähr 85 Euro im Monat (BMZ o. J.). Niedrige Löhne, Überstunden und das Risiko von Kinderarbeit hängen zusammen und sind ein strukturelles Problem im Textilsektor. Das Risiko von Kinder- und Zwangsarbeit ist vor allem in Indien, China und den asiatischen Produktions- und Baumwollanbauländern hoch. In Südindien ist es beispielsweise Praxis, dass minderjährige Mädchen von ihren Eltern zur Arbeit in die Textilfabriken geschickt werden (sog. Sumangali-System, übersetzt “Glückliche Braut”). Dort sollen sie ihre Mitgift, die ihre Familie in die spätere Ehe einbringen muss, erwirtschaften. Die Mädchen besitzen keinen Kontakt zur Familie und sind dem Willen der Fabrik und Vorgesetzten ausgeliefert (Jungmichel et al. 2022).
Die Vermeidung von Lieferanten außerhalb Europas, die Kinderarbeit einsetzen, ist in einigen Regionen weiterhin eine Herausforderung (Umweltagentur 2021). Kinderarbeit ist allgemein immer noch weit verbreitet: 79 Millionen Kinder arbeiten weltweit unter ausbeuterischen Bedingungen: in Textilfabriken, Steinbrüchen oder auf Kaffeeplantagen – auch für unsere Produkte (BMZ 2021). Indien hält hier den Spitzenplatz laut ILO International Labor Organisation mit 10 Millionen Jungen und Mädchen (vgl. Welthungerhilfe 2020). Die Kinderarbeit ist häufig verbunden mit der Schuldknechtschaft: Wenn ein Kredit nicht zurückgezahlt wird oder er “abgearbeitet” werden muss, müssen die Kinder dafür herhalten. Existenzsichernde Löhne decken dagegen die Lebenshaltungskosten der Arbeiter*innen und ihren Familienangehörigen und ermöglichen zudem eine angemessene Rücklage für Notsituationen (Textilbündnis o. J. und Prakash et al. 2022). Dieser Lohn muss laut ILO in einer Standardarbeitswoche von maximal 48 Stunden erreicht werden.
Die Politik versucht inzwischen dagegen zu steuern z. B. mit dem Lieferkettengesetz von 2021 (BMZ 2021): Ziel ist es, den Schutz der Menschenrechte in globalen Lieferketten zu verbessern. Es geht nicht darum, überall in der Welt deutsche Sozialstandards umzusetzen, sondern um die Einhaltung grundlegender Menschenrechtsstandards wie das Verbot von Kinderarbeit und Zwangsarbeit. Die Politik nimmt damit vor allem die Unternehmen in die Pflicht, ihre Lieferketten konform mit den Menschenrechten zu gestalten. Laut Erhebungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) arbeiten heute weltweit mehr als 453 Millionen Menschen in globalen Lieferketten (ILO 2016).
Arbeitsbedingungen in der globalisierten Textilwirtschaft
Arbeitsrechtsverletzungen und Missstände sowie deren Vertuschung sind gängige Praxis in den weltweit tätigen Zulieferfirmen und werden von Abnehmerfirmen bis heute immer wieder geleugnet (Hinzmann 2009). Organisationen wie Südwind e.V. (https://www.suedwind-institut.de; Ferenschild 2019), die Kampagne für saubere Kleidung (https://saubere-kleidung.de/), die Christliche Initiative Romero (https://www.ci-romero.de/) oder Femnet e.V. (https://femnet.de/) drängen seit langem darauf, die ökonomischen und humanitären Bedingungen der Textilindustrie, insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern zu verbessern, und wollen Unternehmen und Politik für bessere Arbeitsbedingungen gewinnen. Der Brand in der Textilfabrik Tazreen 2012 in Bangladesch, bei dem 112 Menschen starben (Spiegel 2012) und im Folgejahr der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch , bei dem 1.100 Frauen in den Trümmern gestorben sind (Bundeszentrale für politische Bildung 2018), haben den Unternehmen, der Politik und den Verbraucher*innen eine Mitverantwortung an diesen Zuständen, die zu dem Unglück führten, verdeutlicht. Bei den Konsument*innen scheinen die Ereignisse Wirkung zu zeigen: Bei einer Umfrage im Jahr 2021 sagte die Mehrheit der Befragten (66 %), dass fair hergestellte und gehandelte Kleidung ihnen wichtig ist (Statista 2022 b). Das Bündnis für nachhaltige Textilien, das ein Jahr nach dem Unglück von Rana Plaza gegründet wurde, setzt sich für eine soziale, ökologische und korruptionsfreie Textil- und Bekleidungsbranche ein. Im dem Bündnis arbeiten ca. 130 Mitglieder aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft zusammen, um den Wandel zu einer sozial und ökologisch nachhaltigen Textilbranche zu gestalten. Schwerpunkt ist die Umsetzung unternehmerischer Sorgfaltspflichten in Deutschland, Europa und weltweit. Dreiviertel der Mitglieder stammen aus Wirtschaftsunternehmen und -verbänden (Textilbündnis 2022). Die Clean Cloth Campaign ist aus dem Bündnis wieder ausgetreten, da sich aus ihrer Sicht, für die Textilarbeiterinnen und -arbeiter nichts an den Produktionsbedingungen und den Löhnen verändert hat. Die GEW, die im Vorstand der Clean Cloth Campaign vertreten ist, trägt diesen Austritt mit. „Das Prinzip der Freiwilligkeit wurde von zu großen Teilen der Unternehmer dazu missbraucht, sich vor den eingegangenen Verpflichtungen weitgehend zu drücken und die Bündnisregeln aufzuweichen“, lautet die Kritik von Bruni Römer (Hahn 2022).
Rana Plaza steht exemplarisch für das Unterlaufen grundlegender ökologischer und sozialer Mindeststandards bei der Auslagerung der Produktion, nicht nur in der Textilwirtschaft (Haupt et al 2021). Geringe Stundenlöhne, lange Arbeitszeiten, fehlende soziale Absicherung, Zwangsarbeit oder Kinderbeschäftigung können und dürfen nicht der Standard für Produkte auf dem deutschen und europäischen Markt sein. Darauf zielt auch das Lieferkettengesetz ab (ebd.). Die EU trägt schon aufgrund der hohen Importrate eine Mitverantwortung für die Produktionsbedingungen in den Bezugsländern. Sie importiert rund 63 Prozent ihrer textilen Endprodukte und 70 Prozent ihrer fertigen Modeprodukte (Europäische Kommission, 2021). Im Jahr 2020 betrug das Importvolumen an fertigen Textilprodukten 8,7 Millionen Tonnen, wovon 45 Prozent Kleidung ausmachten. Damit gilt die EU (nach China) als weltweit zweitgrößter Importeur von Textilien (Europäische Kommission 2021).
Fairer Handel
Eine weitere Möglichkeit, die Arbeitsbedingungen in der Textilwirtschaft im Ausland zu verbessern, ist der Kauf von Produkten aus fairem Handel und die Beachtung von Siegeln (siehe SDG 12.). Fairtrade ist für das SDG 8 ein zentrales Element. Das Siegel wird von Fair Trade Deutschland vergeben (https://www.fairtrade-deutschland.de). Es sichert faire und stabile Preise, gute Arbeitsbedingungen und langfristige Handelsbeziehungen zu. Die Standards enthalten darüber hinaus Kriterien zu demokratischen Organisationsstrukturen, Umweltschutz und sicheren Arbeitsbedingungen. Der Faire Handel schafft für viele Menschen in Entwicklungsländern zukunftsfähige und sichere Arbeitsplätze und unterstützt den wirtschaftlichen Aufbauprozess.
Quellenverzeichnis
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SDG 12 Nachhaltige/r Konsum und Produktion
“Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen”
Dieses SDG 12 zielt auf die nachhaltige und effiziente Nutzung der Ressourcen ab. Dieses SDG betrifft alle Punkte der Standardberufsbildposition „Umweltschutz und Nachhaltigkeit” (bis auf den Absatz c der die Einhaltung gesetzlicher oder ordnungsrechtlicher Vorschriften fordert). Ressourcen sind alle Stoffe der Natur (Mineralien und Metalle, biotische Ressourcen wie Holz oder Baumwolle, Erdöl als Ausgangsstoff für Chemiefasern, Farbstoffe und weitere Hilfsstoffe), aber auch Luft, Wasser und Boden (vgl. ProgRess 2016). Abfälle sollen vermieden oder recycelt und gefährliche Abfälle sicher entsorgt werden. Weitere Themen sind die nachhaltige Entwicklung von Unternehmen, eine bessere Verbraucher:innen-Bildung, nachhaltige Beschaffung und der umweltverträgliche Umgang mit Chemikalien. Für die Schneiderberufe sind aufgrund ihrer Abhängigkeit von der Ressourcennutzung folgende Unterziele relevant:
SDG 12.2 Bis 2030 die nachhaltige Bewirtschaftung und effiziente Nutzung der natürlichen Ressourcen erreichen
SDG 12.4 Bis 2020 einen umweltverträglichen Umgang mit Chemikalien und allen Abfällen während ihres gesamten Lebenszyklus in Übereinstimmung mit den vereinbarten internationalen Rahmenregelungen erreichen und ihre Freisetzung in Luft, Wasser und Boden erheblich verringern, um ihre nachteiligen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt auf ein Mindestmaß zu beschränken
SDG 12.5 Bis 2030 das Abfallaufkommen durch Vermeidung, Verminderung, Wiederverwertung und Wiederverwendung deutlich verringern
SDG 12.8 Bis 2030 sicherstellen, dass die Menschen überall über einschlägige Informationen und das Bewusstsein für nachhaltige Entwicklung und eine Lebensweise in Harmonie mit der Natur verfügen
Das SDG 12 betrifft im Prinzip alle Fähigkeiten und Kenntnisse der Standardberufsbildposition. Die Emissionen durch die Textilherstellung werden im nachfolgenden Kapitel SDG 13: “Maßnahmen zum Klimaschutz” beschrieben, da die Verwendung von Öko-Stoffen und unbedenklichen Zutaten der Schlüssel für mehr Nachhaltigkeit ist. Die Nutzung von Energie für den Schneidereibetrieb wurde oben im Kapitel SDG 7: “Bezahlbare und saubere Energie” beschrieben. Weitere Verbindungen zwischen den SDG und der Standardberufsbildposition werden bei den jeweiligen SDG beschrieben.
Die Beschäftigten in Schneider Berufen könnten leicht anhand der Energierechnungen für Strom, Gas und andere Energieträger den Energieverbrauch der Schneiderei und damit auch (im Prinzip) die Emissionen berechnen. Eine Bestimmung der Nachhaltigkeit der Stoffe und Zutaten oder der Verpackungen ist jedoch wesentlich schwieriger und erfordert umfangreiches Wissen über die Textilherstellung entlang der gesamten Lieferkette, von der Rohfaser bis zur Entsorgung (siehe auch SDG 13). Nachhaltigkeit wird immer in drei Dimensionen bemessen, nicht nur im Hinblick auf den Klimawandel (und den Emissionen zur Herstellung eines Produktes). Bei Bekleidung spielt auch die Kultur als vierte Dimension eine wichtige Rolle für die Nachhaltigkeit. Üblicherweise bilden Ökobilanzen vor allem die Umweltwirkungen sehr breit ab, aber diese Breite macht sie auch gleichzeitig unverständlich und somit für die Praxis nicht unbedingt händelbar. Aus diesem Grund braucht man einfachere Orientierungshilfen, wie die folgenden Beispiele zeigen.
Nachhaltigkeitssiegel
Um zwischen “guten”, “besseren” oder “schlechten” Produkten zu entscheiden, kann man auf Siegel vertrauen. Es gibt jedoch inzwischen eine kaum überschaubare Vielfalt an Siegeln – Herstellersiegel, Siegel, die von Institutionen und Verbänden herausgegeben werden und staatliche Siegel. Manche umfassen die ganze Lieferkette oder den Lebenszyklus des Produktes mit ökologischen und sozialen Vorgaben, manche setzen bestimmte Schwerpunkte wie z.B. die Rohstoffherstellung oder fokussieren sich auf soziale Aspekte. Um die Siegel untereinander vergleichen zu können, müsste man die häufig umfangreichen Kriterienkataloge studieren, und zwar in regelmäßigen Abständen, da die Kriterien meist fortlaufend angepasst werden. Das wäre für Verbraucherinnen und Verbraucher und selbst für das Fachpersonal in Schneidereien eine Zumutung. Hier ist eine gröbere und schnelle Orientierung sinnvoll, die nicht in jedes Detail geht. Einen Wegweiser für Textilsiegel bietet z. B. das Informationsportal Siegelklarheit (ebd. o. J.), Label-online (ebd. o. J.) der Verbraucherinitiative und der Ethik.Guide (ebd. o. J.). Hier werden u.a. die wichtigsten und gebräuchlichsten Bio- und Fair-Siegel (z.B. GOTS, Naturtextil IVN best, FairTrade, FairWertung), der “grüne Knopf” sowie der “Umweltengel” besprochen, die als Orientierung für Konsumenten und Konsumentinnen dienen können:
- EU-Ecolabel: Das EU-Ecolabel wird von der deutschen Vergabestelle (RAL gGmbH) verliehen und wird für verschiedene Produkte und Dienstleistungen vergeben. Das EU-Ecolabel Textilien kennzeichnet umweltfreundliche Produkte aus Natur- und Chemiefasern und bezieht sich auf den gesamten Produktionsweg (eu-ecolabel, o. J.; Müller et al 2021,16).
- Naturtextil IVN zertifiziert best: Das Label des Internationalen Verbandes der Naturtextilwirtschaft kennzeichnet Naturfasern (100 %), die unter sozialverträglichen und ökologischen Kriterien hergestellt werden und zwar auf allen Produktionsstufen (Naturtextil IVN zertifiziert best, o. J.).
- Global Organic Textile Standard (GOTS): Das Label kennzeichnet von der Rohstofferzeugung bis zum Verbraucher ökologische und soziale Bedingungen der Textilherstellung mit ökologisch erzeugten Rohstoffen (mindestens 70 % ökologisch erzeugte Naturfaser)
- Der Grüne Knopf: Das staatliche Siegel kennzeichnet nachhaltige Textilien und prüft, ob Unternehmen Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren Lieferketten übernehmen. Die Kriterien werden fortlaufend weiterentwickelt (Grüner Knopf, o.J.; Müller et al 2021:18).
- Oeko-Tex Made in Green: Das Label kennzeichnet auf Schadstoffe geprüfte Textilien und Produkte aus Leder, die in umweltfreundlichen Betrieben und unter sozialverträglichen Bedingungen und transparenten Lieferketten hergestellt werden (Oeko-Tex Made in Green o. J.).
- bluesign: Ziel des Siegels der bluesigen technologies AG ist den ökologischen Fußabdruck der Textilindustrie zu reduzieren. Das Zeichen garantiert den Verzicht auf schädliche Substanzen mit strengen Kriterien im Bereich Verbraucherschutz, Wasser- und Luftemissionen, Arbeitsschutz und -sicherheit und Ressourcenschonung (Bluesign o. J.).
- cradle to cradle Certified: Das Label, das neben Textilien auch für andere Produkte umfasst, bewertet die Kriterien “Materialgesundheit, Kreislauffähigkeit, Saubere Luft und Klimaschutz, Verantwortungsvoller Umgang mit Boden und Wasser sowie Soziale Gerechtigkeit” in vier Graden (cradle to cradle Certified o.J.).
- Global Recycelt Standard (GRS): Der GRS der gemeinnützigen Organisation “Textile Exchange” zielt darauf, den Anteil von recycelten Materialien in einem Produkt zu erhöhen. Der GRS gibt Kriterien zu den verwendeten Zusatzstoffen sowie Richtlinien zu Umweltmanagement und sozialer Verantwortung im Unternehmen vor (Global Recycelt Standard o. J.)
- Umweltengel: Der Umweltengel ist seit über 40 Jahren das Umweltzeichen der Bundesregierung und wird vom Umweltbundesamt “herausgegeben”. Inzwischen sind mehr als 20.000 Produkte und Dienstleistungen von über 1.600 Unternehmen ausgezeichnet (UBA o.J.): Zweck des Umweltzeichens ist es, privaten Verbraucherinnen und Verbrauchern, institutionellen Großverbrauchern und öffentlichen Einrichtungen eine verlässliche Orientierung beim umweltbewussten Einkauf zu geben. Denn eine gezielte Nachfrage nach umweltschonenden Produkten fördert ökologische Produktinnovationen und reduziert Umweltbelastungen. Der Blaue Engel steht für eine unabhängige, transparente und ambitionierte Kennzeichnung. Der blaue Engel – Textilien kennzeichnet Produkte, die ohne gesundheitsgefährdende Chemikalien und unter Einhaltung hoher Umweltstandards hergestellt wurden (Müller et al 2021:17).
- FairTrade Cotton: Das Fairtrade-Produktsiegel für Baumwolle steht für fair angebaute und gehandelte Rohbaumwolle, die getrennt von Nicht-Fairtrade-Baumwolle weiterverarbeitet wird und über alle Produktionsschritte direkt rückverfolgbar ist. Das Siegel garantiert sozialverträgliche Lebens- und Arbeitsbedingungen insbesondere der Kleinbauern beim Baumwollanbau und stellt zusätzlich auch Anforderungen an den umweltverträglichen Anbau der Baumwolle. Bäuerinnen und Bauern sowie Beschäftigte auf Plantagen erhalten eine zusätzliche Fairtrade-Prämie für Gemeinschaftsprojekte. (Fairtrade o. J.: Fairtrade-Siegel auf einen Blick. Online: https://www.fairtrade-deutschland.de).
- Fairtrade Textile Production: Schwerpunkt des Labels ist es, die Lebensbedingungen der Textilarbeiter*innen zu verbessern und eine umweltverträgliche Produktion zu unterstützen (Fairtrade Textile Production o. J.)
- Fair Wear: Siegel der gemeinnützigen Fair Wear Foundation, der es um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Lieferketten der Textilindustrie geht. (Fair wear foundation o. J. Online: https://www.fairwear.org)
Verpackungen
Die Vermeidung oder die Einsparung von Verpackungen ist ein viel diskutiertes Thema im Bereich der Textilien und wird in Ansätzen bereits umgesetzt. Allerdings wird die Wirksamkeit dramatisch überschätzt. Eine repräsentative Befragung von Kearney (2019) hat gezeigt, dass 56 Psozent der Bundesbürger*innen Plastiktüten einsparen wollen. Über das Jahr hinweg spart dies ca. 3 kg THG-Emissionen pro Kopf ein.
Verpackungen insbesondere aus Kunststoff werden gängig im Textilhandel und auch für den Schneidereibedarf verwendet, da sie Kleidung bzw. Stoffe, Garne und andere Zutaten beim Transport vor Schmutz, Schimmel und anderen Einflüssen schützen. In der Lebensmittelindustrie stehen Kunststoffverpackungsabfälle und deren Recycling schon seit längerem im Fokus der Aufmerksamkeit, sind bei vielen Lebensmitteln unabdingbar und müssen zudem deutlich mehr als bei Textilien leisten. Aber auch in der Textilindustrie entsteht ein hohes Aufkommen an Kunststoffverpackungen, das bislang unterschätzt wird und für das nach nachhaltigen Lösungen gesucht wird (Frommeyer et al 2021). So werden in der textilen Lieferkette Kunststoffverpackungen primär zum Schutz-, Transport- und Kennzeichnung eingesetzt, z. B. Polybeutel aus Polyethylen, Schutzfolien, Hangtags (Anhängeetiketten) und Kleiderbügel. Kleiderbügel werden teilweise in Kreisläufen wiederverwendet. Früher war es üblich, dass in Kaufhäusern auch Kleiderbügel mitgegeben wurden, aber dies wurde inzwischen eingestellt. Polybeutel werden jedoch auch ohne Mehrfachnutzung mit den anderen Kunststoffabfällen entsorgt. Auch Halbfertigprodukte werden einzeln oder im Verbund in Polybeutel oder Kunststofffolie verpackt. Auch die Zutaten, z. B. Knöpfe oder Reißverschlüsse, sind häufig in Kunststoffbeuteln verpackt oder mit Kunststofffolie umwickelt. Folgen zusätzliche Arbeitsschritte wie Aufbereitung, Veredelung oder Qualitätssicherung, die nur unverpackt durchgeführt werden können, ist ein zusätzliches Aus- und Einpacken der Produkte nötig. Im Onlinehandel erhöht die erhebliche Retourenquote den Verpackungsbedarf weiterhin, da der überwiegende Anteil der Verpackungen nach dem Auspacken nicht wiederverwendet werden kann. (Gesamtmasche, o. J.; vgl. auch Detzel et al 2021). Auch die Etiketten zum Kennzeichnen der Ware sind häufig aus Kunststoff, genauer aus mit Kunststoff beschichtetem Papier. Diese lassen sich leicht durch reine Papieretiketten mit Baumwollkordel ersetzen, wie sie im Segment nachhaltiger Textilien weitgehend genutzt werden. Auf Polybags (Folienbeutel aus Polypropylen für T-Shirts, Hemden, etc.) wird teilweise verzichtet und die Kleidungsstücke über Papierbanderolen gekennzeichnet.
Die ökologischen Vor- und Nachteile von Verpackungen unterscheiden sich sehr stark und es ist nicht einfach zu entscheiden, was die umweltfreundlichste Verpackung ist (vgl. Innoredux o. J., CO2online o. J. Die Umweltberatung o. J.) Auch die Nutzung von erneuerbaren Verpackungsmaterialien (gewonnen aus Zucker, Cellulose, Stärke) bedeutet nicht unbedingt, dass diese eine nachhaltigere Verpackung darstellen (ökolandbau o. J.). Polyethylen kann z. B. pflanzlich als Bio-PE gewonnen werden (ifeu 2012). Bio-PE ist wesentlich klimafreundlicher als fossiles PE, dafür hat Bio-PE ein höheres Versauerungspotential und führt mehr zur Eutrophierung von Gewässer (durch die Düngung der Pflanzen). Zudem ist der Flächenbedarf um ein Vielfaches höher und Flächen sind weltweit ein knappes Gut. Dieses Beispiel zeigt, dass jede Handlung auch negative Auswirkungen hat und man sich vielfach nur zwischen zwei unterschiedlich wirksamen Folgen entscheiden kann. Als einfache Handlungsregeln kann man Folgendes annehmen, dass (UBA 2020):
- der Verzicht bzw. die Minimierung von Verpackungen bzw. die Nutzung von Verpackungen, am umweltfreundlichsten sind;
- Mehrwegboxen bzw. -verpackungen nutzen, da sie zur Lagerung sinnvoll sind sowie
- bei Verpackungen mit Papier grundsätzlich nur Recyclingpapier nutzen.
Die Textilwirtschaft bzw. auch die Schneiderei kann Verpackungen nicht ganz vermeiden, sondern nur optimieren. Wesentlich wichtiger ist es, den Konsum von Textilien zu verringern.
Konsum
Seit 1996 ist die Menge an Kleidung, die in der EU pro Person gekauft wird, infolge stark gefallener Preise um 40 Prozent gestiegen, was im Rückschluss dafür gesorgt hat, dass sich die Lebensdauer der Kleidungsstücke verkürzt hat (siehe auch Abfälle). Von in Europa lebenden Menschen werden jedes Jahr pro Kopf fast 26 kg Textilien gekauft und 11 kg entsorgt (Europäisches Parlament 2022). Nach Angaben des bvse kauften die Deutschen 18 Kilogramm Kleidung pro Person und Jahr zuzüglich 3,5 Kilogramm Heimtextilien (Wagner et al 2022, 272). Im Durchschnitt besitzt jede erwachsene Person in Deutschland 95 Kleidungsstücke (ohne Unterwäsche und Socken). Jedes fünfte Kleidungsstück davon wird so gut wie nie getragen (Greenpeace 2015). Dennoch sind die Angebote verlockend, die neuesten Mode schnell zu bestellen oder im Laden sofort zuzugreifen. Insbesondere der Onlinehandel mit Textilien und Bekleidung in Deutschland hat seit 2014 mit 14 % am Gesamtumsatz dieser Branche stark zugenommen und liegt 2020 bei 79 Prozent – das sind mehr als drei Viertel Zuwachs (Statista 2022 a). Im Jahr 2021 gaben die deutschen Privathaushalte nach vorläufigen Angaben rund 65,5 Milliarden Euro für Bekleidung und Schuhe aus. Die kumulierten Konsumausgaben für diese Warensortimente stiegen bis zum Jahr 2019 – seit der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2009 – mit wenigen Ausnahmen nahezu kontinuierlich. Mit der Corona-Krise ab dem Jahr 2020 brachen die Konsumausgaben für Mode dann allerdings um mehr als elf Milliarden Euro ein und stiegen im Jahr 2021 nur moderat (statista 2022 b). Monatlich gaben die Deutschen 2020 durchschnittlich 93 Euro für Textilien und Schuhe pro Person aus (Destatis 2020). Neben den wichtigsten Kaufkriterien (Preis, Qualität, Trage- und Nutzungskomfort) wird der Einkauf auch von psychologischen Aspekten beeinflusst, wie dem Spaß am Konsum, der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder den Werteinstellungen.
Nachhaltiger Konsum
Wenn weniger Textilien gekauft würden, könnten THG- Emissionen eingespart werden, denn die Textilproduktion ist für einen hohen Kohlendioxidausstoß verantwortlich. Hier werden pro Tonne produzierter Textilien 15 bis 35 Tonnen Kohlendioxid erzeugt. (Europäisches Parlament 2022). Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur wurden durch den Kauf von Textilien in der EU im Jahr 2017 pro Person rund 654 kg Kohlendioxid-Emissionen verursacht (ebd.). Nachhaltigkeit und Mode ist ein Paradoxon. Um nachhaltige Konsummuster zu etablieren, bedarf es nicht weniger als eines grundlegenden Kulturwandels (Stasi und Tufarelli 2021). Dies strebt auch die EU-Kommission mit ihrer Textilstrategie an. Eine lange Nutzung von Kleidung und flächendeckende Angebote zur Reparatur und Änderung von Kleidung sollte zum Standard werden. Doch der nachhaltige Kleiderkonsum bedeutet noch mehr und muss Umwelt, Klima, Gesundheit und soziale Bedürfnisse berücksichtigen. Das aktuelle Leitbild von Wachstum und Erneuerung steht dabei dem Leitbild der Suffizienz, der Reduktion von Treibhausgasen und der Langlebigkeit gegenüber. Ein entsprechender Wandel lässt sich nicht von heute auf morgen einleiten. Dennoch braucht es Ansätze, um eine Veränderung zu fördern. Dabei können Unternehmen, Handel und Dienstleister mit ihren Angeboten die Entwicklung entscheidend unterstützen. Eine weitere Hilfe für nachhaltigen Konsum stellt der digitale Produktpass dar, der Anfang 2023 nicht nur für Textilien eingeführt werden soll. Der Produktpass sorgt für Transparenz entlang des gesamten Lebenszyklus eines Produkts: vom Rohstoff bis zum Recycling. So können sich Konsumentinnen und Konsumenten bewusst für ein nachhaltiges Produkt entscheiden. Und Verwertungsfirmen können ausrangierte Textilien und Geräte besser recyceln (BMUV o. J). Derzeit gehen bei der Herstellung, dem Kauf und dem Verkauf von Waren wichtige Informationen über ihre Bestandteile und ihre Wiederverwertbarkeit verloren. Der weltweite Verbrauch von Materialien wie Biomasse, fossilen Brennstoffen, Metallen und Mineralien wird sich in den nächsten vier Jahrzehnten voraussichtlich verdoppeln. Das jährliche Abfallaufkommen wird bis 2050 voraussichtlich um 70 Prozent steigen. Um dem entgegenzuwirken, muss Europa auf nachhaltige, langlebige Produkte umsteigen und den Verbrauch von Ressourcen in der Wirtschaft verlangsamen. Dabei soll der Produktpass nützlich sein (Euractiv 2021).
Fast Fashion
Insbesondere Fast Fashion und Ultrafast Fashion (noch schnellere Modezyklen, in denen permanent viele neue Kleidungsstücke produziert werden, die über Internetstores verkauft werden) sorgen für einen hohen Konsum mit entsprechendem Verbrauch an Ressourcen und für noch mehr ausrangierte Kleidung (Wahnbaeck 2019). Die günstigen Kopien von Designer-Mode verlocken zum Kauf und werden schnell wieder ausrangiert, wobei echtes Recycling kaum stattfindet (Greenpeace 2017). Das rasante Wachstum von Fast Fashion wäre ohne Polyester nicht möglich, so Greenpeace, denn die Chemiefaser ist kostengünstig und einfach herzustellen. Die synthetischen Chemiefasern wie z. B. Polyester sind seit den vergangenen 10 Jahren weltweit auf Wachstumskurs und haben die cellulosischen Chemiefasern (z. B. Viskose) und die Baumwolle mehr als überflügelt. Hauptproduzent ist China (IVC 2022). Die Märkte für Second-Hand-Kleidung sind gesättigt und immer mehr Staaten des globalen Südens haben zum Schutz der lokalen Textilproduktion den Import von Altkleidern beschränkt oder verboten. In den Jahren 2015 bis 2018 hat der bsve einen mittleren Anstieg des Sammelaufkommens pro Einwohner und Jahr um 2,2 Prozent auf zuletzt 15,3 kg Alttextilien und Schuhe festgestellt. Dies bedeutet insgesamt einen Anstieg in diesem Zeitraum um über 90.000 Tonnen auf ca. 1.271.000 Tonnen im Jahr 2018. Dabei handelt es sich überwiegend um importierte Waren, die meist aus Billiglohnländern stammen, während der Textilstandort Deutschland immer mehr an Bedeutung verliert (bvse 2020).
Importe
Die EU ist weltweit der zweitgrößte Importeur für Textilien (Fasern und Produkte) und Kleidung nach den USA. Die EU ist auch der zweitgrößte Exporteur für Textilien und Bekleidung nach China (Köhler et al. 2021). Die Importanteile haben sich in den vergangenen zehn Jahren stark zugunsten der südost- und südasiatischen Produktionsmärkte verschoben. Die Türkei war 2008 noch das zweitwichtigste Herkunftsland für Bekleidung in Deutschland, aber auch der Importanteil von China ist gesunken. Die Umsätze für Bekleidung aus Griechenland, Ungarn und Rumänien sind teilweise drastisch eingebrochen, bei Griechenland um mehr als die Hälfte (bvse 2020). Gemessen am Gewicht ist Deutschland der zweitgrößte Importeur von Kleidung und Schuhen und fünftgrößter Importeur von Textilien weltweit (neben Bekleidung auch Heimtextilien und technische Textilien). Zu den größten Importpartnern zählen China, Bangladesch und die Türkei, wobei rund die Hälfte des Gesamtimportvolumens aus China und Bangladesch stammen (Oxford Economics 2021). Auch als Exportpartner von Textilien kommt Deutschland eine zentrale Rolle zu; gemessen am Wert liegt Deutschland weltweit an zweiter Stelle (Gözet und Wilts (2022 nach Statista 2021), sodass 2018 rund 12 Prozent des Kleidungs Exports am Weltmarkt durch Deutschland abgedeckt wurde (ebd). Die Inlandsproduktion folgt dabei einem rückläufigen Trend, weshalb von einer abnehmenden Attraktivität des Produktionsstandort Deutschlands für Textilien ausgegangen werden kann (bvse 2020).
Nutzungsdauer
Die Nutzungsphase von Kleidung spielt eine wesentliche Rolle für die Haltbarkeit von Kleidung und für die Auswirkungen auf die Umwelt. Dabei gibt es in verschiedenen Studien eine Spannbreite an Angaben (Gimkiewicz et al 2022). Übereinstimmend ist, dass die ökologischen Belastungen in der Produktionsphase pro Kleidungsstück weiter abnehmen können und in einer langen Nutzungsdauer von Bekleidung ein entscheidender Hebel für einen ressourcenschonenden Konsum liegt. Die Initiative WRAP geht davon aus, dass die Nutzungsverlängerung von Kleidungsstücken um zusätzliche neun Monate den CO2-, Wasser- und Abfall-Fußabdruck durch Bekleidung in Großbritannien um jeweils bis zu 20 Prozent reduzieren kann (WRAP 2017b, 47). Auch der Mistra Future Fashion Report kommt zu dem Schluss, dass allein die Verdoppelung der Lebensdauer eines Kleidungsstücks die CO2-Emissionen um 49 Prozent senken könnte (Sandin et al. 2019).
Die Nutzungsdauer von Bekleidung variiert stark zwischen den verschiedenen Milieus, Lebensstilen, Altersgruppen oder auch den einzelnen Kleidungsstücken. Insbesondere materialintensive Kleidungsstücke wie Pullover, Mäntel und Jeanshosen werden länger als drei oder auch vier Jahre getragen. Bei den einfachen Oberteilen liegt die durchschnittliche Nutzungsdauer etwas darunter. Socken sind in allen Untersuchungen jeweils die Kleidungsstücke mit der kürzesten Nutzungsdauer, die von einem Jahr bis ca. drei Jahren variierte (Gimkiewicz et al 2022).
Zur Unterstützung eines nachhaltigeren Umgangs mit Bekleidung standen in den letzten Jahren vor allem die Produktionsbedingungen (siehe Nachhaltige Textilproduktion) in der Lieferkette und die Kreislaufführung von Textilien im Vordergrund vieler Aktivitäten. Dies sind wichtige Ansatzpunkte für mehr Nachhaltigkeit im Textilsektor. Um die Umweltbelastungen der Bekleidungsproduktion, -nutzung und -entsorgung zu verringern, bedarf es jedoch auch langlebiger Bekleidung und Maßnahmen zur Verlängerung der Nutzungsdauer- und Intensivierung sowie insgesamt einen verringerten Konsum von Bekleidung. Zur Langlebigkeit und damit zu einem verringerten Konsum können Änderungsschneidereien, Maßschneider*innen und Textil- und Modenäher*innen betragen. Änderungsschneidereien haben ohnehin ihre originäre Aufgabe in der Reparatur von Kleidung bzw. Änderungen, damit die Kleidungsstücke wieder tragbar sind und eine gute Passform haben. Doch diese wertvolle Dienstleistung könnten sie stärker hervorheben und zum Beispiel auch damit werben oder im Schaufenster beispielhaft zeigen, was aus ausrangierten Textilien kreativ geschneidert werden kann. Maßschneider*innen und Textil- und Modenäher*innen sollten bereits beim Designentwurf die Nutzungsdauer im Blick haben und durch die Auswahl von Schnitten und Nähten sowie der Auswahl der Stoffe und Zutaten die Langlebigkeit, Reparaturfähigkeit und Wertschätzung für das Kleidungsstück erhöhen.
Langlebigkeit
Die Begriffe Qualität und Langlebigkeit sind im Bereich Bekleidung bislang nicht einheitlich definiert (Gimkiewicz et al 2022). Je nach Produkt und Akteur können die Begriffe unterschiedlich interpretiert werden. Dies erschwert sowohl die Kommunikation für Unternehmen als auch die Orientierung für Verbraucher*innen beim Einkauf. Die neue Ökodesign-Verordnung der EU könnte diese Lücke schließen. In einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft stehen Designer*innen nicht einfach am Anfang einer linearen Produktionskette, sondern in der Mitte eines Kreislaufes und können auf jede Phase dieses Kreislaufes von Herstellung, Handel, Nutzung, Recycling und Wiederherstellung Einfluss ausüben. Beim Design können folgende Ökodesign-Prinzipien berücksichtigt und die Langlebigkeit durch verschiedene Umsetzungsmöglichkeiten beim Design gefördert werden:
Ökodesign-Prinzipien beim Design | Umsetzungsmöglichkeiten beim Design |
langlebig | Schnitt und Passform |
reparierbar | veränderbare, anpassbare Kleidung |
materialeffizient | zeitloses Design |
energieeffizient | Orientierung an der zukünftigen Nutzung |
problemstoffarm | bedachter Einsatz von Chemikalien |
aus nachwachsenden Rohstoffen | Nutzung von zertifizierten Stoffen |
kreislauffähig | Nutzung von Stoffen, die nachweislich vom Hersteller als kreislaufähig gekennzeichnet werden und für die eventuell spezifische Sammelsysteme bestehen (Rückgabe an Hersteller) |
Verbraucher*innen-Information über Reparatur und Pflege sowie Wiederverwendung und Recycling sind ebenfalls wichtig (Gimkiewicz et al 2022). Insbesondere Reparatur und Pflege ist ein Anknüpfungspunkt für die Änderungsschneider*innen in der Kommunikation zu den Kundinnen und Kunden. Die Pflegesymbole sind nicht allen geläufig, doch die richtige Pflege und die richtige Reparatur von Kleidung tragen zur Langlebigkeit bei. Hierbei brauchen die Verbraucher*innen die Hilfe der Änderungs- und Maßschneidereien, denn leichte Reparaturen, wie einen Knopf annähen, trauen sich mehr als 70 Prozent der Deutschen zu, während weniger als 20 Prozent einen Reißverschluss ersetzen oder die Größe ändern können. Auch das Interesse, dies zu lernen, ist relativ gering (WRAP 2019).
Alttextilien
Das hohe Produktionsvolumen der Textilindustrie und der hohe Textilkonsum führen in der linearen Wertschöpfungskette auch zu großen Abfallmengen. Bisher endete der Lebenszyklus dieser Produkte auf der Mülldeponie oder in der Müllverbrennung. Dadurch müssen immer wieder neue Rohstoffe eingesetzt werden. Auf der anderen Seite besitzt die Textilbranche ein großes Potenzial zur Kreislaufwirtschaft (siehe oben Konsum bzw. Altkleider Aufkommen). Alttextilien werden sowohl über getrennte Sammelsysteme wie haushaltsnahe Containersammlungen, Abgabe bei Textilrecyclern und Altkleiderkammern als auch über die Restabfallentsorgung erfasst. Die im Restabfall enthaltenen Alttextilien können aufgrund der Verschmutzungen und der minderen Qualität nicht stofflich verwertet werden, sondern werden “thermisch” verwertet. Frankreich und Estland sind die einzigen Länder, die bereits gesetzliche Vorschriften für die getrennte Sammlung von Textilabfällen haben (Köhler et al 2021).
Sortierung nach Produktgruppen
Die getrennt erfassten Alttextilien sortieren Textilrecyclingunternehmen in unterschiedliche Produktgruppen. Für die Wiederverwendung können ca. 54 Prozent der erfassten Bekleidungstextilien aufbereitet werden (UBA 2019). Sie gelangen daher nicht in den Stoffstrom für das Recycling. Ein Teil der Alttextilien wird bei der Sortierung der Sammelware aussortiert und anschließend in speziellen Reißbetrieben zerfasert. Aus den hierdurch gewonnenen Recyclingfasern können dann wieder Garne gesponnen oder Vliese hergestellt werden. So können Primärfasern ersetzt werden. Das Faser-zu-Faser-Recycling ist allerdings noch ungenügend entwickelt und etabliert (Gimkiewicz et al 2022). Grob zerfaserte Textilien können auch als Dämmstoffe für Geräte und Autos verwendet werden. Neben dieser werkstofflichen Verwertung gelangt ein ebenfalls großer Anteil in die stoffliche Wiederverwendung von Textilflächen. Hierbei erfolgt kein Aufschluss bis zur einzelnen Faser. Knöpfe, Reißverschlüsse etc. werden von den Kleidungsstücken entfernt und die Stoffe zu Poliertüchern und Putzlappen für unterschiedliche Anwendungen zurechtgeschnitten.
Neben der stofflichen Verwertung werden Alttextilien auch in nennenswertem Umfang energetisch verwertet. Hierbei handelt es sich größtenteils um Alttextilien, die über den Restabfall entsorgt wurden. Zusätzlich fallen auch bei der Sortierung der Textilrecycler Alttextilien an, die aufgrund ihrer minderen Qualität nicht mehr stofflich verwertet werden können (UBA 2019).
Kreislaufwirtschaftsgesetz
Die Erfassung und Sortierung von Alttextilien sind wichtig, um die Kreislaufführung von Textilien voranzubringen. Das gegenwärtig bestehende Erfassungssystem besitzt zwar eine hohe Flächendeckung, ist dabei aber stark abhängig von den Verkaufserlösen aussortierter Secondhand-Waren. Vor allem humanitäre Organisationen wurden jahrelang mit der Alttextilsammlung verknüpft. Die statistische Erfassung (darunter fällt die Sammlung von öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern und gewerblichen/gemeinnützigen Akteuren sowie die Rücknahme von Alttextilien vom Handel) von Alttextilien hat bei der Abfallwirtschaft lange Zeit keine große Rolle gespielt (Gimkiewicz et al 2022). Derzeit gibt es keine verlässlichen Daten über die bundesweit erfasste Menge an Alttextilien und ihre Entsorgungswege (Wagner et al. 2022).
Recycling
Derzeit kann nur 1 Prozent aller weltweit gesammelten Kleidungsstücke recycelt werden. Ein Grund ist die Qualität der gesammelten Altkleidungsstücke: Sie ist oft so minderwertig, dass eine Wiederverwertung unmöglich ist und sich Recycling nicht lohnt (Textilbündnis 2021). Recycling im Sinne des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) bezieht sich auf Verwertungsverfahren, durch die Abfälle zu Erzeugnissen, Materialien oder Stoffen entweder für den ursprünglichen Zweck oder für andere Zwecke aufbereitet werden. Das Recycling wird abgegrenzt von der Vorbereitung zur Wiederverwendung, von der energetischen Verwertung und der Aufbereitung von Materialien, die für die Verwendung als Brennstoff oder zur Verfüllung bestimmt sind (KrWG §3 Abs. 25). Secondhandware zählt im Rahmen der Vorbereitung zur Wiederverwendung ebenfalls zum Recycling.
Secondhand
Secondhand Mode bietet den Vorteil, dass die bereits genutzte Kleidung ohne großen Recyclingprozess wieder in den Nutzungskreislauf einfließt. Es muss weder neue Kleidung hergestellt werden noch wird Energie für das Recycling benötigt.
Mechanisches Recycling
Bei der werkstofflichen Verwertung von Textilien unterscheidet man zwischen mechanischen und chemischen Recyclingverfahren. Für das mechanische Recycling sind homogene Ausgangsmaterialien ohne Materialmix ideal, denn Fasermischungen sind problematisch, weil ein Recycling sehr aufwändig wäre und sie daher nicht rentabel zu recyceln sind. Besonders das häufig eingesetzte Elasthan bereitet Probleme in den Maschinen. Verbundstoffe lassen sich oft nicht trennen. Auch Störstoffe wie Labels, Reißverschlüsse, Knöpfe etc. müssen, wenn überhaupt möglich, aufwändig vom Material getrennt werden und beeinträchtigen die Recyclingfähigkeit eines Kleidungsstücks. Die Aufbereitungsverfahren für ein mechanisches Recycling umfassen zum Beispiel die mechanische Zerkleinerung der Stoffe und die trocken-/nass mechanische Behandlung zur Herstellung von Reißfasern, Mahlgut, Agglomerat oder Regranulat (Knappe et al 2021). Beim Faserrecycling entstehen durch die mechanische Behandlung meist Textilien mit geringerer Qualität als im Vergleich zum ursprünglichen Ausgangsstoff. Die geringe Textil-zu-Textil-Recyclingquote in Europa von weniger als 1 Prozent, könnte nach einer Studie von McKinsey bis ins Jahr 2030 zwischen 18 und 27 Prozent liegen. Zusätzlich wird angenommen, dass 25 Prozent über den Secondhand-Markt weitergegeben werden. Das wäre ein wichtiger Beitrag zur Ressourcenschonung und würde CO2 einsparen (McKinsey 2022). Eine häufige Anwendung bei Ausgangsmaterialien geringer Qualität ist die stoffliche Verwertung zu Putzlappen, Reißware zur Vliesherstellung oder auch für Dämmmaterial (Wagner et al 2022).
Chemisches Recycling
Beim chemischen Recycling werden bestimmte Polymere mittels selektiv wirkender Lösemittel oder Enzyme extrahiert (Knappe et al 2021), so dass qualitativ hochwertige Neuware hergestellt werden kann. Dieses Trennverfahren, das Lösemittel oder Enzyme verwendet, hat sich im Gegensatz zum mechanischen Verfahren, insbesondere aufgrund der Kosten für den hohen Energieeinsatz, nicht im größeren industriellen Maßstab durchsetzen können (ebd). Zudem werden für den Prozess problematische Chemikalien verwendet. In diversen Geschäftsideen werden Plastikabfälle, die sonst im Meer landen, recycelt, wie z. B. abgenutzte Fischernetze. Die Firma Patagonia stellt aus den unbrauchbaren Fischernetzen in Chile recycelte Nylonpellets her (NetPlus), die zu weiteren Produkten wie Kappenschilder, Fahrradteilen oder Elemente für Bürostühle verarbeitet werden. Mit dem Projekt wird das Einkommen der lokalen Fischer aufgebessert und dabei verhindert, dass ausgediente Fischernetze im Meer landen (Patagonia o. J.). Die Firma Sympatex sieht im Recycling von Funktionstextilien keine Herausforderung mehr. Laminate auf Polyester-Basis können wie PET-Flaschen mechanisch recycelt werden. Was fehlt, ist die Infrastruktur für das Textilrecycling, um die Masse zu erreichen. Wie Glasflaschen oder Papier sollen Textilien in Zukunft durch einfaches Sammeln und Sortieren auf hohem Niveau recycelt werden können. Mitte der 90er Jahre hatte die Firma im Rahmen des Ecolog-Projektes die Erfahrung gemacht, dass die vom Endverbraucher zurückgenommenen Kleidungsstücke bei weitem nicht für ein effizientes Recycling ausreichen (Sympatex o. J.).
Regelungs- und Verbesserungsbedarf
Der Naturschutzbund Deutschland e. V. kommt zu dem Schluss, dass ein hochwertiges, stoffliches Recycling im Bereich der Textilien bislang nicht sichergestellt ist und fordert insgesamt ein besseres Recycling und eine gesetzliche Lösung wie Quoten. So sollte auch der Rezyklatanteil von neu hergestellten Textilien erhöht werden (Nabu 2021). Für das Jahr 2018 wurde ein Sammelaufkommen von 15,31 kg Alttextilien pro Person in Deutschland errechnet. Davon wurden 62 Prozent wiederverwertet, 14 Prozent weiterverwendet (Putzlappen), zwölf Prozent recycelt, acht Prozent thermisch verwertet und vier Prozent beseitigt (bvse 2020, 29). “Der Anstieg an verfügbaren Sammelmengen suggeriert eine bessere Marktsituation für das Textilrecycling. Doch es ist ein gegenteiliger Effekt festzustellen, da diese Zunahme der Quantitäten nicht gleichzeitig mit zunehmenden Qualitäten einhergeht”, so der Bundesverband für Sekundärrohstoffe e. V. (ebda). Hierfür sind der Kostendruck bei den Herstellern, steigende Marktanteile von Fast- und Ultrafast-Fashion und privater Warenzirkulation, Schad- und Störstoffanteile vor Sortierung von 10,8 Prozent sowie ein ums Doppelte gestiegener Anteil von nicht mehr recycelbarer Textilien, die beseitigt werden müssen, verantwortlich.
Zielkonflikte beim Recycling
Das Problem, dass die Faserqualität bei dem mechanischen Recycling schlechter ist als bei der Herstellung von Frischfasern, zieht noch ein weiteres Problem nach sich: Aus diesem Grund weicht die Textilindustrie unter anderem auf Recyclingfasern PET-Flaschen aus, doch dies verkürzt den Produktkreislauf der PET-Flaschen und steht nicht im Einklang mit der Recyclinghierarchie. Zudem müssen auch für die neuen Fasern aus recyceltem PET immer Frischmaterialien zugeführt werden, da qualitativ hochwertige Endlosfasern sich beim Recycling derzeit nicht herstellen lassen (Wahnbaeck 2021). Im Vergleich zur Haltbarkeit von Frischfasern produziert das mechanische Recycling Fasern mit geringerer Haltbarkeit. Zudem können nur homogene Stoffe recycelt werden. Das chemische Recycling kann Fasern mit größerer Haltbarkeit produzieren, hier stehen jedoch noch Wirtschaftlichkeits- und ökobilanzielle Prüfungen aus. Das Recycling von Textilien hat technische Potenziale für die Zukunft und kann durch ein entsprechendes Design der Kleidung unterstützt werden. Es wird jedoch auch deutlich, dass Maßnahmen zur Förderung der Kreislaufführung allein die ökologischen Herausforderungen im Textilsektor nicht lösen können. Es braucht vor allem eine nachhaltige Textilproduktion, einen geringeren Konsum und eine intensivere Nutzung der bereits produzierten Kleidung.
Nachhaltige Textilproduktion
Das hohe Produktionsvolumen der Textilindustrie und der hohe Textilkonsum belasten die Umwelt durch die intensive Ressourcen- und Flächennutzung, Wasserverbrauch und -verschmutzung, Treibhausgasemissionen, die Einbringung von Schadstoffen in Luft und Land und die Abfallverwertung und Entsorgung. Allein der europäische Textilkonsum ist verantwortlich für die Nutzung von 676 Millionen Tonnen Primärrohstoffen (z. B. Naturfasern, fossile Kraftstoffe für die Herstellung von synthetischen Fasern, Transport und Verarbeitung, Chemikalien für die Verarbeitung und Veredlung), 53.000 Millionen m3 Wasser, 360.000 km2 Land (Fläche von Deutschland: 358.000 km2) und für ein Emissionsausstoß von jährlich 335 Million Tonnen CO2 (Gözet und Wilts 2022). In Deutschland betrug der Rohstoffkonsum 2019 für Kleidung 10 kg pro Kopf im Monat im Vergleich dazu lag der Anteil für Ernährung bei 169 kg (UBA 2022; Ressourcenbericht).
Um die Produktion und Verwendung von Textilien klimaneutraler, kreislauforientierter und resilienter gegenüber wirtschaftlichen Krisen zu gestalten (aufgrund der Erfahrungen in der COVID-19 Pandemie), hat die Europäische Kommission eine Strategie für Textilien erarbeitet (Europäische Kommission 2022). Als eines der Hauptthemenfelder des Europäischen Green Deals, des Circular Economy Action Plans (CEAP) und der Industriestrategie zielt die Strategie für nachhaltige Textilien darauf ab, Textilprodukte nachhaltiger (langlebig, wiederverwendbar, reparierbar, recyclingfähiger und energieeffizienter) zu gestalten. Die Kommission möchte ein umfassendes Rahmenwerk schaffen, das Anreize und begünstigende Konditionen für einen nachhaltigen, wettbewerbsfähigen und widerstandsfähigen Textilsektor in der Europäischen Union schafft. Nachhaltige Investments in Bereichen wie Textilproduktion, -design und neue Materialien sollen durch die EU-Strategie gefördert werden. Damit soll die Transformation in eine digitale und grüne Zukunft unterstützt werden. Die Kommission schlägt auch vor, Ziele für Wiederverwendungs- und Recyclingquoten zu erarbeiten und die erweiterte Herstellerverantwortung („extended producer responsibility“) in ihrer Strategie zu berücksichtigen (Müller et al 2021, vgl. Europäische Kommission 2022 b).
In Deutschland wurde 2014 das Bündnis für nachhaltige Textilien ins Leben gerufen. Nach eigenen Worten ist das Bündnis angetreten,„[…] um die sozialen und ökologischen Bedingungen in der weltweiten Textilproduktion zu verbessern“. An diesem Ziel wird mit einer Gruppe aus staatlichen Institutionen, NGOs und Personen aus der Textilbranche gearbeitet (Textilbündnis 2022). Auch wurde in Deutschland ein Lieferkettengesetz auf den Weg gebracht, das die Unternehmen zu mehr Transparenz und Verantwortung insbesondere hinsichtlich sozialer Kriterien verpflichtet (Bundesgesetzblatt 2021). Das Umweltbundesamt (UBA) beschäftigt sich seit seiner Gründung mit ökologischen Auswirkungen im Bereich der Produktion. So wurden Abfallströme von Textilien, Umweltinanspruchnahme von Textilien und die zielgruppenspezifische Kommunikation in der Kreislaufwirtschaft untersucht. Trotz dieser nationalen und internationalen Initiativen im Bereich Bekleidung werden zentrale Herausforderungen wie Langlebigkeit und Nutzungsdauer nicht berücksichtigt. Auch wenn der Massenkonsum unter dem Begriff Fast Fashion kritisiert wird, stehen hier die Umweltauswirkungen und Sozialkriterien im Vordergrund. Die meisten Nachhaltigkeitskennzeichnungen beziehen sich auf diese beiden Anforderungen und schließen nicht zwangsläufig die Ressourcenschonung mit ein (Wagner et al 2022).
Mit einem Design, das auch die Ressourcenschonung im Blick hat, z.B. durch die Wahl von nachhaltig produzierten Monofasern, die gut recycelt werden können und stoffsparenden Schnitten, können die Schneiderberufe ihren Beitrag leisten. Dazu müssten mehr Unternehmen nachhaltig produzierte Stoffe anbieten, damit Verbraucher*innen und Schneider*innen die Wahl zu mehr Nachhaltigkeit haben, auch wenn diese Stoffe meist teurer als konventionelle sind. Für den Textil- und Modebereich ist das SDG 12 vorherrschend und ein Drehkreuz zu anderen SDGs. So steht ein nachhaltiger Anbau von Rohfasern in Verbindung mit den Zielen “Maßnahmen zum Umweltschutz (SDG 13), sauberes Wasser (SDG 6) und “Gesundheit und Wohlergehen” (SDG 3). Die faire Entlohnung und sichere Arbeitsbedingungen in der Textilherstellung insbesondere im Ausland haben mit dem Ziel “Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum” (SDG 8) zu tun. Die Umstellung auf erneuerbare Energien und der Einsatz sauberer Technologien in der Faserverarbeitung wirken sich positiv auf die Ziele “Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen” (SDG 6), “Industrien, Innovation und Infrastruktur” (SDG 9) und “Maßnahmen zum Klimaschutz” (SDG 13) aus. Und auch die Vermeidung von Abfall, die längere Nutzung von Bekleidung unterstützen die Reduzierung der CO2-Emissionen (SDG 13).
Design
Das Design hat eine zentrale Rolle für die nachhaltige Bekleidungsproduktion. Es ermöglicht die Implementierung der Kreislaufwirtschaft. In der Design-Phase werden Entscheidungen getroffen, die Auswirkungen auf den gesamten Lebenszyklus eines Kleidungsstückes und noch über die Nutzungszeit hinaus haben. So kann beim Design schon die Entsorgung berücksichtigt werden. Designerinnen und Designer können die Langlebigkeit und Kreislauffähigkeit von Kleidung fördern (siehe auch Langlebigkeit – die sieben Ökodesign-Prinzipien). Damit bestimmen sie eben nicht nur die Form und Farbe eines Kleidungsstückes, sondern können durch die Auswahl von nachhaltig produzierten Stoffen, darunter auch die Verwendung von Sekundärrohstoffen, Ressourcen sparen und die Schadstoffemissionen reduzieren. Ein Zero-Waste-Design minimiert Verschnittreste (Schnittlageplan) und damit Abfälle. Die Optimierung von Schnitten minimiert den Materialeinsatz und spart Ressourcen. So kann geprüft werden, auf welche Zutaten verzichtet werden kann. Zum Beispiel kann zur Belüftung der Achsel einer Outdoorjacke auf einen Reißverschluss verzichtet werden und stattdessen eine Art Taschenöffnung (doppelte Leistentasche) eingenäht werden. Auch der Verzicht auf Vielfarbigkeit ermöglicht Materialeinsparungen, da diese Schnittteile nicht extra ausgeschnitten werden müssen und mit anderen Farbflächen zusammengelegt werden (Gambillara 2022). Designerinnen und Designer können die Strapazierfähigkeit, die Reparierbarkeit (Austauschbarkeit von Verschleißteilen) und Anpassungsfähigkeit der Kleidung durch ihr Design, wie auch das Potenzial zur Recyclingfähigkeit beeinflussen. Die Wahl von gleichen Textil- und Nahtmaterialien erzeugt eine Sortenreinheit, die für ein Recycling förderlich ist. . Ebenso besteht die Möglichkeit, durch ein nachhaltiges Design verschiedene Materialien voneinander trennbar zu machen.
Alte und neue Geschäftsmodelle
Ein großer Teil aufkommender neuer Geschäftsmodelle bezieht sich auf Secondhand-Mode. Große Modefirmen sind in das Geschäft eingestiegen und bieten Secondhand Mode an oder arbeiten mit Online-Secondhand Anbietern zusammen. Secondhand-Angebote, Tauschbörsen oder das Leihen von Kleidung verlängern die Nutzungsdauer von Kleidung und stellen an sich kein neues Modell dar. Neu daran ist eher, dass diese Angebote nicht nur vor Ort, sondern auch über Online-Plattformen verfügbar sind. Abgesehen von den großen Unternehmen und kleineren, eher lokal agierenden stationären Geschäften, sind es vor allem die Online-Anbieter von Secondhand Mode, die häufig kein eigenes Sortiment haben, sondern den Nutzerinnen und Nutzern einen Marktplatz für ihre Kleidung zur Verfügung stellen. Sie finden vor allem bei jüngeren Menschen Anklang. Zur Secondhand Mode zählt auch der Kleidertausch, den es vor allem im nicht-kommerziellen und privaten Bereich gibt. Online-Kleidertausch-Börsen sind z. B. Tauschticket (https://www.tauschticket.de) oder Kleidertausch (www.kleidertausch.de). Zudem sind in den letzten Jahren viele kleine Labels entstanden, die individuelle Kleidung herstellen und über das Internet ihre Produkte leichter verbreiten können. RealReal ist z. B. eine Plattform, über die Kunden eine Reihe von Modeprodukten und Accessoires kaufen und verkaufen können, wodurch sich die Lebensdauer dieser Produkte verlängert (https://www.therealreal.com). Der Style Passport von Banana Republic (Gap Inc) ist ein Mietservice, der es Mitgliedern ermöglicht, Artikel gegen eine monatliche Gebühr zu mieten und wieder zurückzugeben (https://bananarepublic.gap.com/). Eine neuere Form eines alternativen Ansatzes bietet die Production-on-Demand, beziehungsweise das Konzept Made-to-Order. Bei diesen Geschäftsmodellen wird Bekleidung erst hergestellt, wenn sich für die Abnahme bereits Verbraucherinnen oder Verbraucher gefunden haben. Doch welche Geschäftsmodelle und Konsumpraktiken tatsächlich zu einer Ressourcenschonung und nachhaltigem Konsum führen oder ob hierzu noch neue Geschäftsmodelle entwickelt werden müssen, sind Fragen, die noch weiterführenden Klärungsbedarf haben.
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SDG 13 Maßnahmen zum Klimaschutz
“Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen”
Die Schnittmengen mit der Standardberufsbildposition liegen vor allem in der Reduzierung der direkten und indirekten Emissionen (Belastung der Umwelt), der Vermeidung von Abfällen sowie der nachhaltigen Nutzung von Energie (vgl. BGBl 2004 und 2005 sowie BGBl 2015):
a) Möglichkeiten zur Vermeidung betriebsbedingter Belastungen für Umwelt und Gesellschaft im eigenen Aufgabenbereich erkennen und zu deren Weiterentwicklung beitragen
b) bei Arbeitsprozessen und im Hinblick auf Produkte, Waren oder Dienstleistungen Materialien und Energie unter wirtschaftlichen, umweltverträglichen und sozialen Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit nutzen
c) Vorschläge für nachhaltiges Handeln für den eigenen Arbeitsbereich entwickeln
Für die Schneiderberufe ist hierbei vor allem das SDG 13.3 relevant:
SDG 13.3 Die Aufklärung und Sensibilisierung sowie die personellen und institutionellen Kapazitäten im Bereich der Abschwächung des Klimawandels, der Klimaanpassung, der Reduzierung der Klimaauswirkungen sowie der Frühwarnung verbessern
Der Klimawandel wird durch die Emission von Treibhausgasen verursacht. Zahlreiche Gase sind verantwortlich für den Klimawandel. Ihnen gemeinsam ist ihre Undurchlässigkeit für die (Infrarot-)Wärmestrahlung der Erde. Dies führt bekanntlichermaßen zum Klimawandel. Jedes dieser Gase trägt in unterschiedlichem Maße zum Klimawandel bei. Die Stoffe bleiben zudem unterschiedlich lange in der Atmosphäre, weshalb sie unterschiedlich zum Treibhauseffekt beitragen. Das IPCC (International Panel for Climate Change) definiert deshalb ein GWP Global Warming Potential (erwärmende Wirkung für den Klimawandel) eines Stoffes in hundert Jahren im Vergleich zu Kohlendioxid CO2 wie folgt (vgl. My Climate o. J.)
• Kohlendioxid CO2: 1 (Bezugswert)
• Methan CH4: 28
• Stickstoffdioxid N2O: 265
• FCKW (verboten) > 12.000
Ein durchschnittlicher Bundesbürger und eine Bürgerin verursachten 2020 rund 11 t CO2-Äq pro Jahr (UBA 2021). Auf die öffentliche Infrastruktur entfallen acht Prozent, auf den Konsum 34 Prozent, die Mobilität 15 Prozent, Ernährung 15 Prozent, Strom sechs Prozent und Wohnen 18 Prozent. Textilien werden der Kategorie Konsum zugerechnet. Schuhe, Kleidung und Heimtextilien für Bett, Bad und Küche sind das Konsumgut mit dem höchsten ökologischen Fußabdruck, sowohl bei den Treibhausgasemissionen, beim Ausstoß von Luftschadstoffen und beim Wasserverbrauch. Die Emissionen, die in den Produktionsländern weltweit entstehen, sind um ein Vielfaches höher als in Deutschland. Beim Textilsektor um den Faktor 6 (Jungmichel et al 2020).
Europäischer Textilsektor
In der EU ist der Verbrauch von Textilien nach Lebensmittelherstellung, Wohnungsbau und Mobilität der viertstärkste Umwelt- und Klimafaktor. Beim Wasserverbrauch und Landnutzung steht er an dritter Stelle und bei Rohstoffen und Treibhausgasemissionen an fünfter (Europäische Kommission o. J.). Das Produzieren und Nutzen von Kleidung, Schuhen und Heimtextilien, die in der EU verbraucht werden, verursachte 2017 Emissionen von 654 kg CO2 -Äquivalent pro Person (Europäische Umweltagentur 2019). Wobei nur 25 Prozent davon innerhalb der EU stattfanden. Im Jahr 2017 produzierte die EU 7,4 kg Textilien pro Person und verbrauchte dabei fast 26 kg. Zwischen 1996 und 2018 sind die Bekleidungspreise in der EU relativ zur Inflation um über 30 Prozent gefallen. Seit dem Jahr 2000 haben die Europäer mehr Kleidungsstücke gekauft, dafür aber weniger Geld ausgegeben. Fast Fashion und Ultra Fast Fashion – der schnelle Wechsel von Modelinien und Modetrends – fördert den erhöhten Konsum und verkürzt so die Lebensdauer von Kleidung, was Umwelt und Klima noch mehr belastet.
Treibhausgasemissionen durch Kleidung und Textilien
Die Herstellung von Kleidung verbraucht Energie und Rohstoffe. Dies bedeutet klimaschädliche Treibhausgasemissionen entlang der gesamten Produktionskette. Pro Kopf verursachte der Konsum von Kleidung in Deutschland im Jahr 2015 einen Ausstoß von 135 Kilogramm Treibhausgasen. Weltweit verursacht der Textilsektor mehr als ein Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen (Jungmichel et al. 2021). Allein durch eine zweifache Nutzung der hergestellten Fasern könnten die Treibhausgasemissionen um die Hälfte verringert werden (siehe auch SDG 12, Kapitel Langlebigkeit). Wird zusätzlich bei der Faserproduktion Solarenergie eingesetzt, liegen die Einsparpotenziale bei 67 Prozent. Werden die Produkte nicht motorisiert, sondern zu Fuß eingekauft, können sogar 78 Prozent der CO2-Äquivalente gegenüber dem heutigen Stand eingespart werden (Sandin et al 2019).
Neben der Herstellung von Textilien entstehen vor allem in der Konsumphase durch Waschen und Trocknen der Textilien und bei der Entsorgung über die Abfallverbrennung Treibhausgasemissionen. Im Jahr 2020 verursachte die Herstellung von in der EU verbrauchten Textilprodukten Treibhausgasemissionen von insgesamt 121 Millionen Tonnen Kohlendioxidäquivalent oder 270 kg pro Person. Damit sind Textilien nach Wohnen, Ernährung, Verkehr und Mobilität sowie Erholung und Kultur der Konsumbereich, der für den fünftgrößten Einfluss auf den Klimawandel verantwortlich ist. Davon fallen 50 Prozent auf Bekleidung, 30 Prozent auf Haushalts- und sonstige Textilien und 20 Prozent auf Schuhe. Während die Treibhausgasemissionen global wirken, werden fast 75 Prozent außerhalb Europas freigesetzt, hauptsächlich in Asien (ETC/WMGE, 2019).
Textilien und Bekleidung sind sehr komplexe Produkte, die sich durch Faserart, Herstellungsart, Verarbeitungsgrad und Verarbeitungsort stark unterscheiden und daher auch unterschiedlich stark die Umwelt belasten. So verursachen Socken etwa 1 kg CO2-Äq und eine Jacke bis zu 20 kg CO2-Äq in ihrem Lebenszyklus (Sandin et al 2019). Der Produktlebenszyklus von Textilien umfasst die Rohstoffgewinnung, die Verarbeitung, Transporte, Verpackung, die Nutzung (mit Waschen, Trocknen, Bügeln) und die Entsorgung bzw. das Recycling. Detaillierte Product Carbon Footprints (PCF) bilanzieren darüber hinaus noch weitere Prozesse wie etwa Handel oder Katalogdruck (Systain 2009).
Beispiele Baumwolle/Acryl
Dies wird am folgenden Beispiel deutlich (Systain 2009; vgl. auch Jungmichel et al. 2021). In einem Forschungsprojekt für das Umweltbundesamt wurde u.a. die Klimabilanz eines Damen-Longshirts (Größe 40-42, weiß, 100 Prozent aus Baumwolle, 220 Gramm, Vertrieb über Otto-Versand) ermittelt. Die Produktion wurde zu den Fertigungsbetrieben in Bangladesch und weiter bis zur Herkunft der Baumwolle zurückverfolgt. Vom Baumwollfeld in den USA bis zur Anlieferung zum Versandhandel in Hamburg entstanden 5,67 Kilogramm an Treibhausgasemissionen (Kohlendioxid-Äquivalente). Mehr als die Hälfte der Emissionen geht auf den Herstellungsprozess zurück, insbesondere beim Spinnen der Garne und beim Bleichen bzw. Färben. Auch wenn das Shirt fast einmal um die Welt per Schiff gereist ist, sind die Treibhausgasemissionen der Transportkette vergleichsweise gering. Mit fast einem Drittel der CO2-Emissionen fällt die Gebrauchsphase mit Waschen, Trocknen und Bügeln zu Buche (Systain 2009). Im Vergleich dazu wurden die Emissionen für eine Kinderstrickjacke aus Acryl (rot, 100 % Acryl, 266 Gramm, Größe 152-158 Herstellung in Bangladesh, China, Deutschland, Vertrieb über Otto-Versand) berechnet. Beide Kleidungsstücke wurden 55-mal innerhalb des Tragezyklus gewaschen – das Baumwollshirt bei 47 Grad und die Kinderjacke bei 40 Grad.
Tabelle: Verteilung der Emissionen eines Baumwollshirts und einer Kinderstrickjacke aus Acryl in CO2-Äquivalenten auf die Phasen der Herstellung
Herstellungsphase | Baumwollshirt (220 g) | Polyacryl-Kinderjacke (266 g) |
Rohstoffgewinnung/Landwirtschaft | 1,27 kg | 5,7 kg |
Produktion/Weiterverarbeitung | 3,00 kg | 2,43 kg |
Transport | 0,24 kg | 0,25 kg |
Verteilung/Distribution Hersteller | 1,09 kg | 1,05 |
Anteil Überseetransport | 0,07 kg | nicht ausgewiesen |
Katalog-Druck | 1,53 kg | 1,52 kg |
Verpackung | 0,24 kg | 0,25 kg |
Gebrauchsphase (waschen, trocknen, bügeln) | 3,3 kg | 2,32 kg |
Entsorgung | 0,25 kg | 0,3 kg |
gesamt | 10,75 kg | 13,58 kg |
Quellen: Grießhammer 2010 vgl. Systain 2009
Ressourcenverbrauch
Die Herstellung von Kleidung benötigt Ressourcen, unabhängig davon, ob sie aus Baumwolle, Viskose, Polyester oder anderen Fasern bestehen. Der Baumwollanbau verbraucht sehr viel Wasser und die Herstellung von Chemiefasern verbraucht die nicht erneuerbare Ressource Erdöl. Polyester macht 52 Prozent der 2017 weltweit hergestellten Fasern aus. Baumwolle dagegen nur 25 Prozent. Alle anderen Fasern liegen jeweils bei sechs Prozent und weniger. Tierische Fasern wie Wolle und Seide machten nur 1 Prozent aus (Jungmichel et al. 2021).
In der Verarbeitung von Textilien werden zahlreiche Chemikalien verwendet. 5 Prozent der weltweit produzierten Chemikalien werden von der Bekleidungsindustrie eingesetzt (Jungmichel et al. 2020). Für 1 kg Textilien werden bis zu 1 kg Chemikalien benötigt (Jungmichel et al. 2021).
Langlebigkeit und Ökodesign (siehe SDG 12, Kapitel Langlebigkeit) reduzieren den Verbrauch natürlicher Ressourcen. Der Ressourceneinsatz sowie die Umwelt- und Klimabelastungen treten in jeder Phase auf: von der Faserherstellung bis zur Herstellung von Textilprodukten über den Vertrieb und den Einzelhandel, die Verwendung von Textilien, das Sammeln, Sortieren und Recycling bis hin zur endgültigen Abfallentsorgung. Für die Herstellung und Nutzung aller von den Haushalten der EU im Jahr 2017 gekauften Kleidungsstücke, Schuhe und Heimtextilien wurden schätzungsweise 1,3 Tonnen Primärrohstoffe und 104 m3 Wasser pro Person verbraucht. Etwa 85 Prozent dieser Primärmaterialien und 92 Prozent des Wassers wurden in anderen Regionen der Welt verwendet.
Die meisten Belastungen der Landnutzung kommen von außerhalb der EU (93 %) und sind größtenteils eine Folge des Baumwollanbaus. Betrachtet man die Belastungen durch den Klimawandel, so erzeugt die Textilproduktion etwa 15-35 t CO2-Äq/t produzierter Textilien. Etwa 3.500 Stoffe werden in der Textilproduktion verwendet. Davon wurden 750 als gesundheitsgefährdend und 440 als umweltgefährdend eingestuft. Schätzungen zufolge werden etwa 20 Prozent der weltweiten Wasserverschmutzung durch das Färben und Veredeln von Textilprodukten verursacht, was sich auf die Gesundheit der Arbeitnehmer und der lokalen Gemeinschaften auswirkt (Europäische Umweltagentur 2019).
Ressource Wasser
Für die Produktion aller von EU-Haushalten im Jahr 2020 gekauften Kleidungsstücke, Schuhe und Heimtextilien wurden etwa 4.000 Millionen m³ blaues Wasser (Wasser aus Seen, Fließgewässer oder Grundwasser) benötigt, was 9 m³ pro Person entspricht (Europäische Umweltagentur 2022). Zusätzlich wurden etwa 20.000 Millionen m³ grünes Wasser (im Boden gespeichertes Regenwasser) verbraucht, hauptsächlich für die Baumwollproduktion, was 44 m³ pro Person entspricht. Blaues Wasser wird gleichmäßig bei der Herstellung von Kleidung (40 %), Schuhen (30 %) sowie Haushalts- und anderen Textilien (30 %) verwendet. Grünes Wasser wird hauptsächlich bei der Herstellung von Kleidung (fast 50 %) und Haushaltstextilien (30 %) verbraucht, wovon die Baumwollproduktion am meisten verbraucht (ebd.).
Ressource Land
Die Herstellung von Textilien, insbesondere von Naturtextilien, erfordert große Flächen für den Anbau der Faserpflanzen oder für Baumplantagen zur Gewinnung von Cellulose für z. B. Viskose. Insgesamt beansprucht der Textilkonsum deutscher Verbraucher*innen eine Fläche von 6.400 Quadratkilometern pro Jahr. Diese Fläche entspricht etwa der Hälfte Schleswig-Holsteins. Pro Kopf sind es fast 80 Quadratmeter. Die Fläche wird fast ausschließlich für den Baumwollanbau benötigt (Jungmichel et al. 2021). Um die von europäischen Haushalten gekauften Textilien im Jahre 2020 zu produzieren, wurde ein Bedarf von 180.000 km² oder 400 m² pro Person geschätzt. Nur 8 Prozent der genutzten Fläche liegen in Europa. Mehr als 90 Prozent der Auswirkungen auf die Landnutzung treten daher außerhalb von Europa auf, hauptsächlich im Zusammenhang mit der Produktion von Baumwolle in China und Indien (ETC/WMGE 2019).
Auch tierische Fasern wie Wolle haben aufgrund des Weidebedarfs der Schafe große Auswirkungen auf die Landnutzung. Für die Produktion einer Tonne Wollfasern werden 170 ha Weidefläche benötigt (IVC 2022). Nach Angaben des Industrieverbandes Chemiefaser e. V. steht der Flächenverbrauch im Jahre 2010 umgekehrt proportional zur Ergiebigkeit: 91 Prozent der Fläche war nötig, um den Wollfaseranteil von zwei Prozent der weltweiten Faserproduktion zu erreichen, acht Prozent der Fläche reichten für 33 Prozent Baumwollfasern und 0,8 Prozent für die cellulosischen Chemiefasern.
Synthetische Chemiefasern dagegen beanspruchten nur 1 Prozent der Fläche und deckten damit 65 Prozent der weltweiten Faserproduktion ab (ebda.). Die Textilbranche ist nach Nahrung und Wohnen der Sektor mit den dritthöchsten Auswirkungen auf die Landnutzung. Davon entfallen 43 Prozent auf Kleidung, 35 Prozent auf Schuhe (einschließlich Lederschuhe, die aufgrund des Viehweidebedarfs einen hohen Flächenverbrauch haben) und 23 Prozent auf Haushalts- und andere Textilien (Europäische Umweltagentur 2022).
Ressourcenverbrauch reduzieren
Ein wichtiger Ansatzpunkt, um die Treibhausgasemissionen durch Textilien zu senken, ist den Ressourcenverbrauch deutlich zu reduzieren. Bei der Herstellung von Textilien bestehen verschiedene Möglichkeiten, z. B. den Baumwollanbau in nicht-aride Gebiete zu verlagern (um Wasser zu sparen), geschlossene Kreisläufe für Textilchemikalien (Chemikalien und Wasser sparen) und in einer effizienten Energienutzung.
Einen großen Einfluss auf den Verbrauch von Ressourcen haben die Einschränkungen beim Konsum und eine lange Nutzungsdauer. Hierfür gibt es alte und neue Geschäftsmodelle (siehe SDG 12). Diese Modelle sollten sich an der Abfallhierarchie orientieren: Es gilt vorrangig, die Textilien möglichst lange in der Nutzung zu halten und in ihrem ursprünglichen Sinne wiederzuverwenden, d.h. Kleidung möglichst lange zu tragen. Neue Angebote sollten zudem Zielkonflikte zwischen Mode und einer langen Nutzung aufgreifen (Gimkiewicz et al. 2022). Dabei spielt auch das Design eine wichtige Rolle (siehe SDG 12).
Es besteht Bedarf an Lösungen, die in allen Phasen den Ressourcenverbrauch im Textilbereich verringern. Auf nationaler Ebene in Deutschland unterstützt der Bundespreis Ecodesign das langlebige und ökologische Design von Produkten
Monomaterialien
Durch die Verwendung von Polyester anstelle von Materialien auf Polyurethan- oder PTFE-Basis in seinen Membranen konnte Sympatex die Treibhausgas-Emissionen von Jackenmaterialien um 30 Prozent reduzieren. Die Verwendung von Polyester erhöht außerdem die Möglichkeit, dass das Material am Ende seiner Lebensdauer recycelt werden kann (Sympatex o. J.).
Neue Fasern
Im Bereich der Fasergewinnung und -herstellung gibt es neue Entwicklungen von biologisch abbaubaren Produkten, wie Fasern aus Hundehaaren (Chiengora), Seegras (Seacell), Ananasblättern (Pinatex) oder Algen (Algalife, vgl. Giemkiewicz et al. 2022). Die Firma Algalife stellt eine Produktpalette aus Algen her und wurde für den Bundespreis Ecodesign 2020 nominiert. Die Herstellung der Biofaser spart Wasser und kann zur Herstellung von Kleidungsstücken verwendet werden (Algaeing o. J.). Aus Ananasblättern (Pinatex) kann ein stabiler Lederersatz hergestellt werden (Ananas Anam o. J.). Die Fasern werden aus Ananasblätter maschinell extrahiert. Sie stammen aus den Ernteabfällen der Ananasernte. Nach dem Trocknen werden sie mit einem kleinen Anteil Polyester verwoben und danach gepresst (Grundmann 2017).
Geschlossene Kreisläufe und Recyclingfasern
Ein Beispiel für geschlossene Kreisläufe und Recyclingfasern sind die Tencelfasern der Lenzing AG aus Österreich. Die TENCEL™ Lyocellfasern (Viskose) werden aus nachhaltig gewachsenen Bäumen gewonnen und die Faser in einem geschlossenen Herstellungsprozess hergestellt, bei dem das Lösungsmittel zurückgewonnen und wiederverwendet wird. Diese und weitere Faservarianten sind als CO2-neutrale Fasern zertifiziert und sollen bis 2050 kohlenstofffrei werden. Lenzing AG (2022 a). Zudem wird durch einen chemischen Recyclingprozess aus gebrauchter Baumwolle und Zellstoff aus Holz ebenfalls Lyocell hergestellt werden. Durch das Recycling kann ein Drittel des Zellstoffs aus Holz eingespart werden. (Lenzing AG 2022 b).
Ausrüstungsverfahren
Modische Bleicheffekte auf Jeans werden vornehmlich mit der Chemikalie Kaliumpermanganat erzielt. Die wasserschädliche Chemikalie kann biologisch nicht abgebaut werden. Die CHT Gruppe hat ein Kaliumpermanganatfreies Bleichmittel entwickelt, das auf organischen Säuren basiert und frei von Schwermetallen und Chloriden ist. Es ist zudem biologisch abbaubar (CHT-Gruppe o. J.).
Die Schweizer Firma für Spezialchemikalien bietet einen anilinfreien Indigofarbstoff an (wird für das Nachhaltigkeitszeichen GOTS und bluesign verwendet). Die Firma hat zudem ein ökologischeres Jeans-Färbeverfahren mit Schwefelfarbstoffen entwickelt (www.archroma.com/solutions/coloration-denim-casual-wear).
Naturfasern
Baumwolle ist eine beliebte Naturfaser. Im Jahr 2021 wurden weltweit 24,4 Mio. Tonnen produziert (Chemiefasern 88,2 Mio. Tonnen) (IVC 2022). Baumwolle ist eine Pflanze mit hohem Wasserbedarf, deren Anbau in ariden Gebieten zu Umweltproblemen führen kann. So hat der Baumwollanbau in Usbekistan mit zur Austrocknung des Aralsees beigetragen. In diesem Gebiet hat allerdings auch der Reisanbau wesentlich zu dieser Umweltkatastrophe beigetragen. Der Aralsee ist ein Symbol für die Folgen unüberlegten menschlichen Handelns geworden. Die künstliche Bewässerung der Baumwollpflanzen verschafft zwar hohe Erträge und gute Qualitäten, doch werden hierzu für eine Tonne Baumwolle 3.600-26.900 m³ Wasser gebraucht (BMZ und UBA 2020).
- Beim Anbau von Baumwolle vor allem in der Monokultur wird häufig eine große Menge an chemischen Pflanzenschutzmitteln und Düngemitteln eingesetzt. So entfallen auf den konventionellen Baumwollanbau 25 Prozent der weltweit verwendeten Insektizide. Damit sollen Schädlinge bekämpft werden, allerdings werden dabei auch gleichzeitig zahlreiche Nützlinge und wichtige Bodenlebewesen getötet. Pflanzenschutzmittel können bei unsachgemäßer Anwendung Böden, Oberflächengewässer und das Grundwasser belasten.
- Auch im Leinenanbau werden teilweise große Mengen an Pestiziden eingesetzt, Faserlein benötigt aber weniger Wasser und Dünger als der Anbau von Baumwolle.
- Wolle verursacht einen hohen Flächenverbrauch und führt zu hohen Treibhausgasemissionen durch den Methanausstoß der Schafe. Rohwolle muss vor dem Spinnen zunächst intensiv gewaschen werden, da sie Schmutz und Wollfett enthält. In der Nutzungsphase ist der Wasserverbrauch geringer, da sie im Vergleich zu anderen Fasern nicht so häufig gewaschen werden muss.
Chemiefasern
Die Weltproduktion an Chemiefasern hat im Laufe der vergangenen Jahre stetig zugenommen und lag 2021 bei 88,2 Mio. Tonnen weltweit, davon waren 7,4 Mio. Tonnen cellulosische Chemiefasern (IVC 2022). Sie werden nicht wie die synthetischen Chemiefasern aus Erdöl, sondern aus Holz gewonnen, aber wie die synthetischen Chemiefasern mit Hilfe von Lösemitteln zu einer zähflüssigen Masse verarbeitet, die dann durch Düsen gepresst in einem Ausfällungsbad oder Luftstrom ihre Form erhalten (Voß 2000). Der größte Anteil der hergestellten Chemiefasern wird zu technischen Zwecken verwendet (62 %). Bekleidung macht nur 13 % aus und 25 Prozent werden zu Heimtextilien verarbeitet (IVC 2022).
Durch das Waschen von synthetischen Textilien gelangen schätzungsweise 0,5 Millionen Tonnen Mikrofasern in die Ozeane. Das Waschen von Textilien aus Chemiefasern verursacht 35 Prozent aller in die Umwelt freigesetzten primären Mikrokunststoffe. Mit einer Waschladung mit Polyesterkleidung können 700.000 Mikrokunststofffasern freigesetzt werden und in die Nahrungskette gelangen (Europäisches Parlament 2022).
Bioprodukte
Der ökologische Landbau ist eine besonders ressourcenschonende und umweltverträgliche Wirtschaftsform, die sich am Prinzip der Nachhaltigkeit orientiert (BMEL o. J.). In Deutschland soll der Anteil der ökologischen Ackerflächen bis 2030 auf 30Prozent der gesamten Landwirtschaftsfläche steigen (ebd.). Die Vorteile des ökologischen Landbaus sind ohne Frage der Schutz der Biodiversität, des Bodens und des (Grund-)Wassers sowie ein höchstes Maß an Tierwohl. Zwei Nachteile gibt es aber auch: Aufgrund des fehlenden Kunstdüngereinsatzes sind die Erträge geringer und aufgrund des Verzichts von Pestiziden ist das Ausfallrisiko höher. In der Folge sind deshalb die Preise für Bio-Produkte höher.
Baumwolle kann auch ohne den massiven Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln angebaut werden. Auch eine deutliche Reduktion des Wasserverbrauchs ist durch schonende Bodenbearbeitung und optimierte Bewässerungstechniken möglich. Der Marktanteil von Bio-Baumwolle am Weltmarkt ist mit geschätzt 0,5 Prozent sehr gering. Ziel der Mitglieder des Bündnisses für nachhaltige Textilien ist, den Anteil auf mindestens 10 Prozent zu erhöhen. Dabei ist die Recherche und Beschaffung von Bio-Baumwolle eine Herausforderung (Textilbündnis 2019). Zur Unterstützung hat das Textilbündnis zusammen mit der C&A Foundation, dem Organic Cotton Accelerator und Helvetas den „How to go organic“ Einkaufsleitfaden für Bio-Baumwolle herausgegeben.
Die Bundesregierung orientiert die öffentliche Beschaffung am Leitprinzip einer nachhaltigen Entwicklung. So hat sie sich nach einem Stufenplan zur nachhaltigen Textilbeschaffung folgendes Ziel gesetzt: “Bis 2020 sind möglichst 50 Prozent der Textilien (ausgenommen Sondertextilien) nach ökologischen und sozialen Kriterien zu beschaffen (z. B. nach Kriterien des Umweltzeichens Blauer Engel, dem EU-Umweltzeichen oder Global Organic Textile Standard”(BMZ und UBA 2020). Die zentralen Beschaffungsstellen bewegen im Textilbereich dabei eine große Menge: Bekleidung und Wäsche machen mit über 95.000.000 Euro/Jahr den größten Anteil aus (ebd.).
Transporte
Die Mobilität ist für einen wesentlichen Teil des Klimawandels verantwortlich – in Deutschland verantwortet die Mobilität rund 20 Prozent der Emissionen (UBA 2022). Der Anstieg der Emissionen kommt vor allem durch die höheren Verkehrsleistungen, die Emissionseinsparungen durch mehr Dieselfahrzeuge, Elektromobilität und effizientere Lkw-Motoren zustande. Mobilität ist aber auch unvermeidbar in der Textilwirtschaft, die Waren importiert wie auch exportiert.
Transporte mit dem Schiff sind auch bei langen Strecken sehr klimaeffizient, aber auch der Lkw (vor dem Hintergrund, dass wir auf Nahrungsmittellieferungen angewiesen sind) ist klimaeffizient. Berechnet man die Emissionen in Form von Tonnenkilometer (tkm), so liegen die mittleren Emissionen per Flugzeug bei 650 g/tkm, für Lkw bei ca. 110 g/tkm, per Bahn bei ca. 30 g/tkm per Schiff bei ca. 10 g/tkm (FIS 2010/2021).
Langstreckentransporte können klimaeffizienter sein als die Distribution von Produkten regional oder bundesweit – sofern sie per Schiff oder mit hocheffizienten LKW getätigt werden. Dies lässt sich am Beispiel eines Containers zeigen, der mit 22 t Textilien beladen ist. Der Transport von des Containers von Shanghai nach Hamburg (22.000 km) führt zu THG-Emissionen von ca. 17 t CO2-Äq. Die bundesweite Distribution – von Hamburg über München und das Ruhrgebiet zurück nach Hamburg mit 22 Stationen zu Lageristen, die je eine Tonne Textilien abnehmen (3.700 km) – führt gleichfalls zu Emissionen von 17 t CO2-Äq (eigene Berechnungen). Nimmt man an, dass 1.000 Kunden jeweils Kleidung von 1 kg Gewicht im Geschäft erwerben, und nimmt man weiterhin an, dass sie sich für diesen Kauf 20 km mit dem eigenen PKW fahren, so ergibt sich eine Strecke von 20.000 km. Bei einem Verbrauch von sechs Liter Diesel ergeben sich für 1.000 Kunden rund 5,6 t THG-Emissionen (Berechnung mit myclimate o. J.). Da dies in 20 Städten erfolgt, ergeben sich Gesamtemissionen von 112 t THG-Äq, 6,5-mal mehr als der Ferntransport.
Ein T-Shirt, das in China hergestellt und zum Endverbraucher nach Europa per Schiff transportiert wird, erzeugt pro kg Textil ca. 0.4 kg CO2. Per Flugzeug sind es 10 kg CO2. Ein Kleidungsstück, das ausschließlich in Europa produziert wird, weist dagegen eine Kohlendioxidemission von ca. 0.04 kg CO2 über Bahntransport und ca. 1 kg CO2 per Flugzeug auf (IVC 2022). Da ca. 90 Prozent aller in Textilien in Deutschland importiert werden und auch ein großer Teil exportiert wird (siehe SDG 12, Importe) legen Textilien meist einen langen Weg zurück bis sie bei den Verbraucher*innen landen (siehe auch oben Treibhausgasemissionen, Beispiel Baumwolle/Acryl). Eine stärker regional ausgerichtete Produktion würde das Ziel der Reduktion von Kohlendioxidemissionen unterstützen, wie dies von Naturtextilfirmen im IVN oder auch von der Fa. Trigema aktiv umgesetzt wird. Allerdings erscheint dies in einer globalisierten Produktions- und Konsumwelt als sehr unwahrscheinlich. Käufer und Käuferinnen können aber dennoch einen großen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit beim Textilkauf machen, indem sie den ÖPNV für den Einkauf nutzen.
Nutzung von Textilien (Konsumphase)
Die Aufklärung der Verbraucher und die Verwendung von Kennzeichnungen spielen eine wichtige Rolle bei der Förderung einer nachhaltigeren Verwendung von Textilien. Dazu gehören ein reduzierter Verbrauch, längere Verwendung und angepasste Pflege (z. B. durch Verringerung der Waschtemperaturen, optimale Befüllung und Vermeidung des Trocknens im Wäschetrockner sowie eine chemische Reinigung). Die Beschäftigten in Schneidereien haben insbesondere auf zwei Ebenen Einfluss:
1) Nachhaltiges Design umsetzen, das Kleidung ressourcenschonender, langlebiger und leichter zu pflegen und zu Lieblingsstücken macht, die möglichst aufgetragen werden (siehe auch SDG 12, Langlebigkeit; Öko-Design und Design).
2) Beratung der Kundinnen und Kunden, wenn Änderungen oder die Herstellung von Kleidungsstücken in Auftrag gegeben wurden. Sie können besonders langlebige und umweltschonende Änderungen vorschlagen und Hintergründe erläutern, die Auswahl der Materialien erklären und vor allem Hinweise über die Pflege geben.
Die Aufklärung der Verbraucher*innen und die Verwendung von Kennzeichnungen spielen eine wichtige Rolle bei der Förderung einer nachhaltigeren Verwendung von Textilien, wie z. B. reduzierter Verbrauch, längere Verwendung und bessere Pflege (z. B. durch Verringerung der Waschtemperaturen und Vermeidung des Trocknens im
Waschen
Eine merkliche Einsparung an Energie lässt sich durch die Waschtemperatur steuern. Häufig wird wärmer gewaschen als erforderlich. Hohe Temperaturen sind nicht notwendig, um Schmutz und Flecken zu entfernen, denn die Waschmittel schaffen dies bei bereits geringen Wassertemperaturen von 30° C. Der Stromverbrauch pro Waschgang sinkt durch Verringerung der Waschtemperatur von 40° C auf 30°C um über 35 Prozent. Nachhaltiges Handeln im Haushalt zahlt sich somit direkt aus. Das Öko-Institut e. V. hat im Auftrag des Umweltbundesamtes eine Ökobilanz zum Waschen erstellt, in der das Waschverhalten von drei verschiedenen Modell-Haushalten und dem daraus entstehenden Stromverbrauch für die Waschmaschine verglichen wurde (UBA 2015 b).
- Energiesparhaushalt (35,24 kWh pro Jahr): Durchschnittliche Temperatur- bzw. Waschgangverteilung: 75 Prozent Buntwäsche bei 30°C; 25 Prozent Weißwäsche bei 60°C.
- Durchschnittshaushalt (121,35 kWh pro Jahr): Durchschnittliche Temperatur- bzw. Waschgangverteilung: 40 Prozent Buntwäsche bei 30°C; 45 Prozent Buntwäsche bei 60°C und 15 Prozent Weißwäsche bei 90°C.
- Energiefresserhaushalt (227,95 in kWh pro Jahr): Durchschnittliche Temperatur- bzw. Waschgangverteilung: 30 Prozent Buntwäsche bei 30°C; 40 Prozent Buntwäsche bei 60°C und 30 Prozent Weißwäsche bei 90°C.
Der Energieverbrauch zum Waschen entspricht folgenden CO2-Emissionen (unter Verwendung des Faktors 1 kWh = 616 g CO2):
- Energiesparhaushalt: 21,70 Kg
- Durchschnittshaushalt: 74,80 Kg
- Energiefresserhaushalt: 140,40 Kg
Die Vergleichswerte zeigen anschaulich, dass allein durch die Wahl der Waschtemperatur schon ein großes CO2-Einsparpotential besteht. Die optimale Befüllung der Waschtrommel spart zudem Wasser.
Waschmittel
In Deutschland werden 630.000 Tonnen Waschmittel jährlich verbraucht. Umgerechnet verbraucht jeder Einwohner fast acht Kilogramm Waschmittel im Jahr. Hinzu kommen Weichspüler und weitere Waschhilfsmittel und Wäschepflegemittel, insgesamt etwa 220.000 Tonnen pro Jahr. Die Herstellung verbraucht Energie und Chemikalien, die Gewässer und Kläranlagen belasten (UBA 2021 c). Im Haushalt sollte die Waschmittelmenge dem Verschmutzungsgrad der Wäsche und dem Wasserhärtegrad angepasst werden. Eine Überdosierung bringt kein besseres Waschergebnis, sondern führt zu höheren Umweltbelastungen und Kosten. Zudem können mehr Waschmittelrückstände auf der Wäsche verbleiben, die zu Hautreizungen führen können, insbesondere Duftstoffe. Durch Baukastensysteme beim Waschmittel kann auf nicht gerade nötige Inhaltsstoffe wie z. B. Bleichmittel verzichtet und somit der Eintrag ins Abwasser verringert werden. Feste Waschmittel sind zudem umweltschonender als flüssige Waschmittel. Sie haben eine höhere Waschleistung und belasten die Kläranlagen weniger (ebd). Zudem kommen sie auch ohne Plastikverpackungen aus.
Mikroplastik
Beim Waschen gelangen Chemikalien und Mikroplastik in das Haushaltsabwasser. Es wird geschätzt, dass beim Waschen von Textilien auf Kunststoffbasis jährlich etwa eine halbe Million Tonnen Mikrokunststofffasern ins Meer gelangen (Systain 2009). Das Waschen von Textilien aus Chemiefasern verursacht 35 Prozent aller in die Umwelt freigesetzten primären Mikrokunststoffe. Mit einer Waschladung Polyesterkleidung können 700.000 Mikrokunststofffasern freigesetzt werden und in die Nahrungskette gelangen (Europäisches Parlament 2022). Nach Schätzungen des Fraunhofer UMSICHT sollen pro Waschgang mehrere hundert Milligramm synthetische Mikrofasern je Kilogramm Wäsche in die Umwelt entweichen (Fraunhofer Umsicht 2021) (Hintergrundinformationen zu Mikroplastik siehe SDG 6)
Trocknen
Das Wäschetrocknen an der Luft ist die energieeffizienteste Methode. Der Zeitfaktor gegenüber einem Trocknergerät sollte angesichts der gut gefüllten Kleiderschränke keine Rolle spielen. Kommt zum Waschen noch das Trocknen per Wäschetrockner dazu, erhöht sich der Kohlendioxidausstoß etwa um das Dreifache (Systain 2009). Um den Ausstoß möglichst gering zu halten, sollte die Wäsche mit möglichst hoher Schleuderdrehzahl entfeuchtet werden. Je stärker entfeuchtet, desto weniger Energie wird zum Trocknen gebraucht. Bei den Geräten kann der Stromverbrauch durch Wahl einer hohen Energieeffizienzklasse ausgewählt werden. Die sparsamen Geräte der Effizienzklasse A++ oder A+++ sind in der Anschaffung zwar teurer, verbrauchen aber nur die Hälfte der Energie eines Geräts der Effizienzklasse B. Innerhalb der A-Kategorie gibt es allerdings noch große Unterschiede (UBA 2013) Umwelttipps für den Alltag. UBA (2013).
Bügeln
Nicht jede Wäsche muss gebügelt werden. Sorgfältiges Aufhängen der Wäsche, so dass wenig Falten entstehen, erspart Bügeln bzw. Bügelzeit. Auch das sorgfältige Zusammenlegen schafft eine glattere Oberfläche. Beim Tragen der Kleidung glättet sie sich zudem durch die Körperwärme und Feuchtigkeitsabgabe.
Bügeleisen
Bügeleisen haben in der Regel eine Leistung von zwei bis drei Kilowatt (kW). Allerdings wird diese Leistung nicht während der ganzen Bügelzeit, sondern lediglich zum Aufheizen und Nachheizen gebraucht. Dadurch kommt in einer Stunde Bügeln ein Energieverbrauch von etwa 1 bis 1,5 Kilowattstunden (kWh) zusammen (UBA 2016 b). Empfehlenswert ist zudem zügiges Bügeln ohne große Unterbrechungen, damit weniger Energie zum Nachheizen gebraucht wird (UBA 2013 b).
Dampfbügeleisen
Ein Dampfbügeleisen benötigt Strom für das Erhitzen des Bügeleisens sowie zusätzlich zur Erzeugung von Wasserdampf. Die Umwandlung von Wasser in Dampf macht dabei rund 90 Prozent des Stromverbrauchs aus. Aus Umweltsicht ist es deshalb empfehlenswert, die Dampferzeugung und damit den Stromverbrauch einzuschränken (UBA 2013 b und 2016b). Bügelstationen verbrauchen in der Regel mehr Strom als Dampfbügeleisen.
Bügelstationen
Der hohe Stromverbrauch von Bügelstationen entsteht durch den separaten Dampfgenerator. In diesem Generator, der ein wesentlich größeres Fassungsvolumen hat als die Wassertanks von Dampfbügeleisen, wird das Wasser schnell und mit viel Druck erhitzt. Die Dampfleistung sowie der Druck sind ausschlaggebend für den Stromverbrauch. Des Weiteren wird bei Bügelstationen oft die gesamte Menge an Wasser erhitzt, auch wenn diese nicht benötigt wird (UBA 2013 b).
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